Protocol of the Session on June 23, 2004

Erstens. Konsequente Deregulierung. Wir wollen weniger Vorschriften. Der Ministerpräsident hat in seiner Regierungserklärung am 4. März angekündigt - das ist unser gemeinsames Ziel -: Wir wollen alle Rechtsvorschriften auf deren Notwendigkeit und sinnvolle Ausgestaltung hin überprüfen mit

dem Ziel, mindestens ein Drittel aller Vorschriften innerhalb dieser Legislaturperiode abzuschaffen. Eine Vielzahl von Gesetzen, Verordnungen und Erlassen soll künftig in der Regel nur noch fünf Jahre gültig sein und nach Ablauf dieses Verfallsdatums automatisch außer Kraft treten. Die Staatskanzlei hat gerade aktuell ca. 60 Gesetze und Verordnungen für die Aufhebung ausgewählt. Alle 3 125 Verwaltungsvorschriften, die derzeit noch gültig sind, werden von der Staatskanzlei auf ihre Erforderlichkeit, Geeignetheit und Aktualität hin überprüft. Ca. 2 800 Verwaltungsvorschriften hat die Staatskanzlei mit entsprechenden Vorschlägen den Fachministerien zur Überprüfung zugeleitet. Etwa 90 Gesetze und Verordnungen sowie Verwaltungsvorschriften hat die Regierung bereits ersatzlos aufgehoben.

Zweitens. Wir wollen weniger Behörden. Wir schaffen mit dieser Verwaltungsreform 109 Behörden und Dienststellen ab. Der mutige Schritt dieser Landesregierung und der Koalitionsfraktionen zu einem zweistufigen Verwaltungsaufbau in unserem Land ist ein ganz besonders prägender Bestandteil der Verwaltungsreform. Unsere Landesverwaltung wird für die Menschen in Niedersachsen schneller, effizienter, kostengünstiger und bürgernäher. Wir liegen hier eindeutig im Trend. Auch RheinlandPfalz und Sachsen-Anhalt schaffen die Bezirksregierungen ab. Der neue Hamburger Senat unter Ole von Beust plant einen zweistufigen Verwaltungsaufbau in diesem Bundesland.

Drittens. Wir wollen weniger Personal. Das zentrale Problem unseres Landeshaushaltes auf der Ausgabenseite sind und bleiben die Personalkosten, die bereits jetzt rund 46 % der Ausgaben des Landes ausmachen. Die Versorgungslasten für ausgeschiedene Beamte betrugen im Jahre 2003 für 61 000 Pensionäre 2,15 Milliarden Euro. Der Landesrechnungshof sagt uns, dass wir im Jahre 2023 bereits 93 000 Pensionäre haben werden. Die Versorgungslasten betragen dann 4,7 Milliarden Euro. Das bedeutet, die Versorgungslasten werden sich in den nächsten 20 Jahren verdoppeln und die bereits heute unvermeidbar auf uns zukommenden demographischen Probleme erheblich verschärfen. Allein deshalb müssen wir die 6 743 Stellen in dieser Legislaturperiode entbehrlich machen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Durch diesen großen Wurf spart das Land Niedersachsen in den kommenden Jahren bis 2009

894 Millionen Euro ein, so die Gesetzesfolgenabschätzung des Innenministers. Das zeigt, dass bereits in den nächsten fünf Jahren ein massiver Beitrag zur Entschuldung des Landes geleistet werden kann. Dieser Beitrag wird auch geleistet werden.

Nun zur Kritik der Sozialdemokraten. Vorab dies: Nach der Europawahl haben sich der SPDLandesvorsitzende Wolfgang Jüttner und der SPDBezirksvorsitzende von Braunschweig, Herr Gabriel, zunächst auf Kosten der Bundespartei zu profilieren versucht. Das ist wenig solidarisch, weil Ihr Bundeskanzler aus Niedersachsen kommt. Das hat Gerhard Schröder nicht verdient.

(Heiterkeit bei der CDU)

Herr Gabriel gab dann der Welt ein Interview und behauptete, die Abteilung Attacke sei in der SPD outgesourct. Er fordert jetzt Insourcing. Das heißt, wer mit gutem Beispiel vorangehen will, muss hier im Landtag jetzt auch zur Attacke blasen.

(Sigmar Gabriel [SPD]: Keine Sorge, mein Guter!)

