In der Aufarbeitung von politischer Verantwortung deutscher Politik für die fehlgeleitete Russlandpolitik auf Bundes- und Landesebene zulasten unserer östlichen Partner setzen Sie einen eingeschränkten Akzent, dringen aber meines Erachtens nicht zum Kern des hoffentlich bald überwundenen Strickfehlers deutscher Russlandpolitik hin, auf diesen Kern.
Und da bringe ich jetzt auch noch mal etwas. Es sollte sich jeder klarmachen, dass in der internationalen Politik Appeasement kein guter Ratgeber historisch war, sondern Zusammenstehen von Partnern. Und das ist genau das, was natürlich auch als Strickfehler unserer deutschen Politik zulasten unserer osteuropäischen Partner häufig eine Rolle gespielt hat. Das muss man immer wieder sagen.
(Beifall vonseiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von Martin Schmidt, AfD, und Jens Schulze-Wiehenbrauk, AfD)
Bezüglich der NATO-Diskussion und auch des 2-ProzentZiels der Finanzierung unserer Landes- und Bündnisverteidigung werden Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, zu Neben- und Bundesaußenpolitikern.
Und abschließend will ich sagen, weil hier die rote Lampe schon leuchtet: Ich werbe um Zustimmung zu unserem gemeinsamen Antrag, zumal wir Ihre Unterstellung, wir hätten versäumt, Russland als einen Aggressor zu brandmarken, nicht teilen.
... Herr Fraktionsvorsitzender! Zu Ihrem Wortbeitrag liegt mir eine Kurzintervention durch Herrn Förster vor.
Herr Dr. Terpe, Sie fingen an, einen Widerspruch zu sehen zwischen meiner eindeutigen Erklärung, dass wir diesen Angriffskrieg ohne Wenn und Aber verurteilen, und ich hätte hinterher von korrupten Leuten gesprochen. Ich habe nicht von korrupten Leuten gesprochen. Der Angriffskrieg als solcher und die Situation der Ukraine sind völlig verschiedene Sachen. Die Ukraine galt – und nicht zu Unrecht nach allen Quellen, die man hat – vor dem Krieg als eines der korruptesten Länder, und sie ist es geblieben.
Wenn Sie sich genauer informieren, dann ist diese Problematik der Rekrutierung gerade auch eine Folge dieser Korruption. Der Freikauf vom Wehrdienst durch Korruption ist eine absolute Realität, ist da an der Tagesordnung in der Ukraine, es gibt verlässliche Quellen, darauf beruht auch im Wesentlichen oder mit zum großen Teil der Mangel an Soldaten.
Sie sprechen vom Opfermut der Bevölkerung und von mangelnder Empathie. Ich vermisse die Empathie bei allen Beiträgen bisher. Kein Einziger hat, man hat zwar jetzt aus dem warmen Wohnzimmer heraus die Front und den Kampf da bejubelt, aber von keinem habe ich die Worte gehört, die erkennen lassen, dass er sich wirklich mal mit dem Geschehen vor Ort in den Gräben, was da geschieht,
wenn dort wirklich die Menschen zerfetzt werden, und ich habe von keinem gehört, wie denn die Alternative aussieht. Wir können die Russen beschimpfen, wie wir wollen, dadurch ist die Krim nicht befreit. Außerdem, die Krim, ich vermisse auch jede Differenzierung zwischen Krim und den anderen Gebieten. Das ist historisch ein großer Unterschied, auch in der Annexion ein großer Unterschied.
Ich vermisse jede Auseinandersetzung mit meiner These, die ich schon mehrfach unter Berufung auf den Wissenschaftlichen Dienst hier erhoben habe, dass wir in der Tat völkerrechtlich längst Kriegspartei sind, dass wir in einem großen Risiko sind, in diesen Krieg mehr und mehr von Eskalation zu Eskalation hineingetrieben zu werden. All das vermisse ich.
Das Einzige, was Sie unisono sagen, ist, wie schlimm der Aggressor ist – völlig zu Recht –, aber ohne jede Perspektive, nur global, wir sollen unterstützen. Wie lange? Wie lange? Sie nehmen in Kauf und jeder Fachmann sagt Ihnen, bestenfalls friert der Krieg ein und in zwei Jahren sind wir so weit wie heute, nur haben wir noch 400.000/500.000 Tote dabei.
Ich habe Sie ausreden lassen, weil ich dachte, Sie kommen zum Schluss. Jetzt ist aber Ihre Redezeit für die Kurzintervention weit überschritten.
