Protocol of the Session on September 17, 2001

Mit Ihrem Versuch, Springerklassen einzurichten, um zwei Geschwindigkeiten zum Abitur zu ermöglichen, sind Sie kläglich gescheitert. Zum letzten Schuljahresbeginn haben ganze vier Gymnasien in Niedersachsen Springerklassen eingerichtet - mit sage und schreibe insgesamt 58 Schülerinnen und Schülern, meine Damen und Herren.

(Frau Seeler [SPD]: Es gibt keinen Bedarf mehr!)

Zu diesem Schuljahresbeginn haben lediglich zwei weitere Schulen eine Springerklasse eingerichtet. Deutlicher kann man Scheitern nicht dokumentieren, Frau Ministerin.

Auch jetzt weiß niemand, was Sie eigentlich wollen. Alle Entscheidungen sind im Rahmen der un

gelösten Schulstrukturfrage erst einmal verschoben worden.

Die CDU-Landtagsfraktion hat auch für das Gymnasium klare konzeptionelle Vorstellungen. Unser Antrag zur Qualitätsoberstufe bildet dabei einen wichtigen Baustein. Handeln Sie jetzt, meine Damen und Herren, statt weiterhin wertvolle Zeit zu verschwenden und in Entschlusslosigkeit und Entscheidungsunfähigkeit zulasten der Schülerinnen und Schüler und des Bildungsstandortes Niedersachsen zu verharren! - Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Frau Kollegin Litfin hat das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das, was die Frau Kollegin Körtner hier bei ihren einleitenden Worten von sich gegeben hat, ist ja durchaus nicht falsch. Allerdings kann ich die Probleme von heute einfach nicht mit den Maßnahmen von gestern lösen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Wir werden nicht weiterkommen, wenn wir die gymnasiale Oberstufe wieder so organisieren, wie sie in den 50er- und 60er-Jahren gewesen ist. Das ist damals schon falsch gewesen und heute erst recht.

Dazu, dass die Kollegin Körtner beklagt, junge Studierende hätten Probleme mit dem Rechnen und mit dem Schreiben und mit dem Lesen, muss man sagen, dass diese Grundfertigkeiten und auch das von ihr angesprochene Basiswissen doch viel eher vermittelt werden, dass es in der gymnasialen Oberstufe eigentlich zu spät ist und dass insoweit der Ansatz der CDU viel zu spät kommt. Der Ansatz, diese so genannten Grundfertigkeiten zu vermitteln, muss also sehr viel früher kommen. Ich bin abgrundtief davon überzeugt - und mit mir viele Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen -, dass wir das nur schaffen werden, wenn wir die Art und Weise des Schule Haltens, die bei uns noch üblich ist, ändern. Die Veränderung muss in den Schulen, im Unterricht stattfinden. Ich denke, das ist der richtige Weg. Wenn ein Studienrat in einer Publikation beklagt, ihm säßen freundlich desinteressierte Schüler und Schülerinnen gegenüber, dann

muss es uns nicht wundern, dass sie von dem Stoff, der ihnen vermittelt werden soll, sehr, sehr wenig aufnehmen. Aber wir müssen auch alle gemeinsam überlegen, wie man das anders gestalten kann. Wir haben dafür ja auch Beispiele. Wir können in unsere Nachbarländer schauen. Dort wird Unterricht anders abgehalten, und die Erfolge sind eben auch besser.

Die Kultusministerkonferenz hat sich schon diverse Male mit der gymnasialen Oberstufe beschäftigt und in ihrem Beschluss vom 14. April 2000 - Selbstgesteuertes Lernen in der Weiterbildung dazu aufgefordert, das eigenverantwortliche Lernen der Schüler und Schülerinnen durch neue Lehr- und Lernkulturen nachhaltig und systematisch zu fördern. So einen Ansatz vermisse ich im Antrag der CDU; auch deshalb ist er abzulehnen. So einen Ansatz vermisse ich leider aber auch beim Handeln der Landesregierung. Denn ich sehe nicht, dass sich die Landesregierung bzw. das Kultusministerium bemüht, die Schulen in die Lage zu versetzen, so zu arbeiten, dass Abiturienten und Abiturientinnen ihr Studium aufnehmen und über die Schlüsselqualifikationen, insbesondere über die Fähigkeiten, selbstständig arbeiten und sich etwas erarbeiten zu können, verfügen.

Getan werden muss eine ganze Menge. Ich habe einen umfangreichen Änderungsantrag vorgelegt - den ich jetzt hier nicht vortragen werde, weil meine Zeit nicht reicht -, der Auskunft darüber gibt, welche einzelnen Maßnahmen ergriffen werden sollen, und habe Modellversuche gefordert, um auszuprobieren, wie wir das hier in Niedersachsen realisieren können. Leider ist dieser Änderungsantrag im Kultusausschuss ohne große Debatte abgelehnt worden. Aber, meine Damen und Herren, ich kann Ihnen versprechen, dass dieser Antrag bald wieder gestellt werden wird. Ich werde Sie weiter damit quälen. Vielleicht erreichen wir dann gemeinsam doch noch etwas Gutes.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, dass Sie das Quälen auf künftige Sitzungen verschoben haben. Dadurch hat der Kollege Wulf das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegin Körtner, hier wird nicht

verharrt, sondern diese Landesregierung gestaltet und gestaltet auch die gymnasiale Oberstufe.

