Protocol of the Session on June 21, 2000

(Möhrmann [SPD]: Was Sie in jedem Haushaltsantrag unterstreichen!)

Niedersachsen braucht im Sinne von Hans-Ulrich Klose die Rückkehr zur Wirklichkeit - auch wenn sie bitter ist und wenn man die Augen vor den

Tatsachen am liebsten verschließen würde. Es hilft nichts. Sie müssen Ihre eigenen Fehler erkennen. Nur das verhütet, dass sie ständig, Jahr für Jahr bei der Aufstellung von Haushaltsplänen und auf anderen Gebieten wiederholt werden. Wer seine Fehler einfach ignoriert, der wird sich immer in der Gefahr befinden, sich ständig zu wiederholen. Das wollen wir dem Land bis 2003 wahrlich nicht zumuten.

(Beifall bei der CDU)

Es ist soeben gesagt worden, dass die Debatte tatsächlich in dieses, in das Landesparlament gehört. Es besteht allerdings ein merkwürdiger Widerspruch zwischen den Ankündigungen einer Parlamentsreform und dem tatsächlichen Tun. Wir wollen Anhörungen, wir wollen eine Enquete-Kommission zur Zukunft des Wirtschaftsstandortes Niedersachsen, wir wollen Schwerpunktdebatten mit Beratungen zu besonderen Entscheidungen im Bundesrat. Alle diese Wünsche sind bis auf die Begebenheit in der letzten Plenarsitzung, als Sie Ihre Fraktion überfahren hatten und sie Sie anschließend wieder eingeholt hat, abgeblockt und abgelehnt worden. So führen Sie einen Stil herbei, der es Ihnen zwar ermöglicht, internationale Konferenzen zur Klärung der Frage durchzuführen, wie man regieren könnte, aber Sie ignorieren es über Jahre hinweg konsequent, den Sachverstand des Parlamentes und der Niedersachsen zu nutzen. Das weisen wir zurück.

(Beifall bei der CDU)

Ich will mich natürlich auf Kernbereiche beschränken, weil dies hier der Ort ist, in dem in den nächsten zehn Jahren mehr Konsens erzielt werden sollte, als es in den vergangenen zehn Jahren der Fall war.

Seit 1990 ist die Verschuldung explodiert, obwohl wir im Jahre 2000 8,7 Milliarden DM mehr Steuern einnehmen als noch vor zehn Jahren. Ihre Haushaltspolitik ist vom Staatsgerichtshof mehrfach als verfassungswidrig beurteilt worden. Dennoch haben Sie den Kommunen 8 Milliarden DM vorenthalten bzw. an Lasten aufgebürdet. Sie haben die Vorstellung, bis zum Jahr 2003 14,5 Milliarden DM hinzuzufügen. Das wären dann über 80 Milliarden DM an Schulden in Niedersachsen. Dann hätten Sie den Schuldenstand des Landes innerhalb Ihrer 13 Jahre mehr als verdoppelt, gegenüber den 40/45 Jahren zuvor. Sie haben angekündigt, Schulden zu verringern. Jetzt

führen Sie diese Schulden in Schattenhaushalte und werden im nächsten Jahr eine Neuverschuldung in Höhe von mehr als 3 Milliarden DM und damit in verfassungswidrigem Umfang anpeilen wollen.

Ihre Verwaltungsreform ist gescheitert. Die Personalausgabenquote ist eine der höchsten in Deutschland.

Sie haben nach einem halben Jahr der Arbeit des neuen Ministerpräsidenten keinerlei Anzeichen für Neuanfänge unterbreitet. Es geht weiter mit Ankündigungen und Beschreibungen. Aber das ist eben neuen Regierungen vorbehalten, die neu antreten und neu anfangen, nicht aber denen vorbehalten, die hier innerhalb der SPD-Fraktion seit zehn Jahren - als Fraktionsvorsitzender der SPDFraktion und jetzt als Ministerpräsident - Verantwortung für diese Misere tragen.

