Protocol of the Session on March 11, 2020

(Nikolaus Kramer, AfD: Aber wir können doch gar nicht abstimmen, wenn kein Antrag gestellt worden ist?!)

Na, hat doch der Herr Ritter gerade gemacht.

(Nikolaus Kramer, AfD: Nein, er hat gesagt, er möchte beantragen, er hat nicht gesagt, ich beantrage.)

Na, nun sind Sie doch nicht päpstlicher als der Papst! Das war doch der Antrag.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Das war ein klarer Antrag.)

Also wir sind in der Abstimmung, ich setze fort, dass wir den Tagesordnungspunkt 13, den ich gerade vorgelesen habe, nach dem Tagesordnungspunkt 24 morgen auf der Sitzung zur Diskussion stellen, dazu aufrufen. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich jetzt um ein Handzeichen. – Danke schön! Gegenstimmen? – Danke schön! Stimmenthaltungen? – Bei einigen Stimmenthaltungen und einigen Gegenstimmen aus der Fraktion der AfD, ansonsten Zustimmung der anderen Abgeordneten ist das so angenommen.

Habe ich was vergessen? Nein.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 12: Beratung des Antrages der Fraktion DIE LINKE – Wirtschaftspolitik zukunftsorientiert ausrichten – Industriestrategie für Mecklenburg-Vorpommern erarbeiten, auf Drucksache 7/4743.

Antrag der Fraktion DIE LINKE Wirtschaftspolitik zukunftsorientiert ausrichten – Industriestrategie für Mecklenburg-Vorpommern erarbeiten – Drucksache 7/4743 –

Das Wort zur Begründung hat für die Fraktion DIE LINKE der Abgeordnete Foerster.

(Der Abgeordnete Henning Foerster spricht bei abgeschaltetem Mikrofon. – Peter Ritter, DIE LINKE: Mikro!)

Oh, Entschuldigung! Bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Schon im November 2014 titelte die „Ostsee-Zeitung“: „Gefangen im Strandkorb: MV feilt an neuem Image“. Seinerzeit fanden Meinungsforscher heraus, dass unser Land bundesweit für Urlaub und für intakte Natur steht, nicht jedoch als moderner Arbeitsort und Lebensmittelpunkt wahrgenommen wird. In Zeiten zunehmender Fachkräftebedarfe in vielen Branchen war das schon damals eine geradezu niederschmetternde Botschaft, denn nur 18 Prozent der Befragten hielten den Nordosten seinerzeit für ein attraktives Land zum Leben und Arbeiten, weshalb auch der frühere Chef der Vereinigung der Unternehmensverbände Lothar Wilken dringenden Handlungsbedarf sah. Er wies schon damals darauf hin, dass die Zahl der Erwerbstätigen binnen einer Dekade um 200.000 Menschen sinke und daher künftig jeder Mann und jede Frau gebraucht werde.

M-V muss sein Image also zwingend verändern, um anders wahrgenommen zu werden. Dafür reichen allerdings weder Hochglanzbroschüren noch ein neuer Slogan allein. Um Rückkehrern und potenziellen neuen Landeskindern künftig ein attraktives Angebot machen zu können, braucht es eine Strategie, wir sagen, eine Landesindustriestrategie. Und alle, die den Nordosten genau für die eingangs genannten Attribute lieben, die möchte ich beruhigen: Industrie heißt heutzutage nicht mehr, dass es aus schwarzen Schloten raucht und stinkt, im Gegenteil, in vielen Industriebetrieben könnte man heute dank modernster Technik in den Werkhallen vom Fußboden essen.

Jüngst hat sich auch der aktuelle Chef der VU Thomas Lambusch geäußert. Er verwies darauf, dass sich die

Stimmung 2019 auch in der Wirtschaft MecklenburgVorpommerns eingetrübt hat. Die gesamtdeutsche konjunkturelle Abschwächung mache keinen Bogen um M-V, auch wenn die hiesige eher klein- und mittelständisch geprägte und weniger exportorientierte Wirtschaftsstruktur im Lande derzeit noch vor einem Einbruch der wirtschaftlichen Entwicklung schützt. Er forderte die Landesregierung sowie die Regierungsfraktionen auf, in einem gemeinsamen Kraftakt mit den Spitzenverbänden der Arbeitgeber, den Kammern sowie den Gewerkschaften die erforderlichen Weichenstellungen für eine zukunftsfeste wirtschaftliche Entwicklung des Landes vorzunehmen.