(Frau Körtner [CDU]: Wann denn?)

Sie wissen ganz genau, dass es hierzu auch einen Anhörungsentwurf geben wird, der ganz klare Prinzipien enthalten wird. Ich finde es beklagenswert, liebe Kollegin Körtner, mit anzusehen, wie die CDU mit ihrer Bildungspolitik eigentlich immer wieder gegen die Wand fährt.

(Frau Vockert [CDU]: Oh nein!)

Das ist auch bei diesem Antrag wieder einmal der Fall. Den Antrag zur gymnasialen Oberstufe, den Sie hier vorgestellt haben, hat der Kultusausschuss nach Anhörung der Fachexperten abgelehnt. Das war eindeutig. Dieser CDU-Antrag will die Abschaffung einer Schulform, die unter Ihren Ministern hier im Lande eingeführt worden ist. Genauso wie bei der Orientierungsstufe sind Sie dabei, sich von Ihrer bildungspolitischen Vergangenheit sozusagen zu verabschieden.

(Klare [CDU]: Hast du das mit Sig- mar Gabriel besprochen? Was sagt der MP dazu?)

Jetzt geht es also der gymnasialen Oberstufe an den Kragen. Auch die wollen Sie zurück in die 50er-Jahre beamen. Sie schreiben, die reformierte Oberstufe hätte sich als Irrweg erwiesen. Dabei war das mal Ihr eigenes Programm. Daran möchten Sie offensichtlich nicht erinnert werden.

Sie kehren mit dem, was Sie hier vorlegen und fälschlicherweise auch noch als Qualität bezeichnen, zurück zu einem Schulsystem der 50er- und 60er-Jahre. Dabei glaubten wir eigentlich, dass wir das überwunden hätten. Jetzt kommen Sie damit an und wollen uns verstaubte Rezepte aus der Frühzeit unserer Republik vorlegen, Dinosaurier der Schulpolitik, so würde ich fast sagen. Das kann nicht die Zukunft für unsere Kinder und Jugendlichen sein. Sie bezeichnen das immer wieder als Qualitätsoberstufe. Der Inhalt wird dadurch nicht besser. Von Qualität jedenfalls kann bei dem, was Sie hier vorlegen, überhaupt keine Rede sein.

Die Anhörung hat es ganz klar nachgewiesen. Der übergroße Teil der Experten hat klar gesagt, dass insbesondere die Abschaffung der Differenzierung zwischen Leistungskursen und Grundkursen genau das Gegenteil dessen bewirkt, was Sie wollen,

nämlich eine erhöhte Leistungsfähigkeit und Selbständigkeit der Schülerinnen und Schüler.

(Frau Körtner [CDU]: Wer hat das denn gesagt?)

Sie zerschlagen nämlich den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, sich vertiefend mit fachlichen Schwerpunkten auseinander zu setzen. Sie reden von Allgemeinbildung. Aber durch die Abschaffung der Leistungskurse z. B. bei Deutsch oder Mathematik wird keine Vertiefung mehr möglich sein. Auch wir wollen natürlich eine solide Grundbildung. Aber wir wollen auch die Entwicklung einer individuellen Schwerpunktsetzung für unsere Schülerinnen und Schüler erreichen. Mit dem, was wir als Profiloberstufe anstreben, werden wir das noch weiter vertiefen.

Sie jedoch machen mit dem, was Sie vorhaben, Leistungsanreize kaputt und erreichen damit genau das Gegenteil von dem, was Sie immer postulieren, nämlich Qualität. Ihr Ziel und Ihr Mittel sollen dabei sein: zurück zum Klassenverband. Sie nennen das dann auch noch Lerngruppenstabilität. Die Experten haben Ihnen in der Anhörung klar nachgewiesen, dass die Kinder und Jugendlichen z. B. bis zur 11. Klasse bereits im Klassenverband unterrichtet werden. Es komme darauf an, dass es z. B. in der 12. und 13. Klasse notwendig sei, auf eine qualitativ höhere Ebene zu kommen, nämlich in flexiblen Gruppen, um die bis dahin erworbene Teamfähigkeit auch anzuwenden. In wissenschaftspropädeutischer Hinsicht ist gerade dies das entscheidende Moment, um sich in neuen Gruppen zusammenzufinden und Kooperationsfähigkeit zu entwickeln. Das ist die entscheidende Bedeutung dieser Maßnahme. Ihre Forderung nach Fortführung der Klassenverbände ist also ein absoluter Schritt zurück und wäre ein Schritt zur Bevormundung der Schülerinnen und Schüler. Das wurde z. B. in der Anhörung u. a. vom Schulleiterverband als überholt und antiquiert bezeichnet.