(Beifall bei der CDU)

Es fehlen uns jenseits der Setzung von Symbolen und jenseits nassforscher Sprüche konkrete, handhabbare Schritte, um dieses Land aus der Schuldenfalle herauszuführen. Wir sind der Meinung, dass Niedersachsen eine solche Vision bräuchte nicht ewig Empfängerland zu sein, nicht ewig immer mehr neue Schulden aufzutürmen, sondern man sollte damit anfangen, die Neuverschuldung zu reduzieren, und zwar nicht irgendwann in ferner Zukunft, sondern mit dem nächsten Haushaltsjahr Schritte zu unternehmen, die Neuverschuldung zu reduzieren, um sie auf null zu führen und um dann in diesem laufenden Jahrzehnt an die Rückzahlung der Schulden heranzugehen.

Eine Haushaltspolitik, die nachhaltig ist, sichert die Interessen der jungen und mittleren Generation, die in einigen Jahren auch noch etwas zu entscheiden haben will und nicht erleben will, dass Sie deren Frühstück gleich mit verfrühstückt haben, obwohl Sie für diese Zeiträume gar nicht gewählt waren und dafür entsprechende Kompetenz nicht verliehen bekommen haben.

Wir werden diese Finanzprobleme nur lösen, wenn wir in der Verwaltungsreform mutigere Schritte unternehmen, um zu einer bürgernahen, effizienten und kostengünstigeren Verwaltung zu gelangen, Ebenen und Hierarchien abbauen, Ministerien auf wenige reduzieren, die Bezirksregierungen abschaffen und die Landkreise gezielt in die Lage versetzen, sich durch Kooperation langfristig zu halten, um eine neue Gebietsreform zu vermeiden.

(Lebhafter Beifall bei der CDU)

Genau dies ist unsere Vorstellung einer leistungsfähigen Landesverwaltung, die mit weniger Geld mehr Effizienz und damit mehr Leistung für die Bürgerinnen und Bürger erreicht. Es bedarf einer Neuabgrenzung zwischen privatem und staatlichem Sektor. Wir müssen privatisieren, von der Polizei bis hin zu anderen öffentlichen Einrichtungen, wie Schneidereien und Kfz-Werkstätten. Es ist doch nicht zwingend erforderlich, dass ein bei der Polizei Beschäftigter ein Polizeifahrzeug repariert. Das können Kfz-Werkstätten genauso gut. In diese Richtung muss es gehen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben neben der Finanzlage, die desolat ist, eine desolate Arbeitsmarktlage. Es ist interessant, dass dieses Thema das dominierende Thema von 1990 war und dieser Begriff in dieser Regierungserklärung nicht mehr vorgekommen ist. Der Begriff „Arbeitslosigkeit“ hat in dieser Regierungserklärung keine Rolle gespielt, obwohl wir unter den Flächenländern die zweithöchste Arbeitslosenquote haben. Wir haben heute 337.000 arbeitslose Menschen in Niedersachsen, und zwar trotz Einheitsbooms, trotz EXPO-Sonderkonjunkturprogramm, trotz all dieser Phänomene, auf die man in Zukunft nicht mehr unbedingt setzen kann. Gleichwohl haben der Wirtschaftsförderfonds und das Landesdarlehnsprogramm nicht die entsprechende Ausstattung. Alles das ist zusammengestrichen, gekürzt worden.

Es gibt keine Impulse in diesem Land, Technologie zu fördern, Technologietransferstellen zu errichten. Stattdessen werden die Unterstützungen für Forschungsinstitute gekürzt, die Biotechnologie und der Transrapid wurden verteufelt, und eine offensive Standortpolitik ist auch nicht feststellbar.

Ich habe oft darauf hingewiesen, dass es dann nicht überrascht, dass man in der Arbeitsplatzdichte hinter Thüringen und Sachsen zurückfällt, dass man beim Bündnis für Arbeit keine echten Ergebnisse erzielt, dass man sich als sozialdemokratische Regierung vom DGB sagen lassen muss, man sei eine moderne Wirtschaftspolitik schuldig geblieben, hätte eigene Mittel und EU-Mittel zur Arbeitsmarktpolitik unzureichend genutzt und massiv die Ausbildung abgebaut. Das sind wörtliche Zitate des Deutschen Gewerkschaftsbundes Niedersachsen-Bremen zur Politik dieser Landesregierung.

(Beckmann [SPD]: Wer hat Ihnen denn das alles aufgeschrieben?)

