Protocol of the Session on September 17, 2001

Vor allem die Städte haben derzeit gigantische Einnahmeausfälle im Bereich der Gewerbesteuer zu verzeichnen: aufgrund der Möglichkeit der pauschalen Verrechnung von Einkommen- und Gewerbesteuer, aber auch aufgrund der Steuerfreiheiten bei Kapitalgesellschaften.

Diese Ausfälle werden im nächsten Jahr noch sehr viel drastischer sein.

Vor dem Hintergrund wünschte ich mir, dass das Konnexitätsprinzip des Artikels 104 a des Grundgesetzes auch auf das Verhältnis zwischen Bund und Kommunen übertragen und dass die Niedersächsische Landesregierung die Bundesregierung stärker daran erinnern würde, dass es nicht sein kann, Wohltaten zu Lasten der Kommunen zu verteilen. Hier hat jeder sein eigenes Scherflein zu tragen!

(Beifall bei der CDU)

Die Wahlbeteiligung bei den Kommunalwahlen ist in Deutschland überall zurückgegangen, woanders sogar stärker als in Niedersachsen. Ein Stück weit wird sie zurückgegangen sein, weil sich die Menschen fragen, ob die Räte, die sie wählen sollen, überhaupt noch etwas zu sagen haben. Als die neue Mehrheit in Salzgitter nach ihrem Wahlsieg die Parkgebühren senken wollte, ist die Kommunalaufsicht eingeschritten. Auch als die Stadt Hannover die Senkung von Kindertagesstättengebühren diskutiert hat, ist die Kommunalaufsicht eingeschritten. Als die Gemeinde Bad Bederkesa disku

tiert hat, um das Wachstumspotenzial im Fremdenverkehr auszuschöpfen und um die wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben zukünftig keine Fremdenverkehrsabgaben mehr zu erheben, ist die Kommunalaufsicht eingeschritten und hat genau dieses vorgeschrieben.

Es ist beängstigend, dass inzwischen schon 187 Gemeinden Bedarfszuweisungen erhalten und gezwungen sind, freiwillige Leistungen zu streichen. Es ist beängstigend, dass einzelne Samtgemeinden bereits ihre Selbstauflösung beantragt haben, weil ihre Gestaltungsspielräume zu gering geworden sind.

Meine Damen und Herren, würden Sie Ihre Aussage, die Gestaltungsspielräume der Kommunen erweitern zu wollen, ernst meinen, würden Sie Ihren Gesetzentwurf zur Landesraumordnung zurücknehmen.

(Beifall bei der CDU)

Das wäre ein erstes sichtbares Signal dafür, dass Sie aus dem Wahlergebnis auch Konsequenzen ziehen, dass Sie mit den Kommunen Politik machen wollen und nicht gegen sie und dass Sie die Entscheidungen kommunaler Räte und Entscheidungsträger ernst nehmen. Die nächsten Monate bieten viele Gelegenheiten, bei denen Sie unter Beweis stellen können, dass Sie dieses Wahlergebnis, das sich gegen die Politik als solche - wegen der Wahlbeteiligung - und gegen Sie - wegen des Wahlergebnisses - richtet, dahin umsetzen, dass Sie denen, die Wünsche haben, auch entgegen kommen, etwa indem diejenigen, die den Schienenpersonennahverkehr selbst organisieren, nicht warten müssen, bis das Landesnahverkehrsgesetz geändert wird.

Besonders problematisch ist die Situation der Kommunen im ländlichen Raum. Wir brauchen eine wirkungsvolle Wirtschaftsförderung für die Fläche und ein deutliches Zeichen zur Förderung der Infrastruktur im ländlichen Raum. Der ländliche Raum darf nicht Nebensache sein. Unsere Forderung nach einem „Solidarpakt Ländlicher Raum“ entspringt dem Gedanken, dass gerade im ländlichen Raum unsere Zukunftschancen liegen.

Sie haben die Landwirtschaft erwähnt. Wir meinen, die Landwirtschaft muss unser Partner, nicht unser Gegner sein. Der Haushaltsplanentwurf, den Sie vorgelegt haben, erweckt jedoch den gegenteiligen Eindruck. Nach Ihren Vorstellungen soll der Anteil des Agrarhaushalts am Gesamthaushalt im

nächsten Jahr bei unter 2 % liegen. Vor etwa zehn Jahren betrug er noch 4 %. Die Landwirtschaft ist aber der zweitwichtigste Wirtschaftszweig unseres Landes nach der Automobilindustrie.

