Protocol of the Session on October 6, 2022

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE)

Frau Abgeordnete, es liegt ein Antrag auf Kurzintervention vor.

Herr Schult, bitte!

Ja, sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Frau Kollegin Kröger, Ihre Äußerungen erfordern natürlich ein Statement unserer Partei. Also es ist tatsächlich so – ich weiß nicht, ob Sie den Herrn Jünger kennen, der einst sagte: „Nach jedem Erdbeben schlägt man auf die Seismographen ein“ –, und das ist in diesem Fall auch wieder der Fall, dass wir sozusagen nicht diejenigen sind, die die Situation herbeigeführt haben. Wir waren nicht in der Regierung. Wir kritisieren diese Dinge, die falsch laufen, und das ist auch das, was die Leute von uns erwarten. Und dass Sie natürlich quasi die Leute eingemauert haben und beispielsweise Herr Koplin ja aktiv sogar noch beteiligt war an dieser, an dieser Unrechtsregierung, dass Sie uns jetzt vorwerfen, wir würden nicht an der Seite der Menschen da draußen stehen, das ist infam.

Es ist so – ich weiß es selber aus meiner Familie –, damals war die Euphorie sehr groß zur Wendezeit, man lag sich in den Armen, aber die Ernüchterung ist in der Tat eingetreten in vielen Familien. Und die ist eingetreten, weil einfach das Ansehen der Politik stark gelitten hat. Die Leute haben sich das anders vorgestellt, die Leute haben gedacht, sie können die Politik mitbestimmen, aber das ist de facto nicht der Fall. Beispielsweise Kommissionspräsidentin von der Leyen wird zur Kommissionspräsidentin gewählt, steht gar nicht auf dem Wahlzettel drauf. Eine Wahl in Thüringen, eine Ministerpräsidentenwahl in Thüringen wird rückgängig gemacht. Das sind alles Punkte, wo die Leute sagen, Mensch, irgendwas läuft hier völlig falsch in diesem Land.

Und das ist das, wo wir eigentlich ranmüssen, Authentizität, Redlichkeit, dann würden wir die Akzeptanz auch dort draußen wieder gewinnen. Aber so, wie wir hier Scheindebatten führen, wird uns das nicht gelingen, oder auch anderen Leuten den Schwarzen Peter zuschieben, wird uns das nicht gelingen,

(Zuruf von Thomas Krüger, SPD)

weil es ist tatsächlich ein Versäumnis der Politik, dass die Leute so unzufrieden sind, wie sie es sind. Und da können wir uns alle hier den Schuh anziehen, da haben wir natürlich selber die Verantwortung zu tragen.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Möchten Sie darauf reagieren, Frau Abgeordnete?

Ja, das möchte ich.

Gut, das war jetzt auch wieder das übliche Allerlei, ziemlich Kuddelmuddel ehrlich gesagt, also viele verschiedene Themen. Ich kürze das mal so: Das ist aber genau das, was ich meine, was Ihre Partei immer macht. Sie versuchen, die Leute in ihrer Enttäuschung oder in ihrem Frust abzuholen, versuchen, Verständnis zu äußern, und dann kommt sofort die große Fehlerkeule,

(Zuruf von Horst Förster, AfD)

die dann Richtung alle anderen geschwungen wird, die angeblich kein Verständnis mehr haben, die nicht zuhören, die sich angeblich von den Menschen entfernt haben, die die Sprache der Menschen nicht mehr sprechen. Sie schüren diesen Frust doch, Sie holen den ab und Sie ballen den für sich.

