Protocol of the Session on March 5, 2003

Wir gehen auch in vielen anderen Punkten mit gutem Beispiel voran. Es ist zurzeit in der Tat nicht opportun, über den Neubau der Staatskanzlei zu sprechen. Ebenso wenig ist es Zeit für fünf Landtagsvizepräsidenten. Auch dabei haben wir gestern Signale gesetzt.

Zur Verwaltungsreform und Entbürokratisierung: Herr Gabriel, jemand, der wie Sie den Personalapparat der Staatskanzlei in drei Jahren um 20 % aufgebläht hat, sollte hier ganz kleine Brötchen backen.

(Starker Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Jetzt kommen wir zur Lage: Sie - das sagte ich bereits - hinterlassen eine vernichtende Bilanz. Herr Gabriel, Sie sprachen in Ihrer Rede über Schuldtheorien und -debatten. Schuld an der Entwicklung in den letzten 13 Jahren haben Sie von den Sozialdemokraten - ausschließlich Sie. Sie hatten die Mehrheit. Sie haben Ihre Politik so gemacht. Wir haben Sie immer gewarnt, sie so zu machen.

(Sigmar Gabriel [SPD]: Sie wollen doch noch mehr ausgeben!)

Nun ist das Kind bekanntlich in den Brunnen gefallen. Wie der Ministerpräsident habe auch ich mit Interesse den Zeitungsbericht über das Gespräch mit dem ehemaligen Landtagspräsidenten Professor Wernstedt gelesen. Wernstedt hat gesagt: Das Land ist pleite. Ohne einen grundlegenden Wechsel in der Haushaltspolitik ist Niedersachsen in zehn Jahren zahlungsunfähig. - Bei allem Respekt vor der Leistung des scheidenden Landtagspräsidenten: Wir hätten uns so einen Wortbeitrag in diesem Hause im Rahmen der letzten Legislaturund Wahlperiode gewünscht.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir, insbesondere Herr Möllring und der Ministerpräsident, haben Sie immer auf die Haushaltslage und die Probleme in diesem Lande aufmerksam gemacht. Sie haben uns damals vorgeworfen, wir würden das Land schlechtreden. So, wie hier Politik gemacht wurde, war das nicht gut.

Finanzen: Sie hinterlassen einen Schuldenstand von über 42 Milliarden Euro. Seit 1990, seit dem Regierungswechsel von Union und FDP zugunsten von SPD bzw. SPD und Grünen, haben sich die Schulden mehr als verdoppelt. Wir haben ein Haushaltsdefizit von 17 % bei den Ausgaben. Die Nettoneuverschuldung beträgt in diesem Jahr über 2,5 Milliarden Euro. Sie haben es geschafft, einen exorbitant hohen Personalkostenanteil von über 45 % im Landeshaushalt zu zementieren. Die Dramatik der Kassenlage und dessen, was Sie uns überlassen haben, wird sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit noch verschärfen, wenn die Mitglieder der neuen Landesregierung in den nächsten Wochen - nachdem sie Zugriff auf die genauen Daten und Fakten in den Häusern haben eine umfassende Schlussbilanz der alten Landesregierung präsentieren - inklusive aller Nebenhaushalte und Versorgungspflichten. Hinzu kommt, dass Sie während Ihrer Regierungsverantwortung in Milliardenumfang verfassungswidrig in den kommunalen Finanzausgleich eingegriffen haben.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Sie haben ein Milliardenvermögen des Landes verschleudert: Harz-Wasserwerke, Lotto/Toto-Gesellschaft, Grundstücke und Vermögen des Landes. Damit haben Sie 1,8 Milliarden DM erzielt, aber nicht eine einzige D-Mark ist in Innovationen geflossen. Das gesamte Geld wurde ausschließlich zur Schließung von Haushaltslöchern verbraten und verbraucht. Das empfinden wir im Vergleich zur Praxis in anderen Bundesländern als skandalös. Das war an der niedersächsischen SPD-Finanzpolitik einzigartig.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Niedersachsen ist unter Ihrer Regierung wirtschafts- und arbeitsmarktpolitisch zurückgefallen. Im Januar dieses Jahres waren bei uns im Land 415 788 Menschen arbeitslos. Das entspricht einer Arbeitslosenquote von 11,7 %. In den so genann

ten alten Bundesländern hat nur Bremen eine noch höhere Arbeitslosigkeit als Niedersachsen. Niedersachsen liegt beim Wirtschaftswachstum unter dem Bundesdurchschnitt. Wir haben eine viel zu niedrige Selbständigenquote. Bei den Patentanmeldungen liegen wir weit abgeschlagen hinter den süddeutschen Ländern. Sie haben gleichzeitig die landeseigenen Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sinken lassen. Im Jahre 2000 waren es noch 37 Millionen Euro, im Jahre 2002 nur noch 29 Millionen Euro.

