Protocol of the Session on July 10, 2007

Öffentlich sagt Vattenfall: „Unsere Atomkraftwerke stellen Strom das ganze Jahr hindurch sicher und zuverlässig bereit.“ So steht es auf der Website. Das ist ein Witz, meine Damen und Herren! Nichts von Zuverlässigkeit, nichts von Sicherheit, nichts von Fachkunde und nichts von Verantwortung. Statt dessen wird gelogen und betrogen.

Was war eigentlich mit den Katastrophenschutzbehörden in Niedersachsen? - Herr Althusmann, der Erste, der bei Ihrem Landrat anrief, war ein Journalist. 20 Minuten später hat sich das erste Mal die Polizei gemeldet. Aber die wurde natürlich auch von Vattenfall und E.ON falsch informiert und belogen. Es ist ein Skandal, dass noch nicht einmal die Katastrophenschutzbehörden ordentlich informiert wurden.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Bernd Althusmann [CDU]: Wo war denn der Landrat?)

Herr Ministerpräsident Wulff, machtpolitisch stehen Sie in der Atompolitik längst mit dem Rücken zur Wand. CDU und FDP werden künftig nicht reichen. Sie regieren in der Atompolitik gegen die Mehrheit der Bevölkerung in diesem Land. Das werden Sie bei künftigen Wahlen zu spüren bekommen. Das gilt nicht nur hier in Niedersachsen, sondern auch in Hamburg, in Hessen und auf Bundesebene.

Meine Damen und Herren, was hier passiert, können wir nicht länger akzeptieren. Deshalb müssen Konsequenzen gezogen werden. Den Eigentümern von Krümmel und Brunsbüttel muss die Betriebserlaubnis entzogen werden. Krümmel und Brunsbüttel dürfen nicht wieder ans Netz. Alle niedersächsischen Kernkraftwerke sind auf eine pa

rallele Infrastruktur zu prüfen. Es muss auch geklärt werden, warum die Katastrophenschutzbehörden in Niedersachsen spät und unvollständig informiert werden. Das verlangen wir von Ihnen, und zwar unmittelbar und nicht erst in zwei oder drei Wochen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Herr Kollege Harden, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Wenzel, ich möchte Ihnen ausdrücklich für das danken, was Sie gesagt haben. Ich habe an dem Donnerstag um Viertel nach drei in Tespe auf dem Deich gestanden und Krümmel in Rauch gehüllt gesehen. Ich wusste nicht, dass die Leute im Leitstand zu der Zeit nichts mehr riechen und auch nichts mehr sehen konnten. Die Luftansaugung für die Leute befindet sich nämlich exakt dort, wo die Rauchfahne war. Es wurde also keine Frischluft, sondern Rauch angesaugt. Es ist ganz logisch, dass man dann nichts mehr riechen kann. Die Leute im Leitstand haben uns bis heute nicht erzählt, ob sie auch nichts sehen konnten; denn das würde erklären, warum solch falsche Entscheidungen getroffen worden sind.

Wie es aussieht, müssen wir davon ausgehen, dass uns die Leute von Vattenfall bis heute belügen. Sie lassen uns bis heute über das Ausmaß der Gefahr, in der alle geschwebt haben, im Unklaren. Das dürfen wir ihnen nicht durchgehen lassen. Deswegen dürfen diese Leute kein Kernkraftwerk mehr leiten!

Ich freue mich, dass Frau Trauernicht, nachdem sie zunächst dem vertraut hat, was ihr mitgeteilt worden ist - wie man es bei vertrauenswürdigen Leuten ja auch macht -, nun doch die Zuverlässigkeit überprüfen lassen will. Für mich persönlich ist die Frage nach der Zuverlässigkeit bereits beantwortet: Vattenfall ist nicht zuverlässig. Die Leute vor Ort sind es auch nicht.

Ich habe dort gestanden und mich gefragt: Jetzt haben die eine Viertelstunde Zeit gehabt. Die können längst weg sein. Wenn es nicht ungefährlich, sondern gefährlich gewesen wäre: Was wäre dann gewesen? - Die Frage beantworte ich mir selber.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Das Wort hat Herr Ministerpräsident Wulff.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist überhaupt keine Frage, dass das Verhalten von Vattenfall, aber auch die Einlassungen von Herrn Gabriel und Frau Trauernicht einer Erklärung bedürfen. Die Zuständigkeit liegt beim Land Schleswig-Holstein und beim Bund sowie bei den beiden von mir genannten Sozialdemokraten. Dort liegt auch die Verantwortung dafür, dass der Reaktor wieder anlaufen durfte.

