Protocol of the Session on March 12, 2002

Im rundblick stand neulich bereits, dass es Ihnen nicht gelingen wird, gegen den geballten Sachverstand im Lande eine Schulgesetznovelle durchzudrücken und zu glauben, die Schulreform werde im anschließenden Landtagswahlkampf keine Rolle mehr spielen.

(Zuruf von Frau Wörmer-Zimmer- mann [SPD])

- Frau Wörmer-Zimmermann, diese Schuldebatte wird auch in Ihrem Wahlkreis eine große Rolle spielen, weil Sie das gesamte Land zum Negativen hin verändern und die Chancen unserer jungen Generation zum Negativen verändern, wenn dieses Vorhaben in Niedersachsen durchgesetzt würde.

(Beifall bei der CDU)

Begonnen hat das Ganze als Kopie unserer Forderungen: Abschaffung der Orientierungsstufe, Abitur nach zwölf Schuljahren. - Das waren die beiden Botschaften des Ministerpräsidenten. Das Abitur nach Klasse 12 findet sich im Schulgesetzentwurf an keiner einzigen Stelle mehr, und die Abschaffung der Orientierungsstufe findet sich insofern wieder, dass die Schilder in Etikettenform ausgetauscht werden durch „Förderstufe“.

Nach 15 SPD-Modellen und 13 Schulgesetzentwürfen gibt es jetzt den Alleingang Richtung Gesamtschule.

(Groth [SPD]: Was Sie wollen, das wissen wir immer noch nicht!)

Es wäre besser gewesen, es wäre auch diesmal bei Ankündigungen geblieben.

Den größten Beifall auf Ihrem Parteitag hat es gegeben, als gefordert wurde, die Gesamtschule wieder salonfähig zu machen. Ich sage Ihnen deutlich: Im 21. Jahrhundert brauchen wir frischen

Wind an unseren Schulen, nicht aber die Gesamtschuldebatte der 70er-Jahre. Die brauchen wir ganz gewiss nicht.

(Beifall bei der CDU)

In der Zeit von vergangener Woche hat Ministerpräsident Gabriel in dankenswerter Offenheit beklagt:

„Unser Problem ist doch: Wir haben es nicht geschafft, die Leistungsschwachen zu stärken, dagegen haben wir‘s geschafft, dass die Leistungsstarken Mittelmaß sind.“

(Biallas [CDU]: Da ist was dran!)

Auch der Direktor des Instituts für Pädagogik hat zur PISA-Studie gesagt:

„Vielleicht haben wir insgesamt ein größeres Problem mit der Mittelmäßigkeit in Deutschland, als wir denken.“

(Wernstedt [SPD]: Bezogen auf alle Länder der Republik!)

Mit dieser Schulgesetznovelle, Herr Wernstedt, werden wir das Problem verschärfen und keineswegs lösen!

(Beifall bei der CDU)

Die Debatte wurde bei den Sozialdemokraten durch das Papier von Herrn Pfeiffer zur Thematik Orientierungsstufe losgetreten. Darin hat Justizminister Pfeiffer, als er sich dazu noch äußern durfte, weil er noch nicht im Kabinett war, gesagt, gerade die Orientierungsstufe führe zu Gewinnern und Verlierern, zu einer Verliererkultur. So ist seine These Nr. 1 überschrieben. Er meint, frustrierte Schüler würden dort entstehen, weil sie sich - zum Teil jedenfalls - ständig überfordert fühlten, die Hauptschule würde zur unattraktiven Restschule entwertet, leistungsschwache und leistungsstarke Schüler kämen in der Orientierungsstufe zu kurz, das Mittelfeld stände unter Druck, die DreiKlassen-Gesellschaft der Lehrer in einer Orientierungsstufe führe unmöglich zu einer Corporate Identity, und der Zwang, die örtlich zuständige Orientierungsstufe zu wählen, verringere für Schulen die Leistungsmotivation und fördere bei den Eltern das Lügen. - Diese Thesen hat Herr Pfeiffer vorgetragen, und sie haben zu der bildungspolitischen Schlussfolgerung geführt, die

Orientierungsstufe abzuschaffen. Mit der von Ihnen kreierten Förderstufe lösen Sie keines dieser hier genannten Probleme, sondern Sie verschärfen diese Probleme.