Wir warten seit 16 Monaten darauf. Es wird allmählich Zeit. Das ist in Ordnung. Dann wird es auch wieder spannender. Eines aber ist klar: Die Abteilung Attacke muss dosiert eingesetzt werden. Wenn Sie permanent alle Minister zum Rücktritt auffordern, nimmt Sie irgendwann niemand mehr ernst.

(Sigmar Gabriel [SPD]: Bei Ihnen sind wir noch nicht angekommen!)

Ich habe versucht, Ihre Kritik in den letzten Tagen und auch das, was Herr Bartling heute vorgetragen hat, zu verstehen. Ich will versuchen, anhand von sechs Beispielen Klarstellungen vorzunehmen.

Erstens. Niedersachsen hat als erstes Bundesland - da hat der Innenminister völlig Recht - eine detailgenaue Aufschlüsselung der Einsparungen und Kosten vorgelegt. Sie umfasst 50 Seiten. Das ist absolut vorbildlich. Das ist eine Leistung, die es in Deutschland so noch nie gegeben hat. Dies ist die Realität, die Sie zu Kenntnis nehmen müssen. Die Kabinettsvorlage des MI und der Kabinettsbeschluss umfassen sowohl eine kostenmäßige Betrachtung aller - auch der zukünftigen - Ausgabenpositionen als auch eine reine Ausgabenbetrachtung auf der haushaltsmäßigen Seite. Das hat der Innenminister uns sehr plastisch dargestellt, und er

hat zumindest versucht, es auch Ihnen zu erklären. Vielleicht lag es auch am eingeschränkten Empfängerhorizont, wenn Sie es nicht verstanden haben. Es gab eine einvernehmliche Abstimmung zwischen MI und MF und sogar dem Landesrechnungshof. Es sind überhaupt keine Konflikte bekannt. Gerade eine kostenmäßige Betrachtung nach der Methodik der Gesetzesfolgenabschätzung ermöglicht eine zutreffende Ermittlung und Bewertung der zukünftigen Ausgabenbelastung des Landes. Nur so lassen sich die zukünftigen Verpflichtungen und Gestaltungsspielräume realistisch und zutreffend bewerten. Beide Betrachtungen - egal wie Sie es anstellen - zeigen, dass die Verwaltungsmodernisierung bereits in den ersten fünf Jahren massiv zu einer Entlastung des Landeshaushaltes beitragen wird. Allein das zeigt, dass der Innenminister und diese Landesregierung auf dem richtigen Weg sind.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr McAllister, Sie haben eben die Mitglieder der SPD-Fraktion beleidigt, indem Sie von einem eingeschränkten Empfängerhorizont gesprochen haben. Dafür erteile ich Ihnen einen Ordnungsruf.

(Beifall bei der SPD - Karl-Heinz Klare [CDU]: Das ist doch medizinisch be- gründet!)

Frau Präsidentin, im Gegensatz zu anderen akzeptiere ich Ordnungsrufe. Herzlichen Dank.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU)

Alle Zahlen sind in der Kabinettsvorlage eindeutig nachzulesen. Wir stellen also fest: Der Innenminister hat nichts verschwiegen, der Innenminister hat nichts beschönigt, sondern alle Zahlen detailliert und nachvollziehbar auf den Tisch gelegt. Ich meine, es ist auch anerkennenswert, dass er heute selbst eingeräumt hat, dass manches an der Darstellung nicht ganz optimal gelaufen ist. Das zeigt, dass der Innenminister auch gegenüber diesem Hause bereit ist, gewisse Fehler einzuräumen. Das rechnen wir ihm persönlich hoch an.

Zweitens. Die Grundlagen, nach denen die von Ihnen kritisierte Gesetzesfolgenabschätzung verfasst wird, stammen übrigens - das wundert uns schon sehr, Herr Kollege Gabriel - aus einer Be

kanntmachung aus der Niedersächsischen Staatskanzlei vom April 1998. Sie kritisieren also die eigene Gesetzesfolgenabschätzungsregelung, die Sie verfasst haben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Sigmar Gabriel [SPD]: Wir kritisieren das nicht! Wir möchten nur, dass Sie sich daran halten!)

Wenn Sie schon zur Attacke blasen: Das, was Sie vortragen, ist schwer nachzuvollziehen. Wir geben uns aber wirklich hinreichend Mühe, das alles zu verstehen.

