Protocol of the Session on June 12, 2002

Damit verlassen wir den Tagesordnungspunkt 6 und kommen zu

Tagesordnungspunkt 7: Einzige (abschließende) Beratung: Verfassungsgerichtliches Verfahren - Verfassungsbeschwerde des Herrn Dr. Michael Geiger, Am Feldgraben 19, 29227 Celle, gegen Art. 4 des niedersächsischen Haushaltsbegleitgesetzes vom 21. Dezember 2001 (Nds. GVBl. S. 806) - Schreiben des Bundesverfassungsgerichts - Zweiter Senat - vom 08.03.2002 - 2 BvR 164/02 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Rechts- und Verfassungsfragen - Drs. 14/3413

Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen. Auch waren sich im Ältestenrat die Fraktionen einig, dass über diesen Punkt ohne Besprechung abgestimmt wird. - Ich höre gegen dieses Verfahren keinen Widerspruch und lasse daher gleich abstimmen.

Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Rechts- und Verfassungsfragen in der Drucksache 3413 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Auch die Kolleginnen und Kollegen, die in den Gängen stehen, können an der Abstimmung teilnehmen! - Gibt es Gegenstimmen? Dies ist nicht der Fall. Stimmenthaltungen? - Auch nicht. - Dann haben Sie einstimmig so beschlossen.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 8: Zweite Beratung: Stärkung der Demokratie und mehr Verwaltungstransparenz in Niedersachsen Landtag macht sich stark für ein Informationsfreiheitsgesetz - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 14/2191 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Rechts- und Verfassungsfragen - Drs. 14/3419

Dieser Antrag wurde in der 71. Sitzung am 22. Februar 2001 an den Ausschuss für Rechtsund Verfassungsfragen zur federführenden Beratung und Berichterstattung überwiesen. Berichterstatterin ist die Abgeordnete Frau Müller, der ich das Wort erteile.

(Vizepräsidentin Goede übernimmt den Vorsitz)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen empfiehlt Ihnen mit den Stimmen der Verteterinnen und Vertreter von SPD und CDU und in Übereinstimmung mit den mitberatenden Ausschüssen, den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der Drucksache 2191 abzulehnen. Den Rest des Berichtes gebe ich zu Protokoll.

(Beifall bei der SPD)

(Zu Protokoll:)

Mit der Beschlussempfehlung in der Drucksache 3419 schlägt Ihnen der Ausschuss für Rechtsund Verfassungsfragen vor, den „Stärkung der Demokratie und mehr Verwaltungstransparenz in Niedersachsen - Landtag macht sich stark für eine Informationsfreiheitsgesetz“ überschriebenen Antrag abzulehnen. Der Landtag soll folglich nicht, wie von der antragstellenden Fraktion gewünscht, erklären, er strebe noch in dieser Legislaturperiode die Verabschiedung eines niedersächsischen Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetzes an.

Wenngleich dieser Empfehlung schließlich mit den Stimmen der Vertreterinnen und Vertreter der SPD- und der CDU-Fraktion, also mit großer Mehrheit, zustande gekommen ist, so ist doch das Für und Wider eines derartigen Gesetzes im federführenden Ausschuss sorgfältig abgewogen worden.

Dass sich der Ausschuss für Rechts und Verfassungsfragen mit dem Antrag weit über ein Jahr lang befasst hat, liegt im Übrigen daran, dass es zunächst den Anschein hatte, der Bund werde eine entsprechende bundesgesetzliche und damit dann auch für die Länder unmittelbar geltende Regelung zügig verabschieden. Wie Sie sicherlich wissen, ist dies indes nicht der Fall. Zwar hat der Bund nach längerem Zögern einen Referentenentwurf in die Öffentlichkeit lanciert; an eine Verabschiedung des Gesetzes in der demnächst zu Ende gehenden Legislaturperiode des Bundestages ist jedoch nicht mehr zu denken.

Nachdem sich dies abzeichnete, hat der Rechtsausschuss seine zunächst zurückgestellten Beratungen deshalb im Herbst letzten Jahres wieder aufgenommen und Vertreter des Landes Brandenburgs, das neben Berlin, Nordhein-Westfalen und Schleswig-Holstein zum Zeitpunkt der Anhörung bereits über eine derartige landesgesetzliche Regelung verfügte, den Niedersächsischen Datenschutzbeauftragten sowie Vertreter der kommunalen Spitzenverbände und der Vereinigung der niedersächsischen Industrie- und Handelskammern angehört.

