Protocol of the Session on January 24, 2002

Deshalb sage ich Ihnen: Die Täter von gestern können nicht die Sanitäter von morgen werden. So etwas kann nicht funktionieren, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Ich bin nicht der Auffassung, meine Damen und Herren, dass jedes Projekt, das man anpackt, sozusagen der Königsweg ist, die alleinige Antwort auf die Erfordernisse des Arbeitsmarktes und der Konjunktur. Ich meine, wir müssen es anpacken und schaffen, möglichst passgenaue Angebote zu organisieren. Ich sage das hier in aller Deutlichkeit, Frau Kollegin Pothmer: Es ist ein Skandal sondergleichen, dass die Arbeitgeber bei 1,9 Milliarden Überstunden im Jahre 2001 überhaupt nicht darauf reagieren und nicht neue Stellen schaffen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Daran sind sie zu erinnern, und zwar politisch und im Bündnis für Arbeit.

(Zustimmung bei der SPD)

Das ist überhaupt keine Frage. Da sind wir völlig einer Meinung. Auch das gehört sozusagen zu einem Baustein von Arbeitsmarktpolitik dazu. Ich sage aber auch, Frau Kollegin, in manchen Branchen wird es dazu kommen müssen, dass bestimmte Arten von Flexibilität mit den Gewerkschaften und den Betriebsräten vereinbart werden.

(Zuruf von Frau Pothmer [GRÜNE])

Sie wissen genau, Frau Kollegin, dass in manchen Branchen die Konjunktur nur kurzfristig anspringt und relativ schnell wieder herunterfährt und dass mancher Unternehmer Angst davor hat, einen unbefristeten Arbeitsplatz zu schaffen, wenn er nicht sicher sein kann, dass diese Konjunktur sozusagen auch in den nächsten Monaten diesen Arbeitsplatz trägt.

(Zurufe von der CDU)

Die Betriebsräte und Gewerkschaften sind aber bereit, flexibel darauf zu reagieren. Man sollte nicht so tun, als ob z. B. Veränderungen von gesetzlichen Grundlagen nötig sind, um Betriebsräte flexibler zu machen. Die sind so flexibel, dass sie manchmal Dinge außer Acht lassen, für die sie grundsätzlich stehen, nur um den Kolleginnen und Kollegen den Arbeitsplatz zu erhalten. Ich finde, das verdient Anerkennung und keine Kritik.

(Beifall bei der SPD)

Über eines müssen wir uns im Klaren sein, Frau Kollegin Pothmer. Wir müssen überlegen, ob wir einen Arbeitsmarkt nur mit Staatsknete unterstützen können. Ich habe den Eindruck, dass viele Vorschläge - nicht alle -, die gerade aus Ihrer Fraktion kommen - auch auf Bundesebene -, in Richtung Dauersubventionierung von Arbeitsplätzen gehen. Ich sage das ganz offen, weil jeder von uns weiß, in welcher finanziellen Situation sich das Land und der Bund befinden. Wir können uns eine Dauersubventionierung nicht leisten. Wir müssen es projektbezogen und anlassbezogen organisieren, und wir müssen es so organisieren, dass daraus Ausstieg aus der Staatsknete und Einstieg in den normalen ersten Arbeitsmarkt gemacht werden kann. Das ist unsere Aufgabe.

(Beifall bei der SPD)

Ein Baustein in diesem Zusammenhang ist das Mainzer Modell. Die Übertragung dieses Projektes auf ganz Deutschland wird deshalb von uns aus

drücklich unterstützt. Es ist ein Programm, ein Anreiz, mit dem wir geringer qualifizierte und Langzeitarbeitslose veranlassen wollen, eine gering vergütete Tätigkeit aufzunehmen. Wir wollen jedoch - das sage ich ausdrücklich - keine Verhältnisse wie in den Vereinigten Staaten, wo jemand ein, zwei, drei, vielleicht vier Jobs annehmen muss, um unter dem Strich ein Einkommen zu haben, mit dem er sich und seine Familie ernähren kann. Das wollen wir ausdrücklich nicht. Wir wollen auch nicht das Abgleiten von Projekten dahin, dass Unternehmen tarifvertraglich gesicherte Arbeitsplätze in bezuschusste Arbeitsplätze umwandeln, meine Damen und Herren.

Ich finde, wir sind auf einem sehr guten Weg. Wir sind im Gespräch mit den Gewerkschaften und sind der Meinung, dass die Problematik, so wichtig die Debatte im Niedersächsischen Landtag und in den Fachausschüssen ist, nicht nur dort geführt werden kann und muss. Sie muss im Bündnis für Arbeit fortgesetzt werden und zu konkreten Vereinbarungen führen. Dazu rufe ich die Tarifvertragsparteien auf, und dazu wird die Politik ihren qualifizierten Beitrag leisten. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat der Kollege Wulff.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir können sicherlich gemeinsam feststellen, dass die Politik einer ruhigen Hand gescheitert ist.

(Beifall bei der CDU)

Herr Plaue, stellen Sie sich das einmal bildlich vor. Wenn einem das Wasser bis zum Halse steht wie momentan der Bundes- und Landesregierung, dann darf man den Kopf nicht hängen lassen und den Mund nicht so voll nehmen, schon gar nicht zu weit offen halten, weil man dann mit Sicherheit ertrinkt.

