Protocol of the Session on February 13, 2002

Gymnasium ab Klasse 5. Insoweit kann die CDU eigentlich zufrieden sein. Das ist das, was Sie wollen, und so wird die Entwicklung auch laufen. Diese Entwicklung wird aber dafür sorgen, dass wir am Schluss der allgemeinen Schulbildung eben nicht mehr Jugendliche mit Hochschulzugangsberechtigung haben, sondern weniger. Das ist der Kern, und das muss der Ausgangspunkt unserer gemeinsamen Debatte sein: Wir brauchen mehr junge Leute mit Hochschulzugangsberechtigung.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Wir werden im Jahr 2015 nicht mehr in der Lage sein, auch nur jeden Zweiten frei werdenden Akademikerarbeitsplatz wiederzubesetzen, weil wir nicht adäquat ausbilden. Im Durchschnitt der OECD-Länder machen 40 % der jungen Leute das Abitur oder erwerben ähnliche Abschlüsse. In der Bundesrepublik sind es 28 %, in Niedersachsen 24 %, und die von Ihnen so hoch gelobten Bayern bilden mit 19 % das Schlusslicht.

(Frau Körtner [CDU]: Die haben aber auch die wenigsten Studienabbre- cher!)

Damit sind wir absolut nicht konkurrenzfähig.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir müssen uns jenseits aller ideologischen Auseinandersetzungen die Frage stellen: Wie haben es die Schweden geschafft, als sie erkannt haben, wohin der Zug der Zeit geht, ihr Schulwesen in kurzer Zeit so radikal zu verändern, dass sie inzwischen 70 % der jungen Leute mit Hochschulzugangsberechtigung aus den Schulen entlassen - und das auch noch auf einem qualitativ sehr viel höheren Niveau, als wir es in der Bundesrepublik Deutschland mit der geringeren Zahl haben? Daran müssen wir uns ein Beispiel nehmen.

Auch in der CDU-Fraktion kann niemand glauben, dass wir dieses höhere Niveau dann erreichen, wenn wir die Schulzeit für die Schülerinnen und Schüler generell verkürzen. Wir brauchen mehr Zeit, und wir brauchen insbesondere ein anderes Arbeiten in den Schulen. Auch die CDU-Fraktion muss sich die Frage stellen, ob es nicht im Schulbereich ebenso ist wie bei der Sportförderung und bei der Musikförderung, dass wir Spitzenleistungen nur dadurch erreichen, dass wir Breitenförderung betreiben. Das hat den Vorteil, dass auch die Kinder und Jugendlichen, die jetzt mit wirklich

sehr schlechten Leistungen international aufgefallen sind, die Chance haben, ihre Bildungsprozesse besser zu organisieren, wenn sie sich an den anderen, die mehr und schneller Leistung erbringen, orientieren können.

Wolfgang Wulf hat in einem Recht: Der Antrag der CDU ist nach rückwärts gewandt. Wir können nicht mit den Modellen von gestern die neue Zeit einläuten. Aber auch die SPD macht leider faktisch nichts Besseres,

(Wulf [SPD]: Doch!)

obwohl sie etwas anderes behauptet. Das sind nur leere Worte, und ich kann nur hoffen, dass auf dem Parteitag der SPD genügend anders denkende Sozialdemokraten den Mut haben werden, ihre wirkliche Meinung zu dieser so genannten Schulstrukturreform zu äußern.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, jetzt spricht Frau Ministerin Jürgens-Pieper zu uns.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Kultusausschuss hat am 30. Januar dieses Jahres empfohlen, den vorliegenden Antrag abzulehnen. Ich meine, er hat das zu Recht getan.

Eines, was der Fraktionsvorsitzende der CDU gestern gesagt hat, ist allerdings richtig: Das richtige Schulkonzept wird die Wahl entscheiden. Und ich füge gleich hinzu: Das haben wir.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Ich will es auch noch einmal ganz deutlich machen: Im Zentrum - -

(Klare [CDU]: Das Konzept ist so, dass es bisher noch niemand verstan- den hat!)

- Ich werde gleich aufzeigen, dass Ihr Konzept auch niemand versteht, weil Sie die Fragen nicht beantworten, die sich aus Ihrem Konzept ergeben.

(Zurufe)

- Jetzt erkläre ich Ihnen erst einmal unser Konzept, Frau Litfin, weil Sie es offensichtlich noch nicht verstanden haben.

(Zuruf von der CDU: Das hat doch bisher niemand verstanden!)

- Das Konzept der Grünen hat bisher auch niemand verstanden. Sie haben in der repräsentativen Umfrage, die wir durchgeführt haben, auch deutlich gesagt bekommen, dass das Konzept nur sehr wenige Leute haben. Wenn das Konzept verstanden worden wäre, dann hätten Sie dafür wahrscheinlich sogar noch weniger Stimmen bekommen.

Sie wissen doch, dass dann, wenn das Konzept der sechsjährigen Grundschule gewählt würde, entweder kleine Standorte dicht gemacht werden müssten oder das Konzept nicht finanziert werden könnte. Das hat das Gutachten ja deutlich gezeigt. Das Konzept der CDU hat auf viele Fragen keine Antworten gegeben, und die werde ich gleich ansprechen.

Unser Konzept dagegen ist völlig klar: Die Eltern können nach Klasse 4 entscheiden, die Förderstufe zu wählen, was übrigens identisch ist mit dem Konzept der CDU.