Während insbesondere der brandenburgische Datenschutzbeauftragte die dortige Regelung vor dem Hintergrund der Europäischen TransparenzVerordnung als zukunftsweisend empfand und auch den verwaltungspraktischen Vollzug des Gesetzes trotz einiger Mängel im Detail als unproblematisch ansah und der hiesige Datenschutzbeauftragte dazu riet, eine vergleichbare Regelung auch in Niedersachsen zu schaffen, zeigten sich die übrigen Anzuhörenden weitaus zurückhaltender. So sah der Vertreter der kommunalen Spitzenverbände zwar keine Gründe für eine generelle Ablehnung des damit einhergehenden weitaus umfassenderen Informationsanspruches der Bürgerinnen und Bürger, vermochte sich jedoch durchaus andere Wege vorzustellen, auf denen dieses Informationsbedürfnis befriedigt werden könnte. Vor allem gab er jedoch zu bedenken, dass eine solche Regelung, die tief in die Aufgabenerfüllung der Gemeinden und Landkreise eingreife und dort Kosten verursache, wenn sie denn überhaupt komme, nicht ohne deren intensive Mitwirkung vorgelegt werden könne.

Der Vertreter der Vereinigung der Niedersächsischen Industrie und Handelskammern vermochte über das bereits geltende partielle Akteneinsichtsrecht hinaus keinen rechten Bedarf für ein solches Informationszugangsgesetz zu sehen. Auch Kosten

und vor allem Konkurrenzgründe sprächen eher gegen ein solches Gesetz. Wolle man gleichwohl an einem derartigen Gesetzgebungsvorhaben festhalten, so komme es der Wirtschaft insbesondere darauf an, dass insbesondere die Ausnahmefälle außerordentlich sorgfältig formuliert würden. Dieses Erfordernis machten die bereits gewonnenen praktischen Erfahrungen in Brandenburg und in Berlin deutlich.

Die Argumente aus der Anhörung spiegelten sich in den weiteren Ausschussberatungen wider. Der Vertreter der antragstellenden Fraktion wies darauf hin, die zum 1. Januar 2002 in NordrheinWestfalen in Kraft gesetzte Regelung sei vom dortigen Landtag einstimmig verabschiedet worden. Außerhalb Niedersachsens, in den benachbarten Bundesländern, bestehe folglich augenscheinlich großes Einvernehmen über die Sinnhaftigkeit eines solchen Gesetzes.

Die Sprecherin der Fraktion der SPD entgegnete, die Anhörung habe ihrer Ansicht nach ein dringendes Bedürfnis für ein derartiges Gesetz nicht belegen können. Zudem müssten die Argumente, die aus Kreisen der Wirtschaft und der kommunalen Spitzenverbände im Hinblick auf die finanzielle Situation vorgetragen worden seien, Berücksichtigung finden. Der Vorschlag, dass das Land für zusätzliche Aufgaben, die auf die Kommunen verlagert würden, auch die Kosten zu übernehmen habe, sei zwar richtig, führe angesichts der finanziellen Zwänge des Landeshaushalts jedoch nicht zu einer Lösung des Problems. Im Übrigen habe auch die Anhörung eher weitere Argumente für eine bundeseinheitliche Regelung erbracht, die die SPD-Fraktion von Beginn an bevorzugt habe.

Der Sprecher der CDU-Fraktion im Ausschuss für Rechts und Verfassungsfragen schloss sich diesem Votum ausdrücklich an. Auch die CDU-Fraktion sehe keine Möglichkeit, die für den Fall einer Landesregelung zusätzlich auf die Kommunen zukommenden Kosten landesseitig zu kompensieren.

Danke schön, Frau Kollegin Müller. - Herr Kollege Schröder, Sie sind der nächste Redner.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Aus unserer Sicht stellt die heutige Ablehnung eines Informationsfreiheitsgesetzes durch die beiden

großen Fraktionen einen durchaus bemerkenswerten Vorgang dar.

Ausgerechnet das Stammland der CeBIT, der weltgrößten Computermesse, soll Schlusslicht sein, wenn es darum geht, der Informationsgesellschaft einen modernen, zeitgemäßen Rechtsrahmen zu geben. Zu diesem Regelwerk gehört das Recht auf Informationsfreiheit ebenso wie der Schutz der informationellen Selbstbestimmung.