Es braucht also neue Impulse, und das wissen wir nicht erst seit dem Beginn dieses Jahres. Auch ein Blick in die Statistik belegt ja grundsätzliche Probleme. Trotz zahlreicher Fortschritte in den letzten 30 Jahren weisen wichtige Kennzahlen darauf hin.

(Präsidentin Birgit Hesse übernimmt den Vorsitz.)

Die Angleichung der hiesigen Wirtschaftskraft an den Durchschnitt der finanzschwachen Länder West kommt nicht weiter voran. 2017 lag das BIP je Einwohner im Vergleich zu selbigen bei lediglich 75,4 Prozent. Es liegt damit sogar noch unter dem Anteil des Jahres 2009, der 77,7 Prozent betrug.

Nach wie vor ist auch der Anteil des verarbeitenden Gewerbes an unserer Gesamtbruttowertschöpfung mit 11,6 Prozent im Jahr 2018 bundesweit am geringsten. Seit 2009 konnte er lediglich um 0,5 Prozent gesteigert werden. Mit 43 Industrieunternehmen je tausend Einwohner weist der Nordosten zudem die geringste Industriedichte aller Flächenländer auf und auch die Exportquote verharrt mit 34 Prozent gegenüber bundesweit über 50 Prozent auf einem niedrigen Niveau. Dass nur 0,3 Prozent der deutschen Patente von hier kommen, spricht zudem für eine niedrige Innovationskraft.

Meine Damen und Herren, in der letzten Landtagssitzung haben wir über die Bilanz aus 30 Jahren M-V gesprochen und dabei auch das Lohngefälle thematisiert. Dies ist ein weiterer harter Standortnachteil im Wettbewerb um die Fachkräfte von heute und morgen, und Sie wissen, dass ein Grund dafür die geringe Ausprägung der Tarifbindung ist. Auch um hier besser zu werden, braucht es wahrscheinlich einen neuen strategischen Ansatz. Nach wie vor lehnen etwa drei Viertel der Betriebe in M-V mit den Gewerkschaften geschlossene verpflichtende Regeln über Lohnhöhen und Zusatzleistungen ab, vor allem in kleinen Firmen. Nur circa 12 Prozent der Betriebe mit bis zu 4 Beschäftigten gehen Tarifverträge ein, in Unternehmen mit 250 und mehr Beschäftigten sind es hingegen 82 Prozent.

Bei unseren Gesprächen mit der VU hatte ich stets den Eindruck, dass attraktive Löhne grundsätzlich auch dort als notwendig angesehen werden. Dabei verwiesen die Verbandsvertreter jedoch stets darauf, dass diese auch erwirtschaftet werden müssen und gerade kleine und mittelständische Unternehmen in vielerlei Dingen auch Unterstützung benötigen.

Der Besuch des Wirtschaftsausschusses Ende Februar beim Familienunternehmen HAB lieferte auch einen Fingerzeig dafür, was damit gemeint sein könnte. Dort wurde nicht nur pauschal mehr Einsatz für die kleinen

und mittelständischen Industrieunternehmen gefordert, sondern explizit darauf hingewiesen, dass Hilfe bei der digitalen Transformation dringend erforderlich ist. Auf unserer Betriebsrätekonferenz im Februar haben wir gerade diese Frage ausführlich diskutiert. Wir haben mv-works vorgestellt und dafür geworben, die Angebote dieses neuen Projektes zu nutzen.

Wir haben ferner gehört, dass es beim Qualifizierungschancengesetz des Bundes noch reichlich Luft nach oben gibt. Die Kollegen der BA teilten mit, dass trotz verbesserter Möglichkeiten die Anzahl der Förderfälle kaum gestiegen ist. Bei der beruflichen Weiterbildung waren es 2018 landesweit 962 und 2019 dann 970 Fälle. Technologiewandel und Digitalisierung sind bislang noch viel zu wenig Inhalt bei der Beratung und Förderung von Beschäftigten. Oft liegt es daran, dass zeit- und ortsnah gar kein passendes Bildungsangebot unterbreitet werden kann.

