Protocol of the Session on January 28, 2000

Ich danke Ihnen dafür, dass Sie zugehört haben. Namens meiner Fraktion beantrage ich für diesen Antrag die sofortige Abstimmung. - Schönen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Professor Wernstedt.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist in der Sache von uns überhaupt nicht zu kritisieren. Wir befinden uns allerdings in einem Verfahren, in dem dem Ältestenrat zwei ältere, schon über ein Jahr alte Anträge vorliegen, die wir bewusst noch nicht aufgegriffen haben, weil die Verhandlungen auf Bundesebene und die Verhandlungen mit den Anwälten, die der Beauftragte der Bundesregierung geführt hat, bisher nicht weiter gediehen waren. Wir waren in den vergangenen Monaten sehr unglücklich darüber, dass wir diese Anträge bisher nicht haben aufrufen können.

Der Antrag, der hier jetzt vorliegt, bietet die Gelegenheit, so etwas wie eine Zwischenbilanz zu ziehen. Ich wäre aber darüber hinaus sehr dafür, dass wir den Antrag in Kenntnis des Gesetzentwurfes im Bundestages mit dem Ziel beraten, über einen gemeinsamen Antrag zu beschließen.

Die Debatte über die Entschädigung der Zwangsarbeiter ist eigentlich erst nach der Einheit wieder aufgenommen worden. Vorher hat man sich immer damit herausreden können, dass wir einen Friedensvertrag brauchten und dass die Verrechnung der bis dahin an die einzelnen Staaten gezahlten Gelder noch berücksichtigt werden müsste. Das hatte damals schon problematische Züge, weil das bedeutete, dass diejenigen, die tatsächlich betroffen waren, immer älter wurden und damit die Zahl der möglicherweise Berechtigten ständig geringer wurde, was zugunsten derer ging, die Zahlungen zu leisten haben. Zum anderen gestaltete sich diese Angelegenheit problematisch, weil sich die DDR seinerzeit prinzipiell geweigert hatte, überhaupt irgendeine Verantwortung aus der deutschen Geschichte zu übernehmen, indem sie schlichtweg behauptete, sie sei das bessere Deutschland und habe damit nichts zu tun gehabt. Wir wissen, dass das eine groteske Selbstverleugnung war.

Erst am Ende der 90er-Jahre hat die Debatte durch den Druck, der auf die Wirtschaft ausgeübt worden ist, eine neue Dimension bekommen. Es war deutlich geworden, dass die deutsche Wirtschaft die Debatte über die Klagen, die im amerikanischen Rechtssystem mit viel höheren Summen betrieben werden als im deutschen Rechtssystem, nicht durchhalten würde. Folgendes muss man in diesem Zusammenhang aber auch kritisch anmerken: Wenn in Deutschland über Zahlen debattiert wird, dann ist es den Beteiligten offenbar gleichgültig, in welchem Rahmen das geschieht. In diesem Rahmen ist diese Debatte außerordentlich unappetitlich gewesen und geworden. Das kann man gar nicht anders bezeichnen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Man muss sich vergegenwärtigen, dass wir in einer Zeit leben, in der wir nur noch über Gewinn, Rendite, Börsenspekulation und immense Kapitalbewegungen reden. Vielleicht ist die Anmerkung erlaubt: Wir sind in diesen Wochen ja Zeuge eines gigantischen, bis 300 Milliarden DM starken Spektakels darüber, wer in der Angelegenheit Vodafone/Mannesmann wen übernimmt. Das sind

die Dimensionen, in denen die Wirtschaft denkt. Auf der anderen Seite wird hier über einen Betrag von 5 Milliarden DM geredet, als ob er den Untergang der Wirtschaft bedeuten würde. Ich finde, hier ist ein Stück gemeinsame Verantwortung auch derjenigen, die es gewohnt sind, in betriebswirtschaftlichen Kategorien zu denken, anzumahnen!

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Beifall bei der CDU)

So einig wir uns im politischen Rahmen über das sind, was das für die Weiterentwicklung unseres Staates insgesamt bedeutet, so scheint es doch notwendig zu sein, darauf hinzuweisen, dass solche Dimensionen der allgemeinen Verantwortung in unseren Wirtschaftsetagen, die wir ansonsten in jeder Hinsicht zu unterstützen bereit sind, nicht völlig in den Hintergrund gedrängt werden dürfen.

Die Verantwortungsfrage trifft insofern natürlich auch die öffentlichen Hände. Das darf man nicht verschweigen. Insofern sind wir meines Erachtens ein Stück weiter. Heute Morgen war in der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ zu lesen, dass sich auch der Rat der Stadt bereit erklärt hat, den Teil der Verantwortung zu tragen, den die Kommune zu übernehmen hat. Das wird dann auch für andere Kommunen und Gebietskörperschaften gelten.