(Beifall bei der CDU)

Den Kollegien aus Hauptschullehrern, Realschullehrern und Gymnasiallehrern fügen Sie die Grundschullehrer noch hinzu. An einem solchen Beispiel sieht man, dass Sie die Problematik mit Ihren bürokratischen Förderstufenkonferenzen verschärfen und die Situation nicht hin zu profilierten Schulformen entspannen.

Sie schaffen eine Gesamtschule reinsten Wassers, der jegliche Möglichkeit einer schulformspezifischen Profilierung genommen wird. Nach Ihrer Definition ist die Förderstufe eine pädagogische Einheit, in der nach gleicher Zielsetzung, gleichen Rahmenrichtlinien und mit Lehrkräften der verschiedensten Lehrämter unterrichtet wird und die Lehr- und Lerninhalte sowie die Organisation und Struktur dieser pädagogischen Einheit unabhängig davon, an welcher Schulform sie gewählt und geführt wird, weitestgehend identisch sind.

(Zuruf von Frau Seeler [SPD])

- Frau Seeler, dass eine Frau wie Sie eben am Pult über die mangelnde Fähigkeit zum Zuhören spricht und jetzt diese mangelnde Kompetenz des Zuhörens unter Beweis stellt, zeigt, wie wechselhaft Sie in diesem Lande Politik verantworten.

(Beifall bei der CDU)

Von der Abschaffung der Orientierungsstufe ist nichts mehr zu finden. Davon steht auch nichts in Ihrem Parteitagsbeschluss.

(Dr. Schultze [SPD]: Dann müssen Sie mal das lesen, was da drinsteht!)

Sie verschlimmbessern die Dinge, indem Sie jetzt sogar auf äußere Differenzierung in A-, B- und CKurse in Mathematik und Englisch verzichten und die Kleingruppen für Lernschwache ersatzlos streichen. Stattdessen setzen Sie einzig und allein auf Binnendifferenzierung, obwohl diese Strategie bereits nach dem Orientierungsstufengutachten von 1985 gescheitert ist. Ihr eigenes DIPF-Gutachten, Frau Jürgens-Pieper, zeigt, dass die Binnendifferenzierung nach Leistungskriterien von weniger als der Hälfte der Orientierungsstufenlehrer praktiziert wird. Die Binnendifferenzierung ist gescheitert. Auf äußere Differenzierung verzichten Sie. Ich

sage Ihnen offen: 1988 durfte ich in diesem Lande eine Orientierungsstufenkommission leiten mit verschiedenen Kultusministern, amtierenden wie zukünftigen. Niemand von uns wäre jemals auf die Idee gekommen, ein solches Modell zu kreieren, wie Sie es hier vorschlagen. Es müsste Ihnen schon zu denken geben, dass auf eine solche Idee niemand gekommen ist, obwohl damals eine große Bandbreite vorhanden war.

(Beifall bei der CDU)

Wissen Sie eigentlich, wie Klassen in der 5. und 6. Jahrgangsstufe aussehen - vor der Pubertät, in der beginnenden Pubertät -, wenn dort 28 Schülerinnen und Schüler - zu unseren Zeiten waren es ja weniger; Sie haben ja die Klassengrößen heraufgesetzt mit den unterschiedlichsten Lernvoraussetzungen und -fähigkeiten sitzen? Diesen Schülern wollen Sie einzeln, ohne äußere Differenzierung, gerecht werden. Sie gaukeln vor, Sie würden zusätzliche Förderstunden einführen, verschweigen aber, dass es sich um 230 Lehrerstellen im Haushalt handelt. 6 100 Lehrerstunden für 6 246 bisherige Orientierungsstufenklassen bei steigenden Schülerzahlen das ist weniger als eine Stunde pro Klasse, mit der Sie den Problemen, die sich in diesen Förderstufen - gegenüber den Orientierungsstufen verschärft auftun werden, Herr werden wollen. Das ist absurd. Das ist jenseits der Spur, auf der man sich bewegen kann. Sie werden hiermit scheitern. Sie werden sehen, dass die Lage in einigen Monaten anders aussehen wird.

