Protocol of the Session on September 18, 2003

Über viele Jahre hinweg - Herr Meinhold, vielleicht sogar über Jahrzehnte hinweg - hat es unsere Gesellschaft zugelassen, dass ein ganz besonders zuwendungsbedürftiger Bereich unserer Schullandschaft, nämlich das Klientel der Hauptschule, sträflich vernachlässigt wird. Nach unserem Verständnis verfügt grundsätzlich jedes Kind über ganz bestimmte Stärken. Diese Stärken sind teils praktischer Natur, teils wissenschaftlich-theoretischer Natur. Es sind aber Stärken, die gleichrangig gewichtet werden müssen.

(Beifall bei der FDP)

In der Vergangenheit hat man diesen Zug einfach abfahren lassen, ohne sich um die Passagiere, die in ihm sitzen, zu kümmern. Auch in der heutigen Hauptschule finden wir zahlreiche Schüler mit Stärken im praktischen, sportlichen oder musischen Bereich. In der Vergangenheit sind diese Stärken, wenn überhaupt, nur sehr eingeschränkt abgefordert worden. Darunter haben zahlreiche Schüler erheblich gelitten. Also müssen wir hier etwas verbessern. Das kann man tun, indem wir dazu beitragen, dass die Hauptschule nicht, wie von Ihnen beabsichtigt, zu einer Restschule verkommt, sondern wieder den Stellenwert erhält, der ihr zusteht.

(Wolfgang Wulf [SPD]: Das ist un- glaublich!)

Wir wollen die Hauptschule mit einem attraktiven Angebot ausstatten,

(Walter Meinhold [SPD]: Nennen Sie das mal!)

das sich mittelfristig so gestaltet, dass sich Unternehmen und Handwerksbetriebe nicht zuerst auf Realschüler und Gymnasialschüler stürzen. Dazu werden in erster Linie Eckdaten benötigt, die das zulassen. Die haben wir mit dem Schulgesetz formuliert. Darüber hinaus brauchen wir auf dieses Profil hin ausgerichtete Lehrkräfte und vor allem die Bereitschaft aller Beteiligten, also der Eltern und der Öffentlichkeit, sich für die Persönlichkeitsentwicklung unseres Nachwuchses überhaupt einmal zu interessieren. Auf dem Weg dorthin wird es aus unserer Sicht unerlässlich sein, dass die bisher eingestellten Sozialpädagogen an Hauptund Sonderschulen weiter beschäftigt werden. Sie leisten insbesondere in der Frage vertrauensbilden

der Maßnahmen einen exzellenten Dienst, auf den wir bei der Durchsetzung unseres Vorhabens insgesamt nicht verzichten können. Wir haben unser Ziel erst dann erreicht - überspitzt formuliert -, wenn die Sozialpädagogen an unseren Schulen überflüssig geworden sind.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Gelingt es also, die Hauptschule zu stärken, so ist die zwingende Folge, dass auch Realschule und Gymnasium unbelastet ihr Profil schärfen. Begleitend ist die Frage natürlich auch für Ganztagsschulen auf freiwilliger Basis zu beantworten. Uns wurden durch Frau Ministerin Bulmahn 400 Millionen Euro in Aussicht gestellt, die dafür Sorge getragen hat, aber - -

(Zuruf von Walter Meinhold [SPD]: Danke schön!)

- Herr Meinhold, ich weiß nicht, inwieweit Sie in der Kommunalpolitik tätig sind. Damit habe ich mich noch nicht auseinander gesetzt. Wenn Sie in der Kommunalpolitik tätig sind, dann wissen Sie, dass man mit diesen Mitteln ausgesprochen vorsichtig umgehen muss; denn diese Millionen sind für die Erstellung und Ausstattung dieser Schulen vorgesehen. Die Folgekosten müssen die Schulträger ins Auge fassen. Ich sage Ihnen ganz klar und deutlich: Das wird nicht jeder Schulträger ohne weiteres hinnehmen können. Deshalb beobachte ich das mit einer gewissen Skepsis.

Das Hauptschulprofilierungsprogramm ist ein Schritt in die richtige Richtung, nämlich in die Richtung der eigenverantwortlichen Schule. Die Schulen sollen also die Freiheit erhalten, die Mittel nach ihrem eigenen Ermessen mit eigener Schwerpunktbildung einzusetzen. Ich freue mich außerordentlich darüber, dass wir eine so starke Rückendeckung verschiedener wichtiger Verbände für genau dieses Konzept erhalten haben. Wir werden hieran weiterarbeiten. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Stärkung der Hauptschulen dieses Bildungssystem in sich geschlossen stärken wird und wir Erfolg haben werden.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Das Wort hat der Abgeordnete Meinhold von der SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir fordern mit unserem Antrag die Landesregierung auf, zur Stärkung der Hauptschulen das bisherige Programm fortzusetzen oder dies in einer adäquaten Form zu machen.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Dann kön- nen wir uns hinsetzen, die Sache ist erledigt!)

