Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum wiederholten Male in den letzten etwa zehn Jahren weisen wir darauf hin, dass es bei den Eltern, bei den Lehrern und bei vielen Schülerinnen und Schülern in Niedersachsen eine große Verunsicherung über wachsende exzessive Jugendgewalt an unseren Schulen gibt. Die Deutsche Presseagentur hat vorgestern berichtet, wegen exzessiver Gewalt gegen Mitschüler säßen zwei 15 und 16 Jahre alte Jugendliche in Untersuchungshaft. Sie sollen Schulkameraden und Mädchen erpresst, verprügelt und ausgeraubt haben und den Opfern mit Prügel und Tod gedroht haben, sodass diese inzwischen nicht mehr bereit seien, bei der Polizei auszusagen.
Am vergangenen Freitag berichtete die Neue Presse in Hannover, dass in der Landeshauptstadt 46 Jugendbanden prügeln und stehlen, die Menschen Furcht haben und es nicht nur um Messer und Pistolen in den Händen von den Kindern und Jugendlichen geht, sondern - so Polizeipräsident Klosa - die Zahl gewaltbereiter Kinder und Jugendlicher größer und das Alter der Täter immer niedriger geworden ist.
Ich glaube, dass jenseits der Statistiken tatsächlich nicht bestritten werden kann, dass viele Kinder und Jugendliche weniger Respekt vor der Rechtsordnung und weniger Akzeptanz für Regeln und Normen haben, als es über Jahrzehnte der Fall gewesen ist. Wir hatten hier bisher Einigkeit, dass es um Erziehung, um Werteorientierung und um Inhalte geht und dass es - so habe ich es einmal gesagt um Begriffe mit dem Anfangsbuchstaben „Z“ geht, wie Zeit, Zuwendung und Zuneigung, an denen es Kindern immer häufiger mangelt, und dass wir uns ernsthafter darüber Gedanken machen müssen, wie wir durch die Stärkung von Autoritäten von Eltern und Lehrern so etwas wie starke Persönlichkeiten mit Rückgrat, mit Bindungen und Bezügen schaffen.
Vor diesem Hintergrund sind wir doch ziemlich verzweifelt darüber, dass es der Landesregierung seit Jahren nicht gelingt, ein Konzept aus einem Guss auf den Tisch zu legen und dann auch vorzuleben. Das peinlichste Beispiel hierfür war in den vergangenen Tagen die Situation an der Schule in Stadthagen. Da passiert es einem ansonsten häufig besonnenen Mann wie dem Justizminister, ohne Kenntnis der Situation vor Ort und ohne sich ein Bild vor Ort gemacht zu haben, gleich wieder die Lehrkräfte zum Sündenbock zu machen und ihnen Vorwürfe zu machen, die darin gipfelten, dass unterlassene Hilfeleistung und bewusstes Wegschauen die Ursachen für die Probleme an der Schule in Stadthagen seien.
Ich konzediere hier, Herr Minister Pfeiffer, damit wir nicht zu sehr rückwärtsgewandt diskutieren, dass Sie das in der Schule klargestellt haben, dass Sie Ihre Vorwürfe zurückgenommen haben und das Thema damit erledigt ist.
Aber was für uns als Opposition in diesem Hause nicht erledigt ist, ist die Tatsache, dass Sie als Landesregierung - mit Ausnahme von Justizmi
nister Pfeiffer - sich ständig des Vorwurfs erwehren müssen, wegzuschauen und bewusst Hilfestellung zu unterlassen;
denn die Schule weist seit 1995 die Schulaufsicht und das Ministerium auf ihre Probleme hin, ohne dass ihr Hilfe zuteil geworden wäre.
Gleiches gilt auch für die Frage, die heute morgen so strittig war, nämlich die Frage der Unterbringung in geschlossenen Heimen. Am 2. Juni 1997, also vor fünf Jahren, hatten wir in einer beachteten Initiative „Maßnahmen gegen wachsende Jugendkriminalität“ gefordert, auch für einen kleinen Kreis hochgradig gefährdeter und krimineller Kinder und Jugendlicher geschlossene Unterbringung vorzusehen. Polizeipräsident Klosa hat jetzt in dem gleichen Bericht in der Neuen Presse vom 20. September gesagt, Intensivtäter müssten im Extremfall auch in einer geschlossenen Anstalt untergebracht werden.