Ich könnte jedes Einzelargument von Ihnen auseinandernehmen, sage aber zu Ihnen, es wäre die beste Gelegenheit, unseren ukrainischen Partnern jetzt zur Seite zu stehen. Und das machen Sie ja auch nicht.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Anlass gebietet es, vielleicht noch mal darauf einzugehen, was ich vielleicht schon einmal geäußert habe, weil, ich musste mich eben auch schon ein Stück weit dafür rechtfertigen – nein, rechtfertigen ist vielleicht das falsche Wort, aber vielleicht, wenn Sie sich in die Lage von Menschen versetzen wollen, die von einem Aggressor angegriffen werden, müssen Sie sich mit denen einmal auseinandersetzen. Das macht es einfacher.
Und ich bin letztes Jahr zu Ostern dort gewesen. Der eine oder andere wird es mitbekommen haben, die Hansestadt Wismar hat eine Städtepartnerschaft in Tschornomorsk, auf Betreiben auch unserer Fraktion dort in der Bürgerschaft. Und ich bin einfach losgefahren mit Hilfsgütern, mit einem Hilfstransport, genau dorthin in der Nähe von Odessa,
damals noch nicht so scharf beschossen, sodass es für mich immer noch möglich war, sicher durch den Ort zu kommen. Aber wenn Sie sehen, Straßensperren, wenn Sie sehen, Soldaten, Soldatinnen auch, die ja wirklich gerade aus der Schule gekommen sind, ganz jung, weil die anderen müssen an der Front kämpfen, wenn Sie sehen, was das mit den Menschen gemacht hat, wenn Sie sehen, dass eine Stadt mit 60.000 Einwohnern 10.000 Binnengeflüchtete aufgenommen hat, ohne dass irgendjemand murrt, weil er länger beim Arzt warten muss, ohne dass jemand murrt, dass irgendjemandem anderes eine Wohnung zugewiesen wird, ein Raum, ohne dass gemurrt wird, dass die Dinge untereinander aufgeteilt werden, die gebraucht werden.
Meine Damen und Herren, ich habe es selber erlebt, ich war in einem Hotel untergebracht, was nur ein Notbetrieb war, und in der Nacht zwei-, dreimal Luftalarm, wo ich dastand mit meinem Pyjama, was mache ich nun. Der Portier sagte, wir wissen es auch nicht. Wenn wir jedes Mal rauslaufen würden in den Schutzbunker, dann würde unser Alltag zusammenbrechen. Das heißt, die Menschen haben sich dran gewöhnt. Und ich vermute, dass das jetzt noch schlimmer ist, und trotzdem diese ständige Gefahr, denn später war es so, dass diese Region heiß umkämpft war.
Wenn Sie gesehen haben – und das hat mich am tiefsten bewegt – in einer Grundschule, vergleichbar einer Grundschule, wir haben eine Schule besucht, wenn Sie diese grauen, kahlen Räume sehen, wo die Kinder bei jedem Luftalarm runtergehen müssen, und das Einzige, was sie, ja, das Einzige, woran sie Freude haben können, sind die selbstgemalten Bilder an den grauen Betonwänden. Und es macht was mit Ihnen, wenn Sie das einmal erlebt haben, unter welchen Bedingungen da Menschen gerade leben.
Und wenn Sie sehen, Tschornomorsk liegt am Schwarzen Meer, das sagt der Name auch schon, wenn Sie sehen, eine Stadt, die sonst weltoffen war, am Schwarzen Meer, eine Hafenstadt, die von Tradition, von Handel, von allem lebt, was wir teilweise ja auch hier an der Ostsee kennen, dass der Strand vermint ist, abgesperrt ist, dass Leute, die den dann doch mal betreten, Hunde, die am Strand langlaufen, mit diesen Minen hochgehen...
Meine Damen und Herren, ich sage das nicht, um Ihnen Angst zu machen, ich sage das auch nicht, um irgendein Gefühl jetzt bei Ihnen zu erzeugen. Ich sage das einfach, weil es die Realität ist. Das müssen wir uns einfach mal vor Augen führen, das müssen wir einfach mal begreifen, wie es einem Volk gehen muss, was so brutal angegriffen wurde. Und dann verstehe ich überhaupt gar nicht, wenn man hier jetzt argumentiert, so nach dem Motto, sie müssen an den Verhandlungstisch gebracht werden.
Das ist überhaupt, das ist überhaupt gar nicht das Thema. Es ist im Moment überhaupt niemand da, der mit ihnen verhandeln würde über irgendetwas.
Da schweigen die Waffen nicht. Ich weiß gar nicht, woher Sie das nehmen, woher Sie überhaupt glauben, dass Putin sich von irgendetwas im Moment beeindrucken lassen würde. Das, was ihn stark macht, ist die Schwäche, und ich sage es jetzt fast mal, die Wohlstandsverblödung, die wir hier teilweise haben, weil wir es nicht mehr gewohnt sind, uns zu verteidigen. Das ist das große Problem.