Protocol of the Session on May 13, 2020

Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Seit acht Wochen hat uns das Corona-Virus voll im Griff. Was bis vor acht Wochen noch unmöglich schien, wurde mit einem Mal wahr. Um das Virus zu bekämpfen, dessen Ausbreitung zu verhindern, Menschen zu schützen und unserem Gesundheitssystem Zeit zu geben, um Kapazitäten aufzubauen, wurden Kitas, Tagespflegen, Schulen oder Werkstätten für Behinderte geschlossen. Arbeiten durfte hauptsächlich nur noch der,

der in systemrelevanten Bereichen arbeitete. Untersagt wurden Besuche in Fitnessstudios, Museen, bei Friseuren, auf dem Fußballplatz, in Jugendklubs oder Gaststätten. Demonstrationen konnten nicht abgehalten werden. Menschen aus anderen Bundesländern wurde zum Zweck der touristischen Einreise die Einreise versagt. Man durfte anderen Menschen nur noch begegnen, wenn dies unbedingt notwendig war, also meist beim Einkaufen. Kurz: Das ganze Leben in Mecklenburg-Vorpommern wurde von einem auf den anderen Tag auf den Kopf gestellt.

Es wurde in einem bisher unvorstellbaren Maß in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger eingegriffen. Die Eingriffe betrafen fast jedes Grundrecht des Grundrechtskatalogs des Grundgesetzes, vom Grundrecht auf Versammlungsfreiheit über das Grundrecht auf Freizügigkeit, Berufsfreiheit oder Eigentum, um nur einige aufzuzählen. Die Eingriffe erfolgten dabei per Rechtsverordnung durch die Landesregierung. Aus unserer Sicht, aus Sicht der Linksfraktion, müssen trotz und auch gerade in Krisenzeiten, wie wir sie aktuell erleben, bei jedem staatlichen Handeln rechtsstaatliche Grundsätze und die Grundrechte gewahrt bleiben. Das heißt für uns, Eingriffe müssen auf gesetzlicher Grundlage erfolgen, die Maßnahmen müssen verhältnismäßig und bestimmt sein.

(Beifall Peter Ritter, DIE LINKE)

Das betrifft sowohl den Inhalt als auch die Geltungsdauer der Maßnahme. Das sind die Grundsätze, an denen sich jede Maßnahme zu messen hat.

Sehr geehrte Damen und Herren, aus unserer Sicht wurden diese Grundsätze leider durch die Landesregierung nicht bei jeder Maßnahme einmal eingehalten.

(Torsten Renz, CDU: Zählen Sie mal außer der Osterregelung drei auf!)

Aufgrund der öffentlichen Kritik – …

(Torsten Renz, CDU: Bitte drei!)

Herr Renz, dazu komme ich jetzt, zu den Aufzählungen.

(Torsten Renz, CDU: Außer Osterregelung!)

… auch durch unsere Fraktion – konnten einige unverhältnismäßige Maßnahmen der Landesregierung wieder korrigiert werden. So haben mein Kollege Peter Ritter die beabsichtigte Weitergabe von Daten infizierter Personen an Polizeidienststellen oder mein Kollege Karsten Kolbe das Einreiseverbot durch Studenten erfolgreich über die Medien kritisiert. Die Regierung steuerte um. Und was machte das Parlament?

(Peter Ritter, DIE LINKE: Das waren schon zwei Beispiele, Herr Renz!)

Der Landtag war zum stillen Zuschauer verdammt.

Sehr geehrte Damen und Herren, wir meinen, bei derartig schweren Eingriffen in die Grundrechte, von denen alle betroffen waren und sind, liegt es auf der Hand, dass die bloße Zuschauerrolle der ersten Gewalt nicht richtig sein kann. Deshalb,

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE und Horst Förster, AfD)

deshalb bringen wir unseren Gesetzentwurf heute ein, der die Regierung dazu verpflichtet, die erlassene Infektionsverordnung vorab und in Eilfällen nachträglich dem Landtag zur Überprüfung und zur Stellungnahme – und um nichts weiter geht es hier – vorzulegen. Nur so wird aus unserer Sicht eine wirksame und öffentliche parlamentarische Kontrolle zur Einhaltung der Grundrechte gewährleistet. Diese öffentliche Kontrolle durch das Parlament ist aus unserer Sicht immens wichtig, denn nur ein öffentliches Verfahren lässt die Gründe für die Maßnahmen erkennen und macht diese so nachvollziehbar. Ist eine Regel nicht nachvollziehbar, sinkt die Akzeptanz der Menschen,

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

denn klar ist: Warum soll ich eine Regel einhalten, wenn ich nicht verstehe, warum sie besteht?

Und an diesem Zeitpunkt befinden wir uns aktuell. Regelungen, Lockerungen sind nicht immer nachvollziehbar. Warum sollte zum Beispiel zu Ostern der Spaziergang an der 2.247 Kilometer langen Ostseeküste verboten werden und nicht nur beschränkt auf die Hotspots an der Ostseeküste? Warum herrscht das Kontaktverbot derzeit, aber in Restaurants können sich sechs Menschen an einen Tisch setzen?

(Zuruf von Jens-Holger Schneider, AfD)

Wie soll ich als gewählte Vertreterin der Menschen ihnen erklären, was dahintersteckt? Ich kann es zum Teil nicht, weil ich selber zum Teil nicht den Sinn hinter dieser Regelung sehe.