(Beifall bei der CDU)

Es findet sich im Gesetzentwurf nichts an stärkerer Leistungsorientierung der Grundschule, an mehr Fördern und Fordern. Eine Schullaufbahnempfehlung, die selbst in Nordrhein-Westfalen existiert, ist in Ihrem Schulgesetzentwurf nicht vorgesehen. Der freie Elternwille nach Klasse 4 wird ad absurdum geführt, wie der Landeselternrat gesagt hat. Aber was sollen die Eltern auch wählen, wenn Sie sowieso das Losverfahren vorschlagen? In den Schuleinzugsbereichen soll nach Leistungsgruppen gelost werden. Ein Drittel stärkere Schüler, ein Drittel mittelqualifizierte Schüler, ein Drittel schwächerqualifizierte Schüler sollen in Lostrommeln, und daraus sollen die Förderstufen an Gesamtschulen, an Gymnasien und an Verbundschulen kreiert werden. Letztlich bleibt es dann bei der typischen sozialdemokratischen Politik: Weil Eltern ja sowieso nur die Einheitsschulform wählen

können, brauchen sie auch kein Wahlrecht, dann kann man auch auslosen.

Die weiterführenden Schulen Gymnasium, Realschule und Hauptschule bekommen gerade nicht die Schülerschaft in Klasse 5, nicht die schulformangebundene Orientierungsphase, um die Kinder in Obhut und Verantwortung zu übernehmen, sondern sie sind den Förderstufenkonferenzen ausgeliefert, die zwischen die Grundschulen und die weiterführenden Schulen gesetzt werden.

Deshalb findet sich natürlich auch das Abitur nach Klasse 12 in Ihrem Gesetzentwurf nicht. Das war in diesem Land groß angekündigt. Nicht eine Zeile dazu! Sie wollen per Verordnung, als Angebot, das Abitur nach Klasse 12 zulassen. Sie verabschieden sich damit aus dem Kreis der Bundesländer wie Sachsen, Thüringen, Saarland, Baden-Württemberg und Hamburg, die jetzt konsequent auf das Abitur nach Klasse 12 setzen. Warum sind Sie davon abgerückt? - Weil Sie, Frau Jürgens-Pieper, wissen, dass man mit einem Gymnasium, das in Klasse 7 beginnt, unter Verzicht auf ein Schuljahr kein Abitur, allenfalls ein Billigabitur verleihen könnte. Deswegen verzichten Sie auf das Abitur nach Klasse 12, deswegen findet es sich nicht mehr in Ihrem Schulgesetzentwurf.

(Beifall bei der CDU)

Wir kündigen an, dass wir in diesem Lande den erbitterten Widerstand gegen die Zerschlagung erfolgreicher Schulformen wie der selbständigen Hauptschulen und der selbständigen Realschulen organisieren werden. Wir kämpfen für die selbständigen Hauptschulen, für die selbständigen Realschulen in diesem Land.

(Zurufe bei der SPD)

Sie können sich bei der Abschaffung nicht auf den Landeselternrat berufen. Sie können sich auch nicht auf PISA berufen. In PISA steht - -

(Frau Steiner [GRÜNE]: Sie verste- hen das doch gar nicht!)

- Vielleicht üben Sie einmal ein bisschen Respekt. Der Vizepräsident ist einer der exzellentesten Realschullehrer unseres Landes. Der könnte Ihnen dazu eine Menge sagen.

(Zustimmung bei der CDU - Mühe [SPD]: Der hat schon seit 25 Jahren nicht mehr vor der Klasse gestanden!)

Der muss jetzt Ihre Zwischenrufe ertragen. Nun gönnen Sie das einmal unserem Vizepräsidenten!

In PISA steht:

„Die Leistungen der selbständigen Realschulen liegen deutlich über denen integrierter Gesamtschulen.“

Und es gibt auch Realschulen, „in denen die mittlere Lesekompetenz der Getesteten den Mittelwerten entspricht, die man in den meisten Gymnasien findet“. Die Realschule leistet laut PISA die beste soziale Integration aller Schulformen. Doch anstatt auf dieses Erfolgsmodell zu setzen, zerschlagen Sie es und machen das Realschulland Niedersachsen zum Gesamtschulland. Jetzt sage ich Ihnen auch: Das ist eine Täuschung des Parlaments. 1999 hat die Kultusministerin, Frau Jürgens-Pieper, hier an diesem Pult erklärt:

„Die Realschule in unserem Land ist eine attraktive und akzeptierte Schulform. Eine hochakzeptierte Schulform, weil sie leistungsstark ist, weil sie anerkannt ist und vor allem weil ihr Abschluss natürlich gute Chancen bietet. Niedersachsen ist daher in der Tat ein Realschulland, und so soll es auch bleiben.“

In diesem Zusammenhang werfen Sie uns Verschmelzung vor. Wir haben den Fortbestand der Real- und Hauptschule im Schulgesetz abgesichert. Ich wundere mich also, was Sie da hineininterpretieren.