Protocol of the Session on May 15, 2003

Tagesordnungspunkt 24: Erste Beratung: Kulturhauptstadt Europas: Rien ne va plus - oder welche Stadt in Niedersachsen soll es werden? - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 15/123

Zur Einbringung hat Frau Bührmann das Wort. Bitte schön!

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sich einzureihen in die großen Kulturhauptstädte Europas - wir reden jetzt von Kultur, von Europa, von Städten; ich will es noch einmal deutlich machen - wie z. B. Santiago de Compostela, Salamanca oder Graz, ist eine faszinierende und lohnende Aufgabe. Das sind, wie Sie alle wissen, sehr geehrte Damen und Herren, kulturhistorisch gesehen große Namen, verbinden wir doch mit Santiago de Compostela z. B. den Jakobsweg - einige von Ihnen kennen ihn vielleicht von privaten Wanderungen -, die berühmteste Pilgerstrecke Europas, mit Salamanca eine der ältesten Universitäten der Welt und mit Weimar die Stadt der deutschen Klassik. Andere kulturpolitisch bedeutende Städte wie z. B. Kopenhagen - damit ich nicht nur im Süden bleibe -, Florenz und Lissabon will ich hier nur namentlich nennen.

Bei der Auswahl der Kulturhauptstadt Europas geht es auch darum, unser Kulturerbe zu bewahren, zu schützen und den Menschen näher zu bringen. Von daher, sehr geehrte Damen und Herren, ist

allen Städten in Niedersachsen, die sich mit dieser Idee befassen, wirklich großer Respekt zu zollen.

Aber diese große Aufgabe erfordert auch - gerade im Interesse der beteiligten Städte hier in Niedersachsen, nämlich Braunschweig und Osnabrück von der Landesregierung Klarheit, Verlässlichkeit und Verbindlichkeit. Ein Roulettespiel in dieser Frage kann dem Land Niedersachsen nur schaden.

Was aber tut die Landesregierung? Das war in den letzten Wochen eine spannende Frage. Sie bezieht in ihrer Koalitionsvereinbarung eindeutig Stellung für die Bewerbung der Stadt Braunschweig und sagt Unterstützung zu. Ich zitiere:

„Die neue Landesregierung wird Niedersachsens Profil als europäische Kulturregion schärfen.“

- Da kann man sagen: Wunderbar!

„Sie unterstützt die Bewerbung Braunschweigs und der umliegenden Kommunen als Kulturhauptstadt Europas.“

Diese Aussage, sehr geehrte Damen und Herren, ist eindeutig, klar und ein Versprechen. Oder ist sie, Herr Ministerpräsident - wie wir in der Zwischenzeit gelernt haben -, ein gebrochenes Versprechen?

(Zuruf von der CDU)

- Ich komme dazu, seien Sie vorsichtig!

Herr Minister Stratmann will in seinem Papier „Arbeitsprogramm des Ministeriums für Wissenschaft und Kultur“ offensichtlich nichts mehr von dieser eindeutigen Koalitionsaussage wissen und führte dazu Folgendes aus - ich zitiere -:

„Viel zu lange hat Niedersachsen sein kulturelles Licht unter den Scheffel gestellt. Daher wird die Landesregierung nach einer internen Konkurrenz die Erfolg versprechende und professionelle Bewerbung einer“

- einer, völlig unverbindlich!

„niedersächsischen Region zur Kulturhauptstadt Europas tatkräftig unterstützen.“

Sie merken, das ist eine völlig andere Aussage als die, die wir aus der Koalitionsvereinbarung ken

nen. Im Ausschuss, Herr Stratmann, haben Sie diese Aussage noch einmal bekräftigt.

By the way, Herr Minister Stratmann - das muss ich Ihnen schon noch einmal sagen -: Niedersachsen hat, was die Kulturpolitik und die Kulturförderung anbelangt, sein Licht nie unter den Scheffel gestellt. Dies hat Niedersachsen - wie auch Sie wissen - gar nicht nötig.

