Protocol of the Session on May 11, 2023

Die Ministerin hat kein Wort zu unserem

Änderungsantrag gesagt. – Unruhe bei

Andreas Butzki, SPD, und Torsten Renz, CDU)

Herr Renz und Herr Butzki, das Wort hat jetzt für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Wegner.

(Torsten Renz, CDU: Da kann man sich doch aufregen!)

Insofern würde ich bitten, dass Sie Ihr Gespräch jetzt einstellen. Sie könnten das auch gegebenenfalls zum späteren Zeitpunkt ja noch mal vertiefen.

Frau Wegner, Sie haben das Wort.

Ja, vielen Dank, Frau Präsidentin! Frau Ministerin Oldenburg! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Der hier vorliegende Antrag umfasst also die Antworten, die die Regierungskoalition auf die erschreckenden Berichte und Ergebnisse der jüngsten Bildungsstudien gibt. Angesichts dessen, dass laut dem jüngsten IQB-Bildungstrend jeder fünfte Viertklässler Probleme mit dem Lesen und Rechnen hat sowie fast jeder dritte mit der Rechtschreibung, sind Ihre Antworten erstaunlich dünn. Spannend wäre es zudem gewesen, wenn Mecklenburg-Vorpommern an genannter Studie überhaupt teilgenommen hätte,

(Anne Shepley, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ganz genau.)

dann könnten wir nun nämlich zielgerichtet steuern. Aber als einziges Bundesland war M-V peinlicher- und für unsere Jüngsten tragischerweise hierzu nicht in der Lage.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP – Torsten Renz, CDU: Genau.)

Dabei wäre es doch nun angesichts der deutschlandweiten Zahlen allerspätestens an der Zeit, grundlegende Veränderungen herbeizuführen. Das, was Sie hier ideenlos aus dem SWK-Gutachten destillieren und für die Grundschulkinder in Mecklenburg-Vorpommern für gut befunden haben, kann ohne grundlegende Reformen nichts voranbringen. Ich verstehe deshalb die Kritik der GEW, auch wenn ich sie nicht gebraucht hätte, um festzustellen, dass wir diesem Antrag nicht zustimmen können. Anstatt dieser dringend notwendigen Reformen ist Ihre Antwort: verpflichtende Lautlesetrainings, höhere Wochen

stunden in Deutsch und Mathe für alle, mehr Stoff, mehr Training, mehr Druck zulasten der Lehrer/-innen und Schüler/-innen. Herzlich willkommen im deutschen Schulsystem!

Der Negativtrend bei den Grundkompetenzen Mathe/ Deutsch bestand schon vor Corona, und das ist wirklich besorgniserregend. Vielleicht ist es an der Zeit, jetzt endlich mal grundsätzlich zu hinterfragen, ob wir überhaupt mit unserem Schulsystem noch auf dem richtigen Weg sind. Und ja, auch die Pandemie und monatelange Schulschließungen haben Schulängste entstehen lassen und Bildungsdefizite. Wir haben noch immer Klassen, die sich als Gemeinschaft neu finden müssen. Und all dies soll nun durch zusätzliche Unterrichtsmaßnahmen mit der Gießkanne geheilt werden. Individuelle Förderung – Fehlanzeige, eine zielgerichtete Verteilung der Mittel nach Sozialräumen – gar nicht mitgedacht. Eine neue Kultur der Zusammenarbeit im Schulkollegium oder, wie die SWK es nannte, die Schaffung von Strukturen für eine multiprofessionelle Kooperation in Unterricht und Ganztag sind in Ihrem Antrag nicht mal ansatzweise zu erkennen.

(Torsten Renz, CDU: Auch richtig.)

Ändern Sie die Strukturen, anstatt mit einem Mehr des Falschen reflexhaft zu reagieren! Hören Sie auf, unseren Kindern weiter die Kindheit zu nehmen und sie wie kleine Erwachsene zu behandeln! Kinder wollen aus sich heraus lernen. Stärken Sie diese Motivation durch Inspiration und lassen Sie den Lehrkörpern dafür die notwendige Freiheit, anstatt weiter Druck aufzubauen! Wenn Sie Bildung wirklich erreichen wollen, dann brauchen die Kinder Freiräume, um in Ruhe kombinieren zu können. Dann nützt weiterer Stress überhaupt nichts. Es kommt auf die Qualität an, nicht auf die Quantität. Bereits vor 500 Jahren schrieb Rabelais „Kinder wollen nicht wie Fässer gefüllt, sondern wie Fackeln entzündet werden.“ Orientieren wir uns daran!

(Henning Foerster, DIE LINKE: Wie war das mit dem Phrasenschwein vorhin?)

