Protocol of the Session on February 13, 2002

(Beifall bei der SPD)

Herr Minister Bartling, Sie haben ums Wort gebeten. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich einige wenige Anmerkungen zu den Anträgen machen.

Da unsere Innenpolitik bislang sehr erfolgreich war, mussten wir unseren konsequenten Kurs nach dem 11. September glücklicherweise lediglich fortführen und konnten wir die Rahmenbedingungen weiter optimieren. Gestatten Sie mir deswegen eingangs einige wenige Bemerkungen zur Rasterfahndung, die im Moment in der Diskussion ist.

Frau Stokar hat es richtig geschildert, und Herr Schünemann hat auch darauf aufmerksam gemacht: In drei Ländern ist die Rasterfahndung durch gerichtliche Entscheidungen gestoppt worden. Die Richter haben ausgeführt, dass die dortigen landesgesetzlichen Regelungen die Anordnungen der Rasterfahndung vor dem Hintergrund der brutalen Terroranschläge in den Vereinigten Staaten nicht rechtfertigen könnten, weil die jeweilige Anwendungsvoraussetzung der „gegenwärtigen Gefahr“ nicht erfüllt sei.

Ich stelle fest, dass wir in Niedersachsen für die Rasterfahndung eine Rechtsgrundlage haben, die als Eingriffsschwelle nicht auf die „gegenwärtige Gefahr“ abstellt. Vor dem Hintergrund einer neuen Dimension der Bedrohung für unsere Bürgerinnen und Bürger reicht es bei uns danach aus, „wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass künftig Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen werden und wenn die Vorsorge für die Verfolgung oder Verhütung dieser Straftaten auf andere Weise nicht möglich erscheint.“

(Frau Stokar von Neuforn [GRÜNE]: Nennen Sie die Tatsachen doch mal!)

Insoweit, Herr Schünemann, ist Ihre Kritik vielleicht in einem etwas anderen Licht zu sehen. Die anderen Länder hatten die Schwelle schon weit vorher höher gelegt und müssen sich jetzt sagen lassen, dass sie damit nicht die Daten sammeln dürfen, die sie für die Rasterfahndung brauchen.

Hinsichtlich Ihrer Kritik an der Tatsache, dass unsere Daten noch nicht an das Bundeskriminalamt weitergegeben worden sind, darf ich daran erinnern, dass wir eines von zehn Ländern sind, die noch nicht weitergegeben haben. Dass wir nicht weitergegeben haben, hat objektive Gründe, nämlich dass uns die Einwohnermeldeämter noch nicht alle Daten, die wir brauchen, genannt haben. Die technischen Voraussetzungen dafür, unsere Aufbereitung durchzuführen, sind ohne Einschränkungen vorhanden. Wenn wir die Daten von den entsprechenden Institutionen haben, werden sie auch weitergeleitet.

Meine Damen und Herren, diese Tatsachen waren nicht nur zum Zeitpunkt des Erlasses der Anordnung der Rasterfahndung in Niedersachsen am 1. November des vergangenen Jahres vorhanden. Das wurde im Übrigen damals von den heutigen Kritikern durchaus eingeräumt. Die Voraussetzungen für die Rasterfahndung sind heute, nach wenigen Monaten, selbstverständlich nicht durch Zeitablauf entfallen. Das Gedächtnis dieser Kritiker scheint in der Tat sehr kurz zu sein. Können denn die schrecklichen Szenen in New York bei ihnen bereits so in Vergessenheit geraten sein? Soll denn heute der Tatsache keine Bedeutung mehr zugemessen werden, dass mehrere dieser Terroristen viele Jahre unauffällig und unerkannt in Deutschland leben konnten? Wenn wir davon ausgehen, dass sich dieses internationale Netzwerk extremistischer Islamisten für die Anschläge einer umfangreichen Logistik und zahlreicher weiterer Personen bediente, stellt sich die Frage nach dem Verbleib dieses Netzwerks. In Luft wird es sich kaum aufgelöst haben.

