Protocol of the Session on June 14, 2001

(Fischer [CDU]: Das ist ja eine Kurzintervention!)

- Wir können ja mal ein bisschen üben.

Ich meine, Ihr Argument trägt an einer Stelle, indem Sie damit auch rechtfertigen, warum z. B. Leute, die viel verdienen, aus dem Ehegattensplitting auch viel zurück kriegen. Wie erklären Sie dann aber, dass ein Paar - -

(Möllring [CDU]: Das ist eine ganz normale Folge der Steuerprogressi- on!)

- Das sage ich doch. Lieber Herr Möllring, genau das sage ich. Dieses Argument halte ich für einleuchtend. So haben wir uns in unseren Steuerregelungen entschieden.

Was ich aber noch nicht verstehe, Herr Wulff, wird an dem folgenden Beispiel deutlich: Ehepartner, die beide halbtags arbeiten und gemeinsam auf ein Einkommen beispielsweise von 5 000 DM im Monat kommen - sie verdient 2 500 DM, er verdient 2 500 DM -, haben null Privilegien aus dem Ehegattensplitting.

(Zuruf von Bontjer [SPD])

- Das ist so!

(Möllring [CDU]: Die zahlen die glei- chen Steuern! Die haben nicht einen Pfennig Nachteil!)

Wenn er alleine 5 000 DM verdient und sie gar nichts verdient, dann gibt es durch das Ehegattensplitting ungefähr 600 DM monatlich steuerliche Erleichterung. Das heißt, hier wird ein Modell - das Familieneinkommen bleibt gleich - steuerlich privilegiert. Das leuchtet mir nicht ein.

(Zustimmung bei den GRÜNEN - Möhrmann [SPD]: Das ist aber falsch! - Wegner [SPD]: Das ist falsch, was Sie sagen!)

Wir wollen darauf achten, dass es nicht zu weit ausartet. Herr Wulff noch ganz kurz als Reaktion, weil Sie gefragt wurden.

Vielleicht denken Sie heute Abend über das Beispiel nach, dass Sie mit Ihrem Einkommen von etwa 100 000 DM als Landtagsabgeordnete erheblich mehr Steuern zahlen müssen als drei Personen einer Familie, die jeweils 30 000 DM im Jahr verdienen, die nämlich gar keine Steuern zahlen müssen. Das ist genau die Besteuerung nach Leistungsfähigkeit, die natürlich eine Progression in sich trägt. Wenn einer das höhere Einkommen erzielt, ist möglicherweise gerade der andere stärker daran gehindert, ähnliche Einkünfte zu erzielen, weil dies besondere familiäre Beanspruchungen mit umfasst. Die Gründe für eine unterschiedliche Besteuerung liegen in der Progression des Steuerrechts, wie wir es nach Artikel 20 - Sozialstaatsgebot - in Deutschland haben.

(Zustimmung bei der CDU)

Meine Damen und Herren, damit hat sich genügend Gesprächsstoff für die Beratung im Ausschuss angesammelt.

Wir kommen zur Ausschussüberweisung. Dieser Antrag soll zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Haushalt und Finanzen und zur Mitberatung an den Ausschuss für Gleichberechtigung und Frauenfragen, den Ausschuss für Jugend und Sport sowie den Ausschuss für innere Verwaltung überwiesen werden. Wer dem folgen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! Stimmenthaltungen? - Keine. Das ist dann so geschehen.

Wir kommen zu

Tagesordnungspunkt 25: Erste Beratung: Homosexualität im Unterricht - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 14/2545

Ich vermute, gemeint ist Homosexualität als Thema im Unterricht.

(Heiterkeit - Mühe [SPD]: Das ist richtig! Diese Klarstellung musste sein!)

Die SPD, die CDU und die Grünen haben eine Redezeit von jeweils zehn Minuten und die Landesregierung von fünf Minuten. Eingebracht wird dieser Antrag von der Kollegin Frau Litfin.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich hätte thematisieren wollen, was der Präsident offenbar gemeint hat, dann hätte ich den Antrag „Homosexualität während des Unterrichts“ genannt.

(Mühe [SPD]: Nein, nein, das ist schon missverständlich formuliert!)

Das wäre dann eine treffende Formulierung gewesen, aber nicht die treffende Formulierung für diesen Antrag.