Wir haben die Formulierung „adäquate Form“ deshalb gewählt, weil es eine unglaubliche Berührungsangst der CDU-Fraktion gibt, was die Bildungspolitik angeht. Ich mache Ihnen das an ein paar Beispielen deutlich. Da wird die „selbständige Schule“ - ein von allen anerkanntes Konzept durch den Herrn Minister umbenannt in „eigenverantwortliche Schule“, um bloß nicht irgendetwas mit der SPD zu tun zu haben.

(Bernd Althusmann [CDU]: Die sozi- aldemokratische Bildungspolitik ist gescheitert!)

Da wird die Verlässliche Grundschule nicht mehr „verlässlich“ genannt, aber das Konzept, das wir vorgelegt haben, wird fortgesetzt. Das ist richtig und gut so. Das dritte Beispiel, bei dem wir jetzt sind, hat etwas mit Sozialdemokraten zu tun. Deshalb müssen Sie erst einmal reserviert sein. Daraufhin haben wir gesagt:... oder in adäquater Form. - Dann haben wir im Kultusausschuss diskutiert und haben von den Kolleginnen und Kollegen der CDU-Fraktion gehört: „Ja, wir wollen das in adäquater Form machen, aber wir können trotzdem einen solchen Antrag nicht beschließen, um eine breite und gemeinsame Position eines Fachausschusses herzustellen.“ Als ich dann Ihren Vorschlag gesehen habe, war mir klar, warum Sie sich nicht auf „adäquat“ einlassen konnten; denn das, was Sie vorschlagen, ist überhaupt nicht adäquat.

(Zustimmung bei der SPD)

Es wird überhaupt nicht den Herausforderungen, denen die Hauptschule zu entsprechen hat, gerecht. Denn das, was Sie machen, ist keine Stärkung, sondern eine Verschlechterung. Ich werde das verdeutlichen: Sie sichern an keiner Stelle in Ihrem Antrag die personelle Fortsetzung der erfolgreichen Arbeit der Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen zu.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Also so, wie ihr das gemacht habt!)

Frau Korter, ich interpretiere nicht die Sätze der CDU, sondern ich möchte die konkreten Zahlen sehen. Die CDU drückt sich sowohl im Antrag als auch in der Begründung darum.

(Zustimmung bei der SPD)

Da ist doch klar, worum es geht: Sie wollen sich Spielräume offen lassen. Frau Körtner hat sehr deutlich das Verfahren genannt, das klar macht, dass der Arbeit der jetzigen Kolleginnen und Kollegen im sozialpädagogischen Bereich der Boden entzogen worden ist. Da soll ein neuer hergestellt werden.

(Zuruf von der CDU: Ein besserer!)

Sie sprechen von unterrichtsbegleitenden und unterrichtsstützenden Maßnahmen - das ist ja richtig. Sie müssen allerdings sagen, dass das nicht einfach durch die Luft geschieht, sondern von Menschen geleistet wird. Sie geben den Kolleginnen und Kollegen kein eindeutig positives Signal, dass wir sie brauchen. Aber Sie vermitteln auch den Hauptschulen, die Sie ja zu stärken meinen, Planungsunsicherheit. Sie werden eben nicht genau wissen, ob sie in Zukunft weiterhin Sozialpädagogen an ihrer Schule haben werden.

(Astrid Vockert [CDU]: Wie lange wäre eigentlich Ihr Modellversuch gelaufen?)

Wenn Sie so agieren, ist es klar, dass bei den Kolleginnen und Kollegen Unsicherheit entsteht. Diese äußert sich darin, dass sie sich einen anderen Arbeitsplatz suchen; denn die Menschen möchten Sicherheit über den 31. Dezember 2003 hinaus haben. Wir hätten dieses Programm fortgesetzt.

(Zustimmung bei der SPD - Zurufe von der CDU: Bravo! - Bernd Althusmann [CDU]: Und dann kam die Flurbereinigung!)

Lassen Sie es mich noch deutlicher sagen: Einerseits wird hier die Arbeit gelobt. Andererseits muss man sich aber die Begründung angucken. Sie ist haarsträubend. Liebe Frau Körtner, es heißt in Absatz 5:

„Die bisherige Beschränkung auf sozialpädagogische Angebote und die ausschließliche Förderung zusätzlich

beschäftigter Sozialpädagogen steht der möglichst effektiven und landesweiten Profilierung der Hauptschulen entgegen.“

Sagen Sie mal, was ist das für eine Bewertung der Arbeit? Wissen Sie eigentlich, wie schwer die Arbeit ist, die diese Kolleginnen und Kollegen zu machen haben?