Meine Damen und Herren, der neue Tätertypus des so genannten Schläfers wird doch gerade dadurch definiert, dass er sich zum Teil jahrelang völlig unauffällig und insbesondere auch unter Vermeidung anderer Straftaten oder sonstiger Handlungen, die die Aufmerksamkeit der Behörden auf ihn lenken könnten, verhält. Der Zeitfaktor, der jetzt, nach Ablauf von nur vier Monaten, von vielen als Argument hervorgehoben wird, spielt für die Prognose der Gefährlichkeit eines Schläfers letztlich nur eine untergeordnete Rolle.

Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen daher ganz unmissverständlich: Die Landesregierung wird den Kampf gegen den internationalen Terrorismus in allen seinen Auswüchsen auch weiterhin sehr ernst nehmen und die gesetzlich geschaffenen Möglichkeiten der Rasterfahndung im Rahmen der polizeilichen Gefahrenabwehr konsequent weiter nutzen.

Meine Damen und Herren, entscheidend für eine ergebnisorientierte Sicherheitspolitik sind jedoch nicht nur die rechtlichen Rahmenbedingungen. Auch der Vollzug der Regelungen muss gewährleistet sein. Die eingangs erwähnte erfolgreiche Innenpolitik, die von den guten Erfolgen bei der Kriminalitätsbekämpfung getragen wird, wurde von der Polizei zum Teil unter sehr angespannten Bedingungen erreicht. Das Arbeitsaufkommen der Polizei ist neben den neuen Herausforderungen bei der Ermittlung im Vorfeld terroristischer Bestrebungen durch schwierige und vielseitige Aufgabenstellungen gekennzeichnet. Daher haben wir - dies fand bereits Erwähnung - bei der Verabschiedung des Haushalts für die Jahre 2002/2003 wesentliche Verbesserungen für die Polizei durchgesetzt. Durch die Streichung von kw-Vermerken und die Schaffung zusätzlicher Stellen wird die polizeiliche Präsenz um 500 Beamtinnen und Beamte weiter gestärkt und eine noch bürgernähere Polizeiarbeit gewährleistet. Diese Entscheidung haben wir übrigens vor dem 11. September getroffen, meine Damen und Herren. Die Flächenpräsenz trägt zur Steigerung der objektiven Sicherheit und auch zur Steigerung des Sicherheitsgefühls bei.

Mit der Hebung der insgesamt 500 Stellen des Polizeivollzugsdienstes werden wir eine weitere Qualitätssteigerung der Arbeit von Polizei und Verfassungsschutz erreichen. Die Stärkung des polizeilichen Staatsschutzes um 18 und des Verfassungsschutzes um zehn zusätzliche Stellen zuzüglich entsprechender Sachmittel dient der Förderung einer schnelleren und effektiveren Ermittlungsund Analysetätigkeit.

Meine Damen und Herren, eine gut ausgebildete, hochqualifizierte und auch entsprechend bezahlte niedersächsische Polizei muss von einer modernen technischen Ausstattung unterstützt werden. Daran arbeiten wir weiter.

Meine Damen und Herren, die Landesregierung spricht sich aus guten Gründen dagegen aus, dem Landesamt für Verfassungsschutz die Aufgabe der Beobachtung der Organisierten Kriminalität zu

übertragen. Wir haben in Niedersachsen in den vergangenen zwölf Jahren bei Polizei und Justiz schlagkräftige OK-Dienststellen eingerichtet, die aufgrund ihrer personellen und materiellen Ausstattung in der Lage sind, Organisierte Kriminalität effektiv zu bekämpfen. Die OK-Dienststellen wurden zum 1. Juli 2001 um Auswerte- und Analyseeinheiten erweitert, um auf Grundlage einer größeren Erkenntnistiefe entstehende OK-Strukturen im Rahmen von Vorfeldermittlungen noch frühzeitiger erkennen und bereits vor ihrer Verfestigung zerschlagen zu können. Eine Lücke in der Vorfeldaufklärung bei der OK-Bekämpfung gibt es somit gerade in Niedersachsen nicht. Die rechtlichen Möglichkeiten hierzu wurden der niedersächsischen Landespolizei mit der Neufassung des Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetzes 1998 ausdrücklich gegeben. Das müsste sich Ihnen eigentlich beim Studium der Gesetzestexte erschließen.