Der Herr Kollege Wulff hat diesen Antrag ja schon eingeläutet. Ich weiß allerdings nicht, was Homosexualität als Thema von Schulunterricht mit Steuerrecht und Ehegattensplitting zu tun hat. Er ist jetzt leider nicht da, sodass ich mit ihm nicht dieses Frage- und Antwort-Spiel fortsetzen kann, das mir Freude gemacht hätte.

Wir haben ja - jedenfalls SPD und Grüne, die Fortschrittlichen in diesem Landtag - gestern das Ausführungsgesetz zum Gesetz über gleichgeschlechtliche eingetragene Partnerschaften miteinander verabschiedet. Ich habe gestern schon gesagt, dass dies nur ein ganz kleiner Schritt auf dem Weg zu einer Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben in unserer Gesellschaft war. Ich meine, dass wir einen großen Schritt tun könnten, wenn wir dafür sorgen, dass das Thema Homosexualität in der Schule nicht nur stärker durch Schulbücher,

durch Lehrerinnen und Lehrer thematisiert wird, sondern wenn wir Jugendlichen die Gelegenheit geben, sich während des Unterrichts mit diesem Thema auseinander zu setzen und ihre Einstellung dazu zu finden.

Sie wissen sicherlich, dass unter Rot-Grün noch im Jahre 1994 die Landesregierung einen sehr guten zukunftweisenden Beschluss zu gleichgeschlechtlichen Lebensweisen gefasst hat, ein - ich würde es so nennen - Antidiskriminierungsprogramm für Schwule und Lesben. Wir können im Bereich des Innenministeriums beobachten, dass dieses Antidiskriminierungsprogramm an vielen Stellen sehr, sehr zügig, aber auch sehr effektiv umgesetzt worden ist. Zu loben ist z. B. die Polizei, wo es mittlerweile schwule Polizisten und lesbische Polizistinnen gibt, die auch Ansprechpartner oder Ansprechpartnerinnen für Kollegen und Kolleginnen sind, wo es regelmäßig Fort- und Weiterbildungen gibt nicht nur in Bezug darauf, wie man mit Straftaten gegen Homosexuelle umgeht oder wie man dort präventiv tätig werden kann, sondern auch in Bezug darauf, wie man sich bei Coming-outs von Kolleginnen und Kollegen verhält.

All diese Maßnahmen haben das Klima innerhalb der niedersächsischen Polizei sehr positiv beeinflusst. Es geht also, wenn jemand da ist, wenn sich jemand zuständig fühlt und wenn jemand darauf achtet, dass das, was man sich vorgenommen hat, tatsächlich auch umgesetzt wird.

In der Schule ist es leider anders. Homosexualität wird in der Regel nicht nur im Unterricht nicht thematisiert, sondern wir finden auch in den Rahmenrichtlinien des Landes Niedersachsen relativ wenig zu diesem Thema. Wir finden auch in den Schulbüchern - das haben jüngst junge Leute festgestellt, die die Schulbücher der Klassen 7 bis 10 des Landes Niedersachsen analysiert haben - kaum Hinweise darauf, dass es nicht nur die romantische getrenntgeschlechtliche Liebe gibt, sondern auch die manchmal ebenso romantische gleichgeschlechtliche Liebe und auch das Recht dieser so liebenden Personen, ihre Lebensentwürfe zu verwirklichen.

Das Land bietet zwar Lehrer- und Lehrerinnenfortbildungen in diesem Bereich an, aber die Kursleiter und Kursleiterinnen berichten immer wieder: Es nehmen nur Betroffene an diesen Fortbildungen teil. Es sind entweder schwule Lehrer oder lesbische Lehrerinnen. Findet sich einmal ein Hetero darunter und wird er angesprochen, kommt sehr

schnell heraus, dass sein Sohn schwul oder seine Tochter lesbisch ist, dass auch er also irgendwie persönlich betroffen ist und nur aus diesem Grunde an der Fortbildung teilnimmt.

Ich glaube, viele der Kollegen und Kolleginnen haben Angst, wenn sie sich dieses Themas annehmen, selber in den Verdacht zu geraten, zu der betroffenen Personengruppe zu gehören, also schwul oder lesbisch zu sein, und damit Diskriminierungen sowohl von ihren Schülern und Schülerinnen als auch von ihren Kollegen und Kolleginnen ausgesetzt zu sein. Ich kenne mehrere homosexuelle Männer, die als Lehrer arbeiten und sich geoutet haben und die danach einen sehr schweren Stand in ihrem Kollegium hatten, die sich inzwischen gemobbt fühlen und die nicht auf das Verständnis gestoßen sind, das sich im Polizeibereich immer weiter ausbreitet.