Meine Damen und Herren, die Fachwelt ist sich schon lange einig: Datenschutz und Informationsfreiheit sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Wirtschaftsverbände und Nichtregierungsorganisationen, wie z. B. Transparenz International, sehen in der Informationsfreiheit eines der wirksamsten Instrumente zur Korruptionsbekämpfung. Wir wissen, wenn es um Vorteilsannahme und um Bestechlichkeit geht, dann ist das eines der wenigen Gebiete, auf dem Niedersachsen noch an der Spitze in Deutschland steht. Informationsfreiheit stärkt das bürgerschaftliche Engagement und auch die Berichterstattung der Medien über öffentliche Versäumnisse - weshalb auch gerade die Journalistenverbände zu den wortkräftigsten Befürwortern eines solchen Gesetzes gehören.

Meine Damen und Herren, gesetzliche Garantien für Informationsfreiheit und für den Zugang zu Behördenakten sind mittlerweile europäischer Standard in 14 Staaten. Sie stützen sich auf den EU-Vertrag von Amsterdam ebenso wie auf Empfehlungen des Europarates. Auch im Vergleich der Bundesländer sitzt Niedersachsen hinten im Bremserhäuschen und nicht vorne auf der Lok!

In Berlin, in Brandenburg, in Schleswig-Holstein und seit dem 1. Januar dieses Jahres auch bei unseren nordrhein-westfälischen Nachbarn gelten Informationsfreiheitsgesetze, ohne dass sich dort der Untergang des Abendlandes abgespielt hätte oder Heerscharen verzweifelter Beamter um Exil in Niedersachsen nachgesucht hätten.

Meine Damen und Herren, wie weit Sie sich aus der aktuellen Diskussion verabschiedet haben, können Sie auch daraus ersehen, dass die CDU sowohl in Schleswig-Holstein als auch in Nordrhein-Westfalen eigene Gesetzentwürfe zu einem Informationsfreiheitsgesetz vorgelegt hat und dass beispielsweise im Düsseldorfer Landtag das Informationsfreiheitsgesetz einstimmig von allen vier Fraktionen verabschiedet wurde.

Und die SPD auf Bundesebene? - In den Bundesländern, in denen CDU und CSU die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt haben, sind es gerade die SPD-Landtagsfraktionen, die gemeinsam mit den Grünen auf Informationsfreiheitsgesetze drängen und zum Teil eigene Gesetzentwürfe vorlegen; so z. B. im Thüringischen Landtag, im Bayerischen Landtag, im Sächsischen Landtag und im Hessischen Landtag. Überall fordern die SPDFraktionen ein Informationsfreiheitsgesetz auf Landesebene.

Und Niedersachsen, meine Damen und Herren? Egal, ob es um den Datenschutz oder um Informationsfreiheit geht, um den Ausbau direkter Demokratie durch Volksabstimmung und Bürgerentscheid, ob es um ein liberales Polizeirecht geht oder um die Stärkung des Petitionsrechts, in all diesen Fragen rund um Bürgerrechte und Bürgerbeteiligung sind die niedersächsischen Sozialdemokraten so etwas wie die CSU ihrer Gesamtpartei: immer etwas rückwärts gewandter, immer etwas konservativer, immer etwas behördenfrommer als der Rest der Sozialdemokraten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, geradezu abenteuerlich wird es, wenn es um die Gründe Ihrer Ablehnung geht. Sie erklären, den niedersächsischen Kommunen in ihrer gegenwärtig schwierigen Lage ein solches Gesetz nicht zumuten zu wollen. Das ist sehr rücksichtsvoll von einer Landesregierung, die die Kommunen mit einem 500-MillionenSonderopfer belastet hat, einer Landesregierung, die keine Probleme hatte, die Kommunen mit den Folgen der BEB-Entscheidung zu belasten, einer Landesregierung, die den Kommunen eine ungeliebte Schulreform aufbürdet, und einer Landesregierung, die ihre Kommunen bei der Gewerbesteuerreform im Regen stehen ließ und die auch sonst nicht gerade als kommunalfreundlich gilt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Aber bei schätzungsweise 100 Anträgen landesweit pro Jahr haben Sie auf einmal Ihr großes Herz für die Nöte der Gemeinden und Kreise entdeckt. Wir nehmen Ihnen das nicht ab, meine Damen und Herren!