Diesbezüglich hatten wir hier immer wieder auf den Problemdruck hingewiesen. Aber es war nicht möglich, diese Frage mit der Sozialdemokratie zu regeln. Stattdessen sind, weil es populär ist, Jahr für Jahr Überschriften in den Zeitungen produziert worden, wonach kriminelle Kinder bald ins Heim kämen, kriminelle Kinder notfalls weggeschlossen werden müssten und geschlossene Heime für straffällige Jugendliche ins Auge gefasst würden. Heute Morgen hat der Ministerpräsident in einer sehr demagogischen Form, dem Thema völlig unangemessen, gesagt: Wir haben gegen die Stimmen der CDU-Landtagsfraktion dieses Hauses in anderen Ländern Inobhutnahme vorgesehen. Er hat weiter gesagt, damit seien die Sozialdemokraten sozusagen die Retter der Situation und die CDU-Fraktion habe sich verweigert.
In diesem Protokoll vom 22. Januar 1998 geht es um unseren Initiativantrag gegen die wachsende Jugendkriminalität. Dort berichtet der Berichter
„Der Ausschuss für Jugend und Sport empfiehlt Ihnen, den Antrag anzunehmen in Form der veränderten Fassung der SPD-Mehrheit.“
„Im Mittelpunkt der strittigen Diskussion im Ausschuss stand der Begriff ‚geschlossene Heimunterbringung‘. Hierzu erklärte ein Mitglied der SPDFraktion, seine Fraktion sehe diesen Begriff als negativ besetzt an. Die SPD-Fraktion distanziere sich von der geschlossenen Heimunterbringung. Stattdessen wünsche sie eine Krisenintervention.“
„Ein Ausschussmitglied der CDUFraktion erklärte im Verlaufe der Beratungen, dass es bei dem Antrag der CDU-Fraktion keineswegs um die Konzepte zur geschlossenen Heimunterbringung der 70er-Jahre gehe. Ausdrücklich habe die CDU-Fraktion in ihrem Antrag auf die geschlossene Heimunterbringung im Rahmen wirkungsvoller therapeutischer Konzepte abgestellt. Betroffen hiervon sei nur ein kleiner Kreis nicht einsichtsfähiger Problemjugendlicher.“
Sie haben sich dieser Argumentation bewusst verschlossen, obwohl die Kollegin Vockert in der Debatte darauf hingewiesen hat, dass damals der Innenminister, Herr Bartling, in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung ausgeführt hat, wichtig sei, dass die Jugendlichen in den geschlossenen Einrichtungen pädagogisch betreut würden und auch nach der Entlassung Therapieangebote erhielten.
„zwingen, sich mit ihrem Verhalten auseinander zu setzen. Das geht aber nur, wenn wir die Türen dicht machen.“
Diesem Petitum von Herrn Pfeiffer als damaligem Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts und Ihres Innenministers haben Sie sich verweigert.
Bei unserem Besuch in Gauting bei München haben uns in geschlossenen Heimen untergebrachte Mädchen, mit denen wir einige Stunden verbracht haben, um Vertrauen zu gewinnen, in einer Diskussion ohne Betreuer und ohne Pädagogen - es waren nur die Mädchen anwesend - gesagt, dass sie vor dem Hintergrund ihrer Erlebnisse in ihren zerrütteten Familienverhältnissen dankbar dafür sind, dort geschlossen untergebracht zu sein; denn sie sind vorher in einer Vielzahl von Stationen immer wieder ausgebüchst und sind dann in Prostitution und Drogenabhängigkeit, in gefahrenvolle Situationen geraten. Sie waren froh, in einem geschlossenen Heim untergebracht zu sein, um auf einen vernünftigen Pfad zu kommen.
Wir haben den Änderungsantrag damals abgelehnt, weil er vorsah, bestimmte unserer Punkte zu streichen, nämlich die Jugendämter zu unterstützen und die Kommunen finanziell nicht alleine zu lassen. Bestandteil unseres Antrages war auch die Ausweisung von Erziehungs- und Ordnungsmaßregeln für Schulen, weil eine Schule die Möglichkeit haben muss, jemandem zu sagen: Du kommst in die Parallelklasse, oder du musst sogar die Schule verlassen.