(Beifall bei der CDU - Groth [SPD]: Kommen Sie zum Thema! - Weitere Zurufe von der SPD)

Die Arbeitsmarktzahlen in Deutschland und in Niedersachsen sind gerade von Ihnen schöngeredet worden,

(Plaue [SPD]: Quatsch!)

aber ohne, dass dies noch irgendjemanden in Deutschland und in Niedersachsen erreichen würde.

(Plaue [SPD]: 4,8 Millionen!)

Denn seit Januar 2000 steigen die Arbeitslosenzahlen saisonbereinigt Monat für Monat an. Dass dieses Thema jetzt erstmals nach Jahren bei Ihnen hektische Aktivitäten in Form eines Antrages hervorruft, liegt einzig daran, dass wir jetzt wieder die magische Vier-Millionen-Grenze überschritten haben.

(Plaue [SPD]: Bei Ihnen waren es 4,8 Millionen!)

Das ist deshalb so dramatisch, weil die Zahl der Erwerbsfähigen in Deutschland Jahr für Jahr abnimmt. Statistischen Angaben zufolge ist seit 1998 die Zahl der Erwerbsfähigen um 668 000 Menschen zurückgegangen, weil oben sehr viel mehr in Rente gehen, als unten junge Leute in den Arbeitsmarkt nachkommen.

(Möllring [CDU]: Das ist Fakt!)

Das heißt, wenn man diesen Effekt herausrechnet, dann hätte man eine dramatische Bilanz, nämlich dass die Zahl der Arbeitslosen, die bei Ihrer Regierungsübernahme im Jahre 1998 3,8, 3,9 Millionen betrug, gegenwärtig bei über 5 Millionen läge in Anbetracht der Arbeitslosenzahl von 4,3 Millionen, die wir im Februar für Januar erwarten.

(Beifall bei der CDU)

Ich meine, dass es Ihnen außerordentlich zu denken geben muss, dass Sie Überstundenrekorde, Schwarzarbeitrekorde und Insolvenzrekorde erzielen - die nächste Statistik der Insolvenzen wird ja in den nächsten Tagen vorgelegt -, und nicht dort gute Ergebnisse erzielen, wo Sie sie verkündet, versprochen und den Menschen zugesichert haben. Die Beschäftigtenstatistik können Sie hier natürlich nicht anführen, denn wenn man die 630DM-Jobs so umgestaltet, wie Sie es gemacht haben, dann hat man zwar mehr als eine Million neuer Jobs,

(Plaue [SPD]: So ist es!)

aber man verheimlicht, dass man fast eine Million 630-Mark-Jobs - es waren nämlich zweieinhalb

Millionen - vernichtet hat und denen, die fleißig waren, das zusätzliche Einkommen genommen hat.

(Beifall bei der CDU - Plaue [SPD]: Abenteuerliche Argumentation!)

Niedersachsen, Herr Plaue, ist in der jüngsten Arbeitslosenstatistik mit 9,2 % das alleinige Schlusslicht unter den westdeutschen Flächenländern,

(Möllring [CDU]: Ja!)

und wir sind inzwischen erstmals in der Geschichte Deutschlands Vorletzter - nur Bremen liegt noch hinter uns - bei der Arbeitslosenstatistik der alten elf Bundesländer.

(Plaue [SPD]: Bei den sozialpflichtig Beschäftigten haben wir einen Spit- zenplatz!)

Im Februar werden sich fast 400 000 Niedersachsen arbeitslos gemeldet haben, und das vor dem Hintergrund, dass Ihr damaliger Ministerpräsident und der jetzige Bundeskanzler gesagt hat, wenn es uns nicht gelinge, die Arbeitslosigkeit spürbar zu senken, hätten wir es nicht verdient, wiedergewählt zu werden. Und das haben Sie nicht verdient.

(Beifall bei der CDU - Plaue [SPD]: Das ist Quatsch!)

Herr Plaue, wo nimmt man eigentlich in einer solchen Situation, nach solchen Versprechungen die Motivation her, einen Antrag vorzulegen unter der Überschrift: „Neue Wege in der Arbeitsmarktpolitik erproben“, in dem steht:

„Der Landtag fordert die Landesregierung auf,“

- man will sie also zum Jagen tragen

„im Bündnis für Arbeit und Ausbildung gezielt Gespräche mit Unternehmen und Unternehmensverbänden... zu initiieren, um...“

(Zurufe von der SPD)

- ich zitiere aus Ihrem Antrag, der hier zur Beratung ansteht

„kurzfristig Lösungen zu erarbeiten, wie die Zahl der Überstunden begrenzt werden kann...“?

(Frau Pawelski [CDU]: Wieder einen runden Tisch!)

Wenn Sie also noch nicht über Lösungen verfügen, dann sollten Sie sich in die Regeneration begeben, aber nicht so tun, als würden Sie das Land seit 11 Jahren gut regieren, obwohl Sie noch dabei sind, die Regierung zu bitten, über etwas nachzudenken, worüber wir das Nachdenken längst abgeschlossen haben und ins Handeln übergehen wollen.