Protocol of the Session on February 1, 2012

Warum werden wir mit unserer erfolgreichen Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik von allen wieder genannt? Warum wollen die Leute hierher zu uns kommen, obwohl wir keinen Mindestlohn haben? Ich will das jetzt nicht debattieren, Mindestlohn – ja, nein, gut, richtig, schlecht und so weiter, sondern ich will einfach mal den Fakt ganz ruhig, realistisch hier in die Runde stellen.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Weil Deutschland mit seiner Lohnpolitik die anderen Länder kaputtmacht.)

Und ich möchte mir auch erlauben, die Arbeitsmarktzahlen in Deutschland von 1991 bis 2011 zu betrachten. Im Jahre 1991 hatten wir 2,6 Millionen Arbeitslose. Dieser Wert stieg bis 2005 auf 4,86 Millionen an, das war der Höchststand, den wir in Deutschland jemals im Bereich der Arbeitslosenstatistik hatten. Dann kamen Arbeitsmarktreformen von zwei Parteien, unterstützt auch von der CDU, die Deutschland fit gemacht haben für die Zukunft.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Oh, oh, oh! Die die Leute in die Armut getrieben haben.)

Und die Frage ist: Mit welchem Ergebnis? Das Ergebnis ist, dass wir kontinuierlich von 4,8 Millionen auf 2,98 Millionen im Jahre 2011 – mit der kurzen Unterbrechung in 2009,

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

als die Wirtschaftskrise durchgeschlagen hat, wo es andere Länder viel härter getroffen hat –, dass wir diesen Erfolg in Deutschland verzeichnen. Jeder Arbeitslose ist zu viel, das sage ich deutlich an dieser Stelle, aber am Ende ist es die erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik, die unter Rot-Grün in Begleitung von der CDU auf den Weg gebracht wurde.

(Udo Pastörs, NPD: Ja, mit Hartz IV. – Zuruf von Barbara Borchardt, DIE LINKE)

Das sind Fakten und da sollte man aus meiner Sicht jetzt nicht, nur weil es uns so gut geht,

(Udo Pastörs, NPD: Ja, uns ja.)

diese Maßnahme vielleicht in der Gesamtheit sofort über den Haufen werfen und sagen, jetzt geht es uns gut, wir sind vielleicht auf Wolke sieben, wir werfen jetzt alles über den Haufen. Nein, wir müssen die Arbeitsmarkt- instrumente, so, wie wir es neulich in der Diskussion hatten, prüfen, zielgenauer einsetzen,

(Udo Pastörs, NPD: Jawohl.)

und zwar da, wo wir unsere Schwächen haben, bei Älteren, bei Unqualifizierten, da müssen wir unsere arbeitsmarktpolitischen Instrumente einsetzen und nicht alles von heute auf morgen über den Haufen werfen.

Wenn wir uns dann mal die Statistik noch etwas genauer anschauen, und die Kollegin von den GRÜNEN hat das hier mit Ausführungen getätigt – ich weiß nicht, wo

Sie Ihre Quellen herhaben, ich lasse mich gerne nachher widerlegen, ich sage Ihnen, was Sie hier gesagt haben, war mehr als falsch, was den Niedriglohnsektor betrifft –, wenn wir uns nämlich parallel neben der Arbeitslosigkeit den Niedriglohnsektor anschauen, dann ist es eben so gewesen, dass wir von 1994 bis 2004/2005 tatsächlich einen anwachsenden Niedriglohnsektor hatten, nämlich von 16 auf 22 Prozent. Und anschließend, nach den Arbeitsmarktreformen kam es gar nicht mehr zum Anstieg, sondern wir liegen weiterhin konstant bei 22 Prozent und alles andere – ich lasse mich da gerne revidieren – ist aus meiner Sicht unredlich, wenn Sie das so verkaufen. Wir haben in Deutschland diese Situation, so, wie Sie sie dargestellt haben, nicht. Das Ganze haben wir bei konstanten Beschäftigungszahlen von circa 40, 41 Millionen Beschäftigten.

Das sind die Fakten und ich glaube, die sollte man nicht schlechtreden, sondern wir sollten stolz sein auf das, was wir hier in Deutschland vorfinden.

(Zurufe von Barbara Borchardt, DIE LINKE, und Udo Pastörs, NPD)

Was natürlich richtig ist – und mit solchen Themen müssen wir uns befassen –, wenn wir uns die Statistik anschauen, wie sieht das Arbeitskräfteverhältnis bezüglich der Arbeitsgruppen aus, dass es eben klar zu Verschiebungen gekommen ist, dass wir jetzt viele ältere Arbeitnehmer haben und gerade die Erwerbstätigen bis 30 Jahre im Jahr 2020 nur noch einen Anteil von 8,6 Millionen ausmachen werden, das sind Themen, wenn wir diese 8,6 Millionen auf 40 Millionen beziehen, mit denen wir uns befassen müssen, und da müssen Maßnahmen eingeleitet werden.

(Udo Pastörs, NPD: Jawohl.)

Ich will auch noch mal, und ich will es vorwegsagen, es soll hier keine Werbung für den Niedriglohnsektor sein, aber mir geht es hier...

(Heinz Müller, SPD: Danke für die Klarstellung. Vielen Dank für die Klarstellung. – Barbara Borchardt, DIE LINKE: Das haben Sie gerade gemacht.)

Jetzt hat die SPD endlich das Zitat verdaut.