Wir wünschten uns, Sie würden darüber nachdenken, wie sich verhindern ließe, dass unsere Landwirtschaft einem größer gewordenen Wettbewerb schutzlos ausgeliefert ist. In Bayern hat die Staatsregierung 600 Millionen DM Landesmittel für die Not leidende Landwirtschaft nach der BSE-Krise bereitgestellt; in Niedersachsen waren es 10 Millionen DM. In Niedersachsen - der Hinweis darauf muss erlaubt sein - verfallen im nächsten Jahr insgesamt 43 Millionen DM Fördermittel, weil die notwendigen Komplementärmittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ nicht zur Verfügung gestellt werden. Das ist erstens ein Wortbruch, weil Sie immer gesagt haben, Komplementärmittel würden bereitgestellt, und zweitens eine Vernachlässigung gerade dieses Wirtschaftszweigs Landwirtschaft im ländlichen Raum.

(Beifall bei der CDU)

Die Strukturschwäche des Landes darf hier nicht als Ausrede herhalten. Strukturschwäche ist kein unabwendbares Schicksal und kein Dauerzustand, sondern daran lässt sich etwas ändern. Schauen wir in den Landkreis Rotenburg, schauen wir in den Landkreis Emsland! Diese Landkreise hat man früher als Armenhaus der Republik bezeichnet. Heute stehen sie an der Spitze der Landkreise in Niedersachsen. Was in Rotenburg und im Emsland möglich war, ist auch in Ostfriesland, im Weserbergland oder in der Heide möglich. Dazu muss man diese Regionen aber besser erschließen und entwickeln.

(Beifall bei der CDU)

Der Haushalt, den Sie, Herr Aller, eben eingebracht haben, lässt jedoch alles beim Alten: neue Schulden, Verkauf von Landesvermögen, Buchungen mit globalen Minderausgaben. Sie fügen lediglich die globalen Mehreinnahmen hinzu, um das Haushaltsloch in Höhe von 8 Milliarden DM in den nächsten zwei Jahren zu schließen. Dieses Loch entsteht, wenn man die Einnahmeansätze den Ausgabenansätzen gegenüberstellt und die Schuldenaufnahme und die genannten Punkte außer Betracht lässt. Sie wissen, dass das nicht unsere Zustimmung finden kann.

Der Ministerpräsident hat 1999 eine Regierungserklärung mit dem Titel: „Mehr Politik wagen“ abgegeben. Die Frankfurter Rundschau schrieb vor wenigen Tagen: „Aber alles, was Gabriel derzeit an Politik wagt, ist das Konservieren seiner Macht.“ Ein führender Sozialdemokrat wird zitiert mit: „Es fehlt die Vision, der innere Kompass.“

Deshalb die Frage: Was war mit dem letzten Haushalt angekündigt worden? - Angekündigt war der Abbau der Nettoneuverschuldung. Aber darauf warteten wir 2001 vergeblich, und darauf warten wir auch 2002 vergeblich. - Angekündigt waren ein Abbau der Personalkosten, nachhaltige Einsparungen und eine Verstärkung der Investitionen. Nichts davon finden wir in diesem Haushaltsplanentwurf wieder.

(Möllring [CDU]: Eher das Gegen- teil!)

Der Abbau der Personalkosten findet gerade nicht statt, sondern der Stellenbestand steigt - ohne Berücksichtigung der Planungen bei der Polizei, aber inklusive der Landesbetriebe - gegenüber 2001 um 712 auf 179 248 Stellen. In der Mittelfristigen Planung 1989 bis 1993 waren inklusive der Landeskrankenhäuser und der Universitäten 173 334 Stellen ausgewiesen. Danach ist der Stellenbestand gegenüber 1990 um rund 6 000 Stellen gestiegen.

Was uns dabei aber besonders bedrückt, ist, dass zwar der Stellenbestand in den vergangenen elf Jahren netto um 6 000 Stellen gestiegen ist, dass die Unterrichtsversorgung aber damals besser und die Polizeidichte damals höher war. Das ist auch ein Teil der Wahrheit.

