- Für Sie scheint es neu zu sein. Sie scheinen das Grundgesetz nicht mehr zu kennen. Deswegen möchte ich Sie daran erinnern.
Nein. - Auf den Seiten 66/67 steht, wie das Finanzwesen in Deutschland gestaltet wird. Die klugen Leute, an die Herr Wulff heute zu Recht erinnert hat, wussten, dass man in einem Staat Aufgaben verteilen muss, aber auch sagen muss, wer sie bezahlen soll. In Artikel 106 Abs. 2 wird als erste Einnahmequelle der Länder die Vermögensteuer genannt, meine Damen und Herren.
Herr Wulff, wenn das mit der Vermögensteuer alles so katastrophal ist, wenn sie den Untergang des Abendlandes bedeutet, die Unternehmen ins Ausland treibt, wenn den armen Mütterchen dadurch ihr Mobiliar wegbesteuert wird und ich weiß nicht, was noch alles, dann habe ich eine Bitte: Erläutern Sie uns doch einmal, warum das eigentlich in unserer Verfassung steht. Warum ist das zwischen 1950 und 1996 46 Jahre lang gut gegangen? Warum waren das die Jahre, in denen Deutschland jedes Jahr ein Stück reicher wurde? Warum ist es so katastrophal, über das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland zu diskutieren, meine Damen und Herren?
Das ist doch nur der Versuch, von dem eigentlichen Thema abzuweichen, um das es in Deutschland - übrigens gerade nach der Vertrauenskrise, die wir gerade erleben - wirklich geht, dass nämlich Politik nicht nur jeden Tag den Menschen ein neues Versprechen geben darf, sondern dass Politik auch einmal sagen muss, wie dies gerecht finanziert wird. Die Leute draußen verstehen doch kein Wort mehr von dem, was die Politiker aller Parteien sagen. Sie nehmen es nicht mehr für bare Münze, weil sie in ihrer Erfahrung erleben: Die versprechen uns jeden Tag etwas Neues, aber sie sagen eigentlich nie, wie das umgesetzt werden soll.
Wir müssen - Herr Wulff, da haben Sie doch Recht - zu der Erkenntnis der Alten in Deutschland zurückkehren, dass es notwendig ist, diesen Staat wieder in Ordnung zu bringen und festzustellen, was seine Aufgaben sind und was nicht und wie er sie bezahlen soll. Ich stimme mit Herrn Clement und vielen anderen darin überein, dass wir in Deutschland viel Geld ausgeben, dass wir in Zukunft mehr sparen müssen. Wir kommen gleich, wenn wir über Bundespolitik reden, dazu, wo denn Ihre Vorschläge zu Einsparungen sind. Aber wir wissen doch alle - jeder, der hier im Raum sitzt -, dass wir diese Einsparungen nicht für neue Ausgaben verwenden dürfen, sondern dass wir die Schulden in Deutschland senken müssen. Das ist die Wahrheit, über die wir reden!
Wir haben in den letzten drei Jahren im Landeshaushalt rund 290 Millionen Euro eingespart. Seit 1994 sind es 750 Millionen Euro. Wir wollen noch
einmal über 300 Millionen Euro einsparen. Kein müder Cent davon steht für zusätzliche Ausgaben im Bildungssektor zur Verfügung. Sie müssen genutzt werden, um die viel zu hohen Schulden und die Zinsen zu senken - ein anderes Problem, das unsere Kinder, Enkel und Urenkel noch belasten wird. Deswegen ist es relativ verlogen, Herr Wulff, wenn man öffentlich sagt „Spart doch endlich ein“, aber gleichzeitig in diesem Land an jedem Tag jedem Menschen eine neue Versprechung macht. Das ist doch die Politik der CDU.
