Protocol of the Session on October 29, 2003

stattdessen Gängelung und widersinnige Struktureingriffe von oben.

Das neue Hochschulgesetz wird von Ihnen oft gelobt. Verstanden haben Sie es aber offenbar nicht. Der Kern des Gesetzes ist die Hochschulautonomie, welche die Hochschulen zu Partnern macht, mit denen das Land auf gleicher Augenhöhe verhandelt. Diese Landesregierung jedoch will wieder den Untertan. Herr Minister, Sie schließen Ihre Rede mit Humboldt - ein wirklich schönes Zitat. Das, was Sie hier praktizieren, ist das genaue Gegenteil der Humboldt‘schen Universitätsreform.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Die Humboldt‘sche Universitätsreform lebte davon, dass der Staat als Kulturstaat den Universitäten ihre Existenz sicherte, sich aber nicht in ihre inneren Angelegenheiten einmischte. Sie haben mit Ihrer Politik die besten Chancen, zum Totengräber Humboldts zu werden.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, diese Landesregierung schließt nicht nur Standorte, sondern überall an den Hochschulen werden Studiengänge geschlossen, Studienfächer gestrichen und Fakultäten amputiert. „Hochschuloptimierung“ nennen Sie das. Herr Stratmann, ich bitte Sie um Verständnis dafür, dass ich diesen Begriff für das, was sich inhaltlich hinter ihm verbirgt, als nicht sehr passend empfinde. Man fühlt sich an des Kaisers neue Kleider erinnert: der Kaiser, der sich eitel vor dem Spiegel hin- und herdreht und sich bewundert, während alle anderen sehen, dass er nackt ist. - Ist es etwa Optimierung, Herr Minister, wenn ausgerechnet von unseren Spitzenstandorten wie der Medizinischen Hochschule in Hannover und den Standorten in Braunschweig und Göttingen die dicksten Kürzungsbrocken geschluckt werden müssen? Was wird denn optimiert, wenn z. B. an der Universität Göttingen die international hoch angesehene Forstwissenschaftliche Fakultät verstümmelt

wird - eine Spitzenfakultät, die im DFG-Ranking bundesweit auf Platz 2 liegt und die zusammen mit der von Ihnen so gescholtenen Agrarwissenschaftlichen Fakultät im Jahr mehr Drittmittel hereinholt als die gesamte Universität Oldenburg?

(Walter Meinhold [SPD]: Hört, hört!)

Die Forstfakultät gehört zu den ersten Reformfakultäten des Landes. „Bologna“ ist dort schon längst umgesetzt. BA, MA, internationale Promotionsstudiengänge, Centers of Excellence, Sonderforschungsbereich - alles vorhanden. Und doch zwingen Sie die Universität durch Ihre Vorgabe, Stellen dort abzubauen, diesen vitalen Ast abzusägen. Herr Minister Stratmann, Sie sagen, Ihre Entscheidungskriterien seien transparent und nachvollziehbar. Für wen? Für die betroffenen Hochschulen jedenfalls nicht.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Sie nutzen Ihre Kriterien gerade so, wie es Ihnen passt: Mal studieren zu viele, wie in Buxtehude, mal zu wenige, wie bei den Agrarwissenschaften in Göttingen, mal ist die Gebäudesubstanz abgängig, wie in Nienburg, mal ist es das Konkordat, mal ist es der Wunsch eines Hochschulpräsidenten, mal der Wunsch des Landesrechnungshofes, mal ist es die Zufütterung einer Universität, damit sie überleben kann, wie in Hildesheim. Und das alles wollen Sie den Hochschulen als Konzept verkaufen, bei dem am Ende mehr Qualität herauskommen soll? Ein Qualitätskonzept sieht anders aus: klare, sachgerechte Kriterien, die für Forschungsuniversitäten andere sein müssen als für Fachhochschulen. Universitäten müssen als Leuchttürme über die Grenzen Niedersachsens hinaus strahlen.

(Beifall bei der SPD)

Denn Spitzenforscher gehen dorthin, wo sie ein Spitzenumfeld für ihre Forschung vorfinden.

