Protocol of the Session on April 26, 2018

Antrag der Fraktion DIE LINKE Soziale Hilfeprojekte in Mecklenburg- Vorpommern dauerhaft sichern – Drucksache 7/1994 –

Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Herr Foerster für die Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Während sich die Landesregierung und auch die Regionaldirektion Nord der Bundesagentur für Arbeit seit Langem Monat für Monat mit neuen Rekordmeldungen zu den niedrigsten Arbeitslosenzahlen seit der Wende an die Öffentlichkeit wenden, drohen wichtige soziale Hilfeprojekte in unserem Land kaputtzugehen. Darauf haben heute Morgen Vertreter des Arbeitslosenverbandes M-V mit ihrer Mahnwache vor dem Schloss und einem offenen Brief an Ministerpräsidentin Manuela Schwesig noch einmal nachdrücklich hingewiesen.

(allgemeine Unruhe – Glocke der Vizepräsidentin)

So mancher hier im Saal mag sich aufgrund seiner eigenen, vergleichsweise komfortablen finanziellen Situation vielleicht nicht vorstellen können, dass es Menschen gibt, die auf den Gang in ein Sozialkaufhaus, in eine Möbel- oder Kleiderbörse, zu einer Ausgabe der Tafel oder zu einer Beratungsstelle angewiesen sind. Doch ich kann Ihnen versichern, es gibt sie und es sind leider immer noch erschreckend viele.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Seit vielen Jahren werden die Träger solcher Projekte auch von den Jobcentern im Land finanziell unterstützt. Diese nutzen die Angebote als Einsatzstellen für Menschen, die von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen sind und die hier eine Arbeitsgelegenheit erhalten, um einer einigermaßen sinnvollen Beschäftigung nachzugehen und wieder soziale Kontakte zu haben.

Dies zeigt, dass ein Wegfall solcher sozialen Hilfeprojekte in mehrfacher Hinsicht problematisch ist. Stellen die Träger ihre Aktivitäten ein, weil stetig zurückgehende Teilnehmerzahlen und sinkende Pauschalen die Finanzierung von Personal und Sachkosten nicht mehr ermöglichen, fällt ein wichtiges Angebot für sozial bedürftige Menschen künftig weg. Den Jobcentern wiederum fehlen dadurch geeignete Einsatzstellen für die Umsetzung arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen. Diese fehlenden Einsatzstellen gehen letztlich wiederum zulasten der von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen.

Meine Damen und Herren, ich mache überhaupt keinen Hehl daraus, dass ich nie ein großer Fan der sogenannten Ein-Euro-Jobs oder, fachlich korrekt ausgedrückt, der Arbeitsgelegenheiten war. Als Gewerkschafter habe ich früher dagegen Front gemacht, weil ich der Meinung war, wenn die Bedarfe für derartige Arbeit da sind, dann muss man die Leute schließlich auch vernünftig, will heißen, sozialversicherungspflichtig beschäftigen können. Ich habe in den nun knapp sechs Jahren, die ich mich von Berufs wegen mit dem Thema Arbeitsmarktpolitik beschäftige, aber lernen müssen, dass es nicht nur schwarz und weiß gibt. Für etliche Betroffene, mit denen ich persönlich gesprochen habe, steht im Vordergrund, dass sie endlich zu Hause rauskommen, dass sie wieder unter Leuten sind und über ihren Ein-Euro-Job beziehungsweise ihre Arbeitsgelegenheit wieder einen strukturierten Tagesablauf haben.

