Protocol of the Session on January 27, 2000

Wir sind am Suchen, wie er das nun bezahlen will. Da hat mir gestern einer ins Ohr geflüstert: Sind doch nur 0,3 % des Landeshaushalts. Klappt auf jeden Fall. Wir wollen das mal sehen. Wir aber suchen immer noch unsere Mitarbeiter und werden nicht fündig. Da wir uns nun auf der religiösen Ebene bewegen, wollen wir sagen: Reue und Vorsatz setzen Ehrlichkeit für die Zukunft voraus.

(Lanclée [SPD]: Nun kommen Sie mal zur Sache!)

Ich gestehe nun aber auch ein, dass die Opposition - die Grünen und die CDU - nicht umsonst gearbeitet hat, sodass sich Ihr besonderes Prunkstück, nämlich die Verlässliche Grundschule, zurzeit - wie wir aufgrund unserer Interventionen erfahren haben - besser darstellt als zunächst befürchtet.

(Beifall bei der CDU und Lachen bei der SPD)

Freuen Sie sich aber nicht zu früh, Herr Meinhold. Lesen Sie bitte auch einmal, was der VBE dazu wieder geschrieben hat, der Ihnen die Leviten liest. So nun auch nicht. Es steht aber fest: Durch die Umorientierung des Förderunterrichtes, durch die Nichtbetreuung in der ersten Stunde, durch eine gute Lehrerversorgung zulasten der anderen Schulformen. Ganz eindeutig zulasten der anderen Schulformen.

(Beifall bei der CDU)

Von daher hoffe ich, dass der reiche Segen dieser verführerischen Verlässlichen Grundschule, der jetzt kommt, tatsächlich auch geleistet werden kann und ihr die Leute nicht wieder bloß aufs Glatteis führt. Das ist sehr wichtig.

(Beifall bei der CDU)

Auch wir im Eichsfeld - das darf ich Ihnen jetzt sagen - werden geschlossen einen Antrag auf Einrichtung einer Verlässlichen Grundschule stellen.

(Beifall bei der SPD - Lanclée [SPD]: Endlich!)

- Nein, wir tun dies, weil wir feststellen wollen, wie strapazierfähig Ihr immer wieder aufgepepptes, nachfinanziertes und nachqualifiziertes System Verlässliche Grundschule tatsächlich ist. Ich sage aber auch heute noch, dass sich der Vertretungsunterricht nicht so darstellt, wie er verkauft wird. Ich hoffe jedoch - von daher habe ich den Bequemlichkeitsfaktor der Eltern, was nicht negativ gemeint ist, von vornherein mit einkalkuliert -, dass sie denn sagen - das ist nicht nur positiv -: Wenn ich verlässlich weiß, dass mein Kind von acht Uhr bis 13 Uhr betreut wird, dann kann ich mich dem in Zukunft auf lange Sicht nicht verweigern. Ich darf Sie nur bitten, sich hier kooperativ zu verhalten, das Vertrauen zu rechtfertigen und dieses für die Zukunft als etwas Besonderes und als Ergebnis einer insgesamt doch guten Korrespondenz im politischen Tun im Auge zu behalten.

Meine Damen und Herren, ich lade Sie ein, mit uns gemeinsam ein Gespenst einzufangen,

(Meinhold [SPD]: Ja, machen wir!)

das meine Kollegin Astrid Vockert schon sehr deutlich beschrieben hat, nämlich das Gespenst eines ganz konkreten und absehbaren Lehrermangels. Ich möchte Sie dazu einladen, diesen Lehrermangel nicht als eine Schimäre, sondern als etwas zu betrachten, das uns angeht, sodass wir gemeinsam einen Bildungsnotstand hoffentlich nicht erleben werden.

(Präsident Wernstedt übernimmt den Vorsitz)

Bereits zum Schuljahresbeginn 1999/2000 hatte die Landesregierung - die Ministerin wird das bestätigen - im ländlichen Raum, insbesondere auch an den Sonderschulen und, wie durch Frau Vockert schon gesagt, an den berufsbildenden Schulen, Stellen nicht besetzen können. Doch es geht nicht nur um Sonderschulen und Berufsschulen; Lehrer werden mittlerweile händeringend gesucht, insbesondere - das wissen wir ja - Fachlehrkräfte für Physik, Chemie, Englisch, Musik, Werken, Technik, und zwar nicht nur an Haupt

und Realschulen, sondern für Musik sogar auch an den Gymnasien.

Hintergrund ist, dass sich zwei gravierende Entwicklungen überschneiden:

Zum einen steigt die Schülerzahl in den nächsten Jahren weiterhin deutlich an. Wir wissen: Bis zum Jahr 2004 werden es roundabout 10.000 Schüler mehr. Das ist eine Folge der demografischen Entwicklung, auch der Migration, der innerdeutschen Migration nach Niedersachsen.

