Protocol of the Session on March 23, 2023

(Beifall vonseiten der Fraktion der FDP)

Bereits im Jahr 2005 hatte das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber Folgendes auf den Weg gegeben, und ich zitiere einmal an der Stelle aus dem Urteil vom 12. April 2005: „Wegen des schnellen und für den Grundrechtsschutz riskanten informationstechnischen Wandels muss der Gesetzgeber die technischen Entwicklungen aufmerksam beobachten und notfalls durch ergänzende Rechtssetzung korrigierend eingreifen. Dies betrifft auch die Frage, ob die bestehenden verfahrensrechtlichen Vorkehrungen angesichts zukünftiger Entwicklungen geeignet sind, den Grundrechtsschutz effektiv zu sichern und unkoordinierte Ermittlungsmaßnahmen verschiedener Behörden verlässlich zu verhindern.“

Das heißt also, was vielleicht einmal aus der Not heraus geboren ist, und wir sagen, wir machen hier jetzt noch was, oder weil wir festgestellt haben, dass die Verbrecher jetzt alle irgendwelche verschlüsselten Chats benutzen, dann müssen wir erst mal ganz schnell gucken, dass wir das auch irgendwie entsprechend überwachen können, da kommt eine Maßnahme nach der anderen. Und wir müssen das regelmäßig hinterfragen. Das ist die Aufgabe, die wir haben. Und dieses regelmäßige Hinterfragen gelingt uns nicht, wenn wir nur eins angucken, sondern das gelingt uns nur, wenn wir die Gesamtheit aller Maßnahmen im Blick haben. Und das Ausmaß staatlicher Überwachungsmöglichkeiten ist seit 2005 noch weitaus unübersichtlicher geworden. Und damals kam das schon vom Bundesverfassungsgericht so in unser Stammbuch.

Für die seitens des Ministeriums angekündigten Überarbeitungen des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes halten wir Freien Demokraten es für notwendig, eine unabhängige Kommission damit zu beauftragen, das Ganze zu evaluieren. Die jüngsten Entscheidungen der Verfassungsgerichte haben die Notwendigkeit deutlich gemacht: Feh

ler dürfen nicht gemacht werden und aus Fehlern, also Fehler dürfen gemacht werden, aber aus Fehlern sollte gelernt werden. Und das übliche Vorgehen hier im Lande war bisher: Erst einmal so viel wie möglich reglementieren, dann auf eine gerichtliche Entscheidung warten und anschließend reparieren, aber nur so weit wie irgend nötig.

(Beifall vonseiten der Fraktion der FDP und Marc Reinhardt, CDU)

Aus diesem Tritt wollen wir rauskommen. Dafür haben wir einen Vorschlag unterbreitet. Ich freue mich auf die Debatte dazu. Ich habe ja schon die Ankündigung bekommen, dass sich die Kollegen auch aus den Regierungsfraktionen intensiv damit auseinandergesetzt haben. Und deswegen freue ich mich auf eine spannende Diskussion darüber. – Danke sehr!

(Beifall vonseiten der Fraktion der FDP)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter!

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu sechsmal acht Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Ums Wort gebeten hat für die Landesregierung der Innenminister Herr Pegel.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine Überwachungsgesamtrechnung ist die Forderung der FDPFraktion, die sozusagen eine Gesamtschau aller Eingriffe ermöglichen soll. Vielleicht ist das die Stelle, wo ich merke, dass ich nur fortgebildeter Realschüler bin. Ich finde es noch sehr abstrakt und es fällt mir zurzeit schwer, das zu fassen. Und das, was du an Erwartungshaltung daran geknüpft hast, dass es quasi wie ein Algorithmus ist, in den ich eine neue Idee hineinkippe und unten dann ein Rechenergebnis bekomme, zu sagen, die ist jetzt touch too much, ein Hauch zu viel, oder die geht gerade noch, fällt mir in der Abstraktion, in der wir uns bewegt haben bei diesem Themenfeld, immer noch relativ schwer.

(Thomas de Jesus Fernandes, AfD: Da geht die rote Lampe an, wenn es zu viel ist.)