(Beifall bei der SPD)

Falls Sie noch Informationen und etwas Nachhilfe brauchen, empfehle ich Ihnen, einmal die Antwort auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion zum Thema Kulturpolitik zu lesen.

(Beifall bei der SPD)

Wie sollen diese Ausführungen von Ihnen, Herr Stratmann, anders bewertet werden als der Befehl „Kehrtwendung, Marsch, Marsch!“ Oder: „Was schert mich unsere Koalitionsaussage? Wir halten uns in alle Richtungen offen.“

Das, sehr geehrter Herr Minister und Herr Ministerpräsident, hat weder die Stadt Braunschweig noch die Stadt Osnabrück verdient, heißt das doch letztendlich für sie, dass sich die Landesregierung gar nicht als verlässlicher Partner um die Städte bemüht, sondern heute so und morgen anders entscheidet. Wenn solch ein Verhalten Grundlage Ihres zukünftigen politischen Handelns sein wird, dann wird das in die neue Landesregierung gesetzte Vertrauen schneller verspielt sein, als Ihnen das lieb sein kann. Zurzeit sieht es eher nach „versprochen - gebrochen“ als nach „versprochen gehalten“ aus.

Herr Ministerpräsident und Herr Minister Stratmann, Sie können sicher sein, dass wir von der SPD-Fraktion sehr genau hinsehen werden, ob und wie Sie die von Ihnen zugesagten politischen Versprechen halten werden.

Und dann, Herr Ministerpräsident, muss ich Ihnen schon sagen: Es wundert mich ja sehr. Sie haben doch lange die Information gehabt, dass sich die Stadt Osnabrück als Kulturhauptstadt Europas bewerben will. Diese Diskussion wird dort schon seit 2001 geführt. Nun haben Sie sich in der Koalitionsvereinbarung zu einer klaren Aussage durchdrungen. Was ist eigentlich passiert?, ist die eine Frage. Die zweite Frage ist: Was ist Ihnen eigentlich passiert, dass Sie hinterher damit angefangen haben, dieses alles wieder umdrehen zu wollen?

Waren Sie während der Koalitionsverhandlungen mal draußen, oder was war bei Ihnen los? - Ich muss Ihnen sagen: Erstaunlich, erstaunlich!

(Beifall bei der SPD - Zurufe von der CDU und von der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich habe ich auch die Berichterstattung in der Braunschweiger Zeitung vom 6. Mai darüber gelesen, wie Sie, Herr Ministerpräsident, sich in Braunschweig zur Bewerbung der Stadt Braunschweig geäußert haben. Das fand ich ja ganz spannend. Offensichtlich gut gelaunt und in freier Rede - so war zumindest zu lesen haben Sie bei dem ClassixEröffnungskonzert das Mittelalter bemüht und darauf hingewiesen, dass in Osnabrück die Gehenkten von den Galgen und Bäumen genommen wurden, wenn sich Besuch ankündigte. - Dass das heute nicht mehr so ist, ist für uns ja tröstlich. Vor diesem Hintergrund und als Osnabrücker lag Ihre Befürchtung wahrscheinlich auch nahe, in Braunschweig würden nach Ihrer Wackelaussage zur Bewerbung der Stadt die Galgen bei der Ankündigung Ihres Besuches erst aufgestellt. Von daher verstehe ich schon, was Sie da gemacht haben. - Jedenfalls haben Sie, Herr Ministerpräsident, Braunschweig offensichtlich gesund verlassen, nachdem Sie zugesagt haben, sich an Ihre Koalitionsvereinbarung zu halten.

Einen Tipp hätte ich dann noch für Sie: Wenn Sie so etwas sagen, und wenn Sie dann wieder zu Ihrer alten Position zurückfinden, dann sagen Sie das doch einfach auch Ihrem Wissenschafts- und Kulturminister. Es wäre schön, wenn der das auch wüsste.