An den allgemein bildenden Schulen wird der Höhepunkt der Schülerzahl im Jahr 2004 erreicht. Erst im Jahr 2009 wird die Schülerzahl wieder auf den Stand des letzten Jahres sinken. Der Höhepunkt des Schülerbergs an den berufsbildenden Schulen wird erst für das Jahr 2008 erwartet. Die Schülerzahl von 1998 wird dort erst im Jahr 2015 wieder unterschritten. Bis zum Höhepunkt des Schülerbergs über alle Schulformen hinweg im Jahre 2004 sind nach den statistischen Unterlagen der Landesregierung fast 50.000 zusätzliche Schüler zu beschulen.

Zum anderen - das kommt eben hinzu - gibt es eine große Pensionierungswelle an den niedersächsischen Schulen. So scheiden in den allgemein bildenden Schulen pro Jahr 2.200 Lehrkräfte aus, und bis zum Jahr 2010 scheiden - diese Zahl muss man sich einmal vor Augen führen; Herr Meinhold, hören Sie gut zu;

(Meinhold [SPD]: Oh ja, mache ich!)

Sie sind vielleicht dabei - etwa 30.000 Lehrer aus. Ähnlich dramatisch verläuft die Entwicklung natürlich bei den berufsbildenden Schulen.

Gleichzeitig reichen die Ausbildungskapazitäten an den niedersächsischen Lehrerseminaren - davor haben wir schon vor Jahren gewarnt - bei weitem nicht aus - ich glaube, da sind wir uns einig -,

(Meinhold [SPD]: Ja!)

um auch nur den Ersatzbedarf für die ausscheidenden Lehrkräfte zu decken. Machen wir es ganz konkret: Insgesamt stehen für Grund- und Hauptschulen, Realschulen, Sonderschulen und Gymnasien 3.000 Ausbildungsplätze zur Verfügung. Vor dem Hintergrund einer 18-monatigen bzw. 24monatigen Ausbildungszeit beenden also pro Jahr etwa 2.000 Lehrer ihre Ausbildung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach den Planungen und Berechnungen der Landesregierung 10 % wegen

Abbruchs und Nichtbestehens der zweiten Staatsprüfung - auch das gibt es ja noch hin und wieder nicht zur Verfügung stehen und dass weitere 20 % wegen nicht gefragter Fächerkombination oder fehlender Mobilität wegfallen. Bei 2.200 ausscheidenden Lehrkräften pro Jahr stehen also faktisch nur 1.300 neue Lehrkräfte zur Verfügung. Der Ersatzbedarf für die ausscheidenden Lehrkräfte wird also nicht im Entferntesten gedeckt.

In unserem Bundesland werden bis zum Jahr 2004 für alle Schulformen etwa 8.000 Lehrer ausgebildet, während fast 15.000 Lehrer ausscheiden. Hinzu kommt noch der Zusatzbedarf durch die vorhin schon erwähnten 50.000 zusätzlichen Schüler.

Meine Damen und Herren, neben die unzureichende Zahl von Plätzen in der zweiten Phase der Lehrerausbildung treten die unzureichenden Kapazitäten an den niedersächsischen Hochschulen. Nach den Planungen und Berechnungen der Landesregierung erreicht nicht einmal die Hälfte der Studienanfänger im Lehramtsbereich das Ziel, nämlich eine Einstellung in den Schuldienst. Deshalb müssen die Studienanfängerkapazitäten mindestens doppelt so hoch sein wie der voraussichtliche Lehrerbedarf. Doch im letzten Studienjahr, 1998/99, standen an den niedersächsischen Hochschulen nur knapp 4.000 Studienplätze für das Lehramtsstudium zur Verfügung. Bei einer Erfolgsquote von nicht einmal 50 % kann der Ersatzbedarf schon für das Jahr 2005 noch nicht einmal zu zwei Dritteln abgedeckt werden. Doch es kommt noch schlimmer. Von diesen 4.000 Studienanfängerplätzen sind überhaupt nur 3.000 Plätze besetzt. Das heißt, dass wir für das Jahr 2005 nicht einmal die Hälfte des Bedarfs - das kann man sich merken - aus niedersächsischen Kapazitäten werden decken können.

(Glocke des Präsidenten)

Besonders gravierend wirken sich auch hier die geringen Studienanfängerzahlen im Bereich des Lehramts für berufsbildende Schulen aus - ein Bereich, der in den folgenden Jahren den höchsten Bedarf hat.

Vor diesem Hintergrund kann ich dem Herrn Wissenschaftsminister Thomas Oppermann eigentlich nur empfehlen, die Zulassungsbeschränkungen für das Lehramtsstudium, den Numerus clausus, aufzuheben und die Tore möglichst weit zu öffnen.

(Zustimmung bei der CDU)

Welche Fehlentwicklungen - mit fatalen Folgewirkungen! - von der Landesregierung zu verantworten wären, möchte ich am Beispiel der Realschule deutlich machen. In dem Bereich steigt die Zahl der Pensionierungen ganz drastisch. Schon jetzt, Herr Meinhold, ist das Durchschnittsalter 51 Jahre oder 51,5 Jahre. Wenn Sie da die Tür einmal fest zumachen, wenn Sie in die Schule kommen, dann fallen ein paar Lehrer um. 51,5 Jahre ist das Durchschnittsalter!