Drittens. Sie haben gegenüber der Presse die Vermutung geäußert, der Ministerpräsident habe den Innenminister womöglich gezwungen, falsche Zahlen vorzulegen. Ich weiß ja nicht, was zu Ihrer Regierungszeit im Kabinett los gewesen ist. Wenn ich Ihre Pressemitteilung lese, so ergibt sich, dass ein Ministerpräsident in der Lage sein soll, einen Minister zu zwingen, irgendetwas zu verkünden. Das müssen in Ihrer Regierungszeit ja schlimme Zustände gewesen sein. Wir können uns so etwas überhaupt nicht vorstellen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Viertens. Herr Bartling, ich bin einer der wenigen, die Ihre Pressemitteilungen nach wie vor immer tapfer durchlesen.

(Heiterkeit bei der CDU - Heinrich Al- ler [SPD]: Aber Sie verstehen sie nicht! Eingeschränkter Empfängerho- rizont!)

Sie sprechen darin von der Zerschlagung bewährter Verwaltungsstrukturen und meinen die Abschaffung der Bezirksregierungen, was Ihre Partei, die SPD, übrigens selbst angedacht hat allerdings nie die Kraft hatte, das umzusetzen. Wenn Sie so weit sind, sind Sie gedanklich in die 90er-Jahre zurückgefallen. Das ist ja die Zeit vor Gabriel. In der Oppositionsrolle sollten Sie nicht unbedingt so übertreiben. Die Haltung der SPD ist ohnehin schwer zu verstehen. Ich habe mir Ihre Homepage angeschaut; ein paar Klicks hat sie auch verdient. Bei einem Blick auf Ihre Website wird man unweigerlich auf die Widersprüche aufmerksam. Einerseits haben Sie vor der Landtagswahl eine Verwaltungsreformkommission unter Dr. Hinrich Lehmann-Grube angekündigt, die gerade eine mögliche Abschaffung der Bezirksregierungen und eine Verlagerung von Aufgaben auf die Kom

munen prüfen sollte. Kurz vor der Landtagswahl haben Sie, Herr Gabriel, andererseits angekündigt, die Bezirksregierungen sollten als Regionalmanagementbehörden effizienter werden.

(Heinrich Aller [SPD]: Das ist doch kein Widerspruch!)

Jetzt, wo wir das tun, was Sie angedacht haben, sagen Sie, die Abschaffung der Bezirksregierungen bedeute eine Zerschlagung bewährter Strukturen. Der Gipfel ist, dass sowohl Herr Gabriel als auch Herr Bartling öffentlich erklären, dass eine SPD-Landesregierung die Bezirksregierungen eines Tages auch nicht wieder einführen könnte. Mein Gott, was denn nun? Ist das ein Durcheinander bei Ihnen! So wird das nichts mit der Abteilung Attacke.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine armen Mitarbeiter und ich lesen weiterhin tapfer alles nach, was Sie schreiben. Sie kritisieren fünftens, dass der Innenminister noch gar nicht wissen könne, welche Landesbediensteten künftig wo arbeiteten und deshalb keine konkreten Zahlen über Umzugskosten genannt werden könnten. Lassen Sie mich dazu Folgendes ausführen. Der überwiegende Teil von 80 % der Mitarbeiter der Bezirksregierungen wird voraussichtlich - so hat es der Innenminister ja angekündigt - an seinem jetzigen Arbeitsort oder in der näheren Umgebung weiter arbeiten. Davon profitieren sowohl die an der Umstrukturierung beteiligten Mitarbeiter und ihre Familien als auch das Land, denn wie der Mitarbeiter verzichtet auch das Land gern auf Trennung und Umzug. Die engagierten Mitarbeiter der Bezirksregierungen werden neue Aufgaben erhalten oder ihre alten Aufgaben in einem neuen Umfeld wahrnehmen. Wir sind bemüht, für jeden dieser Mitarbeiter eine vernünftige, individuell zumutbare und sozial verträgliche Lösung zu suchen. Es soll keine Umzugskarawanen geben.