In Punkt 9 Ihres Antrags heißt es, Sie wollen die Lernfortschritte der Schülerinnen und Schüler in einer Lernstandsmessung in der Jahrgangsstufe 3 analysieren und gezielt in direkte Unterstützungsmaßnahmen profilieren.

(Der Abgeordnete Enrico Schult bittet um das Wort für eine Anfrage.)

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich habe knappe Redezeit und Frau Shepley möchte auch noch ein bisschen was davon haben.

… und gezielt in direkte Unterstützungsmaßnahmen profilieren. Ihnen ist schon klar, dass es dann für die individuelle Förderung und für die grundlegenden Kompetenzen bereits zu spät ist. Warum also erst in Jahrgangsstufe 3? Auch davor und danach müssten wir jetzt schon im Detail wissen, wo die Kinder stehen.

Sie haben ja beschrieben, dass Sie dort auch an weiteren Konzepten arbeiten. Individuelle Lernstandsanalysen mit datenbasierter, systematisch unterstützter Lernförderung sind doch die absolute Basis dafür, dass jedes Kind

die individuelle Unterstützung bekommt, die es benötigt. Ein Bildungsbericht im Jahr 2025/2026 klingt nett. Aber warum gibt es ihn nicht schon lange, liebe Kolleginnen und Kollegen?

Doch nun zurück zu Vorlesezeit und mehr Unterrichtsstunden: Mit gutem Grund liegt die Verantwortung für Lernkultur und Organisation in der Gestaltungsverantwortung jeder einzelnen Schule. Diese ist eingebunden in ihren Sozialraum, dafür verantwortlich, den Unterricht so zu gestalten, dass die Kinder die Basiskompetenzen erlangen. Tägliches lautes Vorlesen gehört zum Standard in unseren Schulen, ob Sie das nun minutengenau vorschreiben oder nicht. Wie wollen Sie das überhaupt überprüfen? Sollen die Lehrer/-innen Protokoll führen und am Ende noch weniger Zeit für den eigentlichen Unterricht haben?

Anstatt pauschal Stunden zu erhöhen und in den Unterricht einzugreifen, schaffen Sie doch lieber endlich die Voraussetzungen dafür, dass die Lernprozesse individualisiert werden können! Dann erlangen Sie auch bessere Ergebnisse und sichere Basiskompetenzen. Kinder, die Strukturen und Lernhilfen brauchen, müssen sie bekommen. Wer aber selbstständig und schnell lernen kann, muss auch fliegen dürfen. Dafür braucht es leistungsdifferenzierte Aufgaben im Rahmen des üblichen Fachunterrichts, Kinder, die in Projekten jahrgangsübergreifend lernen dürfen, Prüfungen, die im eigenen Takt stattfinden können, und so weiter. Bauen Sie den qualitativen Ganztag so schnell wie möglich aus und ermöglichen Sie den Schulen die pädagogische Arbeit in multiprofessionellen Teams!

Genau wie ein Kind im Elementarbereich aus sich selbst heraus lernt, sollte dies auch in der Schule gefördert werden. Fachübergreifender Unterricht in Projekten, Lernen an der Praxis, das, was wir gemeinsam im Regionalen Berufsbildungszentrum Waren gesehen haben, lässt sich auch auf die Grundschulen übertragen. Kinder, die gemeinsam eine Weihnachtsgeschichte verfassen und in ein Büchlein binden, üben sich im kreativen Schreiben, in der Kooperation, in der künstlerischen Gestaltung und der Arbeit mit Papier.

(Zuruf von Christian Brade, SPD)

Sie lesen sich spielerisch Geschichten vor, üben zielorientiert Schreiben und Zeichnen, anstatt trockene Arbeitsblätter auszufüllen, vorgegebene Diktate zu üben und allein den Notendruck als vermeintliche Motivation zu verspüren.

Wovon ich rede, ist ein Umdenken im Sinne der Kinder. Erfolgreiches Lernen ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Dafür müssen wir den Schulen aber die entsprechenden Gelingensbedingungen liefern und die eigenverantwortlich handelnde, selbstbestimmte Schule fördern, anstatt sie wie im vorliegenden Antrag durch strikte minutengenaue Vorgaben zu gängeln. Und das ist auch der Grund, warum wir Ihrem Änderungsantrag, liebe CDU, nicht zustimmen können, genauso wenig wie dem vorliegenden Antrag, weil die Schulen selbst am besten wissen, was funktioniert. – Vielen Dank!

(Beifall vonseiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete!

Zu Ihrem Redebeitrag liegt mir noch ein Antrag auf Kurzintervention von Herrn Schult vor.