Damals erlebten wir - es gab einen fürchterlich umständlichen Katalog, der nur teilweise geändert wurde - ständig die demagogischen Reden Ihres damaligen Fraktionsvorsitzenden Gabriel, der sagte: Ihr Bösewichter, ihr wollt am Ende I-Männchen von der Schule verweisen können. Da ihr schon Sechsjährigen sozusagen mit den Bütteln des Staates droht, ist euer gesamter Antrag dummes Zeug. - So ist hier diskutiert worden. Das war unterstes Niveau, unterste Schublade bei einem so ernsten Problem!
Sie müssen doch einmal zur Kenntnis nehmen, dass es heute acht-, neunjährige Schüler gibt, vor allem aus bestimmten Kulturkreisen mit bestimmten Machoverhaltensweisen, die daran gehen, andere Kinder - -
Ich muss ehrlich sagen für ein Land mit der Firma Sennheiser, das die besten Mikrofone der Welt baut, ist das hier mit der Mikrofonanlage wirklich eine Rarität. Das Mikrofon fällt schon herunter.
Herr Präsident Wernstedt, wir sollten auch die Firma Siemens nicht unter Bayern buchen. Werner von Siemens ist in Goslar geboren und hat die ersten acht Lebensjahre auf dem Obergut Lenthe bei Hannover verbracht. Er ist quasi Niedersachse. Insofern sollten Siemens und Sennheiser eine Verbindung liefern - wenn ich diese Bitte äußern darf -, damit wir auch im Niedersächsischen Landtag vernünftig Debatten führen können.
Wir haben es abgelehnt, dass sich das Land mit dem Argument der formalen Zuständigkeit der Kommunen zu stark aus seiner Verantwortung herauszieht; denn bei einem Tagessatz von 250 Euro ist es für die meisten Kommunen schlicht unmöglich, eine anderweitige Unterbringung vorzusehen. Wir nehmen die Hinweise der evangelischen Diakonie ernst, die die evangelischen Einrichtungen bei uns unterhält und uns gerade geschrieben hat:
„In den letzten Jahren wurde überall die finanzielle Ausstattung der Jugendämter zum Teil drastisch gekürzt. Das bedeutet, dass einerseits im präventiven Bereich weniger Maßnahmen durchgeführt werden konnten und dass andererseits im anderen Fall erforderliche kostenaufwändige Intensivmaßnahmen aus Kostengründen zurückgeschraubt worden sind. Dies seitens der Landesregierung den Jugendämtern anzulasten, ist unangebracht. Der Sparzwang, dem die Jugendämter unterliegen, beruht auf gewollten politischen Entscheidungen. Wenn dann negative Folgen eintreten, darf nicht auf die Falschen eingeschlagen werden.“
Sie sollten Ihr Verhältnis zu den Kommunen, zu den Jugendämtern, zu denen, die sich dort abmühen, grundlegend überdenken; denn Sie lassen sie mit Ihrer Politik allein.
Wir erwarten eben nicht nur die Installierung neuer, zusätzlicher Gremien oder - wie es mit diesem schrecklichen Anglizismus heißt - Task Forces, sondern wir erwarten konkrete Maßnahmen dafür, dass im Land wieder eine solche Einrichtung geschaffen wird, wie es sie hier früher gegeben hat.
Ihren Vorschlag, neue Gremien zu bilden, haben jüngst - Frau Trauernicht, Sie sind ja aus der Gegend - die Jugendämter Ostfrieslands, sozialdemokratisch dominiert, rundweg abgelehnt. Ich zitiere wörtlich aus der Ostfriesen Zeitung vom 19. September:
„Die Jugendämter Ostfrieslands lehnen die neue Idee des Ministerpräsidenten rundweg ab. Gebraucht werden mehr geschlossene Heimplätze, in denen den Kindern und Jugendlichen auch eine Therapie angeboten wird. Leider gibt es solche Heime in Niedersachsen nicht. Aus unserer Sicht“
„wäre die Schaffung solcher Plätze wünschenswerter als eine Task Force, erklärt auch der Pressesprecher des Landkreises Leer. ‚Was nutzt es, wenn ich die Notwendigkeit erkenne, einen Jugendlichen geschlossen unterzubringen, aber nicht die Möglichkeit dazu habe?‘, fragt nicht nur der Fachbereichsleiter Jugend in Emden.“
Das ist eine Ohrfeige der kommunalen Ebene gegenüber dieser Politik der Landesregierung; nichts anderes!