Sie gehen seit Wochen und Monaten durch das Land und wollen heute mehr Geld für die Kommunen, morgen mehr für die Polizei, übermorgen mehr für die Lehrerinnen und Lehrer. Sie sind gegen jede Form der Verwaltungsreform gewesen. Wir haben doch erlebt, wie Sie sich verhalten haben. Wer hat denn dagegen gestimmt, als wir die Katasterverwaltung reformiert haben?
Wer hat sich denn gegen die Beihilfemaßnahmen gewandt? Wer ist denn gegen die Verlängerung der Arbeitszeit bei Lehrern gewesen? - Sie haben jedes Mal dagegen gestimmt, weil Sie zu feige sind, hier im Lande wirklich Politik zu machen!
Ich weiß auch, dass manches in der Politik keine Freude bereitet. Menschen zu sagen „Hört einmal, wir verlängern eure Arbeitszeit“ oder zu sagen, dass man nicht mehr die gleichen Beihilfeleistungen bieten kann, ist keine große Freude, meine Damen und Herren. Aber wir sind in der Politik nicht nur, damit wir selber Freude haben, sondern wir haben eine Verantwortung zu tragen. Die CDU unter der Führung von Herrn Wulff ist gegen jede Sparmaßnahme. Sie verspricht den Menschen jeden Tag sinkende Steuern, geringere Schulden, aber mehr Ausgaben. Ich weiß nicht, wo Sie rechnen gelernt haben. Aber das muss eine ganz schlechte PISA-Schule gewesen sein.
Wir wissen, dass es einen Bereich gibt, in dem wir überhaupt nicht sparen dürfen, in dem wir - ganz im Gegenteil - mehr Geld ausgeben müssen. Übrigens hat diese Fraktion, die Mehrheit im Parlament, gesagt - ich nehme an, Sie hätten das auch gemacht, wenn Sie in der Regierung wären -: Wir wollen mehr Geld für Bildung ausgeben. In diesem Haushalt stehen 160 Millionen Euro mehr als im Jahr 2000 für die Bildung in diesem Land zur Verfügung. Wir haben die Verlässlichen Grundschule mit den Eltern und gegen das Votum der CDUFraktion durchgesetzt.
Wir haben Sprachunterricht ab dem Kindergarten durchgesetzt - mit den Eltern und gegen die Position der CDU-Fraktion.
Wir haben begonnen, ein Netz von Ganztagsschulen auszubauen, und zwar mit den Eltern, mit allen, die das wollen - wieder gegen die Stimmen der CDU-Fraktion in diesem Hause.
Wir wissen, das alles reicht noch nicht. Herr Wulff hat Recht, wenn er sagt, wir müssen nicht nur Geld ausgeben. Wir müssen in das, was Anstrengungsbereitschaft und Wertschätzung von Bildung angeht, deutlich mehr investieren. Aber Herr Wulff, warum fordern Sie dann eigentlich 3 000 zusätzliche Lehrerinnen und Lehrer? Warum sagen Sie der geschätzten Öffentlichkeit nicht, wie Sie das bezahlen wollen? Warum sagen Sie nicht, woher Sie das Geld nehmen wollen? - Ich weiß, dass Sie mit der Forderung Recht haben, dass wir endlich eine hundertprozentige Unterrichtsversorgung herstellen müssen, und zwar nicht nur in der Grundschule. Die Eltern wollen von uns nicht immer nur irgendwelche Statistiken vorgehalten bekommen. Ich meine, dass Sie zu Ihrer Schüler-Lehrer-Frequenz der Fairness halber erwähnen müssten, wie das in ganz Deutschland aussieht.
Ich bin übrigens der Meinung, dass Sie Recht haben, wenn Sie 3 000 Stellen fordern. Aber man kann es sich nicht so leicht machen wie Sie, immer nur zu fordern und nicht zu sagen, wie es bezahlt werden soll.