(Schurreit [SPD]: Wie alt bist du denn?)

Dort steigt die Zahl der Pensionierungen also drastisch an. Bereits im Jahre 2000 scheiden 400 Lehrkräfte aus. Im Jahr 2006 werden es 550 sein. Gleichzeitig steigt, wie gesagt, die Schülerzahl bis zum Jahr 2006 noch einmal um 20.000. Doch aus den Lehrerseminaren stehen nur 100 Realschullehrkräfte pro Jahr zur Verfügung. Das zeigt deutlich, wie wir in Wirklichkeit dastehen. Hinzu kommt noch das fachspezifische Defizit.

Seitens der Landesregierung wird dann gern auf die Absolventen der neuen Einheitslehrerausbildung verwiesen und darauf, dass durch eine entsprechende Schwerpunktbildung der Bedarf im Bereich Realschulen gedeckt werden könne. Einmal abgesehen davon, dass bisher 90 % den Schwerpunkt Grundschule gewählt haben - von allen, die das da durchlaufen, wählen 90 % den Schwerpunkt Grundschule! -: Hier wäre die Landesregierung schon vor Jahren aufgerufen gewesen, statistisch zu erfassen, welchen Schwerpunkt die Studierenden in der Einheitslehrerausbildung gewählt haben. Sehr geehrte Frau Ministerin, Frau Jürgens-Pieper, angesichts dieser fehlenden Planungsdaten kann man dann nicht so kommentieren, finde ich, wie Sie das am 12. November 1999 getan haben, indem Sie geäußert haben, dass die Befürchtung, Lehrerinnen und Lehrer des künftigen Lehramts an Grund-, Haupt- und Realschulen mit dem Schwerpunkt Grundschule würden regulär auch in der Realschule eingesetzt werden, jeder Grundlage entbehrt. Das Gegenteil wird der Fall sein! Zu Recht spricht der Verband Deutscher Realschullehrer in seiner Presseerklärung aus der vorigen Woche von einem Qualitätskollaps in der Lehrerausbildung.

(Unruhe)

- Ich zitiere: Qualitätseinbrüche durch den schulfremden Einsatz, durch fachspezifisches Fehl, durch verstärkten fachfremden Unterricht und durch Lehrermangel seien vorprogrammiert.

(Unruhe)

- Herr Meinhold, freuen Sie sich nicht! Auch Ihr Verband hat sich dem angeschlossen. Die GEW warnt in der jüngsten Ausgabe ihres Organs - das werden Sie ja gelesen haben

(Meinhold [SPD]: Ja!)

vor dem Einheitslehramt

(Beifall bei der CDU)

und befürchtet, dass zukünftig für den Sekundarbereich I kaum noch entsprechende Lehrkräfte zur Verfügung stehen werden.

Zurzeit können die Lücken in Niedersachsen nur noch durch die Bewerbungen von arbeitslosen Lehrkräften aus anderen Bundesländern gefüllt werden. Doch für den Wettkampf der Bundesländer um die besten Lehramtskandidaten, der bereits begonnen hat, ist Niedersachsen nicht gut gerüstet, um nicht zu sagen: schlecht gerüstet. Die Praxis der Zwangsteilzeitstellen ist ebenso unattraktiv wie die - ich habe es gestern einem Kollegen von Ihrer Seite gesagt - im Ländervergleich überproportional hohe Unterrichtsverpflichtung der Lehrkräfte. Im kommenden Jahr sind ja auch die Gymnasiallehrer mit einer Stunde mehr dabei. Andere Bundesländer dagegen haben bereits reagiert. In Bayern gibt es eine Bewerbergarantie - die gibt es! -,

(Glocke des Präsidenten)

was bedeutet, dass es zwischen Studium und zweiter Ausbildungsphase überhaupt keine Wartezeiten gibt und jeder Bewerber sofort einen Platz bekommt. In Baden-Württemberg ist das genauso. Für den Bereich der berufsbildenden Schulen werden zudem Anwärtersonderzuschläge gezahlt, um die Leute zu halten. Aber das geht ja an uns vorbei. Wir sind wie das Kind in der Mitten.

Auch die von der Landesregierung angekündigte Verkürzung der zweiten Ausbildungsphase für Gymnasiallehrer wird meiner Meinung nach die Wettbewerbschancen nicht verbessern; im Gegenteil. Ich will nicht das wörtlich übernehmen, was die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“ ebenfalls in der vorigen Woche geschrieben hat, nämlich dass das ein fragwürdiges Signal sei. Weil die

Anforderungen in den Schulen ständig steigen, darf man nicht an der Qualität der Ausbildung sparen.

(Glocke des Präsidenten)