Ich begrüße ausdrücklich, dass Ministerpräsident Gabriel darauf hingewiesen hat, dass das Land, sofern es in den Prozess der Verhandlungen mit den anderen Ländern und des Bundes einbezogen ist, seinen Anteil leisten wird.

(Beifall bei der SPD)

Ich darf hier abschließend ein paar kurze Bemerkungen anfügen.

Erstens. Ich finde, dass Volkswagen sehr viel früher als manches andere Unternehmen in Niedersachsen erkannt hat, wie wichtig das Ansehenskapital ist, das hier für die deutsche Wirtschaft insgesamt auf dem Spiel steht, und dass dieses Unternehmen insofern den Vorreiter gespielt hat, und zwar unabhängig davon, wie man zu den einzelnen Prozesspunkten stehen mag.

Zweitens. Die Honorarforderungen amerikanischer Anwälte in diesem Zusammenhang sind auch nicht gerade das, was besonders zu loben wäre. Ich sage das sehr vorsichtig. Ich habe diesen Punkt deshalb

ausdrücklich angesprochen, weil Ignaz Bubis darauf schon im Mai des vergangenen Jahres bei seinem letzten Besuch bei mir in Hannover hingewiesen hat.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Wenn wir einen Weg fänden, die 10 Milliarden DM möglichst schnell und ungeschmälert von bürokratischen oder anwaltlichen Abzügen an die Betroffenen auszuzahlen, wäre viel gewonnen.

Drittens. Es ist nicht gut, dass sich deutsche Firmen offensichtlich erst auf öffentlichen Druck hin bereit finden, der Stiftung beizutreten, die für die gesamte deutsche Wirtschaft spricht. Das gilt auch für niedersächsische Firmen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Letzte Bemerkung. Wir alle wissen, dass angesichts des Alters der Betroffenen sehr schnell etwas geschehen muss. Die Karikaturen, die zu diesem Vorgang inzwischen gezeichnet werden, können nur Beklemmungen auslösen. Ich bin insofern dafür, dass wir auch gegenüber dem Bund alles das, was wir tun können, tun sollten, damit die gesetzlichen Regelungen so schnell wie möglich umgesetzt werden können, und dass wir nicht in klein karierten Kategorien denken. Wir wissen spätestens seit der deutschen Einheit, dass sich Dinge, die man unterlässt, nach Generationen auswirken.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wenn ich jetzt empfehle, den Antrag doch wieder an den Ältestenrat zu geben, dann bedeutet dies keine Ablehnung Ihres Antrages, sondern nur die Bitte, dass wir unter diese Frage möglichst alle unseren Unterschriften setzen können. - Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Kollege Bookmeyer spricht für die Fraktion der CDU.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Als wir am 16. Juli 1998 die damals vorliegenden Anträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion der SPD zu diesem Thema berieten, habe ich die Zustimmung meiner Fraktion signalisiert und der Hoffnung Ausdruck verliehen, dass es zu einer gemeinsamen Entschließung kommen möge, die von allen drei Fraktionen des Niedersächsischen Landtages getragen werde. Dies gilt heute wie damals.

(Beifall bei der CDU)

Zu den ethisch-moralischen Aspekten habe ich seinerzeit Stellung genommen, indem ich u. a. ausführte, dass die Würde von Millionen von Menschen in der finsteren Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft nicht nur angetastet oder missachtet worden sei, sondern dass sie darüber hinaus mit deren Leben systematisch ausgerottet oder von ihren noch lebenden Körpern skrupellos abgerissen worden sei.

Im Hinblick auf die Entschädigungszahlungen habe ich deren Erfordernis unter Hinweis auf die Notwendigkeit konkret erfahrbarer Reue beschrieben.

(Vizepräsident Gansäuer über- nimmt den Vorsitz)

Im Zusammenhang mit der heutigen Beratung ist es mir eingangs ein dringendes Bedürfnis, zu den ungeheuerlichen Vorgängen in Hessen bezüglich angeblicher Vermächtnisse zumindest kurz Stellung zu nehmen. Ich sage Ihnen ebenso offen wie betroffen: Nicht im Traum hätte ich es für möglich gehalten, dass eine solche Verwerfung überhaupt gedacht, geschweige denn ausgesprochen werden könnte.

(Beifall bei der CDU)

Sowohl der Unions-Bundesvorsitzende als auch der hessische CDU-Landesvorsitzende haben sich für die Bundes- wie auch die hessische Landespartei diesbezüglich entschuldigt. Auch wenn wir als Union in Niedersachsen nicht unmittelbar betroffen sind, so sind wir doch zutiefst beschämt, dass in der Union eine solche verabscheuungswürdige gedankliche Konstruktion hat Raum greifen können. Wir distanzieren uns auf das Entschiedenste davon.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Gestatten Sie mir eine zweite Vorbemerkung. Namens meiner Fraktion danke ich Ihnen, sehr geehrter Herr Landtagspräsident Prof. Wernstedt, ausdrücklich, dass und wie Sie die gestrige Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus haben abhalten lassen.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Danken möchte ich Ihnen auch für Ihre einleitenden Worte, welche Sie hierzu in unserem Hohen Haus gesprochen haben.