Meine Damen und Herren, diese Fakten der zehn Jahre sozialdemokratischer Politik haben eben ihre Ursächlichkeit darin, dass innovative Ansätze nicht weiter verfolgt worden sind. Sie haben den Ausbau von Fernstraßen blockiert. Wenn Sie jetzt in Ihrer Regierungserklärung die A 20 und die A 26 ansprechen, müssen Sie doch zugeben, dass Sie Anfang der 90er-Jahre stolz darauf waren, nicht ein einziges dieser Verkehrsprojekte zum Bundesverkehrswegeplan angemeldet zu haben.

(Beifall bei der CDU)

Das war die legendäre Broschüre von Wirtschaftsminister Fischer, der sagte: Das Tollste ist, dass wir keine Straßen angemeldet haben. Das ist die Zukunft der Infrastruktur in Niedersachsen. Deswegen müssen die Lüchow-Dannenberger und die Uelzener eben ewig warten, bis sie irgendwann einmal die A 14 oder die A 39 bekommen, die sie so dringend brauchen, um auch dort den ländlichen Raum wirtschaftlich entwickeln zu können: mit mehr Mittelstand und mehr Arbeitsplätzen.

(Beifall bei der CDU)

Es ist nun einmal so, dass das 21. Jahrhundert von kleinen und mittleren Betrieben geprägt wird, von Handwerksunternehmen, von Selbständigen. Das entscheidende Signal, der entscheidende Gradmesser für wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ist die Selbständigenquote. Es ist doch kein Zufall, dass Bayern die höchste Zahl an Selbständigen und die geringste Arbeitslosigkeit hat und dass wir eine der geringsten Selbständigenquoten und deshalb eine der höchsten Arbeitslosigkeiten haben. Also erwarten wir von wegweisender Landespolitik, dass sie ihre Politik auf Selbständige, auf Mittelständler, auf Handwerker ausrichtet und dafür ein Umfeld und Rahmenbedingungen schafft, sodass dieses gedeihen kann und darüber neue Arbeitsplätze entstehen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schröder?

Sehr gerne.

Da Sie die Selbständigenquote angesprochen haben, möchte ich Sie fragen, ob Sie die Gründe dafür benennen können, dass innerhalb der Europäischen Union die Selbständigenquote ausgerechnet in Griechenland am höchsten ist.

Die Selbständigenquote ist in Griechenland am höchsten, weil es dort einen hohen Dienstleistungsgrad gibt, weil es dort eine Vielzahl von Arbeitsplätzen gibt, die in Deutschland niemand annehmen will, die in Deutschland verpönt sind, die auch von den Grünen als eher unwürdig betrachtet werden, obwohl es in Griechenland dazu gehört, dass man seinen Gästen gastfreundlich gegenübertritt und deswegen auch Dienstleistungen anbietet, die in Deutschland längst ausgestorben sind.

(Beifall bei der CDU)

Ich möchte noch hinzufügen, Herr Kollege Schröder: Es ist eben hochgradig spannend, dass die Länder mit einer solchen Dienstleistungsquote und mit einer solchen Selbständigenquote das mit Abstand höchste Beschäftigungswachstum in ganz Europa haben. Sie können in der „FAZ“ vom Samstag nachlesen, dass die OECD in ihrer jüngsten Studie nachweist, dass Deutschland Schlusslicht in Europa ist. Obwohl man Wirtschaftswachstum habe, hätten wir die geringste Zahl neuer Arbeitsplätze und sei im letzten Jahr sogar ein Rückgang der Erwerbstätigen entstanden, weil man eben in Deutschland neue zusätzliche Arbeitsplätze blockiere durch Überregulierung der Arbeitsmärkte und durch die Behinderung kleiner und mittlerer Unternehmen von der Steuerpolitik bis zur Bürokratie. Da muss man ansetzen, da können wir politisch Zeichen setzen. Das gehört ins Parlament, darüber müssen die Leute nicht irgendwo sonst reden.

