Protocol of the Session on July 3, 2014

Mal die Frage an Sie, Herr Kokert: Wissen Sie eigentlich, was Langzeitarbeitslose im ersten halben Jahr nach einer ohnehin schwer zu erreichenden Vermittlung am ersten Arbeitsmarkt durchschnittlich verdienen?

(Vincent Kokert, CDU: Nein.)

Dann will ich es Ihnen sagen: Das sind 5,70 Euro. Das habe ich mir nicht ausgedacht, das sind Untersuchungen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institutes der Hans-Böckler-Stiftung.

Durch den Verbleib dieses Ausnahmetatbestandes werden ihre Entgelte nach unten nur durch die allgemeinen Regelungen zur Sittenwidrigkeit begrenzt. Dadurch erhalten Unternehmen wieder einen starken Anreiz, die vormals Langzeitarbeitslosen nach sechs Monaten zu entlassen. Deswegen ist die Befürchtung, dass diese Ausnahmeklausel eben nicht die Brücke in den Arbeitsmarkt ist, die Sie immer heranziehen, um diese Frage zu begründen, sondern dass sie zur Drehtür wird

(Vincent Kokert, CDU: Aber nur, wenn man denkt, dass alle Unternehmer Banditen sind.)

und die Chancen auf einen dauerhaften Wiedereinstieg

(Zuruf von Vincent Kokert, CDU)

weiter verschlechtert.

(Vincent Kokert, CDU: Das ist der entscheidende Unterschied.)

Wohin die fehlende Lohnuntergrenze führen kann, Herr Kokert, das darf ich Ihnen dann auch noch mal vor Augen führen. Es gibt …

(Vincent Kokert, CDU: Gehen Sie doch mal auf meine Zwischenrufe ein und dann können Sie weiterreden!)

Ja, ja, Sie haben vom Banditentum unter den Unternehmern gesprochen. Ich glaube, das spricht für sich selbst.

(Vincent Kokert, CDU: Sie sprechen davon, nicht ich. – Torsten Koplin, DIE LINKE: Hört, hört!)

So einen Quatsch würde ich nie in den Mund nehmen.

(Heiterkeit vonseiten der Fraktion der CDU und Heinz Müller, SPD)

Aber es gibt natürlich Beispiele, die erschreckend sind,

(Vincent Kokert, CDU: Da gebe ich Ihnen ja recht, aber Sie pauschalisieren.)

und ein aktuelles, das darf ich Ihnen dann auch mal vor Augen führen: Das Arbeitsgericht Cottbus hat im April 2014 zu folgendem Sachverhalt ein Urteil gefällt. Da hatte das dortige Jobcenter gegen einen Anwalt aus Großräschen, der zwei Bürokräfte zu Stundenlöhnen von 1,54 Euro beziehungsweise 1,65 Euro beschäftigte, geklagt. Das Urteil lautete zusammengefasst, die Löhne, die da gezahlt wurden, sind sittenwidrig, aber nicht ausbeuterisch, da es sich um eine Gefälligkeit des Anwalts gehandelt habe, um den Betroffenen den Wiedereinstieg ins Arbeitsleben zu ermöglichen. Also da kann man dann nur hoffen, dass die Berufungsinstanz, das Jobcenter hat nämlich angekündigt zu klagen, dieses Urteil korrigiert, weil sonst ein völlig neuer Rechtsge

danke, nämlich der einer nicht vorhandenen verwerflichen Gesinnung konstruiert wird.

(Vincent Kokert, CDU: Das hoffen wir in dem Fall sogar gemeinsam.)

Ich sage Ihnen, wenn das Schule macht,

(Zuruf von Vincent Kokert, CDU)

kann es zu einem Dammbruch kommen, weil Arbeitgeber Langzeitarbeitslose dann immer mit der Begründung beschäftigen könnten, sie eigentlich gar nicht zu brauchen.

(Vincent Kokert, CDU: Die Unternehmer schreien nach Fachkräften.)