Stärken ausbauen, das ist - da haben Sie Recht, Herr Minister - wirklich das Gebot der Stunde. Aber dafür bedarf es zunächst einer soliden Grundfinanzierung. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass erfolgreich Drittmittel eingeworben werden können. Das weiß eigentlich jeder, auch der Ministerpräsident. Auf einem Festakt der Universität in Göttingen sagte er:

„Wer Drittmittel erfolgreich einwirbt, hat bewiesen, dass er erfolgreich ist.

Er soll in gleichem Maße zusätzlich öffentlich gefördert werden.“

Zusätzlich - wirklich schöne Worte! Diese Landesregierung tut genau das Gegenteil.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wir sagen nicht, dass alles so bleiben muss. Gerade in Zeiten knapper Kassen ist die Profilschärfung durch Schwerpunktbildung notwendig. Nicht alle Fächer können Schwerpunkte sein, nicht an jeder Universität kann alles studiert werden. Wir brauchen Schwerpunktbildung, aber dann doch bitte an den besten Standorten, nicht an den schwächsten. Ein Beispiel: Sehen wir uns - -

(David McAllister [CDU]: Nennen Sie mal ein Beispiel!)

- Ja, ich bringe doch eines. Hören Sie zu!

(David McAllister [CDU]: Ich warte schon seit 20 Minuten!)

Sehen wir uns die Sportwissenschaften in Niedersachsen an, Herr McAllister, ein unter Studierenden beliebtes Fach mit exzellenten Berufsaussichten und zunehmendem gesellschaftlichen Bedarf. Ich nenne nur das Stichwort „Gesundheit durch Bewegung, gerade bei Kindern". Sportwissenschaften kann man in Niedersachsen an acht Standorten studieren. Intakte und sportwissenschaftlich leistungsfähige Einrichtungen gibt es jedoch nur an den Standorten Osnabrück, Oldenburg und Göttingen. Wie sieht nun Hochschuloptimierung à la Stratmann aus? Ausgerechnet der leistungsfähigste und am besten evaluierte Standort Osnabrück wird dichtgemacht, und Göttingen wird zum Torso zusammengekürzt. Die viel zu kleinen und kaum lebensfähigen Einrichtungen in Braunschweig, Vechta und Lüneburg mit jeweils nur einer Professur dürfen dagegen weiterwursteln.

(Thomas Oppermann [SPD]: Wurste- lei!)

Sie sagen, Herr Minister, der bauliche Zustand der Sportstätten sei in Osnabrück schlecht. Ja, das stimmt. Aber in Hannover ist er mindestens genauso schlecht. Hinzu kommt, dass in Hannover schon im nächsten Jahr aus Altersgründen nur noch eine Professur besetzt sein wird. Trotzdem machen Sie Osnabrück dicht. Ein Konzept, das auf Qualität setzt, sieht anders aus.

(Zustimmung bei der SPD)

An diesem Beispiel: Konzentration auf drei oder vier Standorte, und zwar dort, wo eine für Profilbildung notwendige Mindestausstattung an Stellen schon gegeben ist. Wenn schon Verlagerung der Lehrerausbildung weg von Hannover und Konzentration in Hildesheim, dann möglichst geschlossen alle Lehramtsstudiengänge, also den Studiengang für das Lehramt Sport für Gymnasien und Sonderschule.

(Zustimmung bei der SPD)

Auch dieses Beispiel zeigt: Ihr Konzept steht zu Ihren eigenen Kriterien im Widerspruch. Intakte leistungsstarke Strukturen werden zerschlagen und dahinsiechende flächendeckend am Leben erhalten. Und dann erwarten Sie von den Hochschulen Beifall?

(David McAllister [CDU]: Wo ist denn jetzt Ihr konkreter Vorschlag?)

Herr Minister Stratmann, Sie sagen uns, Sie hätten es sich einfach machen und mit dem Rasenmäher gleichmäßig kürzen können. Sie sagen, Sie hätten sich für Strukturmaßnahmen entschieden, um sich auf die Stärken zu konzentrieren.

(Zuruf von der CDU: Das ist auch wichtiger!)

