Protocol of the Session on February 15, 2002

zu formulieren, wenn wir genau wissen, dass es morgen oder übermorgen gekippt werden kann. Damit werden wir doch der Gewalt nicht Einhalt gebieten.

(Stratmann [CDU]: Woher wissen Sie das denn? Wer sagt Ihnen das denn?)

Kennen Sie die Menschenrechtskonvention nicht? Ich an Ihrer Stelle würde sie einfach einmal durchlesen. Das wäre vielleicht ganz schön.

(Beifall bei der SPD - Stratmann [CDU]: Es geht nicht um die Kon- vention, sondern um die juristische Bewertung!)

Das Zweite ist: Wir halten es nun einmal für positiv, hinsichtlich der Bewertung der Gefährlichkeit ganz nah an den Entlassungszeitpunkt anzuknüpfen. Wir halten das für sinnvoll, weil wir damit im Rahmen unseres bisherigen Strafrechts bleiben. Sie haben angeführt, dass die Sexualstraftäter in Baden-Württemberg nun plötzlich Therapien machen würden, dass sie ganz lieb seien und dass sie dadurch eine nachträgliche Sicherungsverwahrung vermeiden würden. Dazu sagt Ihnen jeder Fachmann: Wenn jemand solche Sachen aus Zwang mitmacht, wird kein echter Resozialisierungserfolg eintreten; der macht das für lau, um die Bediensteten in der JVA an der Nase herumzuführen, aus keinem anderen Grund.

Lassen Sie mich noch kurz auf das Landesgesetz kommen. Wir haben immer gesagt, nach den aktuellen Zahlen haben wir in Niedersachsen keinen Bedarf. Aber wenn es irgendwo in der Bundesrepublik diesen Bedarf gibt - in Baden-Württemberg liegen ja zwei Anträge vor, die allerdings noch nicht entschieden sind -, dann sind wir selbstverständlich bereit, auf bundesgesetzlicher Ebene ein verfassungskonformes Gesetz voranzutreiben. Der Referentenentwurf liegt vor.

Wir werden im Rechtsausschuss darüber diskutieren. Sie haben gesagt: „Stimmen Sie dem zu!“. Dazu besteht aber gar kein Anlass; denn wir befinden uns in der ersten Beratung. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Stratmann hat sich noch einmal gemeldet. Bitte!

Herr Präsident! Ihr Beitrag, Frau Bockmann, war so wie Ihr Antrag: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. Ich weiß jetzt noch viel weniger, was die SPD will, als ich das vorher wusste.

Frau Bockmann, ich frage Sie: Was wollen Sie denn jetzt? Sie haben eben vehement eine Rede gegen die Sicherungsverwahrung gehalten, stellen einen solchen Antrag und wundern sich dann darüber, dass ich in meiner Rede versucht habe herauszuarbeiten, dass das in diesem Land kein Mensch mehr versteht.

Stimmen Sie doch verdammt noch mal der nachträglichen Sicherungsverwahrung zu! Wir sind dafür, wir sind auf Ihrer Seite, und wir versuchen, mit Ihnen Lösungen zu finden, von denen alle sagen, das ist verfassungskonform, das ist in Ordnung.

Eine Bemerkung, die ich noch machen möchte: Sie haben mir jetzt wieder unterstellt, ich hätte von nichts eine Ahnung.

(Frau Bockmann [SPD]: Von der Ver- fassung!)

Dann haben Sie auf Baden-Württemberg verwiesen und gesagt, die würden mit dem Damoklesschwert der nachträglichen Sicherungsverwahrung gezwungen, und das bringe nichts. Ich kann mich erinnern: Es ist noch gar nicht so lange her, da hat die SPD-Fraktion - übrigens gemeinsam mit uns in diesem Landtag dafür gestimmt, dass künftig auch gegen den Willen von Sexualstraftätern in Niedersachsen Therapien durchgeführt werden können. Ist das jetzt richtig oder falsch, was Sie damals gemacht haben? Dann müssen Sie Ihre eigenen Beschlüsse noch einmal durchleuchten und gegebenenfalls wieder zurücknehmen.

So geht es nun nicht, dass Sie versuchen, der Bevölkerung vorzugaukeln, wir hätten keine Ahnung. Selber haben Sie sich in der Vergangenheit völlig anders verhalten. Das geht nicht, und ich denke, das ist durch diese Debatte noch einmal deutlich geworden. Politik nach der Devise „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“ kommt bei der Bevölkerung nicht mehr an, und darum gehören Sie auch abgewählt.