Der Niedersächsische Landtag muss sich auch deshalb des Themas annehmen, weil homosexuelle Schüler und Schülerinnen es in ihrer Entwicklung sehr schwer haben. Sie haben in der Regel in ihrer Familie oder im Freundeskreis keinen Ansprechpartner und keine Ansprechpartnerin, wenn sie merken, dass bei ihnen die Entwicklung anders verläuft, dass sie andere Vorlieben entwickeln als ihre Freunde und Freundinnen. Meist haben die Menschen im Umfeld, die bei heterosexuellen Schülern und Schülerinnen selbstverständlich mit Tipps, Rat, Hilfe und Anregung zur Seite stehen, selber große Schwierigkeiten, mit dem Coming-out dieses jungen Menschen umzugehen, damit fertig zu werden, etwas als Normalität anzuerkennen, was sie bisher als unnormal betrachtet haben, sodass dieser Personenkreis weitgehend ausscheidet.

(Klare [CDU]: Bleiben Sie bei Ihrem Konzept!)

Lehrer und Lehrerinnen stehen aber auch nicht zur Verfügung, weil sie meist nur sehr wenig vom Thema verstehen und große Scheu haben, es überhaupt anzugehen. Homosexualität und der Umgang damit ist kein Thema in der Ausbildung der Beratungslehrer und -lehrerinnen Es gibt auch keine Fortbildungsmöglichkeiten für Beratungslehrer und -lehrerinnen auf diesem Gebiet. Es gibt also eine Menge zu tun.

Schließlich ist auch zu beobachten, dass ausländische Schüler und Schülerinnen an dieser Stelle wieder unter zumindest doppelter Diskriminierung zu leiden haben. Die haben noch eine andere - ich

sage es einmal verkürzt, das geht am schnellsten Front, an der sie kämpfen müssen, weil oft die Kultur der Heimatländer ihrer Eltern Homosexualität noch sehr viel weniger akzeptiert, als die Bundesrepublik Deutschland das inzwischen tut. Das macht es diesen jungen Leuten wirklich doppelt und dreifach schwer, in Normalität und in Gelassenheit ihre Sexualität entwickeln zu können.

Meine Damen und Herren, Jugendliche sind bei ihrem Coming-out ungefähr 14 Jahre alt. Wenn Sie Jugendliche in diesem Alter kennen, wissen Sie um deren große Schwierigkeiten. Sie können sicherlich auch ermessen, wie gigantisch die Schwierigkeiten für diese Jugendlichen sind, wenn sie feststellen, dass sie sich eben nicht so entwickeln, wie viele Menschen es noch als normal ansehen. Ich kann nur an Sie appellieren, mich darin zu unterstützen, dass diese Jugendlichen nicht weiter allein gelassen werden, dass diese Jugendlichen in Schulbüchern für fast sämtliche Themen, die im Unterricht behandelt werden, Hinweise darauf finden, dass sie ein Stück Normalität sind, dass das, was sich bei ihnen entwickelt, in unserer Gesellschaft ganz normal ist. Und vergessen Sie dabei nicht: Statistisch ist in einer Schule mit 1 000 Jugendlichen damit zu rechnen, dass sich 10 %, also 100 Jugendliche, homosexuell entwickeln. Es ist also keine kleine Minderheit, wie gestern der Kollege Biallas bei der Diskussion um die eingetragenen Partnerschaften hier behauptet hat, um die wir uns verstärkt kümmern müssen, sondern es sind relativ viele junge Leute, die das Recht darauf haben, gemäß ihrer Veranlagung groß und erwachsen und selbstständig in unserer demokratischen Gesellschaft zu werden.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Das Wort hat die Kultusministerin.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Litfin hat hier eine Analyse abgegeben, die in Teilen wohl richtig ist. Aber was sind die Antworten darauf? In dem Antrag lesen wir, dass die Antworten sind: Alle Rahmenrichtlinien verändern, verpflichtende Fortbildung und Beratungslehrkräfte. Ich meine, im Ausschuss wird noch einiges zu beraten sein. Ich will das nur anmerken.