Genau das kommt aber leider nicht dabei heraus. Die Hochschulen müssen 905 Stellen bereits im Haushaltsjahr 2004 abliefern. Im Jahr 2005 kommen noch einmal 225 Stellen hinzu. Da betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen sind, können die Stellen nur langfristig über Fluktuation abgebaut werden. Das kann dauern - fünf Jahre, zehn Jahre. Die Hochschulen werden aber gezwungen, schon jetzt die Stellen beim Finanzminister abzuliefern, ersatzweise in Geld; Sie kennen die Zahl: 45 000 Euro pro Stelle.

Um an Geld zu kommen, müssen die Hochschulen ohne Rücksicht auf Profilbildung jede Stelle streichen, die gerade frei wird. Läuft eine befristete Nachwuchsstelle aus, oder geht ein Professor auf das Altenteil, muss die Stelle erst einmal kassiert werden. Eines liegt dabei doch auf der Hand: Nicht Qualität, sondern der Zufall der Altersstruktur in den jeweiligen Fächern wird die Einsparung bestimmen. Es kann überhaupt nicht anders sein. Woher sollen denn die Hochschulen sonst das Geld nehmen, das sie abliefern müssen? Wenn

aber das Prinzip Zufall Regie führt, ist Qualität nicht zu sichern.

(Beifall bei der SPD)

Sie nennen das „intelligentes Sparen“, wir nicht. Besonders hart trifft es die kleinen Fächer, die nur mit einem oder zwei Lehrstühlen vertreten sind

(Zuruf von David McAllister [CDU])

und die bei Emeritierung gleich komplett abgewickelt werden. So in Göttingen, Herr Präsident, z. B. das anerkannte Fach Niederdeutsch, das niedersachsenweit nur in Göttingen studiert werden kann. Eigentlich, Herr Präsident, müssten Sie als erster Hüter der Landesgeschichte hier einschreiten.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, führende internationale und nationale Wissenschafter wie Lord Dahrendorf, die Göttinger Nobelpreisträger Prof. Neher und Prof. Eigen haben sich an den Herrn Ministerpräsidenten gewandt und auf die katastrophalen Folgen der Kürzungen, insbesondere für die Entfaltung wissenschaftlicher Spitzenleistungen, hingewiesen. Die Universitäten würden von den Einsparungen in einer Phase getroffen, in der ein für die Profilbildung entscheidender Generationswechsel stattfindet. Die Berufungsfähigkeit in den nächsten Jahren entscheidet deshalb über Exzellenz und Mittelmaß auf Jahrzehnte.

Herr Minister, Sie reden gern von Eliten. Ich stimme mit Ihnen überein: Unsere Gesellschaft braucht Eliten, um innovationsfähig zu bleiben. Doch woher sollen sie kommen? Aus Indien? Ich habe die Befürchtung, dass die klügsten Köpfe aus Niedersachsen abwandern werden. Diese Landesregierung hat den Versuch, die Einsparungen als Chance für Optimierung zu nutzen, vertan. Es ist restlos schief gegangen.

(Zustimmung bei der SPD)

Die Wahrheit ist: Der Ministerpräsident hat unfinanzierbare Wahlversprechen abgegeben,

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

und jetzt müssen die Hochschulen dafür die Opfer bringen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Herr Minister, Sie hatten einen guten Start und haben viele Vorschusslorbeeren bekommen. Aber schon nach sieben Monaten haben Sie es geschafft, den Reformeifer und die Aufbruchstimmung, die sich in den letzten Jahren an den Hochschulen entwickelt haben, kaputtzumachen.

(Beifall bei der SPD - Widerspruch bei der CDU - Zuruf von der CDU: Glau- ben Sie das selber?)

Das sollte Sie nachdenklich machen. Diese Regierung hat den Ausbau der Bildung versprochen und gesagt, sie wolle mehr für Forschung und Wissenschaft tun. Sie tut das Gegenteil - und das, obwohl alle wissen: Die Wissenschaft von heute schafft die Innovation von morgen, die Forschung von heute sichert den Wohlstand von übermorgen. Dieses Zukunftskapital setzen Sie aufs Spiel. Was Sie jetzt zerstören, werden Sie für lange Zeit nicht mehr zum Blühen bringen. Gegen diese perspektivlose Kürzungspolitik wird die SPD-Fraktion entschieden Widerstand leisten.

(Starker, lang anhaltender Beifall bei der SPD)