Dann kommt eine rote Lampe.

Also wie auch immer der Algorithmus aussieht, ich versuche, so ein bisschen zu greifen für mich, zu fassen. Ich bin jemand, der – offen eingestanden, das ist der Haken des profanen Juristen –, der immer gern in die Konkretheit herunterbricht und sagt, was heißt denn das am Ende des Tages. Aber das, was Sie hier aufrufen, ist ja jetzt nichts, was das erste Mal in der Diskussion des politischen Raumes auftaucht, sondern die Ampelkoalition auf Bundesebene hat sich, genau diese Überwachungsgesamtrechnung aufzustellen, zu strukturieren, zu konzeptionieren, vorgenommen.

Wenn ich es richtig verstanden habe, hat die Bundesregierung die Arbeitsentwicklung einer Methodik. Und genau die wirst du ja überhaupt erst brauchen. Es ist ja, noch mal, eine sehr, sehr abstrakte Grundvorstellung, die erst mal im Raume steht. Die Bundesregierung hat die Arbeit zur Entwicklung einer solchen Methodik für eine

solche Überwachungsgesamtrechnung nach dem, was ich öffentlichen Verlautbarungen entnommen habe, angenommen, hat die Arbeiten aufgenommen.

Mein persönlicher Eindruck ist gerade, weil es ein völlig neues Instrument ist, das nicht von vornherein festgefügt ist, wie es denn aussieht, bei dem man mit Sicherheit ganz viele verschiedene, auch wissenschaftlich allesamt basierte Zugangsvarianten wählen kann, weil es eben nicht vorgeprägt ist, wie es sein muss, nicht den einen wahren Weg gibt, halte ich es nicht für zielführend, dass jedes Bundesland unter der Überschrift „Jugend forscht“ ausprobiert und etwas Eigenes entwickelt, sondern ich finde es sehr nachvollziehbar, dass eine Bundesregierung sagt, wir würden dann einmal eine Methodik entwickeln, an der sich, so verstehe ich es dann,

(Zuruf von Horst Förster, AfD)

hinterher im Übrigen alle Beteiligten anlehnen können.

Ich glaube, dass das auch deshalb erforderlich ist, weil Sie, wenn Sie konsequent auf die Belastungsträger, die Bürgerinnen und Bürger, abstellen, und so habe ich den Hinweis verstanden, ja nicht umhinkommen, eben nicht nur auf die Landeseingriffsbefugnisse zu schauen – die dürften im Alltag die geringere Intensität ausmachen –, sondern Sie werden selbstverständlich gerade auch die Bundeseingriffsbefugnisse mit in den Blick nehmen müssen. Ich werde also überlegen müssen, wie ich eigentlich die verschiedenen Ebenen zusammenfüge, wenn ich auf die jeweilige Bürgerin oder den jeweiligen Bürger schaue.

Ich finde es relativ spannend, ob man dann eigentlich auf die potenzielle Belastungsintensität schaut, also wenn ich Täter einer Straftat X wäre und dann in der präventiven Aktivität der Polizei den Eingriffsbefugnissen a), b), c) des SOG ausgesetzt bin und auf der strafprozessualen Seite den StPO-Befugnissen d), e), f), oder aber, ob ich auf eine durchschnittliche Belastung schaue, dann habe ich Menschen, die mit Sicherheit sehr schwerwiegenden Eingriffen unterliegen, nicht selten allerdings durch eigene Verursachung bewirkt, da sind dann schon nicht selten eigene Ursachen für gelegt, oder ob ich Extremfälle anschaue oder typische Lebenslagen.

Also noch mal, die Methodik, auf wen gucke ich denn eigentlich, ist relativ spannend. Oder mache ich eine Gesamtberechnung für 82 Millionen Deutsche, dann müsste ich tatsächlich 16 Bundesländer plus 16-mal, also für 16 Bundesländer, die dort lebenden Menschen, auf bundesgesetzlicher Grundlage beruhende Eingriffe zusammenführen. Dann würde ich quasi eine bundesweite Gesamtrechnung anstellen.