Die in der Gedenkstunde selbst zu Beginn vorgetragenen Gebetslieder haben die Tiefe der Trauer für mich bis ins Mark empfinden und mich beim Nennen der Namen der Konzentrationslager erschaudern lassen. Wie ermutigend waren dann die Worte des Herrn Direktors Andor Izsák, der davon sprach, dass dies nicht nur ein Tag der Trauer, sondern auch ein Tag der Freude sei, weil die Kultur der jüdischen Musik nicht ganz verloren sei, sondern wieder neu erklingen könne. Ich bewundere diesen Mann und verneige mich vor ihm, dass er in dieser Stunde solch zukunftweisende, Hoffnung gebende und Brücken bauende Worte hat aussprechen können, die uns nicht zugestanden hätten.

Was den aktuellen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen anbetrifft, verstehen wir diesen generell als Bemühen, dem Nachdruck und Beschleunigung zu verleihen, was alle drei Fraktionen im Juli 1998 zum Ausdruck gebracht haben. Seinerzeit habe ich formuliert, dass „der betroffene Personenkreis, der durch Tod ständig kleiner wird, alsbald Zahlungen als Ausdruck konkret erfahrbarer Reue erhält“. Ich nehme hier Gelegenheit, den Appell ehemaliger polnischer und osteuropäischer Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, der Ihnen ja ebenfalls zugegangen ist, für die Union mit Nachdruck zu unterstützen, und hoffe, dass ihnen Gerechtigkeit zumindest in der Weise widerfahren möge, dass alsbald Entschädigungszahlungen erfolgen. Möge diese Debatte hierfür einen wirksamen Dienst leisten.

Herr Kollege Schröder, ich bin mit Ihnen einig darüber, dass eine sofortige Abstimmung ein sehr deutliches Zeichen wäre. Ich möchte mich aber dem Votum des Herrn Landtagspräsidenten anschließen und darum bitten, zunächst einmal die weiteren Beratungen auch auf Bundesebene abzu

warten. Dann werden wir möglicherweise in der Lage sein, eine gemeinsame inhaltliche Erklärung abzugeben. Hinsichtlich der Verhandlungen um Widergutmachung - so weit überhaupt auch nur im Ansatz noch möglich - und Entschädigung für die Opfer begrüßen wir, dass erste Ergebnisse erzielt werden konnten. Unser Dank gilt der Verhandlungskommission mit dem Grafen Lambsdorff an der Spitze. Mit Unverständnis und Bedauern nehmen wir zur Kenntnis - wie es gestern auch in der „HAZ“ zu lesen war -, dass nach Ausführungen des Grafen Lambsdorff sehr viele Betriebe immer noch eine „zögerliche Haltung“ gegenüber der Initiative zur Entschädigungsregelung einnehmen.

Herr Kollege Bookmeyer, Herr Präsident Wernstedt möchte eine Bemerkung machen.

(Wernstedt [SPD]: Nein, ich habe mich zu Wort gemeldet!)

- Ach so, Entschuldigung. - Fahren Sie bitte fort!

Wir fordern diese Betriebe mit Nachdruck auf, sich im Interesse der Gesamtverantwortung wie auch in ihrem eigenen Interesse an dieser wegweisenden Initiative zu beteiligen.

(Beifall bei der CDU)

Um ein deutliches Zeichen der Ernsthaftigkeit zu setzen, unterstützt die Union ebenso wie die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in deren Antrag die Ankündigung des Herrn Ministerpräsidenten, dass sich das Land Niedersachsen an dem geplanten Entschädigungsfonds mit einem angemessenen Beitrag beteiligen werde. Wir sehen dies nicht nur als sinnvoll, sondern als geboten an und sind daher bereit, durch unsere Unterstützung für die unseres Erachtens hierfür erforderliche breite parlamentarische Mehrheit Sorge zu tragen, um dem Vorhaben des Herrn Ministerpräsidenten ein unzerrüttbares Fundament für die hoffentlich abschließenden Gespräche in den verschiedenen Gremien und Organen zu geben.

Da wir uns in der Notwendigkeit der Frage der dringlichen Regelung der Entschädigungsfragen seit nunmehr etwa eineinhalb Jahren grundsätzlich einig sind, macht für uns der dritte Spiegelstrich des heute zu beratenden Antrages den wesentlichen Punkt aus: Vor dem Hintergrund der 1998 hier