Deshalb bleibt festzustellen, hätten wir einen Mindestlohn für Langzeitarbeitslose, dann müssten wir über solche Exzesse überhaupt nicht diskutieren.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE – Zuruf von Vincent Kokert, CDU)

Die fehlende Lohnuntergrenze fördert bei Langzeitarbeitslosen zudem kurzfristige und instabile Arbeitsverhältnisse. Die Untersuchungen des WSI zwischen 2008 und 2011 zeigen, dass die Lohnhöhe nämlich nicht die entscheidende Beschäftigungshürde ist, um einen Langzeitarbeitslosen einzustellen, denn – das habe ich Ihnen hier auch schon häufiger erzählt – die wirkliche Hürde ist, dass diese Menschen häufiger von mehrfachen Vermittlungshemmnissen, angefangen bei Krankheit, über geringe Qualifikation, mangelnde Mobilität und so weiter, betroffen sind. Das ist der entscheidende Faktor. Die sozialintegrative und sozialpädagogische Begleitung

(Vincent Kokert, CDU: Aber Sie haben doch eben den Mindestlohn gefordert. Das war ich doch nicht.)

und die Hilfe beim Abbau dieser Probleme …

(Vincent Kokert, CDU: Sie waren doch für den Mindestlohn und jetzt widerlegen Sie Ihre eigene Aussage.)

Dann haben Sie nicht richtig zugehört.

(Vincent Kokert, CDU: Ja, dann wiederholen Sie das noch mal, damit ich es auch verstehe! Dauert ein bisschen länger.)

Was ich besonders problematisch finde, ist die Prognose der Forschung, dass die Ausnahme vom Mindestlohn das Interesse von Unternehmen an einer langfristigen Förderung möglicherweise sogar konterkarieren könnte.

Und noch eine Bemerkung: Das Gesetz heißt ja „Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie“. Auch tarifpolitisch ist diese Ausnahme vom Mindestlohn bei Langzeitarbeitslosen widersinnig. Das WSI weist darauf hin, dass es für die Unternehmen jetzt unattraktiver wird, nach Tarif zu bezahlen. Der Grund dafür ist folgender: Nur wer nicht tarifgebunden ist, kann den Mindestlohn bei Langzeitarbeitslosen bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit, also bis zu einem Drittel weniger beziehungsweise bis 5,67 Euro unterschreiten. Da, wo es nämlich Tarifverträge gibt, Herr

Kokert, schützen diese in der Regel auch gering qualifizierte Kolleginnen und Kollegen.

Und der letzte Punkt: Rechtsvereinfachung im SGB II. Also wenigstens teilweise scheinen mit der Überar- beitung massive Eingriffe in die Grundrechte der Betroffenen verbunden zu sein. Schon die Einführung von Hartz IV stand ja unter dem Eindruck, dass vor Bezug einer Leistung die totale Entblößung der persönlichen Lebensumstände erforderlich ist. Vorgeschlagen werden nun unter anderem eine weitere Erhöhung des automatisierten Datenabgleichs,

(Vincent Kokert, CDU: Das steht alles schon in Ihrer Begründung. Das brauchen Sie uns nicht noch mal vorzulesen, das ist wortwörtlich das Gleiche.)

die Hinzuziehung der Daten von Versicherungsunternehmen sowie das Ausspähen aller Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft, ganz gleich, ob sie Leistungen beziehen oder nicht.

Und jetzt hören Sie sich vielleicht mal an, was auch unser Landesdatenschutzbeauftragter dazu gesagt hat,

(Vincent Kokert, CDU: Das hab ich. Das steht in Ihrer Begründung. Das habe ich alles schon gelesen.)

und zwar im Detail.

(Vincent Kokert, CDU: Das steht da drin, lesen Sie es sich durch!)

Na, das glaube ich nicht, dass das im Detail da drinsteht.

Also verschiedene Linksfraktionen in Thüringen,

(Vincent Kokert, CDU: Sie reizen mich fast, noch mal ans Pult zu gehen!)

in Berlin, auch in Mecklenburg-Vorpommern haben sich mit diesem Anliegen an den für Datenschutz verantwortlichen Landesbeauftragten gewandt und im Detail ist den Papieren aus Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen Folgendes zu entnehmen:

„Die Erhöhung des bislang einmal im Quartal vollzogenen Datenabgleichs auf eine monatliche Frequenz aufgrund des starken Eingriffs in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ist abzulehnen.“

Zweitens. „Dass die Erweiterung des Datenabgleichs um Vermögensanlagen nicht notwendig ist, da bereits im Rahmen des Datenabgleichs nach § 45d Abs. 1 Einkommenssteuergesetz Kapitalerträge ermittelt werden.“

Oder: „Die Ausweitung des Datenabgleichs auf alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ist abzulehnen, da regelmäßig auch Partner ohne Leistungsbezug betroffen sein könnten. In diesem Fall wäre der Eingriff in Grundrechte der Betroffenen nicht zu rechtfertigen.“

Nicht meine Worte, sondern die Worte unseres gemeinsamen Landesbeauftragten für den Datenschutz.

Natürlich gibt es auch soziale Aspekte, da gibt es Dinge, die vernünftig sind. Also wenn jetzt auf einen zwölfmona