Ich weiß, dass man im volkswirtschaftlichen, betriebswirtschaftlichen Teil unglaublich viele Gesamtrechnungen kennt. Als Jurist arbeite ich mich noch ein bisschen an dem Gefühl ab, wo ich überhaupt anfasse in diesem amorphen Konstrukt der Überwachungsgesamtrechnung, und will deshalb deutlich sagen, noch einmal: Ich glaube, wenn man so etwas überhaupt fassbar machen will, wirst du einen bundesweit halbwegs einheitlich gepflegten Standard brauchen, damit ich dann aus Sicht der Bürgerin/des Bürgers tatsächlich die Maßnahmen insgesamt gleichmäßig aufsummiere und dann im Zweifel den aufgeworfenen Fragestellungen folgen kann, kann ich dann Bayern mit Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg mit Schleswig-Holstein in den Vergleich bringen.

Oder um da ein Beispiel aufzugreifen, zu sagen, wie will ich denn den Gesamtbericht des Waldes machen, dann kann ich immerhin Bäume zählen. Ich weiß, wie viele Bäume in einem Wald bereits sind, kann mir statistisch ein Zehntel der Bäume intensiver anschauen und rechne dann auf die Baummenge hoch. Bei den Eingriffsintensitäten, denen Bürgerinnen und Bürger ausgesetzt sind, fürchte ich, ist es eben sehr unterschiedlich. Da stehen eben nicht alle Bäume im gleichen Wald, sondern ich habe die hochkriminellen Bäume, die werden viele Eingriffsintensitäten erleben, ich habe eine Menge Menschen, die das ein-, zweimal in ihrem Leben erleben, einmal, weil sie zufällig in der Verkehrskontrolle stecken, und ein zweites Mal, weil sie im Verkehrsunfall waren und dann möglicherweise auf solche Dinge rauslaufen. Wieder die Frage, gucke ich mir die durchschnittliche Belastung an, Extremfälle oder 82 Millionen Deutsche.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich halte es für hochgradig sinnvoll, die Vorarbeiten der Bundesregierung abzuwarten und auf das dann erst aufzusetzen, wenn es dort methodisch verfestigt ist. Und unabhängig davon würde ich herzlich einladen, dass wir in MecklenburgVorpommern ja bereits Ansätze für eine nach unseren – dann vielleicht profaneren – Zugängen ganzheitliche Gesamtbetrachtung im Gesetz, im SOG selbst, bereits vorgesehen haben.

Wir werden im kommenden Jahr das SOG dieses Bundeslandes evaluieren, und zwar entsprechend seines eigenen Gesetzesauftrages. Jetzt müssen Sie mir helfen: 2019/2020 muss die Novellierung gelegen haben, wo man ganz ausdrücklich in diesem Hohen Hause einen festen Zeitpunkt reingeschrieben hat. Und dabei schauen wir uns selbstverständlich, so war die Verabredung, die Bandbreite der Befugnisse an. Wir werden auch mal schauen, wie oft wird auf Befugnisse zurückgegriffen. Ich warne aber vor dem Trugschluss zu sagen, das, was nicht häufig genutzt wird, kannst du auch streichen. Vielleicht ist das nur für ganz extreme Lagen, und wenn ich die habe, brauche ich dann unbedingt diese Befugnis auch, bin aber eigentlich dankbar für jeden Tag, wo wir die Befugnis nicht brauchen, weil sie eine Lage voraussetzt, die in Wahrheit gar keiner haben möchte.

Zum anderen, meine Damen und Herren, wird jährlich ein SOG-Bericht erstellt und dem SOG-Gremium dieses Landtages zugeleitet, in dem über die Häufigkeit des Einsatzes verschiedener, besonders weit in die Freiheitsrechte der Menschen eingreifenden Befugnisse der Polizei berichtet wird. Wir haben gerade kürzlich genau dazu gesessen. Dieser Bericht ist im Übrigen auch in der Folge der letzten Gesetzesnovellierung deutlich erweitert worden von den Berichtspflichten, die die Landesregierung aufzuzeichnen und dann dem Gremium vorzustellen hat.