Sechstens schließlich noch dies. Herr Kollege Gabriel, der Versuch Ihrer SPD-Landtagsfraktion, den unabhängigen Niedersächsischen Landesrechnungshof im politischen Tagesgeschäft parteipolitisch gegen die Verwaltungsreform zu instrumentalisieren, ist dreist. Mit dieser Art des parteilichen Taktierens beschädigen Sie die Unabhängigkeit des Landesrechnungshofes.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Das Innenministerium hat eine umfangreiche und detaillierte Gesetzesfolgenabschätzung vorgelegt. Das ist, wie ich bereits betont habe, deutschlandweit vorbildlich. Der Landesrechnungshof wird im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens dazu ohnehin umfangreich Stellung nehmen.

Zusammengefasst ist zur angekündigten Abteilung Attacke Folgendes zu sagen: Sie reden, Sie lamentieren, Sie kritisieren - wir handeln. In dieser dramatischen Finanzsituation, in der größten finanziellen Katastrophe, die das Land Niedersachsen jetzt seit 50 Jahren zu bewältigen hat, nicht zu handeln, nicht unseren Weg mitzugehen, ist nun wirklich der größte Fehler, den man als staatstragende Opposition machen kann. Unsere Verwaltungsreform - das hat der Innenminister bereits angekündigt - wird von großem öffentlichen Interesse und großer öffentlicher Unterstützung begleitet. Zahlreiche Mitarbeiter der Landesverwaltung, ihre Berufsverbände, die Gewerkschaften, die Personalräte, die kommunalen Spitzenverbände, Städte, Gemeinden, Landkreise und die Wirtschaftsverbände, aber auch engagierte Einzelpersonen haben Hinweise, Anregungen und Vorschläge entwickelt und der Landesregierung übermittelt. Dieses breite Engagement, diese Bereitschaft, am Aufbau unseres Staatswesens in Niedersachsen mitzuarbeiten, freut uns, weil die Landesregierung den Reformprozess bewusst offen und transparent gestaltet hat und auch weiter gestalten wird; denn nur durch ein gemeinsames Bemühen aller Beteiligten werden wir eine zukunftsfähige und moderne Verwaltung gestalten können.

Wir haben diese wertvollen Beiträge und Diskussionen sehr genau geprüft. Wir tun dies weiter. Nur durch einen Wettstreit um die besten Reformideen und Reformansätze werden wir unsere ehrgeizigen Ziele erreichen können.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU-Landtagsfraktion unterstützt die bevorstehende Verwaltungsmodernisierung und den Kurs des Innenministers Uwe Schünemann in vollem Umfang. - Herzlichen Dank.

(Starker, nicht enden wollender Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Der nächste Redner ist Herr Professor Lennartz von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Schünemann, in Ihrer Regierungserklärung ist viel von Fallen die Rede: Zinsfalle, Schuldenfalle, Personalkostenfalle, Fixkostenfalle. Ich meine, Herr Minister, dass Sie in der letzten Woche selbst ins Stolpern geraten sind. Wer stolpert, ist in Gefahr zu fallen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen die Geschichte der Verwaltungsreform - und zwar nicht einer früheren, sondern der jetzigen, die gerade ansteht - aus unserer, aus grüner Sicht erzählen. Was waren Ihre Ziele? Sie wollten die Abschaffungen der Bezirksregierungen und den Übergang zu einer konsequent zweistufigen Verwaltung. Sie wollten eine Kultur des Vertrauens mit den Kommunen und mit den Beschäftigten entwickeln und die Sanierung des Landeshaushaltes durch Reduzierung der Personalkostenquote. Und das alles nach dem Motto „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“.

Was haben Sie erreicht? Zum Thema „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“: Ihre ursprüngliche Absicht war es, die Bezirksregierungen zum 1. Januar 2006 aufzulösen. Dann haben Sie den Fahrplan neu geschrieben; wir wissen allerdings nicht, warum. Das Ziel soll jetzt bereits zum 1. Januar 2005 erreicht werden. Die Folge davon: Sie stehen unter enormem Zeitdruck, und Sie setzen uns ebenfalls unter enormen Zeitdruck.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Das Prinzip heißt für meine Begriffe „je schneller, desto fehleranfälliger“. Um den Fahrplan der Ausschussberatungen des Innenausschusses überhaupt einhalten zu können, muss morgen in der Mittagspause eine Sondersitzung stattfinden, in der die Details der weiteren Verfahrensschritte beschlossen werden sollen. Diese Art des Vorgehens verspricht für meine Begriffe nichts Gutes.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)