Wir werfen Ihnen schwere Versäumnisse in der Bildungspolitik vor. Herr Gabriel, wir liegen bei der PISA-Studie ganz weit hinten, und Sie predigen heute Morgen genau dasselbe, womit Sie bei PISA schon längst durchgefallen sind. Das muss mir einmal jemand erklären!

(Starker Beifall bei der CDU und bei der FDP)

17 % des Unterrichts sind in diesem Land ausgefallen: 250 000 Unterrichtsstunden pro Woche.

(Zuruf von der SPD: Das ist falsch!)

Niedersachsens Schüler erhalten im Vergleich zu 1990 12 % weniger Unterricht - zu Zeiten der letzten Tage der CDU-FDP-Regierung unter Ernst Albrecht. Gegenüber 1989 muss jede Lehrkraft fast 20 % mehr Schüler unterrichten, und jeder zehnte Schüler verlässt die Schule ohne Schulabschluss. Angesichts dieser Bilanz mahne ich zu mehr Bescheidenheit und zu mehr Zurückhaltung, wenn es in diesem Hause um Bildungspolitik geht.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Bei der inneren Sicherheit ist in diesem Land leider auch nicht alles Gold, was glänzt. Die Kriminalitätsrate in Niedersachsen ist in letzter Zeit wieder gestiegen. Die Aufklärungsquote ist gesunken. Niedersachsen hat die bundesweit geringste Polizeidichte. Die technische Ausstattung von Polizei und Justiz ist vielerorts antiquiert und mangelhaft. Ein überzogener Datenschutz hat die Aufklärungsarbeit von Polizei und Justiz deutlich erschwert. Auch das ist die traurige Wahrheit in diesem Lande.

Und dann schließlich: Die kommunale Selbstverwaltung genießt nach Artikel 28 des Grundgesetzes und nach Artikel 57 der Landesverfassung einen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz. Unsere

Kommunen befinden sich nach fünf Jahren RotGrün in Berlin und nach 13 Jahren Rot bzw. RotGrün in Niedersachsen in einer existenziellen Finanzkrise. Die alte SPD-Landesregierung hat durch ihre kommunalfeindliche Politik diese finanzielle Krise mit verursacht. Sie haben immer neue Landesaufgaben ohne Kostenausgleich auf die Kommunen verlagert, und Sie haben - ich habe das bereits betont - seit 1990 im Milliarden-Umfang den Kommunen die ihnen zustehenden Mittel entzogen.

Herr Bartling, am Ende Ihrer Bilanz hat sich die Höhe der Kassenkredite der Kommunen von 155 Millionen Euro auf 3,6 Milliarden Euro, also um das 23-Fache, gesteigert. Sie sollten sich schämen!

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Nirgendwo ist die Lage der kommunalen Finanzen in Deutschland dramatischer als bei uns in Niedersachsen.

Herr Gabriel, es tut mir Leid, ich hatte zum Teil den Eindruck, dass das, wie Sie mit den Kommunen umgegangen sind, Methode hatte. Wer so massiv den kommunalen Finanzausgleich verschlechtert hat, wer so massiv versucht hat, über Instrumente der Raumordnung und Landesplanung die Kommunen zu gängeln, der hat vielleicht ein anderes Verständnis von kommunaler Selbstverwaltung als wir bürgerliche Christdemokraten und Liberale. Sie haben heute schon wieder damit angefangen. Anstatt dass Sie in der Aussprache zur Regierungserklärung Gemeinden, Kreisen, Städten und auch Samtgemeinden eine Perspektive geben, wie es besser werden könnte, philosophieren Sie schon wieder darüber, Samtgemeinden in Einheitsgemeinden umzuwandeln. Wissen Sie was? - Sie haben von der Samtgemeinde überhaupt keine Ahnung!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Denn eine Samtgemeinde - ich komme aus einer Samtgemeinde - besteht aus Mitgliedsgemeinden. In den Mitgliedsgemeinden gibt es Bürgermeister und Ratsmitglieder. Die fühlen sich für ihre Ortschaft verantwortlich. Wenn es ein Loch in der Straße gibt, dann kommt der ehrenamtliche Bürgermeister und Gemeindedirektor mit der Schubkarre und macht das Loch zu, weil da jemand ist,

der sich verantwortlich fühlt. Das verstehen Sie nicht!

