Protocol of the Session on October 30, 2003

Guten Morgen, meine Damen und Herren!

(Zurufe: Guten Morgen, Frau Präsi- dentin!)

Die Beschlussfähigkeit werde ich zu gegebener Zeit feststellen.

Zur Tagesordnung: Wir beginnen die heutige Sitzung mit Tagesordnungspunkt 15, den Dringlichen Anfragen. Es folgen die gestern nicht mehr behandelten Tagesordnungspunkte 8, 11, 12, 13 und 14. Anschließend setzen wir die Beratungen in der Reihenfolge der Tagesordnung fort. Die heutige Sitzung wird danach gegen 21.10 Uhr enden.

An die rechtzeitige Rückgabe der Reden an den Stenografischen Dienst - bis spätestens morgen Mittag, 12 Uhr - wird erinnert.

Es folgen geschäftliche Mitteilungen durch die Schriftführerin.

Es haben sich entschuldigt von der Landesregierung Herr Ministerpräsident Wulff, Herr Umweltminister Sander von 14 Uhr bis 15.15 Uhr, von der Fraktion der SPD Frau Bockmann sowie von der Fraktion der FDP Herr Schwarz ab 15 Uhr.

Wir kommen jetzt zu

Tagesordnungspunkt 15: Dringliche Anfragen

Es liegen zwei Dringliche Anfragen vor. Ich rufe auf

a) Gentechnik bringt Kostenexplosion für niedersächsische Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie - Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 15/502

Herr Klein, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Bereich der grünen Gentechnik wird aktuell diskutiert, ob und wie eine Erzeugung und Verarbeitung von Lebens- und Futtermitteln mit gentechnisch veränderten Organismen zu vereinbaren ist mit dem Wunsch von vielen Erzeugern, Verarbeitern und Verbrauchern, weiterhin gentechnikfreie Produkte produzieren und einkaufen zu können. Diese Wahlfreiheit ist erklärtes Ziel aller Beteiligten.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Zur Sicherung der Koexistenz einer Lebensmittelerzeugung mit gentechnisch veränderten Organismen und einer gentechnikfreien Produktion sowohl im konventionellen als auch im ökologischen Sektor bedarf es zum Teil eines erheblichen Aufwandes, z. B. durch Abstandsregeln, Mantelsaaten, Verhinderung von Durchwuchs beim Anbau, Reinigungsaufwand bzw. das Vorhalten doppelter Systeme bei Transport und Verarbeitung. Eine Studie, die die EU-Kommission bei ihrer Gemeinsamen Forschungsstelle in Auftrag gegeben hat, kommt zu dem Ergebnis, dass sich allein die Anbaukosten für alle Landwirte um 5 bis 10 %, in Einzelfällen bis zu 40 % erhöhen könnten.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie liegen mit ihrer Bedeutung für die niedersächsische Wirtschaft an zweiter Stelle. Kostensteigerungen in der Branche, die in diesem Fall dem Wunsch einer Minderheit nach GVO-Produkten geschuldet sind, können diese starke Stellung gefährden. Neben den Fragen zu gesundheitlichen und ökologischen Auswirkungen sollten deshalb auch die wirtschaftlichen Folgen betrachtet werden.

Auch bei Kommunen und Staat werden für die Regelung, Überwachung und Kontrolle der Koexistenz zusätzliche Belastungen entstehen. Das vergrößert die ohnehin prekären Finanzprobleme der öffentlichen Hand.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie hoch schätzt die Landesregierung die Kosten der Koexistenz bei den niedersächsischen Landwirten und bei der niedersächsischen Lebensmittelindustrie?

2. Wie lässt sich nach Auffassung der Landesregierung sicherstellen, dass diese Kosten verursachergerecht nur bei den GVO-Nutzern entstehen?