Meine Damen und Herren, Ihr Entschließungsantrag unter Tagesordnungspunkt 12 c ist im Übrigen lange überholt. Im unmittelbaren Anschluss an die Terroranschläge vom 11. September hat die Landesregierung eine personelle und materielle Verstärkung des Verfassungsschutzes zur Intensivierung der Beobachtung islamistisch-extremistischer Bestrebungen gefordert. Dies haben wir innerhalb kürzester Zeit durch eine Verstärkung um zehn zusätzliche Stellen erreicht. Im Hinblick auf die unterschiedlichen Schwerpunkte extremistischer Aktivitäten in den Bundesländern ist diese Verstärkung um zehn Stellen begründet und ausreichend, um die neue Sicherheitslage zu bewältigen.

Ich will gerne noch ein Wort zum hier angesprochenen NPD-Verbotsverfahren sagen. Die Leistungsfähigkeit unserer Verfassungsschutzbehörde kommt gerade dadurch zum Ausdruck, dass das, was wir zugeliefert haben, zu keinerlei Problemen geführt hat. Frau Stokar, Ihre Beurteilung, das sei ein Desaster, weise ich mit Nachdruck zurück. Es hat Fehler gegenüber dem höchsten deutschen Gericht gegeben. Dafür hat man sich entschuldigt. Nur, die Diskussion, die manche jetzt anzetteln, ist eine Diskreditierung der Ermittlungsmethode „verdeckte Ermittler“, die ich für ganz gefährlich halte. Ich warne vor einer solchen Diskussion.

(Frau Harms [GRÜNE]: Die diskredi- tieren sich doch selber!)

Hier geht es darum, dass dem Bundesverfassungsgericht zwei Leute nicht genannt worden sind. Ich

halte es aber für eine Selbstverständlichkeit, dass wir Dinge ermittelt und die Ergebnisse auch genutzt haben. Das werden wir auch weiter tun.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Man muss allerdings bereit sein, die Sache einigermaßen objektiv und sachlich zu diskutieren. Mit unseren Beiträgen zu dem Verbotsantrag gab es beim Verfassungsgericht keine Probleme. Wir waren nämlich sehr wohl vorbereitet, auch mit einem eigenen Gutachten zur Verfassungsgegnerschaft der NPD. Wir haben festgestellt, dass unsere Unterlagen bereits ausgereicht hätten, um die NPD zu verbieten.

Aus diesem Grund gibt es für mich auch keinen Anlass, hier über 50 oder 100 weitere Stellen für den niedersächsischen Verfassungsschutz zu sprechen. Diese Behörde ist leistungsfähig und erfüllt ihre Aufgaben.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, Herr Kollege Wulff hat zusätzliche Redezeit beantragt. Nach unserer Geschäftsordnung ist es mir möglich, ihm diese zu gewähren. Herr Kollege Wulff, ich erteile Ihnen das Wort für drei Minuten.

Vielen Dank. - Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte drei Bemerkungen machen.

Zum einen stimme ich mit dem Innenminister völlig überein, was den Einsatz von verdeckten Ermittlern anbelangt. Nicht ihre Arbeit darf diskreditiert werden,

(Beifall bei der CDU)

sondern es muss die Arbeit der Juristen diskreditiert werden, die in den Anklageschriften, die höchste Sorgfalt erfordern, eine Reihe von Zeugen und Quellen benannt haben, aber nicht kenntlich gemacht haben, dass sechs als verdeckte Ermittler für den Verfassungsschutz gearbeitet haben. Deshalb ist das Instrument „verdeckte Ermittler“ aber nicht zu diskreditieren.

