Protocol of the Session on February 15, 2002

Die Wahrheit darf in einem Strafverfahren nicht um jeden Preis erforscht werden. Das unterscheidet uns möglicherweise vom letzten CDUMinisterpräsidenten, Ernst Albrecht. Er hat in seinem Buch „Der Staat - Idee und Wirklichkeit“ meinte, dass unter bestimmten Umständen auch Folter sittlich geboten sei. Wenn man Ihrer Logik folgt, dann könnte man zu dem Ergebnis kommen, dass man bei schwarzafrikanischen Straßendealern, die das Leben und die Gesundheit unserer Kinder gefährden, vielleicht nicht nur Brechmittel anwenden darf, sondern dass man bei ihnen womöglich auch ein bisschen darüber hinausgehen sollte, um so noch mehr Wahrheitsforschung und Beweissicherung zu betreiben, und abschreckend wäre das sicherlich allemal.

Die Maßnahme, um die es geht, zielt nicht auf die großen Fische des Drogenhandels, auf schwerstkriminelle Drogenhändler ab, sondern auf den Ameisenhandel und auf Kleinstdealer, die zum Teil selbst abhängig, also Täter und zugleich Opfer sind. Herr Kollege, sie trifft auch Unschuldige. Erhebungen in Bremen, in Berlin und auch in Hamburg haben ergeben, dass Beweismittel nur in der Hälfte bis drei Viertel aller Fälle durch einen Brechmitteleinsatz zu Tage gebracht worden sind. Hierbei muss bedacht werden, dass es in vielen Fällen leider Gottes nicht beim einmaligen Erbrechen bleibt, sondern diese Maßnahme hat vielfach auch weiter reichende Auswirkungen. Sie ist auch unter medizinischen Gesichtspunkten nicht ungefährlich, ganz gleich, ob Sie den mexikanischen Brechsirup nehmen oder das Apomorphin. Beide Mittel haben unter Umständen gefährliche Nebenwirkungen. Wenn es um medizinische Nebenwirkungen geht, sind wir vielleicht gut beraten, auch einmal einen Arzt oder Apotheker danach zu fragen, was der dazu sagt. Die Ärztekammer Hamburg hat hierzu schon im Oktober des vergangenen Jahres ganz eindeutig erklärt, dass sie die Vergabe von Brechmitteln unter Gewaltanwendung eindeutig ablehnt. Nach dem Tod des 19-jährigen Afrikaners im Dezember vergangenen Jahres hat der Präsident der Hamburger Ärztekammer, Herr Dr. Montgomery, diese Auffassung noch einmal deutlich bekräftigt. Er hat erklärt, dass ein derartiges Vorgehen aus ärztlicher Sicht nicht zu verantworten ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich begrüße deshalb die bisherige Haltung des Niedersächsischen Innenministers, von der zwangsweisen Vergabe von Brechmitteln abzuse

hen. Es zeigt sich: Brechmittel sind nicht notwendig. Es gibt harmlosere, mildere Mittel. Ich halte es für erstaunlich, dass auch in diesem Bereich mit der Menschenwürde argumentiert wird. Allein der Umgang mit menschlichen Ausscheidungen, Herr Kollege, stellt noch keinen Verstoß gegen die Menschenwürde dar. Fragen Sie einmal nach den Arbeitsbedingungen in Krankenhäusern oder Pflegeheimen. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Kollegin Bockmann, jetzt haben Sie ums Wort gebeten.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muss dem Kollegen Schröder Recht geben: Auch ich stelle heute fest, dass in der CDU das Bedürfnis nach Strafe scheinbar sehr hoch ist. Aber nicht nur das, auch das Bedürfnis nach Irritation der Bevölkerung ist sehr hoch.

(Beifall bei der SPD)

Dealer, meine sehr verehrten Damen und Herren, verschlucken die so genannten Drogencontainer, um sich der Strafe zu entziehen. Gefunden werden diese BTM-Kügelchen nach der Festnahme aber immer. Um es ganz deutlich zu sagen: Der Verzicht auf eine zwangsweise Verabreichung von Brechmitteln führt nicht dazu, dass auch nur ein einziger Drogendealer laufen gelassen wird. Das müssen wir in den Vordergrund stellen. Das meine ich z. B. mit „Irritation der Bevölkerung“. Wir kriegen sie alle. Ich warne auch ganz ausdrücklich davor, wider besseren Wissens einen gegenteiligen Eindruck in der Bevölkerung zu verbreiten.