Die Atomaufsicht liegt bei jedem Land. Das gilt auch für Niedersachsen mit seinen drei Kernkraftwerken Emsland, Unterweser und Grohnde. Dafür tragen wir unmittelbar die Verantwortung. Deshalb müssen wir genau betrachten, was bei solchen Vorfällen in unseren Nachbarländern passiert.

Wir sind uns sicherlich darüber einig, dass das Verfeuern von Öl und Gas nicht sinnvoll ist, weil man damit CO2 emittiert und die Erdatmosphäre erhitzt. Außerdem sind Öl und Gas endliche Rohstoffe, die kommende Generationen für Wichtigeres benötigen werden als zum Verfeuern.

Wir sind uns wahrscheinlich auch darüber einig, dass die Kernenergie keine Energieform auf Dauer sein kann, weil auch die für sie benötigten Ressourcen endlich sind - wenn auch nicht so endlich wie Öl und Gas - und weil selbst mit ihrer friedlichen Nutzung erhebliche Gefahren verbunden sind.

Schwellenländer wie Brasilien, China und Indien benötigen enorme Energie- und Rohstoffmengen. Die Frage ist, wie wir den Energiebedürfnissen der Welt gerecht werden können, bis alle elektrische Energie aus Sonnenenergie, Windkraft, Wasserkraft, Gezeiten und Biomasse herstellbar sein wird.

Ich bin stolz darauf, dass wir beim Energiemix absolut führend sind. Niedersachsen ist Windenergieland. Als ich vor 20 Jahren einer der Ersten im Interessenverband Windkraft Binnenland war, wurde ich noch überall belächelt. Heute ist die Windkraft eine ernst zu nehmende Energiequelle.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Erzählen Sie das Ihrem Minister!)

Die Sonne schickt keine Rechnung. Deshalb war ich immer nahe an Franz Alt.

Bei der Energiegewinnung aus Biomasse sind wir führend. 40 % aller elektrischen Energie aus Biomasse kommen aus Niedersachsen.

Wir bauen zusammen mit EnBW ein Gezeitenkraftwerk an der Küste. Dabei hatten wir durchaus Widerstände zu überwinden, z. B. wenn wir Erprobungsstandorte für Offshorewindkraft ausgewiesen haben oder wenn wir die neuen Stromtrassen über Norderney zu den Offshorewindparks begleiten, die nicht nur Spitzenlasten abdecken, sondern sogar mittellastfähig sind, weil der Wind auf offener See sehr viel regelmäßiger weht als im Binnenland.

Wir schaffen Redundanzkraftwerke. Wir machen Effizienzfortschritte bei den erneuerbaren Energien. Das alles ist erfreulich.

Im Übrigen war es Ernst Albrecht, der in den 70er oder 80er-Jahren das Institut für Windtechnik im Wilhelmshaven gegründet hat. Er hat auch das Institut für Solarenergie in Hameln-Emmerthal gegründet. Er hat die Diskussion um nachwachsende Rohstoffe geführt. Wir stehen hier also in einer 30-jährigen Tradition. Darauf sind wir stolz.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich möchte keinen Neubau von Kernkraftwerken. Ich möchte keine Änderung von § 7 Atomgesetz, der den Neubau ausschließt, und ich sehe, wie Frau Zachow, niemanden, der angesichts der Diskussion in Deutschland an den Bau eines Kernkraftwerkes in Deutschland denkt.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Ihr Umwelt- minister! Er hat es letzte Woche ge- fordert!)

- Aber der Umweltminister baut keine Kernkraftwerke - darauf hat Frau Zachow hingewiesen -,

(Heiterkeit bei der SPD und bei den GRÜNEN)

sondern die Betreiber bauen Kraftwerke. Und die sind weder interessiert, noch lässt es die Gesetzeslage zu.

(Beifall bei der CDU)

Wir glauben nicht, dass wir in Niedersachsen in absehbarer Zeit einen erheblichen Anteil der Strommenge des Grundlastenergieträgers Kernenergie durch regenerative Energien ersetzen können.

