Protocol of the Session on October 19, 2007

Vielleicht betrachten wir einmal den Einfluss von Mindestlöhnen im Vergleich. Der Tarifabschluss bezieht sich nur auf Briefdienstleistungen. Alle Beförderungen von Sendungen über 1 000 g sind nicht einbezogen. Dafür wird sich das anders entwickeln. Das verspricht doch interessant zu werden. Warum ist das so? - Die Post hat sich ein Marktsegment herausgesucht, in dem vielleicht gerade noch die 50-%-Anforderung für die Allgemeinverbindlichkeitserklärung erfüllt wird. Das muss sie auch; denn im Paketbereich führt die Post ihre eigene Argumentation bereits ad absurdum. Im Paketversand hat sie nämlich längst Arbeit an Subunternehmer, die geringere Löhne als der Konzern zahlen, ausgelagert. Die Trennung von Briefdienstleistung und Paketdienstleistung ist aber überhaupt nicht praxistauglich. Der Paketzusteller, der Zeitungsausträger oder der Kurierdienst dürfte nicht ohne Weiteres einen Brief mitnehmen. Das heißt, der Mindestlohn müsste am Ende sozusagen mit der Briefwaage kontrolliert werden.

Das ist nur eine Blüte, die auf dem Boden der Mindestlohndebatte treibt. Ich möchte Sie fragen, ob das ernsthaft gewollt ist. Ich meine, dass es staatspolitisch durchaus richtig ist - nachdem die SPD das Mindestlohnthema zum Feld der Auseinandersetzung mit der Linkspartei erklärt hat -,

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Zur Ausei- nandersetzung mit Ihnen!)

dort als Große Koalition Handlungsfähigkeit zu beweisen - auch unter Zurückweisung, Herr Jüttner, durchaus zahlreicher ordnungspolitischer Ermahnungen.

Aber, lieber Herr Jüttner, ich frage Sie: Ist es gewollt, dass quer durch die Belegschaften solche

nicht nachvollziehbaren Unterschiede gemacht werden? Kann man nicht die gesamte Postdienstleistung zusammen betrachten? Muss man nicht die Fähigkeit zum Kompromiss mit den bisher nicht berücksichtigten Mitbewerbern aufbringen? Sind Ihnen die Arbeitsplätze bei den Postkonkurrenten weniger wert als bei der Post? Ist Ihnen Herr Gerster, der frühere SPD-Sozialminister in RheinlandPfalz und später auch von Ihnen hochgelobte Retter des deutschen Arbeitsmarktes, schon so fremd geworden, dass man mit ihm nicht mehr redet?

Ich habe eingangs betont, wie wichtig die Tarifautonomie mit starken Gewerkschaften und starken Arbeitgeberverbänden ist. Was passiert zurzeit? - Die Post hat einen eigenen Arbeitgeberverband gegründet, damit anschließend der Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt werden kann. Daraufhin wollen andere Unternehmen einen eigenen Verband gründen, um dagegen zu halten.

Was in der Koalitionsvereinbarung in Berlin als Stärkung der Tarifautonomie gedacht war, wird durch die Akteure zur Karikatur derselben verzehrt. Die Zersplitterung von Arbeitnehmervertretungen und Arbeitgebervertretungen ist eine gefährliche Fehlentwicklung. Wir als CDU würden eine von breiter Mehrheit getragene Tarifeinigung an der Stelle begrüßen.

Formal ist Ihr Antrag durch die Entscheidung im Bundesrat bereits erledigt. Niedersachsen hat sich der Stimme enthalten, und dem Gesetz wurde mehrheitlich zugestimmt. Wir sind ganz und gar nicht der Ansicht, dass der Ministerpräsident den Wirtschaftsminister in die Schranken weisen muss. Seine Meinung ist sehr wohl begründet, und wir können damit auf der Basis unserer gemeinsamen Koalitionsvereinbarung sehr gut umgehen.

(Beifall bei der CDU - Wolfgang Jütt- ner [SPD]: Der eine sagt Ja, der ande- re sagt Nein, und das ist Ablehnung im Bundesrat!)