Hier geht es allein um das medizinisch vertretbare rechtsstaatliche „Wie“. Genau das steht auf der Tagesordnung. Die CDU-Fraktion erweckt mit ihrem Antrag den Eindruck, dass der Einsatz von Brechmitteln sozusagen ein Universalwaschmittel für Dealer sei. Das aber stimmt nicht. Schon die Überschrift Ihres Antrags ist falsch. Sie suggerieren der Öffentlichkeit, dass in Niedersachsen solche Brechmittel an Drogendealer nicht verabreicht werden. Das jedoch ist schlichtweg falsch. Natürlich ist es erlaubt. Erlaubt ist es, wenn es freiwillig ist. Davon wird häufig Gebrauch gemacht. Hier aber geht es um diejenige Dealergruppe, die sich häufig mit Gewalt gegen die Einnahme eines

Brechmittels, gegen die Brechmittelspritze oder eine Magensonde wehrt. Mit einer Brechmittelspritze wird das Medikament Apomorphin gespritzt, also das Mittel des so genannten Osnabrücker Modells.

Herr Kollege Schünemann, Sie haben in Ihrem Redebeitrag im Januar-Plenum darauf hingewiesen, dass Brechmittel vergeben werden sollten, wenn sie medizinisch unbedenklich sind. Sie sollten sich einmal genau anhören, was anerkannte Pharmakologen und Mediziner zur Unbedenklichkeit äußern. Beispielhaft erwähnen möchte ich den auch schon im letzten Plenum zitieren Professor Steib vom Zentrum für Pharmakologie der UniKlinik Frankfurt, der bei mehr als der Hälfte aller Fälle Nebenwirkungen prognostiziert. Das ist eine ganze Menge. - Dies hat auch nichts mit Aspirin zu tun, Frau Kollegin Körtner. Denn Auswirkungen auf das zentrale Nervensystem oder Nebenwirkungen bis hin zum totalen Kreislaufzusammenbruch sind eklatante körperliche Eingriffe. Solange uns anerkannte Wissenschaftler diese Gefahr aufzeigen, dass eine unter Zwang verabreichte Apomorphinspritze eine Todesspritze sein könnte, können wir dieses Mittel nicht zwangsweise verabreichen. Das hat nichts mit Wahlkampf, sondern mit Rechtsstaat zu tun.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb hat der für Osnabrück zuständige Generalstaatsanwalt in der NOZ vom 8. Februar 2002 zu Recht ausgeführt: Wir wollen nicht das Risiko eingehen, dass ein Mensch stirbt.

(Möllring [CDU]: Das will doch nie- mand!)

Meine Damen und Herren, trotz aller unterschiedlichen Auffassungen müssen wir uns doch zumindest in einem Punkt einig sein: Wir wollen keine Todesstrafe aus Versehen billigend in Kauf nehmen. Genau das wäre es hier.

(Möllring [CDU]: Das ist doch dum- mes Zeug, was Sie da reden!)

- Sie sind Jurist, aber kein Pharmakologe. Deshalb würde ich an Ihrer Stelle mit solchen Äußerungen etwas vorsichtiger sein.

(Möllring [CDU]: Das habe ich doch auch nicht behauptet!)

Nun zur zweiten Möglichkeit: Das Mittel Ipecacuanha ist Gegenstand des so genannten Hamburger

Modells und löst in der Tat weniger Nebenwirkungen aus als Apomorphin. Die zwangsweise Verabreichung dieses Mittels - nur darüber reden wir hier - kann ausschließlich über eine Magensonde erfolgen, die durch die Nase eingeführt wird. Voraussetzung ist immer eine ärztliche Voruntersuchung. Allerdings ist das Zeitraster für diesen Eingriff sehr eng. Er muss innerhalb einer guten Stunde nach Verschlucken der Drogencontainer erfolgen; denn sonst ist die ganze Aktion sinnlos, weil der Container dann bereits in den Darm weiter gewandert ist. Einem sich mit Händen und Füßen wehrenden Beschuldigten eine Magensonde einzuführen, ist aber nicht ganz einfach. Herr Kollege Biester, genau darin unterscheiden wir uns. Eine solche Maßnahme kann nur unter polizeilichem Zwang und im Rahmen einer ärztlichen Behandlung in einem Krankenhaus erfolgen. Schließlich sind Einrichtungen wie das Institut für Rechtsmedizin in Hamburg bei uns nicht flächendeckend vorhanden. Darüber hinaus muss bei Durchführung einer solchen Zwangsmaßnahme auch das Gefährdungspotenzial berücksichtigt werden. Aids und Hepatitis sind schließlich keine seltenen Krankheitsbilder bei dieser Bevölkerungsgruppe. Wenn wir über den Einsatz von Ipecacuanha sprechen, müssen wir auch die Gefährdung einer solchen Behandlung berücksichtigen. Ich möchte nicht, dass sich in einem Krankenhausflur Infarktpatienten und randalierende Drogendealer treffen.

(Stratmann [CDU]: Dieser Gefahr sind doch alle Polizisten und auch die Bediensteten in den Gefängnissen ausgesetzt!)