Jetzt sage ich Ihnen, wo offensichtlich Ihre Schwerpunkte liegen und wo der Ärger in Deutschland herkommt. Die Lohnsteuerquote am Gesamtsteueraufkommen - das ist das, was Arbeiter und Angestellte bezahlen müssen - lag im Jahr 1980 bei 17 %. Heute liegt sie bei 32 %. Wir haben in den letzten 20 Jahren fast eine Verdoppelung des Anteils am Steueraufkommen, das Arbeiter und Angestellte finanzieren, erreicht. Die Menschen merken doch, dass es in Deutschland ungerecht zugeht, dass ein großer Teil der Bevölkerung seit 20 Jahren immer mehr Steuern zahlen muss und ein anderer immer weniger.
Deswegen ist es doch wichtig, darüber zu reden, wie wir die zusätzlich notwendigen Ausgaben im Bildungssektor, die die Kinder, die Eltern und die Wissenschaft brauchen, gerecht finanzieren wollen?
Sie haben doch offensichtlich nur zwei Alternativen: Entweder Sie beschwindeln die Leute und wollen gar keine 3 000 Lehrerinnen und Lehrer einstellen, oder Sie haben in Wahrheit vor, die Mehrwertsteuer zu erhöhen. Es gibt nur diese beiden Alternativen, wenn Sie gegen die Vermögensteuer sind. Dabei greifen Sie den Leuten aber wieder in die Tasche. Wieder sollen die Arbeiter und Angestellten die Zeche bezahlen. Das kann nicht unsere Politik sein. Wir alle - auch Sozialdemokraten - haben in Deutschland zwei große Lebenslügen gepflegt. Beide haben mit der deutschen Einheit zu tun. Wir haben die deutsche Einheit auf Pump finanziert - Sie voran, wir hinterher. Das Ergebnis sind 40 Milliarden Euro Zinszahlungen im Bundeshaushalt. Die Menschen in Deutschland wären 1989/1990 zu allem bereit gewesen.
- Ach hören Sie doch auf! Sie waren damals an der Regierung. Ich möchte mit Ihnen gar nicht darüber richten, ob die Sozialdemokraten nicht genauso zurückhaltend und mutlos gewesen sind. Aber lassen Sie uns doch einmal zugeben, dass es ein Fehler war, und lassen Sie ihn uns endlich korrigieren!
Diese Zinsen sollen heute die jungen Leute durch höhere Steuern zahlen. Dies ist das Ergebnis dieser steigenden Lohnsteuerquote. Das kann doch auch nicht Ihr Wille sein. Der zweite Fehler war, dass wir die deutsche Einheit eben nicht als nationale Aufgabe organisiert haben. Wir haben sie in die Sozialkassen abgeschoben. Kein Abgeordneter, keine Oppositionsführer, kein Ministerpräsident, kein Vorstandsvorsitzender,
kein Freiberufler hat bis 1998 eine müde Mark für den Aufbau der Rentenversicherung in Ostdeutschland gezahlt - keine müde Mark, meine Damen und Herren!
- Sie haben keine Ahnung, wie das läuft. In Wahrheit werden die Renten-, die Kranken- und die Arbeitslosenversicherung im Wesentlichen über Beiträge bezahlt. Natürlich gibt es Steuerzuschüsse, die hat es aber schon vorher gegeben.
Warum wehren Sie sich denn dann gegen die Ökosteuer? - Sie dient doch gerade dazu, das zu finanzieren.
Die Ökosteuer gibt es seit 1998. Damit werden höhere Beiträge aus den Steuerkassen für die Rentenversicherung bezahlt. Das ist auch gut so.
Sie waren doch immer dagegen. Sie haben im Jahr 1998 in Deutschland einen Rentenversicherungsprozentsatz von 20,3 % geschaffen. Wir haben ihn auf 19,1 % heruntergedrückt, jetzt steigt er wieder auf 19,5 %. Das ist nicht gut. Aber Sie sind die Letzten, die uns Ratschläge geben dürfen. Sie haben den Prozentsatz doch erst nach oben getrieben!