Lassen Sie uns gerne sofort abstimmen. Aber das obliegt Ihnen. Wenn Sie auf eine Behandlung im Ausschuss wert legen, sehen wir dem mit Freude entgegen. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt Frau Hartmann das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Hillmer, Ihre Stellungnahme überrascht mich; denn das ist genau das Gegenteil von dem, was der Ministerpräsident in der letzten Woche öffentlich verkündet hat. Ich möchte an dieser Stelle einmal die Hannoversche Allgemeine Zeitung zitieren - das ist ja ein seriöses Blatt; daher gehe ich davon aus, dass das, was darin steht, stimmt -:

„Während der niedersächsische Wirtschaftsminister Walter Hirche gegen einen Mindestlohn in der Postbranche ist, sagte Wulff, er halte den Weg der Großen Koalition für richtig. ‚Ich bin für Mindestlöhne', sagte der CDUPolitiker. Es müsse faire Wettbewerbsbedingungen zwischen der Deutschen Post AG und den privaten Zustellern geben.“

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Bis 27. Januar!)

Insofern ist meine Frage an Sie: Wie deckt sich das denn mit dem, was Sie hier eben vorgetragen haben? - Inhaltlich gibt es offensichtlich Differenzen nicht nur zwischen dem Herrn Ministerpräsidenten und dem Vizeministerpräsidenten, sondern anscheinend auch zwischen der CDU-Fraktion und dem Ministerpräsidenten.

(Beifall bei der SPD - David McAllister [CDU]: Die gibt es nie!)

Wird eine Antwort darauf gewünscht? - Nein. Dann ist der nächste Redner Herr Hagenah von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Hartmann, wundert Sie das wirklich? - Das bestätigt doch nur unsere gemeinsame Vermutung, dass die Äußerungen des Ministerpräsidenten reines Wahlkampfgeklingel und kein Stück ernst gemeint waren.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Die Koalition hier in Niedersachsen versucht im Augenblick, also in den letzten Monaten vor der Wahl, ohnehin fast in allen Themen ein Wohl und

kein Weh zu verkünden. Mich wundert es angesichts der heute veröffentlichten Umfrageergebnisse, dass Sie in allen Themen versuchen, sämtliche Positionen zu besetzen.

(Zustimmung bei der SPD - Bernd Althusmann [CDU]: Wir sind eine gro- ße Volkspartei! - David McAllister [CDU]: Wir sind für alle da!)

- Wer für alle da ist und sowohl Nein als auch Ja sagt, ist so beliebig, dass er überhaupt nicht mehr irgendwo identifizierbar ist.

Konflikte werden nicht mehr im Kabinett entschieden - das hat scheinbar System -, sondern einfach simultan nach außen zur Schau gestellt. Sind das erste Erosionserscheinungen einer in Routine ermüdeten Koalition, oder ist das nur eine neue Facette im schwarz-gelben Showprogramm zur Klientelbefriedigung auf unsicherem Terrain? - Mindestlöhne, das ist nicht Ihre Heimat.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Zuruf von der CDU: Kommen Sie zur Sache!)

Ich glaube, es ist ein Stück weit was von beidem. Mit verteilten Rollen und gegensätzlichen Positionen versuchen derzeit der Ministerpräsident und sein Stellvertreter beim Mindestlohn im Postbereich, einem möglichst breiten Publikum zu gefallen. Ich nehme es Ihnen nicht übel. Aber glauben Sie, die Bürger merken das nicht? - Letztendlich wird dabei sichtbar, dass Sie keinen der beiden Standpunkte als Regierung durchgängig tragen, also nichts von beidem, was Sie hier ankündigen, wirklich machen.

(David McAllister [CDU]: Was ist denn Ihre Position?)

Herauskommt einmal wieder eine Stimmenthaltung, wohl wissend, dass die im Bundesrat wie eine Ablehnung wirkt, übrigens so, wie der von Herrn Hirche ursprünglich eingebrachte Antrag im Wirtschaftsausschuss.

(David McAllister [CDU]: Was ist denn Ihre Position?)

Insofern hat der Ministerpräsident Herrn Hirche gar nicht zurückgepfiffen. Er hat nur so getan als ob.