Vor Ort bei HAB problematisiert wurden ferner Lücken in der Förderkulisse. Da ging es konkret um die aus Sicht des Unternehmens notwendige Unterstützung beim Bau von Prototypen, die zur Marktreife geführt werden sollen.

Das sind nur einige Beispiele, die uns in der Auffassung bestärken, dass sich das Land jetzt an die Arbeit machen und eine Landesindustriestrategie 2030 erarbeiten sollte. In einem Werkstattprozess mit allen relevanten Akteuren sind dabei natürlich zahlreiche Fragen zu klären:

Wo will das Land grundsätzlich hin?

Welche Branchen passen am ehesten zu uns?

Wie können die Interessen von Industrie, Tourismus und Naturschutz miteinander in Einklang gebracht werden?

Welche infrastrukturellen Voraussetzungen müssen geschaffen werden?

Inwieweit ist die bestehende Förderkulisse anzupassen?

Welche Schwerpunkte will man politisch setzen?

Wie stellt sich das Land in der Bildungspolitik auf, um die Fachkräfte von heute fit für neue Herausforderungen zu machen und jene von morgen gut auszubilden?

Wie erreichen wir eine deutlich bessere Verknüpfung von Wirtschaft und Wissenschaft?

Wie gelingt es eigentlich, Vorzeigeunternehmen sichtbarer zu machen?

Wie kann eine Landesindustriestrategie marketingtechnisch begleitet und untersetzt werden?

Wie, wo und wann soll sie das Licht der Welt erblicken?

Wie kann sie öffentlichkeitswirksam präsentiert und im Bewusstsein potenzieller Investoren dauerhaft verankert werden?

Der Katalog ließe sich noch weiter fortführen. All diese und viele andere Fragen müssen im Erarbeitungsprozess einer Landesindustriestrategie beleuchtet und geklärt werden. Und ich bin da ganz bei Herrn Lambusch: Es darf keine Denkverbote geben, kein Schönreden, kein

Verklären, sondern Klartext, und alle Ideen gehören auf den Tisch. All das bindet natürlich Ressourcen in Ministerien, auch bei Sozialpartnern und Kammern, und daher ist uns wichtig, dass nicht viel Papier beschrieben wird, welches nach einer einmaligen Präsentation gelocht und geheftet in den Schubladen verschwindet. Das Endprodukt, eine Landesindustriestrategie 2030, muss durch eine langfristig angelegte Marketingkampagne begleitet und dann auch gelebt werden.

Darüber hinaus schlagen wir vor, beides, Strategie und Kampagne, auf einem großen Industriekongress vorzustellen und in regelmäßigen, von den Partnern gemeinsam abgestimmten Zeiträumen auch weitere derartige Kongresse durchzuführen. Dabei ist „Industriekongress“ für uns nur ein Arbeitstitel. Wenn es kreativere Ideen gibt, auch mit Blick auf die schon existente Industriekampagne der Kammern, dann bitte schön. In jedem Fall sollten diese größeren Veranstaltungen rollierend an unterschiedlichen Standorten im Land stattfinden und dabei jeweils unterschiedliche Schwerpunkte in den Mittelpunkt stellen.

Darüber hinaus geht es natürlich auch immer darum, Öffentlichkeit zu erzielen, den Austausch der Macher zu befördern und Best-Practice-Beispiele bekanntzumachen. Den Hut dafür sollte sich nach unseren Vorstellungen künftig allerdings die Landesregierung aufsetzen, auch, um nach außen deutlich zu machen, dass dieses Thema prioritär gesehen wird.

So weit vielleicht an dieser Stelle, weitere Ausführungen dann in der Debatte. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter!

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 58 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat für die Landesregierung der Minister für Wirtschaft, Arbeit und Gesundheit Herr Glawe. Herr Glawe, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Man kann wieder mal sagen, gut gebrüllt, Löwe Foerster.