3. Wie hoch schätzt die Landesregierung die Kosten der Koexistenz für die öffentliche Hand?

Bevor die Landesregierung antwortet, bitte ich Sie, etwas leiser zu sein. Es ist einfach zu laut. - Herr Ehlen, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bevor ich die Fragen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Detail beantworte, möchte ich einen kurzen Sachstandsbericht geben - zunächst über die EUVerordnungen, die sich zurzeit in der Beratung befinden oder zum Teil schon gelten und die den Umgang mit transgenen Eigenschaften bei Lebens- und Futtermitteln regeln -: erstens die EU-Verordnung für Lebens- und Futtermittel aus der GVO 1829 aus 2003, zweitens die EU-Verordnung zur Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung 1830 aus 2003 und drittens die Freisetzungsrichtlinie 2001/18. Die beiden erstgenannten Verordnungen treten im November 2003 in Kraft. Ihnen ging eine EU-weite Einigung voraus, an der auch die Bundesrepublik Deutschland beteiligt war. Hier werden die Kennzeichnungsschwellenwerte für Lebens- und Futtermittel festgelegt. Lebens- und Futtermittel, die einen höheren Anteil von genehmigten transgenen Bestandteilen als 0,9 % aufweisen, müssen gekennzeichnet werden. Hiermit ist für den Verbraucher die Wahlfreiheit bei Produkten der verschiedenen Produktionsrichtungen gegeben. Die Umsetzung der Freisetzungsrichtlinie in nationales Recht ist in der Bundesrepublik bislang noch nicht erfolgt. Sie soll mit der Novelle des Gentechnikgesetzes vorgenommen werden, dessen Entwurf derzeit von der Bundesregierung erarbeitet wird. Ein Gesetzentwurf wurde dem Bundesrat bisher nicht zugeleitet. Offen ist immer noch die Regelung zum Umgang mit Saatgut, das durch zufällige oder technisch nicht vermeidbare Beimengungen Spuren von GVO enthält;

es geht um die Festlegung der so genannten Schwellenwerte. Der letzte Entwurf zu den Saatgutschwellenwerten, der sich zurzeit in der Diskussion befindet, sieht Schwellenwerte für genehmigte GVO-Bestandteile vor, die je nach Kulturpflanzenart zwischen 0,3 % und 0,7 % liegen. Darüber hinaus wurden von der EU-Kommission am 23. Juli 2003 Leitlinien für die Erarbeitung einzelstaatlicher Strategien und Verfahren für die Koexistenz gentechnisch veränderter, konventioneller und ökologischer Kulturen veröffentlicht. Diese Leitlinien beschränken sich auf Empfehlungen grundlegender Prinzipien zur Koexistenz. Konkrete Maßnahmen zu Anbau, Ernte, Transport, Lagerung, Verarbeitung und den Haftungsregelungen werden dabei weitgehend den Mitgliedstaaten überlassen. Die Leitlinien geben allerdings vor, dass mit den nationalen Regelungen alle landwirtschaftlichen Produktionsformen - konventionelle, ökologische und gentechnisch veränderte - möglich sein müssen. Diese Verordnungen, Richtlinien bzw. Leitlinien bestimmen das Nebeneinander des Anbaus von transgenen und nichttransgenen Kulturen. Sie beeinflussen die finanziellen Auswirkungen einer Koexistenz entscheidend.

Jetzt komme ich zu Ihren Fragen.

Zu Frage 1: Solange wir nicht wissen, wie das Gentechnikgesetz für die Bundesrepublik Deutschland aussieht, wie die Vorgaben aus Brüssel zu den Schwellenwerten bei Saatgut gestaltet werden und wie die Brüsseler Leitlinien zur Koexistenz national umgesetzt werden, ist es nicht möglich, Aussagen zu den finanziellen Auswirkungen für niedersächsische Landwirte und die niedersächsische Lebensmittelindustrie zu machen. Ich meine, meine Damen und Herren von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Sie wissen dies, und Ihre Fragen sind sicherlich eher rhetorischer Natur.

(Dorothea Steiner [GRÜNE]: Aber keineswegs!)

Nicht umsonst findet vom 13. bis 14. November in Helsingør in Dänemark die erste europäische Konferenz über Koexistenz statt, auf der u. a. diese Themen behandelt werden. Die bisherigen Studien, wie die europäische JRC-Studie - Joint Research Center - der EU, englische und dänische Studien, geben Schätzungen zu finanziellen Auswirkungen, denen bestimmte Angaben vorausgehen. Genaue Aussagen zu den finanziellen Effek

ten für Niedersachsen können wir ihnen allerdings nicht entnehmen.