(Beifall bei der CDU)

Wenn wir uns hier ernst nehmen - das tun wir ja -, dann möchte ich daran erinnern, dass der Ministerpräsident gesagt hat: „Wir dürfen unsere Kinder nicht mit unseren Schulden belasten.“ - Der Haushalt spricht jedoch eine andere Sprache. Mit Neuverschuldung, Entnahme aus der Rücklage - das sind ja Ermächtigungen für Kredite - und der versteckten Kreditaufnahme bei der HanBG summieren sich die Schulden allein in diesem Doppelhaushalt auf 7 000 Millionen DM. Mit den Haushaltsplänen der Jahre 2001 bis 2003 machen Sie insgesamt 10,4 Milliarden DM Schulden. Das ist schlichtweg Schuldenrekord in Niedersachsen. So viele Schulden hat in Niedersachsen seit 1946 niemand innerhalb von drei Jahren gemacht.

(Beifall bei der CDU)

Herr Aller, als ich gestern Abend mit meinen Schwiegereltern ein Gespräch zur Vorbereitung auf die Haushaltsdebatte geführt habe, berichteten sie mir - ich habe das noch nicht nachlesen können -, dass Sie im Weser-Kurier angekündigt hätten - deshalb sei das für mich keine so einfache Situation -, 2006 die Nettoneuverschuldung auf Null zu bringen. Dabei hätten Sie auch auf die Bundespolitik verwiesen.

Sie haben eben gesagt, Sie wollten keinen Tag, keinen Zeitraum nennen, Sie könnten nicht genau sagen, wann das sein wird. - Wir sehen uns an, was der Doppelhaushaltsplanentwurf und die Mittelfristige Planung ausweisen. Darin sehen Sie im nächsten Jahr 1,35 Milliarden Euro, ein Jahr später 1,3 Milliarden Euro, ein Jahr später 1,25 Milliarden Euro und wiederum ein Jahr später 1,2 Milliarden Euro vor, also immer 50 Millionen Euro weniger pro Jahr.

Wenn das gelingen würde - bisher haben Sie es zwar auch immer geplant, aber nie gemacht -, hätten wir im Jahr 2030 eine Nettoneuverschuldung von Null, allerdings eine Gesamtverschuldung von mehr als 130 Milliarden Euro plus der aufgelaufenen bereits eingegangenen Pensionsverpflichtungen, die wahrscheinlich noch einen höheren Betrag ausmachen als die Verschuldung des Landes. Damit wäre das Land irgendwann vor 2030, spätestens jedoch 2030 völlig handlungsunfähig.

(Beifall bei der CDU)

Es beunruhigt uns, Herr Minister Aller, dass Botschaften ins Land gesetzt werden, die mit der Realität so gar nichts zu tun haben.

In Ihrer Einbringungsrede fiel mehrmals das Wort „Ehrlichkeit“. „Ehrlichkeit“ heißt für uns auch, Einnahmen und Ausgaben im Sinne der Landeshaushaltsordnung solide und mit größtmöglicher Genauigkeit zu errechnen. Aber die 2 % Wachstum, die Sie dem Haushalt zugrunde legen, sind vermutlich nicht mehr realistisch. Deutschland ist inzwischen am Ende des europäischen Geleitzuges. Früher saßen wir vorne in der Lok und haben Tempo und Richtung bestimmt; im Moment sitzen wir hinten und sind Schlusslicht im Wirtschaftswachstum.

Es wäre auch einmal Zeit, Bilanz zu ziehen. 1990 wurde versprochen: „Wenn wir regieren, gehen wir ganz stark voran und rücken gegenüber den ande

ren Ländern auf.“ - 1998 lagen wir gemeinsam mit dem Saarland jedoch auf dem letzten Platz bei der Arbeitslosigkeit. - Dann wurde gesagt: „Aber wenn wir erst in Berlin regieren, werden wir die Arbeitslosigkeit nachhaltig und dramatisch senken, ansonsten hätten wir es gar nicht verdient, wiedergewählt zu werden.“ - Jetzt sind wir bei Wachstum, Arbeitslosigkeit und Beschäftigungsdynamik Schlusslicht in Europa.

Ich finde es auch nicht besonders ehrlich, dass Sie keine Vorsorge für die zu erwartende BEBEntscheidung getroffen haben. Sie haben versäumt, dies in die Gespräche über den Länderfinanzausgleich einzubringen, damit die anderen Länder - jedenfalls in einer Art Fußnote - eine Absichtserklärung hätten abgeben können, dass sie die gegebenenfalls erforderlichen Rückzahlungen selbstverständlich in den Länderfinanzausgleich eingerechnet sehen wollen.