(Beifall Karen Larisch, DIE LINKE)

Arbeitsgelegenheiten haben trotzdem oft einen schlechten Ruf. Wenn Sie mal eine Straßenumfrage dazu machen würden, wären die Antworten vermutlich, dass es sich dabei oft um sinnlose und stupide Maßnahmen oder um Beschäftigungstherapie handelt, mit der letztlich nur Geld verbrannt wird. Solche Fälle gibt es natürlich auch, keine Frage, aber eine neue Studie des IAB zu den Eingliederungschancen von Ein-Euro-Jobs zeigt ein differenziertes Bild. Sie belegt, dass dieses oft geschmähte Instrument tatsächlich dazu beitragen kann, die Eingliederungschancen der Maßnahmeteilnehmer zumindest langfristig zu steigern. Die Beschäftigungsfähigkeit stieg demzufolge für Frauen in Ost- und Westdeutschland, ebenso wie für Männer in Westdeutschland an. Für Männer in Ostdeutschland stieg sie nur in den Bereichen Umweltschutz und Landschaftspflege nicht an.

Ich möchte Ihnen daher in diesem Zusammenhang gern folgende Frage stellen: Wenn also Arbeitsgelegenheiten die Integrationschancen der von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen zumindest langfristig erhöhen können und die sozialen Hilfeangebote, wie Sozialkaufhäuser, Kleider- und Möbelbörsen oder Tafeln, auch weiterhin benötigt werden, warum werden sie dann nicht finanziert? Die Antwort darauf hätte ich gern von den für Arbeit und Soziales zuständigen Ministerinnen und Ministern gehört.

Während Arbeitsminister Glawe in der Sache bislang komplett abgetaucht war,

(Minister Harry Glawe: Tauchen kann ich gut, Herr Foerster.)

hatte Sozialministerin Drese im NDR-Fernsehen die Zusage gemacht, schnell einen runden Tisch einzurichten. Sie wolle mit allen maßgeblichen Protagonisten darüber reden, wie diese Hilfeangebote gesichert werden können, wenigstens solange, bis der im Koalitionsprogramm auf Bundesebene niedergeschriebene soziale Arbeitsmarkt greift, hieß es seinerzeit.

Was bei Ihnen schnell ist, wissen wir inzwischen. Seit Ihrer Ankündigung sind nunmehr schon wieder Wochen ins Land gegangen. Ob Ihre Runde vom Montag tatsächlich dem Anspruch gerecht werden kann, alle maßgeblichen Protagonisten am Tisch zu haben, das darf getrost bezweifelt werden. Wir haben heute Morgen gehört, wen Sie da zu sich eingeladen haben. Ich habe mich noch

mal informiert. Da saßen drei Tafelvertreter unter anderem neben den beiden Ministern allein acht Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Sozialministeriums gegenüber.

(Heiterkeit bei Ministerin Stefanie Drese: Ach, so viele habe ich gar nicht! – Minister Harry Glawe: Herr Foerster, Sie sind schlecht informiert.)

Aber immerhin haben Sie heute Morgen eine weitere Runde angekündigt, Frau Ministerin,

(Zuruf von Minister Harry Glawe)

und auch den Arbeitslosenverband ausdrücklich zu dieser Runde eingeladen. Das ist zumindest ein Fortschritt.

(Zuruf von Minister Harry Glawe)

Damit gibt es nun wenigstens eine Reaktion von Ihnen. Die Ministerpräsidentin hatte es monatelang nicht nötig, auf den Brief, den sie vom Arbeitslosenverband erhalten hat, zu reagieren.

(Zuruf von Minister Harry Glawe)

Insofern sind meine Fraktion, die Träger sozialer Hilfeprojekte im Land, die Jobcenter, die Kommunen und natürlich nicht zuletzt die von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen sehr gespannt, wie es in der Sache nun weitergeht, denn eines möchte ich auch betonen: Ich habe gehört, dass es eine Zwischenlösung für die betroffenen Kreisverbände des Arbeitslosenverbandes geben soll,

(Minister Harry Glawe: Wer trägt Ihnen das alles zu?)

aber ich will ausdrücklich hervorheben, das ist keine Lex Arbeitslosenverband, die Probleme betreffen viele andere Träger auch.