Und sich hier hinzustellen und über sprachliche Umerziehung zu reden –

(Horst Förster, AfD: Richtig!)

und das war ja offensichtlich, warum Herr Förster das machen musste,

(Horst Förster, AfD: Natürlich!)

weil nämlich dieser unsägliche Wir-schaffen-den-öffentlichrechtlichen-Rundfunk-ab-Antrag, den Sie auf der Tagesordnung hatten, ja nun runtergegangen ist und im November erst kommt, und da wollten Sie ja das große Thema „sprachliche Umerziehung“ spielen, also musste das jetzt noch mit reingepresst werden –, und das will ich Ihnen an der Stelle auch mitgeben, also von einer Partei zu hören, dass es um sprachliche Umerziehung geht, wenn jemand gendert,

(Horst Förster, AfD: Natürlich!)

eine Partei, die über „Migrationschaos“,

(Der Abgeordnete Enrico Schult spricht bei abgeschaltetem Saalmikrofon.)

über „Einwanderungswellen“ oder über „Straftäterinnen und Straftäter“ spricht, sobald man es mit Migrantinnen und Migranten zu tun hat, also ganz ehrlich, das ist politisch schizophren.

Und damit haben Sie heute ein weiteres Mal den ganzen Vormittag unter Beweis gestellt, dass das genau Ihre Art ist, Politik zu machen, vermeintlich sich auf die Seite der Bürgerinnen und Bürger zu stellen, den vermeintlichen großen Abholer zu machen

(Horst Förster, AfD: Überlassen Sie mal die Entscheidungen den Bürgern! Die können selbst entscheiden.)

und dann Wut, Frust und Enttäuschung nicht in Lösungen zu kanalisieren, die ja Herr Renz hier auch zu Recht angemahnt hat,

(Zurufe von Stephan J. Reuken, AfD, und Thore Stein, AfD)

was wir den ganzen Tag versuchen, sondern immer diese Wut in die Wut Richtung andere zu lenken, vor allem in die Wut auf alle anderen Demokratinnen und Demokraten.

(Thore Stein, AfD: Wo liegt Ihre Partei? In Niedersachsen? Treten Sie überhaupt an?)

Und das ist das, was ganz gefährlich ist, was Gift für diese Gesellschaft ist. – Vielen Dank!

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete!

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat nunmehr das Wort der Fraktionsvorsitzende Herr Dr. Harald Terpe.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich war ein sehr Engagierter in der friedlichen Revolution. Ich habe gestritten für die Einheit in Freiheit. Und heute mache ich von meinem Recht Gebrauch, nach den Ausführungen von Herrn Förster ihm nicht die Ehre der Diskussion zu erweisen. Ich bin sicher, die Demokratie wird so stark bleiben, sich gegen eine Gesellschaft à la Förster zu wehren. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von Stephan J. Reuken, AfD)

Vielen Dank, Herr Fraktionsvorsitzender!

Das Wort hat für die Fraktion der FDP der Fraktionsvorsitzende René Domke.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Auch das ist Haltung, Harald. Respekt davor!

(Heiterkeit vonseiten der Fraktion der AfD)

Gleichwohl, ich denke, das Thema, was aufgerufen wurde und zur Aussprache dienen sollte – ich habe die ganze Zeit überlegt, wie will man das in einem achtminütigen Beitrag überhaupt behandeln. Dann wurde mir schnell klar, dass es darum überhaupt gar nicht geht, dass Hasstiraden hier abgelassen werden und am Ende wir alle da sitzen mit dem Eindruck der Wiedervereinigung.

Ich war damals 17/18 Jahre alt, im Abitur befindlich, die Welt um mich herum hat sich verändert. Und das ist auch zum Beispiel der Punkt, der mich zu den Liberalen geführt hat. Es war eine Zeit der Freiheit. Ich habe auf einmal gespürt, ich bin zu Lesungen und Veranstaltungen, Theaterstücken gegangen, zu Büchern, die verboten waren zu dieser Zeit. Vielleicht kennt der eine oder andere noch Aitmatow „Die Richtstatt“ und ähnliche Dinge. Glasnost, Perestroika in der Sowjetunion – das schwappte rüber. Es entstand was, vor allem die Künstlerszene war ganz vorneweg. Und was das mit einem 17- oder 18Jährigen macht, das hat mich so tief beeindruckt, dieses Gefühl der täglichen Freiheit, jetzt irgendwie entwickelt sich was, ich kann mich entscheiden, es ist nicht mehr vorgegeben, was ich studiere, wie viele Jahre ich zur NVA gehen muss. All diese Dinge, das hat mich bewegt. Und darüber hätte ich heute viel mehr hören wollen, über das Verbindende.