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Sie lassen durch kluge Gutachter ausrechnen, was eine Samtgemeinde bei den Verwaltungsausgaben mehr kostet. Da gebe ich Ihnen Recht. Aber Sie vergessen dabei, was an zusätzlichem ehrenamtlichem Engagement und Potenzial gerade bei den ehrenamtlichen Kommunalpolitikern auszuschöpfen ist.

(Vizepräsidentin Vockert über- nimmt den Vorsitz)

Schauen Sie von den Sozialdemokraten sich schließlich die Wahlergebnisse gerade im ländlichen Raum an! Sie haben in den letzten Jahren eine Politik gemacht, die einseitig auf die städtischen Ballungszentren ausgerichtet war. Sie haben den ländlichen Raum systematisch vernachlässigt.

(Beifall bei der CDU)

Insgesamt, wie in vielen anderen Politikfeldern auch - die Sozialpolitik möchte ich ausklammern -,

(Rebecca Harms [GRÜNE]: Die wird von dieser Koalition sowieso weitge- hend ausgeklammert!)

haben Sie eine deprimierende Bilanz hinterlassen.

Nun sitzen wir hier als neue bürgerliche Mehrheit in diesem Hause. Wir stehen vor einer Herkulesaufgabe. Viele Menschen haben enorme Erwartungen an uns. Aber wir wollen den Neustart. Deshalb werden wir zupacken, und zwar sofort. Wir sorgen jetzt kurzfristig für Mehrheiten, um zunächst unpopuläre, aber langfristig positive Veränderungen in Niedersachsen durchzusetzen. Wir müssen das Ruder herumdrehen, wenn es dem Land und seinen Menschen wieder besser gehen soll. - Das haben Sie übrigens gestern bei der Rede von Herrn Wulff auch gemacht: Nach ungefähr 24 Minuten fangen Sie an, organisierte Gespräche untereinander zu führen. Herr Möhrmann, vielleicht können Sie mir ja einmal den genauen Ablauf geben.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Uns beeindrucken Sie damit nicht.

Wir werden keine Politik der Ankündigung, sondern der Taten betreiben. Wir werden uns den wirklich wichtigen inhaltlichen Fragen in diesem Lande zuwenden, damit wir am Ende dieser Legislaturperiode - 2008 - im Gegensatz zu Ihnen ein anständiges Ergebnis vorweisen können, um vor den Wählerinnen und Wählern zu bestehen.

Oberste Priorität haben für uns Arbeit und Wirtschaft. Ja, wir sind einer qualitativen und quantitativen Wachstumspolitik verpflichtet. Für uns haben die Schaffung neuer und die Sicherung bestehender Arbeitsplätze Priorität. Wir wollen den Mittelstand stärken. Wir wollen Bürokratie abbauen, um Investitionen zu erleichtern. Wir wollen den Technologietransfer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft stärken. Deshalb werden wir einen Zukunfts- und Innovationsfonds aufbauen, um Bildung und die Erforschung neuer Technologien zu stärken. Wir werden die zahlreichen unübersichtlichen Förderprogramme des Landes in der Investitions- und Förderbank bündeln und straffen. Übrigens, Herr Gabriel, eine kleine Korrektur: Wir als CDU haben bereits 1997 die Investitionsbank gefordert. Sie haben sie jahrelang bekämpft und schließlich doch durchgesetzt. Dafür zumindest noch herzlichen Dank!

(Beifall bei der CDU)

Wir setzen auch darauf, die Tourismuspotenziale in diesem Land besser auszuschöpfen. Wir sehen noch enormes Potenzial im Harz, in der Heide, an der Nordsee und auch beim Städtetourismus, insbesondere im Hamburger Umland.

Zur Verkehrspolitik: Bei der Anmeldung von Bundesfernstraßen zum Bundesverkehrswegeplan und bei der Realisierung von Ortsumgehungen und Autobahnen brauchen wir von Ihnen - weder von der SPD noch von den Grünen - kluge Ratschläge. Sie haben 1992 in Niedersachsen nicht einen einzigen Quadratzentimeter zum Bundesverkehrswegeplan angemeldet. Sie tragen die Verantwortung dafür, dass wir jetzt bei der Verkehrspolitik in Niedersachsen so weit hinten liegen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Gabriel, weil Sie mit dem Kopf schütteln: Die A 20 mit fester Elbquerung ist nur deshalb im Bundesverkehrswegeplan, weil der Bund gegen das Votum Niedersachsens das Projekt trotzdem aufgenommen hat.

(Beifall bei der CDU)

Ich finde: Ehrlich in die neue Zeit. Auch das muss dann hier gesagt sein.

(Sigmar Gabriel [SPD]: Wenn die lie- be Sonne lacht, hat das die CDU ge- macht!)