(Beifall bei der CDU)

Herr Justizminister Dr. Pfeiffer hat das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich war mir nicht sicher, ob ich an dieser Stelle das Wort ergreifen sollte. Aber nach dieser Rede des Abgeordneten Stratmann tue ich dies nun doch; denn - bei allem Respekt vor den rethorischen Kapriolen, die Sie geschlagen haben - es war eine Fensterrede, aber keine, die sachbezogen auf den Punkt kommt.

(Beifall bei der SPD)

Ich will Ihnen einfach einmal einen Satz vorlesen, der Ihnen vielleicht aus dem Gedächtnis gerutscht ist:

„Niemand darf wegen derselben Tat aufgrund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.“

Artikel 103 Abs. 3 unseres Grundgesetzes.

Die Baden-Württemberger machen Folgendes: Sie verurteilen jemanden wegen einer Straftat. Dann warten Sie ab, wie er sich im Vollzug so führt. Unabhängig von dieser Straftat, wegen der er bereits rechtskräftig - letztendlich für immer; da gibt es keine Anknüpfung mehr - bestraft worden ist, soll plötzlich ein Verhalten im Vollzug, das nicht den Charakter einer Straftat hat, ausreichen, damit er in Sicherungsverwahrung kommt. Das geht verfassungsrechtlich nicht. Ich bin ganz sicher, dass Karlsruhe das stoppen würde.

Sie haben gesagt, auch in Bayern und BadenWürttemberg säßen gute Juristen. Dann dürfte es wohl nie eine Entscheidung in Karlsruhe gegeben haben, durch die den Ministerien in Bayern und Baden-Württemberg gesagt worden ist, dass sie etwas Verfassungswidriges gemacht haben. Das ist aber oft genug geschehen. Also, die schlichte Behauptung, sie seien ordentliche Juristen, reicht nicht aus; vielmehr muss man sich Gedanken darüber machen, wie man es verfassungsrechtlich auf anständige Weise macht.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich etwas zu der Frage sagen, ob wir dieses Instrument überhaupt brauchen. Ich hatte im letzten Jahr bereits gesagt, dass wir in der Praxis nachgefragt haben. Die ersten Ergebnisse liegen

nun vor. Zu allen Tätern, deren Strafen bereits verbüßt sind, haben wir abschließend geprüft. Zu neun Personen ist uns von der Praxis gesagt worden, dass man bei ihnen, wenn man ein solches Instrument gehabt hätte, vielleicht doch eine nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet hätte. Die sorgfältige Prüfung unserer Strafrechtsabteilung hat ergeben, dass es auf der Basis der badenwürttembergischen Gesetzesvorschläge bei uns in keinem einzigen Fall zu einer nachträglichen Anordnung durch einen Richter gekommen wäre. Von daher ist für diesen Täterkreis jedenfalls kein Bedarf zu erkennen.

Aber wir sind gründliche Leute. Im Augenblick läuft die Überprüfung aller einsitzenden Gefangenen. Da haben wir die ersten Meldungen und sind dran. Ich bin ganz sicher, dass wir Ihnen das Ergebnis bei der nächsten Landtagssitzung oder auch schon demnächst im Rechtsausschuss werden mitteilen können; das warten wir ab.

Ich will allerdings nicht ausschließen - das habe ich schon einmal gesagt -, dass es eine Gesetzeslücke gibt. Deswegen bin ich dankbar dafür, dass die Bundesjustizministerin aktiv geworden ist und ein Referentenentwurf vorliegt. Der ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Wenn Richter in erster Instanz sagen: „Das ist ein Zweifelsfall. Wir können uns heute noch nicht zur Sicherungsverwahrung durchringen. Aber wir können nicht ausschließen, dass der Täter seine Gefährlichkeit, die in der Tat angelegt, jedoch noch nicht eindeutig klar ist, doch noch offenbart“, und Gutachter unter Anknüpfung an die Tat später zu der Entscheidung kommen, dass Sicherungsverwahrung erforderlich ist, dann kann das von der Strafvollstreckungskammer nachträglich angeordnet werden. Das ist die Philosophie dieses Gesetzes. Das geht mit Artikel 103 des Grundgesetzes und auch mit der Menschenrechtskonvention eindeutig konform. Das könnte, wenn wir zu der Einschätzung kämen, dass es hier einen Bedarf gibt, wovon ich noch nicht hundertprozentig überzeugt bin, die Lücke schließen. Ich finde es richtig, dass wir das gewissermaßen auf Reserve haben, sodass wir für den Fall, dass die nicht nur bei uns, sondern auch in anderen Bundesländern laufenden Überprüfungen etwas erbringen, schleunigst ein entsprechendes Gesetz verabschieden können. Also: nachträgliche Sicherungsverwahrung ja, aber bitte nur auf verfassungskonforme Weise.