Insbesondere in der letzten Landtagsdebatte über dieses Thema ist die Zahl der Drogentoten in Niedersachsen angesprochen worden. In Niedersachsen waren im Jahr 2000 145 Drogentote zu verzeichnen. Das heißt, dass es pro 100 000 Einwohner in Niedersachsen 1,8 Rauschgifttodesfälle gibt. In Ihrem Lieblingsland Bayern sind es im Vergleich dazu 2,8. In Bremen, wo Brechmittel verabreicht werden, sind es aber 11,5. Fazit: Ein Zusammenhang zwischen dem Einsatz von Brechmitteln und Rauschgifttoten lässt sich jedenfalls statistisch keinesfalls herstellen.

(Möllring [CDU]: Sie können doch Niedersachsen und Bremen nicht mit- einander vergleichen! Bremen ist eine Großstadt!)

- Hannover gehört auch zu Niedersachsen. - Meine sehr verehrten Damen und Herren, jeder Drogentote ist ein Toter zu viel. Wir wollen angesichts dieser traurigen Schicksale auf keinen Fall zynisch argumentieren. Fakt aber ist, dass Niedersachsen trotz der Nähe zu Holland weit weniger Drogentote hat, als dies im Bundesdurchschnitt der Fall ist.

Ich habe Ihnen aufgezeigt, dass sich das Thema nicht durch plakative Entschließungsanträge im Landtag lösen lassen wird. Der Zweck - das hat Herr Kollege Schröder zu Recht ausgeführt - heiligt nicht immer die Mittel; jedenfalls dann nicht, wenn lebensgefährdende Behandlungen im Raum stehen.

(Krumfuß [CDU]: Sie sollten mit Op- fern sprechen!)

Der Verzicht auf den Einsatz von Brechmitteln beruht auf verschiedenen vorliegenden medizinischen und pharmakologischen Stellungnahmen. Die SPD-Fraktion schlägt Ihnen deshalb vor, ein wissenschaftliches Hearing von Sachverständigen zu diesem Thema zu organisieren. Ich meine, die direkte Erlangung von Sachkenntnis durch Fachleute kann nicht schaden.

Angesichts der Ernsthaftigkeit dieses Thema scheint mir die von der SPD-Fraktion vorgeschlagene Vorgehensweise der Königsweg zu sein, wenn man ernsthaft und nicht populistisch argumentieren will. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön, Frau Bockmann. - Herr Kollege Dr. Winn, Sie haben ums Wort gebeten.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eigentlich wollte ich zu diesem Antrag nicht sprechen. Aber ich habe das Gefühl, dass hier dringend der Arzt gebraucht wird.

(Beifall bei der CDU - Dr. Domröse [SPD]: Für wen, Herr Kollege?)

Es hat sich mal wieder gezeigt, wie gefährlich Halbwissen in der Argumentation ist - dies sowohl bei den Grünen als auch bei der SPD.

(Schröder [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

- Bitte schön, Herr Schröder!

Das Wort erteile ich, Herr Dr. Winn. Aber Sie gestatten eine Zwischenfrage?

Selbstverständlich.

Bitte schön, Herr Schröder!

Da offenbar der Arzt gefragt ist, frage ich: Wie bewerten Sie die praktisch einstimmige Entschließung Ihrer Kollegen, nämlich der Ärztekammer Hamburg, nach der diese zwangsweise Vergabe nicht zu vertreten ist?

Darauf wollte ich gerade zu sprechen kommen. Es geht um die Äußerung des Kammerpräsidenten Montgomery aus Hamburg. Herr Montgomery ist seines Zeichens Radiologe, ein ehrenwerter Mann. Ich kenne ihn sehr gut, und ich habe ihm zu seiner Äußerung bereits einen Brief geschrieben; denn er hat da etwas verwechselt.

(Dr. Domröse [SPD]: Man braucht al- so sogar einen Arzt, den Sie ausge- sucht haben!)

- Nein. Es wäre aber eigentlich immer gut, jemanden zu nehmen, der mit diesen Dingen umgehen kann. Von daher ist es durchaus hilfreich, wenn auch einmal ein Allgemeinmediziner oder Gastroenterologe oder dergleichen zu Wort kommt.

Um es auf den Punkt zu bringen: Wenn man eine Magensonde einführt, dann kommt es nur in den seltensten Fällen - so ist das bei dem Hamburger Fall gewesen - zu einem reflektorischen Herztod, ausgelöst durch die Magensonde, durch eine Reizung des Vagus-Nerven.

(Haase [SPD]: Aber er kann vorkom- men!)

Das ist der Hintergrund dabei. Dies passiert aber ausgesprochen selten.

(Zuruf von Biel [SPD])

- Wenn das ein Risiko wäre, Herr Biel, dürften Sie keinem älteren Menschen in einem Altenheim eine Magensonde legen, dürften Sie nicht zur Gastroskopie gehen. Ein solcher Eingriff wird alltäglich tausendfach vorgenommen. All das dürften Sie nicht tun.

(Frau Seeler [SPD]: Aber nicht gegen den Willen der Patienten!)

Das Risiko ist absolut gering. Ich will nicht sagen, dass es zu vernachlässigen ist. Der Fall ist aber selten. Bekanntermaßen ist das Seltene eben selten. Das ist der ganze Hintergrund.