Eines haben uns die Studien aber schon jetzt gezeigt: Je strenger die Restriktionen beim Anbau transgener Pflanzen sind, je strenger beispielsweise Schwellenwerte für Saatgut festgelegt werden, desto höher werden auch die Kosten einer Koexistenz. Die in den letzten Entwurf in Bezug auf Schwellenwerte beim Saatgut eingearbeiteten Schwellenwerte von 0,3 bis 0,7 % sind vernünftig und auch wissenschaftlich fundiert. Sollten neuere wissenschaftliche Erkenntnisse dazu führen, dass die Europäische Kommission ihre bisherige Einschätzung ändern muss, werden wir dies zunächst zur Kenntnis nehmen und danach die Situation neu bewerten. Saatgutschwellenwerte von 0,1 %, wie beispielsweise von Frau Bundesministerin Künast angedacht, lehne ich ab.

(Beifall bei der CDU)

Sie berücksichtigen nicht, dass wir unsere Pflanzen in großräumigen Systemen anbauen und eben nicht im Labor, und sie berücksichtigen ferner nicht, dass wir von transgenen Bestandteilen reden, die einer genauen Risikobeurteilung unterzogen wurden und darauf zugelassen worden sind oder zugelassen sein müssen.

Zu Frage 2: Wir müssen sicherstellen, dass wir für die Zukunft Wege einer wirtschaftlichen Koexistenz finden. Dies bedeutet, dass möglichst keine Beeinflussung von einem Anbausystem auf das andere ausgeht. Dieses Gebot gilt übrigens in beide Richtungen. Hierdurch können die Kosten minimiert werden. Entscheidend wird sein, wie die gute fachliche Praxis beim Anbau transgener Pflanzen ausgestaltet wird. Hieran arbeitet gerade auf Bundesebene eine Expertengruppe, deren abschließende Ausarbeitung noch nicht vorliegt.

Zu Frage 3: Auch die finanziellen Effekte für die öffentliche Hand können wir im Moment noch nicht beurteilen, und wir können dazu noch keine Aussagen treffen. Ähnlich wie vorhin bereits ausgeführt, werden die finanziellen Mittel hierfür in erheblichem Maße von der Ausgestaltung der gesetzlichen Vorgaben abhängen.

Abschließend halte ich es für wichtig, dass wir bei der Ausgestaltung des Gentechnikgesetzes, der Saatgutrichtlinie und der Richtlinie zur Koexistenz praktikable Wege wählen.

(Beifall bei der CDU)

Etwaige Kosten müssen unter Berücksichtigung von Risiken minimiert werden. Leider gehen die gegenwärtigen Vorschläge und Ideen des zuständigen Ministeriums in Berlin in die andere Richtung.

(Beifall bei der CDU)

Sie sind nicht praktikabel, verursachen hohe Kosten und führen nicht zu einer höheren Sicherheit, sondern zu einer stärkeren Verunsicherung des Verbrauchers.

(Beifall bei der CDU - Ernst-August Hoppenbrock [CDU]: Leider!)

Darüber hinaus führen sie dazu, dass die Forschung im Bereich der Biotechnologie, einer Zukunftstechnologie, in Deutschland weiter erschwert oder sogar unmöglich gemacht wird. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Bevor wir zu den Zusatzfragen kommen, stelle ich die Beschlussfähigkeit des Hauses fest.

Jedes Mitglied des Landtages kann bis zu zwei Zusatzfragen stellen. Zu zählen sind die einzelnen Fragen. Die Zusatzfragen müssen knapp und sachlich aussagen, worüber Auskunft gewünscht wird. Sie müssen zur Sache gehören, dürfen die Frage nicht auf andere Gegenstände ausdehnen und dürfen nicht verlesen werden.

Zur ersten Zusatzfrage hat sich Herr Klein gemeldet.

Herr Minister, muss ich aus Ihrer Antwort, die eher keine Antwort war,

(Widerspruch bei der CDU)

schließen, dass sich die Landesregierung bis jetzt noch nicht damit beschäftigt hat, welche Kosten im Falle einer Koexistenz auf Niedersachsen zukommen und inwieweit die Studie der EU auf Niedersachsen übertragbar ist?

Herr Ehlen!

Herr Kollege Klein, ich glaube, Sie haben vorhin nicht richtig zugehört.