Ja, sehr geehrte Frau Kollegin Wegner, Sie sprechen ja immer davon, Strukturen müssen geändert werden, Voraussetzungen müssen geändert werden. Sie bleiben immer so ein bisschen vage, auch in Ihren Ausführungen, und vage – oder da ist ja quasi gar nichts von Ihnen – bleiben Sie auch in Anträgen. Also wie soll denn das konkret geändert werden, die Strukturen? Weil bisher haben Sie ja noch nichts irgendwie eingebracht, dass man sehen kann, wie stellen sich die GRÜNEN die Bildungspolitik vor. Sie haben gesagt, vor 500 Jahren, haben Sie die Bildungspolitik von vor 500 Jahren zitiert. So habe ich das festgestellt, vor 500 Jahren, ja, da wurden die Kinder allenfalls in den Klöstern, einige wenige, sozusagen unterrichtet.

(Beifall Horst Förster, AfD)

Und von daher ist das für mich alles so abstrakt, was Sie hier vortragen.

(Heiterkeit bei Thomas de Jesus Fernandes, AfD: Auf dem Scheiterhaufen verbrannt.)

Und daher meine Frage, vielleicht können Sie da kurz ausführen: Wenn Sie Bildungsministerin wären, was würden Sie als Erstes umsetzen? Denn wie gesagt, in Anträgen uns so weiter kann ich mir kein Bild von Ihrer Bildungspolitik machen, weil bis dahin liegt ja überhaupt nichts vor.

Frau Wegner, möchten Sie auf die Kurzintervention beziehungsweise Frage antworten?

Ja, selbstverständlich und gern.

Herr Schult, natürlich gibt es ein Konzept von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN zur Bildungspolitik. Dass wir noch nicht mit Anträgen hier im Landtag sind, sollte Sie nicht verunsichern, die werden schon noch kommen. Und Sie haben gefragt, wie wir uns Bildungspolitik vorstellen. Ich habe es, glaube ich, eben leicht angerissen und auch in der letzten Debattenrunde schon angerissen, für mich ist Schule der Zukunft nicht Schule mit dem Lehrer frontal vor der Klasse, der bestimmt. Ich weiß auch, dass das nicht in allen Schulen – längst schon nicht mehr – so ist,

(Thomas de Jesus Fernandes, AfD: Aber nicht nackt auf dem Boden, ne?!)

aber für mich geht es darum, Kinder mit den Kompetenzen auszustatten in der Schule, die sie für ihr künftiges Leben brauchen. Dazu gehört natürlich Schreiben, Lesen, Rechnen, weil nur so all das erlernbar und erfahrbar ist, was sie dann künftig brauchen, um sich weiterzuentwickeln. Das können sie aber nur, und gerade im Grundschulbereich können sie das ganz besonders nur in ihrem eigenen Tempo und wenn Sie besonders gefördert werden, und deshalb multiprofessionelle Teams in den Schulen, um die Lehrkräfte zu entlasten und mit ihnen zusammen dann ein Schulleben zu gestalten, das sie tatsächlich dort abholt, wo sie sind, und dort hinführt, wo sie am Ende auch sein müssen.

Wenn Sie mit uns in Waren gewesen wären im Regionalen Bildungszentrum oder sich eine Schule mal angucken

würden, die genau das schon praktiziert, dann wüssten Sie, was ich meine. Genau das funktioniert und das weckt die Kreativität von Kindern und bringt sie so weit, dass sie selbst am Ende der 4. Klasse noch sagen: He, Schule ist toll! Sechs Wochen Sommerferien will ich gar nicht haben. Wann geht es denn endlich wieder los?

(Beifall vonseiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete!

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der FDP Frau Enseleit.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete!

Ihr Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und DIE LINKE, kommt mir ehrlich gesagt ein bisschen aus der Zeit gefallen vor. Das ist so ein bunter Mix, es wurde gerade schon angesprochen, unterschiedlicher Maßnahmen, wo eigentlich keine klare Strategie erkennbar ist. Vor allen Dingen wundert mich das nach den Diskussionen, die wir im Ausschuss hatten, gerade in der letzten Sitzung zum Thema „Beschulung von Geflüchteten“, und den Feststellungen beispielsweise auf dem Verbandstag vor wenigen Wochen. Da würde ich sagen, die Situation ist dramatisch. Und da wirkt es für mich fast putzig, wenn Sie in Ihrem Antrag eine Willkommenswoche fordern und eine Broschüre auflegen wollen „Mein Kind kommt in die Schule“.

(Ministerin Simone Oldenburg: Das gibt es schon längst.)