(Frau Litfin [GRÜNE]: Das hoffe ich!)

Bei der steuernden Wirkung auf diese Frage von Rahmenrichtlinien habe ich meine Zweifel, wie ich ehrlich sagen muss. Wir sind eigentlich doch längst gemeinsam der Auffassung, dass die steuernde Wirkung von Input in die Schule meistens wenig am Alltag und an der Realität verändert. Wir haben dann zwar einen Rahmen gegeben - ich will gleich sagen, dass der auch vorhanden ist -, aber Sie haben natürlich den Alltag beschrieben.

Sie haben den Kabinettsbeschluss vom 23. März 1994 genannt. Damals hat die Niedersächsische Landesregierung entschieden, den Abbau der Diskriminierung lesbischer Frauen und homosexueller Männer in jedem Ressortbereich aktiv aufzugreifen. Seitdem haben wir das auch getan, und ich glaube, wir können uns da auch sehen lassen, gerade bei diesem sensiblen Thema. Es sind zahlreiche Maßnahmen ergriffen worden, weil dieses Thema auch zum Bildungsauftrag von Schule gehört.

Wir haben z. B. gemeinsam mit dem FriedrichVerlag in der Reihe „Beispiele“ 1995 ein Heft mit Anregungen und Materialien zur Sexualerziehung herausgegeben, gerade weil Lehrern häufig der Zugang zu diesem Thema fehlt, wenn sie nicht selbst betroffen sind, und weil sie auch Sorgen haben, wie man Unterricht an dieser Stelle angemessen aufbereitet. Das Heft wurde an alle Schulen verteilt. Es enthält u. a. Unterrichtsbeispiele, die sich mit heterosexuellen und homosexuellen Lebensweisen befassen und die die Lehrkräfte anregen sollen, dieses Thema im Unterricht zu behandeln.

Ich meine, dass die Rahmenrichtlinien dieses wichtige Thema zumindest nicht verhindern, sondern dass Möglichkeiten eröffnet sind. Wir haben die Richtlinien darauf überprüft und festgestellt, dass es eigentlich keine Hindernisse gibt. Die Rahmenrichtlinien bieten im Unterricht, insbesondere in den Fächern evangelische und katholische Religion, im Fach Werte und Normen sowie in den Fächern Biologie, Geschichte, Politik und Deutsch, genügend Anlässe, dieses Thema aufzuarbeiten, wenn man es denn will.

(Wulf (Oldenburg) [SPD]: Das Bewusstsein!)

- Das Bewusstsein ist hier wirklich das Problem; Sie haben völlig Recht. - Das geschieht unter Beachtung des § 96 Abs. 4 im Rahmen der Sexualer

ziehung, also im Rahmen der Hilfe zur Identitätsfindung und Sinnsuche, sowie bei der Erörterung von Vorurteilen und Diskriminierungen. Literarische Texte können die Schülerinnen und Schüler in Erfahrungen und Schicksale anderer Menschen aus Gegenwart und Vergangenheit einführen. Das Verstehen fremder Gewohnheiten, anderer Lebensund Denkweisen ist, so meine ich, gerade Voraussetzung für Toleranz in konkret erlebten Konfliktsituationen.

Nun zu Ihrem Vorschlag, sozusagen verpflichtende Fortbildung ausgerechnet an dieser Stelle einzuführen. Wenn ich an anderer Stelle über eine solche Frage reden würde, hätten Sie wahrscheinlich durchaus Zweifel angebracht. Wir bieten Fortbildung an, und wir haben Fortbildungstagungen für Lehrkräfte und für Schulpsychologen gemacht. Vielleicht muss man hier für Beratungslehrer mehr tun. Das wird in der Ausschussberatung sicherlich noch ein Thema sein. Ich würde das gern aufgreifen, wenn dem nicht so wäre. Lehrkräfte jedoch ausgerechnet bei diesem Thema zu Fortbildungsmaßnahmen zu verpflichten, finde ich ausgesprochen schwierig, wenn man nicht insgesamt über die Frage von verpflichtender Fortbildung redet. Fortbildner sind häufig der Meinung, es bringe nichts, eine Verpflichtung auszusprechen, wenn sich jemand nicht fortbilden wolle.