(Beifall Karen Larisch, DIE LINKE)

Informieren Sie sich mal! Fahren Sie mal durch das Land! Reden Sie mal mit Beschäftigungsgesellschaften und reden Sie beispielsweise auch mit Trägern wie der Zukunftswerkstatt hier in Schwerin! Dann werden Sie überall das Gleiche hören. Vielen steht das Wasser bis zum Hals. Es stellt sich die Frage, wie lange sie überhaupt noch überleben werden.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE – Zuruf von Minister Harry Glawe)

Wenn wir über die Finanzierung sozialer Hilfeprojekte mittels arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen reden, dann kann ich Ihnen selbstverständlich nicht ersparen, noch einmal auf die Problematik der Jobcenterfinanzierung hinzuweisen, denn natürlich hat das Eintreten dieser Situation und die Notwendigkeit, überhaupt einen runden Tisch einzuberufen, auch etwas mit der Mittelausstattung selbiger zu tun. Als wir darüber zuletzt hier im Landtag gesprochen haben, Herr Minister Glawe, da haben Sie und die Koalitionsfraktionen so ein bisschen versucht, den Eindruck zu erwecken, wir würden mit falschen Zahlen hantieren. Die Antwort der Landesregierung auf meine Kleine Anfrage auf Drucksache 7/1617 straft Sie allerdings Lügen, weil diese belegt noch mal dezidiert, was ich seinerzeit ausgeführt habe.

Inklusive der Mittel für die Integration von Geflüchteten stehen den Jobcentern im Land in diesem Jahr circa 12 Millionen Euro weniger zur Deckung ihrer Verwaltungskosten, also Miete, Strom und Personal, zur Verfügung. Für die Maßnahmen zur Eingliederung am Arbeitsmarkt fehlen circa 19 Millionen Euro. Wenn Sie jetzt noch in Rechnung stellen, dass die Jobcenter die Löcher in ihren Verwaltungshaushalten durch das Umschichten aus dem Eingliederungstitel sozusagen ausgleichen müssen, dann fallen die Kürzungen zulasten der auf die Maßnahmen angewiesenen, von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen noch weit höher aus. Ich werde in der Debatte darauf zurückkommen und Ihnen die konkreten Zahlen für Mecklenburg-Vorpommern noch mal zu Gemüte führen. Heute kam nämlich die Antwort auf meine nächste Anfrage dazu.

Das sind die Hauptursachen dafür, dass Sie, Frau Drese, jetzt im eigenen Haus nach Kompensationsmöglichkeiten suchen müssen und dabei auch bei den klammen Kommunen Klinken putzen gehen wollen, um soziale Projekte zu sichern. Deshalb ist hier nach wie vor ein ganz wichtiger Hebel, um zukünftig Strukturen dauerhaft zu sichern und abzusichern. Deswegen fordern wir die Landesregierung heute erneut auf zu handeln und sich mit dem Bund ins Benehmen zu setzen, damit der Etat der Jobcenter noch in diesem Jahr wieder ein Stück aufgestockt wird. Bislang haben Sie sich diesbezüglich nicht mit Ruhm bekleckert.

Ich habe Herrn Minister Glawe im Wirtschaftsausschuss gefragt, warum wir die Bundesratsinitiative anderer Länder, zum Beispiel Brandenburgs, nicht unterstützt haben. Die haben das Problem erkannt und gesagt, wir brauchen eine vernünftige Finanzausstattung für die Jobcenter. Wer war nicht dabei? Mecklenburg-Vorpommern! Während also Ihre Kanzlerin Vollbeschäftigung verspricht und Sie ihr diesbezüglich natürlich wie gewohnt devot hinterherlaufen,

(Minister Harry Glawe: Der erste Arbeitsmarkt ist der wichtigere, das wissen Sie ganz genau. Da müssen Sie mehr googeln.)

regieren gleichzeitig beim Geld für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen,

(Minister Harry Glawe: Ja, ja!)

regiert Gevatter Rotstift, so muss man es sagen.