Die Auseinandersetzungen, die wir in der Vergangenheit in diesem Hause hatten, wenn es um Akteneinsicht durch Mitglieder des Landtages ging, deuten nach meiner Überzeugung darauf hin, dass Sie die Offenlegung mancher Akten wahrschein

lich so fürchten müssen wie der Teufel das Weihwasser.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich glaube, wir werden diese Diskussion in nicht allzu ferner Zeit neu und für das Land Niedersachsen erfolgreicher führen. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, jetzt hat sich die Kollegin Frau Bockmann zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schröder, ich will Ihnen sagen, wie die Zeichen der Zeit in Sachen Korruption stehen. Registrieren Sie bitte, dass wir in Niedersachsen bei der Korruptionsbekämpfung die Nase vorn haben. Wir haben eine Korruptionskontaktstelle, die bereits 60 Hinweisen nachgeht. Das ist ein Erfolg, den andere Ländern nicht verbuchen können. Neben Sie doch bitte diese Realität einmal zur Kenntnis!

(Zuruf von Frau Stokar von Neuforn [GRÜNE])

Mein Vorredner hat die Vorteile eines solchen Informationsfreiheitsgesetzes geradezu in schillernden Farben dargestellt, mögliche Nachteile allerdings unter den Tisch gekehrt. Aber genau die sind uns reichlich in der Anhörung geschildert worden. Statt Visionen hörten wir nämlich von praktischen Konsequenzen, wie z. B. Missbrauchsmöglichkeiten zum Nachteil der Wirtschaft, Scientology-Neugier oder auch Kosten für Land und Kommunen. Als leuchtendes Beispiel wird uns immer das uneingeschränkte internationale Informationsrecht vorgehalten, so z. B. das der amerikanischen Staatsbürger, freedom of information act aus dem Jahr 1966. Dass unser Rechtsverständnis und unsere Rechtshistorie nicht so ohne weiteres vergleichbar sind, zeigt ein Blick hinter die amerikanischen Kulissen. Die USA kennen nämlich überhaupt kein Datenschutzrecht für die Bürger und für die Wirtschaft, sondern machen lediglich Einschränkungen bei ihrer Bundesverwaltung. Deshalb, Herr Kollege Schröder, picken Sie sich doch nicht immer nur die halben internationalen Rosinen heraus, sondern nennen Sie auch einmal die Wermutstropfen! Wir wollen einen

datengeschützten Bürger, und wir wollen auch die Wahrung des Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses für die Wirtschaft.

Schlicht und einfach an der Realität vorbei geht auch die Behauptung der Grünen, nur durch ein solches Gesetz könne dem Informationsbedürfnis der Bevölkerung - Stichwort „gläserne Verwaltung“ - entsprochen werden. Wenn Sie sich die einzelnen deutschen Bundesländer mit Informationsfreiheitsgesetz ansehen - egal ob das noch unter Diepgen geschaffene Berliner Regelwerk oder das schleswig-holsteinische Informationsfreiheitsgesetz -, so stellen Sie fest, dass diese Landesgesetze aus guten datenschutzrechtlichen Gründen eine ganze Menge Versagungsgründe für die Bürger enthalten, eben nicht in die Akten hineinzusehen.

Eine Allroundinformation der Bürger, wie Sie sie suggerieren wollen, findet nicht statt. Ich nenne z. B. den Schutz des behördlichen Entscheidungsbildungsprozesses nach § 10 Schleswig-Holsteinische Verfassung.

(Frau Stokar von Neuforn [GRÜNE]: Das spricht nicht gegen das Gesetz!)

Dort wird ein Informationszugang z. B. in Form von Ergebnisprotokollen erst nach Abschluss des Verfahrens, also dann, wenn es nichts mehr zu entscheiden gibt, ermöglicht. Wenn Sie der Bevölkerung also eine gläserne Verwaltung suggerieren, so ist das höchstens eine, die mit Milchglasscheiben versehen ist.

Bei der Wahrung oder Bekanntgabe von Betriebsoder Geschäftsgeheimnissen begeben sich die Behörden in der Regel auf wirtschaftspolitisches Glatteis. Denn liegt ein Betriebs- oder ein Geschäftsgeheimnis vor, so wird in Schleswig-Holstein z. B. eine Abwägung zwischen den schutzbedürftigen Belangen des Unternehmens und dem Offenbarungsinteresse der Allgemeinheit vorgenommen.

Dagegen hat sich in der Anhörung der Vertreter der niedersächsischen Industrie- und Handelskammern gewandt, und zwar zu Recht. Diese Daten werden durch ein solches Gesetz nicht mehr grundsätzlich geschützt, so der IHK-Vertreter, sondern einer Abwägung anheim gestellt, und die grundsätzliche Förderung des Datenschutzes wird hier aufgegeben. Der einzelne Verwaltungsbeamte wird Schwierigkeiten mit solchen Einsichtsbegehren haben, denn auf der einen Seite droht eine Klage des Antragstellers, wenn ihm die Akteneinsicht