(Beifall bei der SPD)

Wenn sie sich für die Gewaltprävention einsetzen und Konfliktregulierung betreiben, dann geht das unter die Haut. Das sind für Sie „Angebote“? Und es sind zusätzlich Beschäftigte, die etwas entgegenstehen? Ich dachte, Sie wollten es auch in Zukunft mit ihnen machen. Dann hätten Sie hier anders formulieren müssen. Ich sage deutlich: Klarer, als Sie an dieser Stelle diese Arbeit in Frage stellen, hätten Sie es nicht tun können.

Dann kommen Sie mit den neuen Geschichten. Sie sagen, es gibt neue Aspekte. Sagen Sie einmal: Hat es bisher keine Praktika gegeben? Hat es keine Zusammenarbeit mit den Berufsschulen und der Handwerkskammer gegeben? Praxistage hat es nicht gegeben? Herr Klare, der Kollege Selke, der Hauptschulleiter in Hannover und Sprecher der Hauptschulleiter ist, hat Ihnen in der Fernsehsendung „Nahaufnahme” sehr deutlich gesagt: Das machen sie nicht erst seit heute, das machen sie nicht erst seit gestern, das machen sie schon seit langer, langer Zeit. - Ist das Ihre neue Erfindung? Das kann ja wohl nicht wahr sein!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Herr Minister Busemann, es wäre deshalb Ihre Pflicht und Ihre Verantwortung gewesen, eine positive Beratung dieses Antrags dahin gehend vorzunehmen, dass solche Formulierungen mit Selbstverständlichkeiten, die nichts Neues bedeuten, durch Ihr Haus mit entsprechenden Anregungen versehen werden. Ich vermisse Ihre Wahrnehmung der Verantwortung für diese Kolleginnen und Kollegen. Ihr Programm bietet also nichts Neues, sondern greift nur auf eine funktionierende Praxis zurück.

Sie geben weiterhin an, dass es zusätzliche Mittel geben wird. Ich lese in Ihrem Antrag aber nicht eine einzige Zahl. Dazu muss ich dann die Pressemitteilung von Herrn McAllister zur Hand nehmen. Die ist nämlich entscheidend. Er hat in seiner

Pressemitteilung geschrieben, dass es 5 Millionen Euro geben wird. Erstaunlich ist, dass die Pressemitteilung einer Fraktion über den Anträgen steht, die hier eingereicht werden. Aber ich akzeptiere das. Sie schreiben 5 Millionen Euro. Das Programm war aber bisher bei 5,3 Millionen Euro. Das ist also eine reale Senkung um 0,3 Millionen Euro.

(Ursula Körtner [CDU]: Wie bitte? Das Programm war über 5,3 Millio- nen Euro?)

Immerhin sprechen Sie von 5 Millionen Euro. Mit diesem Betrag wollen Sie nicht nur das jetzige Programm bezahlen, sondern auch noch weiterentwickeln. Wie Sie das machen wollen, weiß ich nicht. Ich kann es mir auch nur sehr, sehr schwer vorstellen. Hier liegt also eine Kürzung des Etats vor. Sie sprechen aber von Weiterentwicklung.

Nun zu dem Punkt Ganztagsangebote. Frau Körtner, Herr Klare, die Hauptschulen brauchen keine Ganztagsangebote. Sie brauchen das Angebot von Ganztagsschulen. Das ist ein anderes und umfassenderes Konzept. An dieser Stelle machen Sie einen sehr dünnen Vorschlag. Den können Sie sich aber erlauben - darauf hat Herr Schwarz zu Recht hingewiesen -, weil es die 400 Millionen Euro der SPD-geführten Bundesregierung gibt. Dafür haben Sie das Geld.

(Beifall bei der SPD)

Sie tun so, als könnte dieses Programm ein Meilenstein für die Hauptschulen sein. Sie reden von neuen Projekten, die alle schon vorhanden sind. Sie kürzen den Etat und sprechen trotzdem von zusätzlichen Mitteln. Das Wort “zusätzlich” benutzen Sie im Antrag dreimal, ohne eine einzige Zahl zu nennen.

(Ursula Körtner [CDU]: Ihre Zahl stimmt auch nicht!)

6 oder 7 Millionen Euro z. B. wären interessant gewesen. Sie benennen aber nichts. Dies ist eine Täuschung und ein Rückschritt für die Hauptschulen.

Meine Damen und Herren, es gibt aber noch einen weiteren Rückschritt. Hierzu richte ich mich wiederum an den Minister. Herr Minister, Ihre Vorgängerregierung hat in die Mittelfristplanung für die Jahre 2004, 2005 und 2006 150 zusätzliche Stellen für sozialpädagogische Maßnahmen

hineingeschrieben. Diese 150 Stellen sind weg. Ich frage Sie schlicht und einfach: Ist das eine Stärkung der Hauptschulen, wenn Dinge, die wir geplant haben, gestrichen werden, nur weil sie von uns kommen?