Herr Förster, es ist doch nicht so, dass es nicht Herausforderungen in beiden Teilen Deutschlands auch vorher gab. Es ist doch nicht so, dass es nicht dort schon Migration gab, sowohl in der DDR als auch in der BRD. Und es ist doch nicht so, dass nicht immer gesellschaftliche Diskussionen entstanden sind. Das haben wir miterlebt in der DDR. Ich wohnte Gott sei Dank in einem Teil, wo ich Westfernsehen schauen konnte, und ich habe gesehen, wie in einer Demokratie diskutiert werden kann, in Talkshows und so weiter. Man konnte sich eine Meinung bilden, man konnte sich Meinungen anhören, man konnte sich Meinungen zu eigen machen. Ich bin ab und zu mal drauf reingefallen, weil ich dann den falschen Sprachgebrauch benutzt habe, wenn am nächsten Tag Staatsbürgerkundeunterricht war. Und wenn ich plötzlich von

„Arbeitgebern“ und „Arbeitnehmern“ sprach, was war da los! Wer gibt denn seine Arbeit? Aber ich will das jetzt hier nicht alles durchdiskutieren.

(Horst Förster, AfD: Jetzt heißt es „Arbeitgebende“.)

Aber, meine Damen und Herren, worum es mir geht, es war eine Zeit der Umarmung. Menschen,

(Zuruf von Horst Förster, AfD)

Menschen, die jahrelang getrennt waren, Familien, die auseinandergerissen wurden – wir haben doch diese Biografien gerade gehört –, die haben zueinanderfinden können. Man war neugierig aufeinander. Aber niemand, niemand, der damals Verantwortung getragen hat – und das muss man auch mal sagen –, hat gesagt, dass es leicht wird. Es wurde zwar gesagt, es wird blühende Landschaften geben, gewissermaßen haben sie ja auch geblüht.

Und wenn hier jetzt solche Generalabrechnungen erfolgen, ja, was haben die einen gemacht, was haben die anderen gemacht, natürlich gab es eine Goldgräberstimmung, natürlich ist ein Systemwechsel auch damit verbunden, dass aus Volkseigentum Privateigentum wird. Da waren aber nicht nur Westdeutsche schuld und beteiligt dran. Ich kann mich daran entsinnen. Und schauen Sie sich einfach mal um in der Landschaft, wie viele aus den Zwangsgemeinschaften, aus den Zwangskollektivierungen die Gunst der Stunde genutzt haben und andere mit einem Spottpreis ausgezahlt haben und sich an die Spitze gesetzt haben und heute erfolgreiche Unternehmen führen!

Ich will das nicht in Misskredit bringen. Das waren Zeiten, in denen man solche Entscheidungen treffen musste, wo man auch ein gewisses Risiko eingegangen ist. Aber es ist nicht so, dass eine Gruppe über die anderen hergefallen ist und ihr irgendetwas aufgezwängt hätte, ganz im Gegenteil, von da an war es nämlich möglich, dass man es gemeinsam gestaltet.

Und das vermisse ich hier in der ganzen Aussprache, das Thema „Gestalten“, und zwar miteinander. Ist es nicht wunderbar, dass die Generation nach mir sich als Kosmopoliten versteht, als Europäer? Da wird überhaupt gar nicht mehr diskutiert, wo jemand herkommt, eher, weil man es am Dialekt erkennt oder an irgendwelchen Eigenarten, weil zum Beispiel die Rheinländer zu bestimmten Tagen den Verstand ausschalten und irgendetwas feiern, was wir als Norddeutsche nicht nachvollziehen können,