(Zurufe von der CDU)

- Zu Recht, meine Damen und Herren, zu Recht! Sie reden von nicht vorhandener Leistung, von angeblich mangelnder Qualität. Wer die Wirklichkeit kennt, die tagtäglich an unseren gymnasialen Oberstufen praktiziert wird, weiß, dass das eine Beleidigung der Schülerinnen und Schüler und der Lehrkräfte ist, die dort täglich ihre harte Arbeit leisten. Dort wird wirklich intensiv gearbeitet. Ich meine, die Schülerinnen und Schüler werden Ihnen

das auch mit ihrem entsprechenden Wahlverhalten beweisen, wie das beispielsweise auch bei der Kommunalwahl der Fall gewesen ist. Die SPD hat eindeutig die Mehrheit bei den Erstwählerinnen und -wählern bekommen.

(Zuruf von der CDU: Wie bitte? - Klare [CDU]: Seit wann gibt es Erst- und Zweitwähler?)

Wir haben schon immer die demokratische Leistungsschule gefordert, und wir werden das auch weiterhin tun. Wir wollen, dass die Persönlichkeitsentwicklung an unserer gymnasialen Oberstufe im Mittelpunkt steht. Das spielt bei Ihrem Antrag in keiner Art und Weise eine Rolle.

Sie glauben darüber hinaus auch noch, mit einer durchgehenden Festlegung von Unterrichtsfächern bis zum Abitur, mit der Festlegung bestimmter zu prüfender Fächer in der Abiturprüfung etwas zu erreichen. Das ist aber falsch. Es kommt nicht entscheidend darauf an, Fächer durchgehend zu entwickeln, sondern es kommt entscheidend darauf an, was qualitativ, inhaltlich dort abläuft.

Im Übrigen ist es auch noch bemerkenswert, dass Sie in Ihrem Entwurf die Fächer Kunst, Musik, darstellendes Spiel, Philosophie, Politik, Erdkunde, Informatik und Pädagogik total entwerten. Das alles scheint bei Ihnen überhaupt keine Rolle mehr zu spielen. Dann frage ich mich natürlich: Was heißt dann eigentlich noch bei Ihnen Allgemeinbildung?

Zahlreiche Experten haben darauf hingewiesen, dass das Grundrecht auf Bildung durch das, was Sie vorhaben, erheblich eingeschränkt wird. Allgemeinbildung wird damit jedenfalls nicht vermittelt.

(Beifall bei der SPD)

Ich sage es noch einmal eindeutig: Es kommt entscheidend darauf an, wie Unterricht gestaltet wird und was Inhalt von Unterricht ist. Das wissen wir doch spätestens seit der TIMSS-Untersuchung. Mit Ihren Vorschlägen kommen wir überhaupt nicht weiter. Sie doktern doch nur an Symptomen herum.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Auf den wahren Kern kommen Sie überhaupt nicht. Beispielhaft ist das vom Vertreter des Schulleiterverbandes in der Anhörung ausgeführt worden. Er machte deutlich, dass das Gymnasium

seine größten Defizite nicht in der Organisationsstruktur habe, sondern beim Schaffen neuer Lehrund Lernformen. Er und andere haben darauf hingewiesen, dass es viel logischer ist, statt Fächer vorzuschreiben, eine vertiefte wissenschaftliche Propädeutik an ausgewählten Inhalten zu betreiben. Das wäre eine sinnvolle Vorbereitung auf das Hochschulstudium oder eine berufliche Ausbildung.

Es kommt u. a. auch darauf an, Studierfähigkeit zu entwickeln. Da hat Frau Litfin völlig Recht gehabt. Wir haben genau dort angesetzt, und mit unseren Vorstellungen zur Reform der Oberstufe werden wir das auch realisieren. Nach unseren Vorstellungen sollen im Schuljahr bis zu 30 Wochenstunden

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

ausschließlich der Vermittlung von Kenntnissen im Bereich der Technik geistigen Arbeitens zur Verfügung stehen. Genau das ist der Punkt, auf den es entscheidend ankommt. Wir müssen uns über schulische Qualität unterhalten. Das ist eben nicht immer nur eine Frage des Geldes oder von mehr Lehrkräften, sondern eine Frage dessen, was in der Schule läuft.

Völlig entlarvend ist es, wenn Sie das in Verbindung bringen mit Ihrer Forderung nach Verkürzung der Schulzeit auf zwölf Jahre. Sie haben in Ihrem Papier keinen einzigen Hinweis dafür gebracht, wie die erforderlichen 265 Unterrichtsstunden, welche die KMK vorschreibt, bis zum Erreichen des Abiturs realisiert werden sollen.

Wir haben das natürlich intensiv in der Schulstrukturdebatte auch mit den Betroffenen diskutiert und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass wir bei der generellen Einhaltung von 13 Jahren bis zum Abitur bleiben wollen. Aber für diejenigen, die es können und wollen, wollen wir die Möglichkeit eröffnen, dies auch in zwölf Jahren bei entsprechend anders strukturierten Bildungsgängen zu schaffen.

Sie wissen sicherlich alle, meine Damen und Herren, dass solche rückwärts gewandten Konzepte wie das der CDU

(Anhaltende Unruhe - Glocke des Präsidenten)