(Beifall bei der CDU)

Wir wollen und wir können es ja nur begrüßen, wenn Sie dazu sagen: Na ja, in den letzten zehn Jahren haben wir da wohl falsch gelegen, da waren wir falsch gewickelt. Wir begrüßen es, wenn der schlafende Riese Mobilitätswirtschaft in Niedersachsen geweckt werden soll und wir jetzt wieder gemeinsam für Infrastrukturprojekte eintreten. Es war die Albrecht-Regierung, die damals den Tiefwasserhafen Cuxhaven-Groden bauen wollte, den

Sie dann verworfen haben. Aber wenn Sie jetzt sagen, dass Sie es unterstützen, wenn die Wirtschaft einen Tiefwasserhafen bauen will, dann können wir uns darüber nur freuen. Wir gehen davon aus, dass der Tiefwasserhafen in Niedersachsen entsteht, und wir denken, dass Wilhelmshaven die optimalen Voraussetzungen dafür hat.

(Zustimmung bei der CDU)

Wir werden das fair gegenüber den Cuxhavenern prüfen. Wir haben aber den Eindruck, dass man jetzt diejenigen, die die größte Aussicht haben, schnell und nachhaltig unterstützen und entsprechend das Thema Tiefwasserhafen auf die Bahn schieben soll, damit wir gegenüber Rotterdam in Konkurrenz treten können.

Die Bundesregierung hat auch unsere Vorschläge zur Stützung der Luftfahrtindustrie nicht aufgegriffen, sondern es anfangs als Blödsinn bezeichnet, mit der Ukraine ein Großflugzeug für die Bundeswehr zu bauen. Es ist hier kein Wort dazu gefallen, dass vor wenigen Tagen die SPD-geführte Bundesregierung eine Entscheidung gegen dieses Projekt und damit gegen Lemwerder getroffen hat und wir jetzt mächtig kämpfen müssen, damit Lemwerder an diesem Auftrag der DASA im Rahmen der europäischen Luftfahrtindustrie beteiligt wird.

Wir haben den Ministerpräsidenten zur Transrapidstrecke gehört, können uns aber nur wundern. Als wir die Strecke Hamburg - Bremen - Oldenburg - Groningen/Niederlande ins Gespräch gebracht haben, wurde das als abwegig und als Quatsch bezeichnet. Das wäre aber die sinnvolle Fortführung von Hamburg - Berlin gewesen. Hamburg - Berlin allein macht natürlich gar keinen Sinn, weil Helgoland kein zureichendes Hinterland darstellt. Aber wenn man jetzt, wo die Strecke Hamburg - Berlin baureif ist, diese Strecke nicht baut, weil man als Norden zu schwach ist, sich dafür engagiert einzusetzen und es auch durchzusetzen, sondern diese Fata Morgana Hamburg Holland vor sich her trägt, ist das eben nur die halbe Miete, nur die halbe Wahrheit. Wir fordern Sie auf: Korrigieren Sie diesen Beschluss, Hamburg - Berlin nicht zu bauen. Bauen Sie Hamburg Berlin, dann haben wir eine kleine Chance, auch die Fortführung Hamburg - Niederlande durchzusetzen und hinzubekommen.

(Beifall bei der CDU)

Das sind die wichtigen Fragen. In der Regierungserklärung steht der Satz:

„Die Zukunft gewinnen nur diejenigen, die beherzt zugreifen, wenn sich die Chance dazu bietet.“

Hier muss man jetzt einfach beherzt zugreifen, damit kommende Landesregierungen eben die Transrapidstrecke für sich nutzen können, damit sie sie einweihen und sich feiern lassen können, so wie Sie die EXPO für sich nutzen, die wir Ihnen sozusagen als Geschenk überbracht haben.

(Beifall bei der CDU)

Da liegt eben die Krux, dass Sie uns nichts außer Schulden lassen, während wir Ihnen aus den Regierungszeiten der CDU eben eine ganze Menge zur Profilierung gelassen haben,

(Plaue [SPD] lacht)

wie zum Beispiel die EXPO, die Sie mit Ihrer Politik des dynamischen Abwartens nie hinbekommen hätten, Herr Plaue. Sie waren doch Befürworter der Volksbefragung nach dem Motto: Wollen wir die EXPO in Hannover überhaupt haben? Stimmen wir erst einmal darüber ab, ob wir sie überhaupt haben wollen.

(Zurufe von der CDU: So ist es!)

Darüber hat sich doch die ganze Welt totgelacht.

(Beifall bei der CDU - Plaue [SPD]: Sie müssen sich bei Leuten erkundi- gen, die etwas davon verstehen, Herr Kollege!)