(Klare [CDU]: Das stimmt aber nicht ganz! - Gegenruf von Plaue [SPD]: Sie mit Ihrem 50er-Jahre-Modell!)

Nicht identisch ist aber, dass nach dem Konzept der CDU schon an dieser Stelle die Entscheidung über die Schullaufbahn getroffen werden muss. Bei uns wird diese Entscheidung zu dem Zeitpunkt noch nicht getroffen. Wir stellen sicher, dass die Schullaufbahnentscheidung nach Klasse 6 getroffen wird. Das ist, weil die PISA-Studie uns deutlich gemacht hat, dass wir für die Kinder einen längeren Förderzeitraum benötigen, auch richtig so. Wir sind übrigens das einzige Bundesland, in dem die Entscheidung nach Klasse 6 getroffen wird.

Frau Ministerin Jürgens-Pieper, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Klare?

Nein, ich möchte in einem Stück ausführen.

Nein, sie gestattet es nicht, Herr Klare.

(Klare [CDU]: Dann mache ich einen Zwischenruf!)

- Herr Kollege Klare, Sie müssen das jetzt akzeptieren.

(Klare [CDU]: Wie ist das mit den Kapazitäten? - Heiterkeit bei der CDU und bei den GRÜNEN - Zurufe bei der SPD)

Darauf komme ich gleich zu sprechen, Herr Klare.

Der Hauptinhalt unserer Bildungsreform ist, den Eltern mehr Mitbestimmung zu ermöglichen. Das heißt, dass die Eltern über die Schullaufbahn ihres Kindes entscheiden können sollen. Das heißt aber auch, dass die Eltern über das regionale Bildungsangebot entscheiden können sollen. Diesen Gesichtspunkt, der in dem Gutachten angesprochen wird, haben Sie überhaupt nicht aufgegriffen.

(Plaue [SPD]: So ist es!)

Wir haben in Niedersachsen eine falsche Gymnasialstruktur. Wir müssen etwas für die Fläche tun. Das ist unser Konzept. Diesen Gesichtspunkt haben Sie überhaupt nicht aufgegriffen.

(Beifall bei der SPD - Klare [CDU]: Wissen Sie, wer das Schulkonzept im Jahre 1994 gemacht hat?)

Wir benötigen wohnortnahe Gymnasialangebote, um das zu erfüllen, was notwendig ist, dass nämlich auch weniger bildungsinteressierte Eltern in dieser Förderstufe ein wohnortnahes Angebot finden.

(Klare [CDU]: Wer hat es denn ver- hindert?)

Herr Wulf hat ja Recht, wenn er sagt, dass die Orientierungsstufe dieses wohnortnahe Angebot bisher gesichert hat und dass wir dann, wenn wir etwas Besseres anbieten wollen, die Gymnasialstruktur in Niedersachsen umorganisieren müssen. Dazu haben Sie in Ihrem Konzept nichts gesagt. Sie haben diese Aussage des Gutachtens überhaupt nicht wahrgenommen.

Ziel ist - Frau Litfin hat es auch gesagt - die Verbesserung der Bildungsbeteiligung. Aber die entscheidende Frage ist doch, wie sie erreicht werden kann. Herr Wulf sagt auch hierzu etwas Richtiges. Er sagt, wichtiger als alle Strukturdebatten seien dabei inhaltliche Fragen. - Wenn das stimmt, dann führen alle Ihre Anträge, die Sie in den vergangenen zwei Jahren gestellt haben, in die Irre. Denn Sie diskutieren an der Hauptschule, an der Realschule und jetzt am Abitur nach zwölf Jahren ständig nur die Strukturfrage der Orientierungsstufe. Nichts anderes machen Sie auch mit Ihrem Antrag zum Ablegen des Abiturs nach zwölf Schuljahren. Sie machen das auf zwölf Jahre angelegte Abitur davon abhängig, dass der Besuch des Gymnasiums ab Klasse 5 beginnt.

(Klare [CDU]: Das ist langsam pein- lich! Sie reden seit sechs Jahren da- von, dass Sie die Inhalte ändern wol- len! Nichts haben Sie gemacht! Nichts hat sich geändert!)

- Je lauter Sie sind, desto weniger haben Sie Recht, Herr Klare!

(Klare [CDU]: Sie lassen ja keine Fragen zu! - Frau Vockert [CDU]: Wer ist eigentlich seit zwölf Jahren für die Rahmenrichtlinien zuständig?)

Sie haben Ihre Anträge bisher ausschließlich auf die Strukturdebatte ausgerichtet. Sie haben keine einzige inhaltliche Frage beantwortet. Wo sind denn Ihre Antworten zu Ihrem Schulkonzept, zur Durchlässigkeit, zum Elternwillen und zur Kapazitätsproblematik? Herr Klare hat es selbst gesagt. Wo sind Ihre Antworten zum Thema Schulbezirke?

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Wollen Sie den Schulträgern diese Möglichkeiten geben oder nicht? Wir werden Sie stellen - spätestens bei der Schulgesetznovelle.

(Klare [CDU]: Sie stellen sich selbst! Das ist das Problem!)

- Ja, wir werden Sie stellen. Wir erwarten nämlich von Ihnen, dass Sie zu Ihrem Schulkonzept einen Gesetzentwurf vorlegen. Dann werden Sie die richtigen Antworten auf diese Fragen geben müssen. Nichts, gar nichts ist an Ihrem Konzept klar.