Die Akzeptanz der Menschen gegenüber Maßnahmen sinkt, und das erleben wir derzeit nicht nur in den Klagen, die zurzeit deutschlandweit gegen die CoronaMaßnahmen zuhauf eingelegt werden, sondern wir sehen es auch, dass die Akzeptanz der Menschen sinkt. Sie gehen auf die Straße in Schwerin, Greifswald und Neubrandenburg bei sogenannten Hygienedemos. Sie prangern immer mehr die Eingriffe beziehungsweise die nicht nachvollziehbaren Regelungen an. Sieht man von den Verschwörungstheoretikern und Rechtspopulisten ab, sind diese Ängste berechtigt. Was mir aber zunehmend an den Hygienedemos missfällt, ist die Ausnutzung der Ängste durch Rechtspopulisten, von denen ich in der Krisenzeit noch nie einen Lösungsvorschlag gehört habe, und auf einmal spielen sie sich als die Verteidiger der Grundrechte auf.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Sehr geehrte Damen und Herren, es ist einfach unglaubwürdig und nicht hinnehmbar, dass die, die die Einhaltung der Grundrechte fordern, andere Menschen bespucken, verletzen und herabwürdigen, wie diese Woche in Neubrandenburg geschehen.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Um es klar zu sagen:

(Zuruf von Jens-Holger Schneider, AfD)

Wer sich auf die Einhaltung der Grundrechte beruft, hat die Grundrechte anderer zu respektieren. Punkt, aus! Und da gibt es auch kein Vertun.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Und nein, die Grundrechte gelten nicht grenzenlos. Auch Meinungsfreiheit hat ihre Grenzen, Grenzen in der Beleidigung und der Herabwürdigung anderer Personen. Und insofern ist es nicht immer gerechtfertigt, sich auf die Meinungsfreiheit zu berufen.

Sehr geehrte Damen und Herren, wir als Parlament können und müssen diese Ängste der Menschen wahrnehmen, wir müssen sie ernst nehmen und nicht Rechtspopulisten oder Verschwörungstheoretikern überlassen. Wir müssen unsere Entscheidungen auf eine breite Basis stellen, den Landtag, der gewählten Vertretung des Volkes. Wir müssen die Menschen in MecklenburgVorpommern mitnehmen. Von den Menschen geht nach unserer Landesverfassung die Macht aus. Der Landtag ist die legitimierte Gewalt von dem Volk, er ist sozusagen sein gewählter Stellvertreter. Ihm obliegt der Erlass von Gesetzen, und deshalb ist aus unserer Sicht der Landtag auch zu beteiligen.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE – Torsten Renz, CDU: Wobei?)

Leider gibt es eine …

Herr Renz, lesen Sie doch mal den Gesetzentwurf!

(Torsten Renz, CDU: Der ist so kurz. Den habe ich überflogen. Das kann man in zwei Minuten!)

Natürlich bei den Verordnungen zum Infektionsschutzgesetz. Lesen Sie den Gesetzentwurf,

(Torsten Renz, CDU: Habe ich gemacht!)

da können Sie das draus entnehmen!

Eine verbindliche Beteiligung des Landtages ist nicht vorgesehen und wurde deshalb in den vergangenen Monaten bis auf die Informationen in den Fachausschüssen und im Rahmen von Gesprächsrunden mit der Ministerpräsidentin mit Vertretern der Fraktionen nicht praktiziert. Die Landesregierung war die maßgebliche Gewalt, was auch am Anfang einer Krise nachvollziehbar ist, wenn, wie im Fall von Corona, schnell gehandelt werden muss. Sie konnte dies, sie konnte schnell agieren. Das war in solch einem Fall wie der Pandemie mit Corona für den Gesundheitsschutz der Menschen in MecklenburgVorpommern auch notwendig.

Aber mittlerweile ist die Ausnahmesituation die neue Normalität. Es gibt keinen Impfstoff, die Ansteckungsgefahr von Corona wird uns die nächsten Monate weiterhin beschäftigen. Das Zepter des Handelns muss neben der Landesregierung eben auch der Landtag wieder in die Hand nehmen. Er ist das Korrektiv zur Landesregierung. Dort können transparent durch Abwägungen unter Einbeziehung von Sachverständigen die Grundrechtseingriffe legitimiert werden. Und eine Beteiligung des Landtages sichert nicht nur eine breite Meinungsfindung, sie dient auch der Kontrolle der Landesregierung und ihrem Agieren. Genau das ist Sinn auch von Gewaltenteilung.

Die Landesregierung kann sich nicht selber kontrollieren, was schon der Umstand zeigt, dass das Justizministerium alle erlassenen Maßnahmen auf Nachfrage als

rechtmäßig ansah. Korrekturen wurden vorgenommen aufgrund kritischer Stimmen aus unserer Fraktion und aufgrund von Gerichtsurteilen. Deshalb wird durch die Beteiligung des Landtages auch die Kontrolle über die Landesregierung sichergestellt und letztendlich die Einhaltung der Gesetze sichergestellt.

(Minister Harry Glawe: Siehste, geht doch!)

Die Kontrolle durch den Landtag kann aber nur stattfinden, wenn er informiert ist. Und gerade das klappte in den letzten Monaten nicht immer.

(Torsten Renz, CDU: Aber das stimmt nicht!)

Beispielsweise, Herr Renz,

(Torsten Renz, CDU: Ja?)

hatte ich nicht die Information und konnte dies auch nicht aus der entsprechenden Rechtsverordnung herausnehmen, dass auch Alleinerziehende von der Notfallbetreuung in der Kita im April mit umfasst waren. Die Richtigstellung oder Klarstellung erfolgte erst aufgrund meiner PM durch eine PM des Sozialministeriums. Nun frage ich mich:

(Torsten Renz, CDU: Ja?)

Soll jedes Jugendamt erst unsere PM lesen, damit sie Sicherheit haben, wer in die Notfallbetreuung geht oder eben nicht?