(Minister Harry Glawe: Das ist doch Quatsch!)

Die SPD, deren Ministerpräsidentin auch gleichzeitig stellvertretende Parteivorsitzende ist, setzt wie Frau Drese alle Hoffnungen auf den sozialen Arbeitsmarkt. Frau Drese, ich kritisiere nicht, dass es diesen geben soll. Das mache ich ausdrücklich nicht. Ich beteilige mich auch nicht an dem Pressepingpong, was hier zwischen Ihnen und der Vereinigung der Unternehmerverbände heute hin- und hergegangen ist,

(Zurufe von Ministerin Stefanie Drese und Minister Harry Glawe)

aber ich weise darauf hin, dass es noch eine Weile dauern kann, bis die entsprechenden Gesetzlichkeiten auf

den Weg gebracht sind. Dann kann es für viele betroffene Träger bereits zu spät sein. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, ich muss, bevor ich die Aussprache eröffne, noch darauf hinweisen, dass der Tagesordnungspunkt 27 entfällt, da der Fragesteller die Aufsetzung auf die Tagesordnung zurückgezogen hat.

Aber jetzt will ich Ihnen bekannt geben, dass der Ältestenrat vereinbart hat, zum Tagesordnungspunkt 28 eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 60 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Ums Wort gebeten hat zunächst die Ministerin für Soziales, Integration und Gleichstellung. Frau Drese, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Zu später Stunde ein sehr wichtiges Thema. Ich glaube, fast alle hier im Haus sind sich darin einig, dass Sozialkaufhäuser, Tafeln und Suppenküchen helfen, Not zu lindern und einkommensschwache Menschen zu unterstützen. Ob die Tafeln notwendig sind oder nicht, halte ich für eine eher akademische Diskussion.

Natürlich lässt sich in einem reichen Land wie Deutschland darüber gesellschaftspolitisch streiten und man kann die Angebote hinterfragen. Fakt ist, dass Tafeln und Co eine wichtige Funktion haben und von vielen Menschen genutzt werden. Das ist für mich die Messlatte, denn trotz der aktuell guten konjunkturellen Lage auf dem Arbeitsmarkt ist in den vergangenen Jahren leider ein ständiger Anstieg von Kindern, Familien, Alleinerziehenden, Seniorinnen und Senioren bei den Tafeln und Sozialkaufhäusern zu verzeichnen. Angebote wie Tafeln, Sozialkaufhäuser et cetera sind ergänzende Hilfen und unterstützen mit vielen Ehrenamtlichen und teilweise über geförderte Personen in Not geratene Menschen, die aus verschiedensten Gründen die Arbeit der Tafeln in Anspruch nehmen.

Tafeln, Kleiderkammern, Möbelbörsen und andere vergleichbare Projekte sind ein Bindeglied im Spannungsfeld zwischen Überflussproduktion, nachhaltiger Ressourcenschonung und sozialer Arbeit. Zudem gehen die Angebote in ihrer Vielschichtigkeit weit über die Verteilung von gespendeten Waren hinaus und ermöglichen in selbstbestimmter Weise unterschiedliche Formen der Teilhabe. Es ist sehr gut für den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft, dass es Menschen gibt, die ihre Arbeitskraft hier einsetzen und zugleich Chancen erhalten, auf diesem Weg eine Arbeitsstelle zu finden und sich über diese Beschäftigung einen Weg zurück in die Arbeitswelt zu erkämpfen.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich stimme Herrn Foerster ausdrücklich zu, dass eine Vielzahl von sozialen Hilfeprojekten von der kontinuierlichen arbeitsmarktlichen Förderung der Personalkosten abhängt, die der Bund aus dem Eingliederungstitel des SGB II finanziert. Richtig ist auch die Erkenntnis, dass Tafeln, Kleiderkammern, Möbelbörsen und dergleichen Projekte nicht immer allein aus ehrenamtlichem Engagement heraus