Wir als Landesregierung empfehlen dringend, die Bundesvorarbeiten abzuwarten, erst mal eine gesicherte Systematik zu haben, auf die man dann, um auch bundesweite Vergleichbarkeit abzusichern, aufsetzen würde. Ich danke Ihnen ganz herzlich für Ihre Unterstützung, an dieser Stelle für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf eine mit Sicherheit spannende Debatte. – Vielen Dank!

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, DIE LINKE und Ann Christin von Allwörden, CDU)

Vielen Dank, Herr Minister!

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der AfD der Fraktionsvorsitzende Herr Kramer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete!

Herr Innenminister, ich muss gestehen, mir ging es ähnlich, als ich von dem Antrag las. Das war für mich auch schwer zu greifen. Und ich war gespannt auf die Debatte, habe mich dann eingelesen, war auch gespannt auf Ihren Beitrag. Ich muss sagen, die Kollegen der FDP treffen mit dem Antrag den Nerv unserer Zeit, keine Frage. Wollen wir uns den Antrag doch mal genauer anschauen!

Es ist richtig, dass unsere Bürgerrechte durch moderne Technik und neue Überwachungsmethoden zum Teil einfach einzuschränken sind, zum Teil auch zu einfach. Wie schnell auch unser Staat totalitäre Maßnahmen ergreifen kann und wie schnell Grundrechte ausgehebelt werden können, hat nicht zuletzt die Corona-Pandemie gezeigt.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD – Horst Förster, AfD: Das kannst du wohl sagen.)

Umso wichtiger ist es, meine Damen und Herren, ganz genau zu wissen, welche Daten von den Sicherheitsbehörden gespeichert werden, wo, wie und warum. Die FDP schreibt in ihrem Antrag richtigerweise, „mit welcher Intensität“ Bürgerrechte eingeschränkt werden, und vor allem das Warum ist eine der entscheidenden Fragen unserer Zeit. Werden diese Mittel nämlich gegen Andersdenkende und somit bald gegen jegliche Oppositionelle angewendet, verlassen wir den Weg des Rechtsstaates. Und das wollen wir ja wohl alle, wie wir hier sitzen im Hause, nicht.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser – diesen Spruch lernen wir bereits in Kindheitstagen. Angesichts unserer Landesregierung mit allen ihren fragwürdigen Skandälchen und Verstrickungen ist Kontrolle wichtiger denn je. Und ja, schon heute versuchen Sie hier in diesem Parlament, die Kontrollmöglichkeiten der Opposition massiv einzuschränken,

(Thomas Krüger, SPD: Nein.)

und verwehren der größten Oppositionsfraktion beispielsweise einen Platz in der Parlamentarischen Kontrollkommission oder auch im SOG-Gremium,

(Zuruf von Constanze Oehlrich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

was Sie gerade ansprachen.

(Beifall Thomas de Jesus Fernandes, AfD)

Werte FDP, wenn Sie Ihren Antrag ernst meinen, dann thematisieren Sie doch dieses Vorgehen einmal! Bürgerrechte schützt man nämlich am besten und gerade mit und nicht ohne die AfD. Auch wenn Sie jetzt aus parteistrategischen Überlegungen und der von der Bundespartei diktierten Fraktionsdisziplin den Kopf schütteln müssen, meine Damen und Herren von der FDP, oder ob

Sie einfach nur Angst haben, dass bei zu viel Ehrlichkeit die Kollegen von den GRÜNEN Sie auf den Gängen nicht mehr grüßen oder Sie eventuell etwas Reputation am Golfplatz einbüßen müssen, so wissen Sie es genauso gut wie wir: Die Freiheit der Bürger schützt man nur mit der AfD.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Von Regierungsseite –

(Julian Barlen, SPD: Die Freiheit einzelner Bürger vielleicht oder bestimmter Bürger.)

Rot, Dunkelrot – oder Grün ist hier in diesem Hause nichts zu erwarten, Herr Barlen, eher noch das Gegenteil.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD – Zurufe von Horst Förster, AfD, und Michael Meister, AfD)

Die Digitalisierung bietet immer neue Möglichkeiten der Überwachung.