(Bernd Althusmann [CDU]: Was wol- len Sie denn jetzt? - David McAllister [CDU]: Nun sagen Sie mal: Was ist Ih- re Position?)

Dabei haben die Gewerkschaften und die Arbeitgeber alle Anforderungen von CDU und FDP zur Festlegung von Mindestlöhnen - auch darunter haben Sie gerade gelitten, Herr Hillmer - erfüllt.

(Minister Walter Hirche [FDP]: Nein!)

- Doch! Natürlich haben sie sie erfüllt. Eine Gewerkschaft, die die Mehrheit der Beschäftigten repräsentiert, hat mit einem ebensolchen Arbeitgeberverband einen Mindestlohn ausgehandelt; das stimmt. Das - so haben Sie hier noch vor einigen Monaten verkündet, Herr Hirche - wäre die Voraussetzung dafür, dass Mindestlöhne akzeptabel sein könnten. Warum gilt das heute nicht mehr? Warum ist das plötzlich nicht mehr richtig? - Vor einigen Monaten war das doch auch die Meinung von Herrn Rösler.

(Bernd Althusmann [CDU]: Sind wir hier in der Fragestunde? Jetzt sagen Sie doch einmal, was Sie wollen!)

Jetzt behaupten Sie, dieser Mindestlohn von 8 Euro bis 9,80 Euro würde in Niedersachsen viele Arbeitsplätze kosten. Das klingt furchtbar. Aber wie soll das gehen, Herr Rösler?

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: Das erkläre ich Ihnen gleich!)

Schicken die Firmen die Post jetzt wieder mit Brieftauben, sodass die Postdienstleister nicht mehr tätig werden können, oder wird einfach weniger verschickt? Wo bleiben die Arbeitsplätze? - Die Arbeit ist ja noch da.

(Hans-Werner Schwarz [FDP]: Jetzt kommt die Position von Herrn Hage- nah!)

Ein solcher Mindestlohn betrüge bei uns in Niedersachsen für einen Vollbeschäftigten 1 500 Euro brutto. Herr Rösler, das wären 1 500 Euro brutto im Monat für einen vollen Job als Postzusteller.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Das ist nicht zuviel verlangt!)

Diese 1 500 Euro wären bei unseren hiesigen Lebenshaltungskosten aus meiner Sicht nicht vermessen, Herr Rösler, sondern mehr als angemessen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn es stimmt, wie in der HAZ am letzten Freitag zu lesen war, dass es Mitbewerber in diesem Bereich gibt, die mit ihren Löhnen derzeit 30 bis 60 % unter diesen 11 bis 16 Euro pro Stunde liegen, die bei der Deutschen Post für Briefzusteller gezahlt werden, dann muss ich sagen: Diese Anbieter müssen ihre Gehaltsstrukturen dann eben zukünftig an diesen Mindestlohn anpassen. Das ist für mich kein Problem, sondern das ist mehr als wünschenswert. Warum dadurch der Wettbewerb im Postgewerbe zusammenbrechen soll und Arbeitsplätze wegfallen sollen, vermag ich nicht zu erkennen. Ein Lohnabstand zwischen dem Marktführer und den Neueinsteigern ist weiterhin gewahrt, selbst wenn man den Mehrwertsteuervorteil der Post als bundesweitem Anbieter, die selbst auf den Halligen und auf der Zugspitze zustellt, mit einrechnet. Dann geht es nämlich tatsächlich nur noch um Effizienzwettbewerb und nicht um Lohnwettbewerb. So sollte es in der sozialen Marktwirtschaft auch sein. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN - David McAllister [CDU]: Er hat nicht eine Mi- nute gesagt, was er selbst will!)

Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Dr. Rösler das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Jüttner, beim Durchsehen des Antrages Ihrer Fraktion fallen zwei Dinge sofort auf: Erstens. Der Bundesratsantrag, auf den Sie sich in Ihrer Beschlusslage beziehen wollen, ist längst entschieden. Ich stelle also fest: Die SPD kommt einmal mehr zu spät.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zuruf von Wolfgang Jüttner [SPD])

- Das ist schon entschieden, Herr Kollege. Das wissen Sie auch.