(Zustimmung bei der SPD)

Herr Minister, möchten Sie noch eine Frage des Kollegen Stratmann beantworten?

Aber gern.

Herr Minister, ich möchte Sie fragen, ob Ihnen denn nicht bekannt ist, dass es - Stichwort: Bedarf - in Baden-Württemberg bereits Fälle gibt, bei denen die landesgesetzliche, baden-württembergische Regelung angewendet wird, und ob Sie vor dem Hintergrund ernsthaft der Meinung sind, das für Niedersachsen ausschließen zu können? Die Straftäter in Baden-Württemberg werden nicht anders sein als die in Niedersachsen.

Ich kenne die Einzelsachverhalte nicht, die in Baden-Württemberg zur Anwendung der gesetzlichen Regelung geführt haben. Ich werde gern überprüfen, ob das nach unseren Maßstäben tauglich ist. Ich warte auch ab, was die Anwälte der Betroffenen tun werden und wann die erste Entscheidung aus Karlsruhe vorliegen wird. Ich bin sehr skeptisch, ob die landesgesetzliche Regelung in BadenWürttemberg Bestand hat; denn sie sind sich ihrer Sache selbst nicht ganz sicher, was daran deutlich wird, dass sie für den Bundesgesetzgeber einen Vorschlag erarbeitet haben, den ich freilich immer noch für problematisch halte.

(Beifall bei der SPD)

Damit kann ich die Beratung zu den Tagesordnungspunkten 42 und 43 abschließen.

Die weitere Beratung soll federführend im Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen erfolgen. Die Mitberatung ist für die Ausschüsse für innere Verwaltung, Sozial- und Gesundheitswesen sowie Gleichberechtigung und Frauenfragen vorgesehen. Wer so entscheiden möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist so beschlossen.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 44: Erste Beratung: Schnelle Einführung des einheitlichen und offenen Decoder-Standards DVB-MHP in Europa - Antrag der Fraktionen der SPD und der CDU sowie der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 14/3111

Das Wort hat der Kollege Pörtner.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich beantrage namens meiner Fraktion, dass über den gemeinsam eingebrachten Antrag zum neuen MHP-System sofort abgestimmt wird; denn wenn wir politisch-inhaltlich etwas erreichen wollen, dann müssen wir die Landesregierung möglichst umgehend bitten, entsprechend tätig zu werden. Dies ist gerade vor dem Hintergrund der aktuellen und sehr hitzigen Diskussion über die neue Besitzstruktur bei den Kabelnetzen und der damit verbundenen Frage der neuen DecoderSysteme erforderlich. Ich hoffe, dass sich sowohl die SPD-Fraktion als auch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unserem Wunsch anschließen können.

(Zustimmung bei der CDU)

Das Wort hat der Kollege Reckmann.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich noch einige Worte zum Inhalt sagen.

Es geht darum, dass wir einen diskriminierungsfreien und chancengleichen Zugang zum digitalen TV-Markt bekommen und monopolistische Strukturen abschaffen bzw. verhindern. Es muss einfach möglich sein, dass die unterschiedlichen Programme mit einer Set-top-Box empfangen werden. Es geht nicht an, dass Set-top-Boxen verkauft werden, mit denen nur ein Teil des Programmes empfangen werden kann, dass es so genannte exklusive Kundenbeziehungen gibt, bei der die Technik nur für einen bestimmten Teil vorgesehen ist.

Das Gleiche gilt für den Kabelbereich. Es kann nicht sein, dass wir Kabelbetreiber in Deutschland zulassen, die nicht nur das Netz haben, sondern

gleichzeitig über die Programme verfügen und auch noch eine exklusive Technik anbieten. Der Nutzer des Gerätes hat dann eine Technik, die nicht für alle Programmanbieter zugänglich ist. Vielmehr ist es erforderlich, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass der Kunde darüber entscheidet, welches Programm er mit seiner Set-topBox sehen will. Das müssen wir sicherstellen. Alles andere wäre eine Einschränkung auch der Rundfunkfreiheit. Wir müssen in Niedersachsen darauf achten, dass solche Endgeräte, solche Boxen nicht zugelassen werden. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Der Kollege Pörtner hat beantragt, dass über den Antrag sofort entschieden werden soll. Ich habe keinen Widerspruch bei der SPD gehört, frage aber das Haus, ob es gegen den Antrag auf sofortige Entscheidung Widerspruch gibt und Ausschussüberweisung gewünscht wird. - Das scheint nicht der Fall zu sein.