Wir hätten uns gewünscht, dass Landesregierung und SPD-Fraktion den Haushaltsplanentwurf nicht schon vor seiner Einbringung durch die Ankündigung von zusätzlichen Programmen bei der Polizei und anderen obsolet gemacht hätten. Wir erwarten also auch eine Richtigstellung des Zahlenwerks um die Ankündigungen, die in den letzten Wochen vor der Kommunalwahl gemacht worden sind. Sonst können wir gar nicht erst in die Beratungen einsteigen.

Sie sagen, Sie machten eine ehrliche Haushaltspolitik. Ich finde es aber nicht besonders ehrlich, wenn Sie in dem Haushalt Kürzungen vorwegnehmen, für die gesetzliche Änderungen notwendig sind, aber diese gesetzlichen Änderungen über ein Haushaltsbegleitgesetz der SPD-Fraktion einbringen. Damit vermeiden Sie die Anhörung des Beamtenbundes, der Wasserverbände, der Kammern und der Sozial- und Wohlfahrtsverbände. Als das Ergebnis der Kommunalwahl vorlag, haben Sie gesagt, die gesellschaftlichen Gruppen müssten stärker eingebunden werden. Ich hätte mir gewünscht, Sie würden das auch beim Haushalt praktizieren und die Anhörungsrechte wahren.

(Beifall bei der CDU)

Wir als Opposition haben immer nur zwei Möglichkeiten: entweder Einsparungsvorschläge zu machen und darauf zu vertrauen, dass die Regierung einsichtig ist, oder demnächst zu regieren. Wir haben hier immer wieder Vorschläge für umfassende Einsparungen und Strukturveränderungen

gemacht. In unseren Anträgen der letzten Jahre sind hunderte von Beispielen enthalten: zu den Subventionen, zu den Verwaltungskosten, zur Öffentlichkeitsarbeit, zur Reform der Landesverwaltung und des Personalmanagements und zum Abbau der Überbürokratisierung.

Schaut man im Haushalt nach, wie Sie das handhaben, ist man doch sehr erschrocken. Ich finde es schon bedeutsam, dass die Landesregierung angesichts der Kürzungen im investiven Bereich, der mangelhaften Unterrichtsversorgung und der Kürzungen im sozialen Bereich ihre Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit massiv erhöht. Im Jahr 2000 standen dafür 10,4 Millionen DM zur Verfügung, im Jahr 2002 sollen es 16,9 Millionen DM sein. Damit steigen die Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit im Vorfeld der nächsten Landtagswahl um 63 %.

(Zuruf von der CDU: Unglaublich)

Daran merkt man: Es geht nicht um gute Politik, sondern es geht nur um das teure Verkaufen von Politik.

(Beifall bei der CDU)

Sie müssen es als Partei aber bitte schön selbst bezahlen und nicht etwa den Steuerzahler bezahlen lassen, dass diese vernichtende Bilanz öffentlichkeitswirksam dargestellt wird.

(Beifall bei der CDU)

Wir wollen Entscheidungen, dass die Infrastruktur des 19. Jahrhunderts abgestoßen und die Infrastruktur des 21. Jahrhunderts aufgebaut wird. Wir wollen die Rücklage für eine aktive Beschäftigungspolitik, für eine Unterrichtsgarantie mit 3 000 zusätzlichen Lehrern und für die Sanierung der Landesfinanzen verwenden und davon nicht irgendwann Wahlgeschenke finanzieren. Wir wollen vor allem, dass durch den Verzicht auf die Bezirksregierungen die kommunale Ebene gestärkt und Verwaltungskosten gespart werden.

(Beifall bei der CDU)

Wir müssen uns nur einmal die Vorschläge des Landesrechnungshofs anschauen. Sie führen zu einem modernen Niedersachsen.

Auch gegenüber dem Bund sollte der Grundsatz gelten: Wer die Musik bestellt, muss sie auch bezahlen. Es darf sich nicht wiederholen, dass wir bei Lasten herangezogen werden, bei Einnahmen

- 100 Milliarden DM Erlöse aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen - aber der Bund im Prinzip alleiniger Nutznießer ist, und das, obwohl die bei uns beheimateten Unternehmen dadurch sogar Einnahmeausfälle zu erwarten haben.