Übrigens, lieber Kollege Spieker von der FDPFraktion, auch Sie haben sich in der Presse geäußert und unseren Antrag als überflüssig bezeichnet.

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: Spieker? Da haben wir wohl einen neuen Kol- legen bekommen und sind jetzt 16!)

- Sie haben gar keinen Kollegen Spieker? - Na ja, ich zitiere hier die Presse. Ich darf das trotzdem sagen, denn das gilt natürlich auch für Sie als FDPFraktion. Sie können gleich etwas dazu sagen, Herr Rösler. Ich bin sowieso gespannt, wie Sie sich dazu verhalten.

Also, welche Position hat die FDP vertreten? - Sie sagen, der Antrag ist eigentlich völlig überflüssig. Da sage ich Ihnen - und das gilt für Sie, wie Sie da

sitzen -: Sie müssten aus langer FDP-Erfahrung und nach dem Theater, das wir jetzt um die Frage der Kulturhauptstadt erlebt haben, doch wissen: Opposition und das, was sie macht, ist nie überflüssig. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Das Wort hat der Herr Wissenschaftsminister.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Bührmann, ich habe sogar ein bisschen Verständnis für Ihre Rede. Ich weiß aus den vergangenen Monaten, wie viele sozialdemokratischen Kollegen es gibt, die ich nach wie vor sehr schätze, die große Probleme mit dem Stil ihrer Fraktion bzw. ihrer Partei in den vergangenen Jahren gehabt haben, Dinge zu versprechen und sie dann nicht zu halten.

(Christina Bührmann [SPD]: Sie len- ken ab!)

Ich kann Ihnen versichern: Es wird Ihnen nicht gelingen, dieses Problem, das Sie in den eigenen Reihen immer gehabt haben, auf die jetzige Regierungskoalition zu lenken.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir stehen zu dem, was wir sagen, und wir stehen vor allem zu dem, was wir in unsere Koalitionsvereinbarung schreiben. Das sage ich an dieser Stelle sehr deutlich.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich könnte mit Ihnen aufgrund meiner juristischen Ausbildung auch über Auslegungsmethoden sprechen. Man lernt Definition, Subsumtion über das, was er da gesagt hat: Wie muss ich das auswerten? - Das Zitat, das Sie hier gebracht haben, widerspricht in keiner Weise dem, was von uns in der Koalitionsvereinbarung zum Ausdruck gebracht worden ist. Insoweit kann ich das überhaupt nicht nachvollziehen.

Meine Damen und Herren! Ich kann verstehen, dass Sie diesen Antrag gestellt haben - Sie sind in

einer anderen Rolle; Sie sind in der Opposition, das ist gut so -,

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

aber es ist, wie es ist: Es bleibt eine Showveranstaltung. In der Öffentlichkeit, gegenüber der Braunschweiger Zeitung und gegenüber anderen ist von uns immer wieder deutlich gesagt worden: Wir stehen zu dem, was wir in der Koalitionsvereinbarung zum Ausdruck gebracht haben. Wir wollen Niedersachsen zur europäischen Kulturregion ausbauen, und wir werden die Bewerbung Braunschweigs und der umliegenden Kommunen zur Kulturhauptstadt 2010 unterstützen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Insoweit könnte ich jetzt dieses Rednerpult verlassen und wieder zurück an meinen Platz gehen. Das möchte ich aber nicht, weil es noch ein paar Dinge gibt, die ich Ihnen sagen will, weil sie wichtig sind. Ich finde es nämlich auch problematisch, meine Damen und Herren - abgesehen davon, dass man darüber streiten kann, ob man so etwas für eine Showveranstaltung nutzt oder nicht -, dass aus Ihrem Antrag erneut deutlich wird, welchen Stellenwert Sie dem Selbstverwaltungsrecht der Kommunen einräumen.