Die zweite Bemerkung. Ich wundere mich eigentlich darüber, dass die Sozialdemokratie nicht

Schlüsse daraus zieht, dass sie jetzt in einer Vielzahl von Punkten von der Entwicklung überholt worden ist. Als ich damals die Forderung vertreten habe, die verdeckten Ermittler im Gefahrenabwehrrecht zu verankern, wurde ich in die rechte Ecke gestellt und wurde das, was ich gesagt habe, als Unsinn und als nicht nötig bezeichnet. Später haben Sie es dann in das Polizeigesetz hineingeschrieben.

Als wir 1995, 1997 die Rasterfahndung beantragt haben, haben Sie das hier mit wirklich unglaublich Reden - die man ja nachlesen kann - abgelehnt.

(Frau Wörmer-Zimmermann [SPD]: Das war auch gut so!)

- Wissen Sie, Frau Wörmer-Zimmermann, eben haben Sie gerufen haben: „Das war bei der Stasi auch schon so!“

(Frau Wörmer-Zimmermann [SPD]: Das habe ich nicht gesagt!)

- Als Herr Schünemann gesprochen hat, haben Sie gerufen: Das ist ja wie bei der Stasi! - Das haben mehrere von uns gehört.

(Beifall bei der CDU)

Jetzt, da ich Ihnen gerade vorhalte, dass Sie mehrfach mit Vehemenz die Rasterfahndung in Niedersachsen abgelehnt haben, nämlich 1995 und 1997, rufen Sie fortlaufend: Das war auch gut so!

(Frau Harms [GRÜNE]: Dafür gab es auch gute Gründe!)

In der Frage, was alles gut so war, lernen wir ständig dazu. Es war natürlich nicht gut so; denn nach dem 11. September mussten Sie in Niedersachsen als letztem Bundesland kurzerhand die Rasterfahndung in das Polizeigesetz aufnehmen, um das machen zu können, was in nahezu jedem anderen Bundesland möglich ist.

(Beifall bei der CDU)

Gut wäre allenfalls, dass Sie als Ausschussvorsitzende weniger Einfluss auf die Arbeit des Verfassungsschutzausschusses haben und dass Sie als Bedenkenträgerin weniger Einfluss auf die Arbeit unserer Sicherheitsorgane haben.

(Beifall bei der CDU)

Ich erinnere daran, wie es war, als wir die Videoüberwachung beantragt haben. Am 6. September

habe ich eine Pressekonferenz gemacht. Am selben Tag hat Herr Plaue eine Presseerklärung abgegeben, in der es hieß: Alles dummes Zeug, brauchen wir nicht, unnötig, Quatsch.

Anschließend aber haben Sie es eingeführt, sehr geehrter Herr Minister, weil Sie einsehen mussten, dass man solche Instrumente braucht.

Ich bin - das soll meine letzte Bemerkung sein - so relativ verzweifelt darüber, dass eine Fraktion wie die der Sozialdemokraten, die Punkt für Punkt in diesem Hause einbrechen musste, weil sie von den aktuellen Entwicklungen überholt worden ist, immer noch mit Vehemenz die Initiativen der CDUFraktion ablehnt. Es gibt nach dem Bericht von Herrn Schily, Ihrem Bundesinnenminister, in Deutschland 31 000 Islamisten. Eine Organisation, die besonders gefährlich und militant ist und 1 000 Islamisten umfasst, ist jetzt verboten worden. 30 000 gibt es aber noch. Dass wir derer habhaft werden müssen, wo Schläfer und Täter aus Niedersachsen bzw. Deutschland die Anschläge in New York und anderswo vorbereitet und durchgeführt haben, muss doch jedermann einsichtig sein.

(Beifall bei der CDU - Plaue [SPD]: Ein ganz übles Spiel!)

Diese Gefahr ist nicht zu unterschätzen. Ich jedenfalls habe kein Verständnis dafür, dass in unserer freiheitlichen Demokratie der Schützer unserer Verfassung, der Verfassungsschutz, ständig in dieser Art und Weise mit Bedenken überzogen wird.