(Unruhe vonseiten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE – Zuruf von Rudolf Borchert, SPD)

Mir geht es hier um eine sachliche Auseinandersetzung, wo nicht die Fakten einfach weggeschoben werden.

Insofern möchte ich die Thematik Niedriglohn noch etwas genauer untersuchen und hier anhand von drei Punkten vorstellen. Arbeitsgrundlage ist ein Gutachten: „Der Niedriglohnsektor in Deutschland: Entwicklung, Struktur und individuelle Erwerbsverläufe“, Institut der deutschen Wirtschaft (IW) im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft.

(Rudolf Borchert, SPD: Na klar, die kennen die Ergebnisse schon vorher. Ist doch klar.)

Was hat so ein Gutachten herausgestellt?

Als Erstes die These: Mindestlöhne verhindern nicht nur den Einstieg in den Arbeitsmarkt, sondern auch den finanziellen wie sozialen Aufstieg. Die Untersuchungen, die uns hier zugrunde liegen, besagen eindeutig, dass bei dem Einstieg über den Niedriglohnsektor im darauffolgenden Jahr 24 Prozent in den Bereich der Normalverdiener gehen. Das heißt, jeder Vierte wird in den ersten Arbeitsmarkt mit vernünftigen Verdienstverhältnissen – das, was uns hier eint, davon gehe ich aus –, in diesen ersten Arbeitsmarkt, in diesen Bereich der Normalverdiener überführt. Im Gegensatz dazu gehen bei der bestehenden Arbeitsmarktlage nur unter 5 Prozent den umgekehrten Weg. Also ich will sagen, auch das ist ein Vorteil, den man sicherlich zur Kenntnis nehmen sollte und diskutieren sollte.

Ein zweiter Punkt befasst sich mit der Armut, mit der Armutsgefährdung der Beschäftigten. Auch hier wird klar herausgearbeitet, dass die Armutsgefährdung bei denen, die im Niedriglohnsektor arbeiten, nur bei 16 Prozent liegt und die, die arbeitslos sind, eine Rate von 60 Prozent haben.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Na, das ist doch logisch bei dem Arbeitslosengeld. Ich fass es nicht!)

Auch da, muss man sagen, sind nicht nur Nachteile zu erkennen.

Eine interessante weitere Statistik, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte, ist der Sektor der Normalverdiener. Der Sektor der Normalverdiener, wenn Sie sich die Statistik anschauen, ist seit 1994 bis im Jahre 2009, das ist die letzte Zahl, die mir hier jetzt vorliegt, konstant zwischen oder um die 45 Prozent, in den letzten beiden Jahren sogar bei 48 Prozent ansteigend. Ich glaube, auch hier ist nicht der Fakt angebracht, alles nur schlechtzureden.

(Zuruf von Barbara Borchardt, DIE LINKE)

Ansonsten bringt uns das nämlich auch in einer inhaltlichen Diskussion, wenn es um die Suche nach neuen Lösungen geht, nicht weiter. Daran war mir gelegen, Ihnen das hier noch einmal darzustellen.

Ich will auch noch eine Analyse der Adenauer-Stiftung empfehlen: „Der Mindestlohn – Zwischen Teufelszeug und Heilsbringer“. Ich sehe das übrigens ähnlich, wie bei der Podiumsdiskussion herausgearbeitet wurde, bei der AOK. Wenn wir uns nur zwei Systeme anschauen, dort auf der einen Seite das Prämienmodell,

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Sie meinen die Kopfpauschale, ne?)

wenn es um die soziale Krankenversicherung geht, und auf der anderen Seite dann die Bürgerversiche- rung.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Die Kopfpauschale war das.)

Das Prämienmodell, Herr Nieszery, und die Bürgerversicherung auf der anderen Seite. Ich glaube, da sind sich alle, die sich die Situation einigermaßen korrekt anschauen, jetzt schon der Auffassung, wir brauchen sicherlich Teile aus beidem.

(Rudolf Borchert, SPD: Aha! – Dr. Norbert Nieszery, SPD: Überwiegend Bürgerversicherung. Na doch, Herr Renz!)

Na ja, Herr Nieszery, das wird der politische Diskussionsprozess dann zeigen, in welche Richtung es geht.

Ich will Ihnen nur sagen, Mindesteinkommen, Mindestlohn und Ähnliches, auch hier, glaube ich, haben wir eine ähnliche Gefechtslage. Und wenn Sie sehen, wie eine Volkspartei CDU sich dieses Themas annimmt und nach Lösungen sucht, dann werden Sie sicherlich bestätigen können,

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Aber nur durch gesellschaftlichen Druck. – Zuruf von Minister Harry Glawe)

dass wir hier auch auf einem guten Weg sind.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Na klar, na klar, Harry! – Zuruf von Heinz Müller, SPD)

Ich möchte vielleicht als Letztes anmerken, auch in der Hoffnung, dass Herr Foerster vielleicht nachher darauf eingeht, weil mir das auffiel, auch bei der Kollegin der GRÜNEN...

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Da können Sie aber Gift drauf nehmen!)

Ich ergänze dann, dass Herr Foerster sachlich auf die Situation eingehen wird, Frau Borchardt.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Ja. – Peter Ritter, DIE LINKE: Nur anders als Sie.)

Also mich würde doch mal in dieser Diskussion interessieren, dass wir das inhaltlich auf eine gewisse Ebene heben.

(Helmut Holter, DIE LINKE: Das wäre mal gut, ja. – Heiterkeit vonseiten der Fraktion DIE LINKE – Zuruf von Barbara Borchardt, DIE LINKE)