Es geht um die Verkürzung der Laufzeiten der Kernkraftwerke. Es geht um die Brücke zur vollwertigen Nutzung regenerativer Energieträger. Es geht vor allem darum, ernst zu nehmen, was der Sozialdemokrat und Vorsitzende der IG BCE Schmoldt und die Gewerkschaft ver.di erklärt haben sowie um das, was der ehemalige Hamburger SPD-Umweltsenator Vahrenholt gesagt hat.

Eben wurde gerufen: „Namen nennen!“ - Herr Vahrenholt als Vertreter der Windenergie hat gesagt, die Rahmenbedingungen hätten sich seit dem Entschluss zum Ausstieg fundamental geändert: „Atomausstieg, Klimaziel erreichen und Abhängigkeiten vermindern: Das alles zusammen funktioniert nicht.“

Herr Vahrenholt hat weiter gesagt:

„Wir sollten einfach das machen, was ursprünglich geplant war: wieder auf eine Laufzeit von 40 Jahren zurückkommen. Wir brauchen Zeit, um Alternativen zu entwickeln.“

Es geht darum, ob andere Länder die Laufzeiten auf 60 Jahre verlängern und ob wir sie unabhängig vom Einzelfall auf 32 Jahre verkürzen sollen. Es geht darum, ob man Kernkraftwerke auf dem neuesten Stand der Technologie aus ideologischen Ausstiegsgründen abschaltet - das letzte 2019/2020 im Emsland

(Vizepräsident Ulrich Biel über- nimmt den Vorsitz)

oder ob man im Einzelfall prüft, ob diese Kernkraftwerke den neuesten Anforderungen an Sicherheitstechnik entsprechen.

(Stefan Wenzel [GRÜNE]: Modern?)

Die gesamten Kernkraftwerke in Deutschland entsprechen in der Vermeidung von CO2-Emissionen den gesamten CO2-Emissionen des Straßenverkehrs in Deutschland.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Wenzel, Sie können nicht auf der einen Seite hier die Kernenergie alleine brandmarken und auf

der anderen Seite bestreiten, dass die Ersetzung der Kernenergie durch Kohlekraftwerke den gleichen zusätzlichen CO2-Ausstoß verursachen würde wie der gesamte Straßenverkehr in Deutschland. Man muss die Dinge im Zusammenhang sehen, muss ehrlich und fair bleiben und darf sich nicht nur auf eine einzige Technologie beziehen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Selbstverständlich können Sie sagen: Alle anderen sind bekloppt! - Das machen Geisterfahrer übrigens auch. Die fahren auf der Autobahn und regen sich darüber auf, dass ihnen so viele entgegenkommen.

Sie müssen akzeptieren, dass die Schweden die Laufzeit von Kernkraftwerken auf 60 Jahre verlängern, dass die Niederländer ein zweites Kernkraftwerk planen, dass die Finnen eines bauen - mit Anreiz und auf Initiative der Sozialdemokraten in Finnland -, dass also im Grunde genommen alle Industrienationen dieser Welt sagen: Wir können in den nächsten Jahren nicht auf Kernenergie mit dem höchstmöglichen Sicherheitsniveau verzichten. Wir müssen den Klimaschutz - CO2-Vermeidung -, Preisverträglichkeit und Versorgungssicherheit im Zusammenhang sehen.

Ich kann nur sagen: Wenn ich bei den Betrieben bin, die energieintensiv produzieren, z. B. Xstrata in Nordenham, Aluminium Oxid in Stade, Schoeller in Osnabrück - Papier -, Ineos in Wilhelmshaven - Chemie -, Kabelmetall - Metall - und andere Firmen, dann ist immer der Komplex Energie/Versorgungssicherheit/Preiswürdigkeit eines der großen Themen. Wenn wir die emissionsstarke Industrie durch falsche Signalsetzung beim Energiemix aus diesem Land verprellen, dann werden sie nach Indien oder China gehen und dort ganz andere CO2-Mengen emittieren und Kernkraftwerkstrom nutzen, der unter ganz anderen Bedingungen erzeugt wird als hier, wo wir Einfluss auf die Sicherheitsstandards haben.

(Beifall bei der CDU)