Protocol of the Session on December 15, 2011

Unterbrechung: 16.50 Uhr

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Wiederbeginn: 17.00 Uhr

Ich rufe erneut auf den Tagesordnungspunkt 17: Beratung des Antrages der Fraktion der NPD – Zerklüftung beenden – bundeseinheitliches Bildungssystem herstellen, Drucksache 6/167.

Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Herr Petereit von der NPD-Fraktion

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Sind Sie nun bald mal fertig oder was? – Der Abgeordnete David Petereit wendet sich an das Präsidium. – Dr. Norbert Nieszery, SPD: Sie dürfen anfangen, Herr Petereit.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch denjenigen, die nur die Überschrift des Antrages gelesen haben, sollte sich erschlossen haben, dass die NPD-Fraktion mit dem Antrag auf ein bundeseinheitliches Bildungssystem abzielt. Nach unserer Auffassung gibt es keinen vernünftigen Grund, dieses nicht einzuführen.

Derzeit gibt es in der BRD 2.500 Lehrpläne, rund 100 Schultypen und 17 verschiedene Ermittlungsverfahren zur Feststellung, wie gut Kinder im Vorschulalter deutsch sprechen können. Und es gibt das sogenannte Kooperationsverbot, wonach sich der Bund aus der Schulpolitik herauszuhalten hat.

Sie waren bestimmt immer der Klassenclown, Herr Nieszery.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Nee. – Tino Müller, NPD: Das ist er heute noch, aber im Landtag. – Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Von Menschen im erwerbsfähigen Alter wird verlangt, dass sie mobil zu sein haben. Da Arbeit in der Heimat nicht geschaffen wird, haben sie gefälligst dahin zu gehen, wo es Arbeit gibt.

(Udo Pastörs, NPD: Nur kein Neid, nur kein Neid!)

Und der Teil des humanen Kapitals, der im deutschsprachigen Raum bleiben kann, darf sich dann noch glücklich schätzen gegenüber denen, die irgendwo am Rande Europas schuften.

Und was ist mit den Kindern der Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen? In einer Ausgabe des „Sterns“ vom Juli dieses Jahres findet sich ein beispielhaftes Schicksal einer 14-jährigen Neuntklässlerin aus Bremerhaven, die dort an ihrem Gymnasium Klassenbeste war. Die Familie zog ins fränkische Forchheim, wo der Vater Arbeit gefunden hatte. Auf ihrer alten Schule erreichte sie locker gute Noten, dann kam der Umzug und in Franken kam sie nicht mehr nach, ihr fehlten einfach zu viele Grundlagen. In Biologie ging es auf einmal um Procyten und Eucyten und andere Zelleinteilungen, davon hatte sie noch nie gehört. In Mathe sollte der Tangens bestimmt werden und wieder prangte über ihr ein großes Fragezeichen.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Ihre neuen Lehrer sahen sie auf dem Lernniveau einer Siebtklässlerin und empfahlen ihr, auf die Hauptschule zu wechseln. Im Endeffekt ist diese Familie für die Bereitschaft des Vaters, mobil zu sein, bestraft worden, weil es die unselige Zerklüftung im BRD-Schulsystem gibt. Und einige der verantwortlichen Kultusminister feiern dieses Konstrukt noch als sogenannte Vielfalt in der Einheitlichkeit.

Jahr für Jahr wechseln 70.000 bis 80.000 Schüler mit ihren Eltern von einem Bundesland in ein anderes. Auf zehn Schuljahre hochgerechnet sind das locker 800.000 Schüler, die von den angeblichen Segnungen des föderalen BRD-Bildungssystems betroffen sind. Je nach ideologischer Ausrichtung neu gewählter Landesregierungen wird das bisherige Schulsystem verbessert. Im Ergebnis kann es keine Kontinuität geben. Die einzige Gültigkeit dieser Politik ist die Orientierungslosigkeit. Statt sich mit den anderen Bundesländern abzustimmen, hat sich jedes Bun- desland sein eigenes Schulsystem zurechtgezimmert und ändert es, von wenigen Ausnahmen abgesehen, mit nahezu jeder neuen Landesregierung wieder ab. In puncto Bildungspolitik schlägt heute noch die Hoffnung der Besatzungsmächte durch, der Föderalismus sollte die Deutschen durch möglichst viele Reibungspunkte in ihrer Leistungsfähigkeit schwächen.

Es gibt jedoch noch einen anderen sehr guten Grund für ein bundeseinheitliches Bildungssystem. Wir Deutsche wollen es, die Mehrheit will es. Da wir ja so ziemlich alle hier, also Sie als Abgeordnete und wir als Volksvertreter, für mehr Bürgerbeteiligung auf allen nur möglichen Ebenen sind, ist das ein Punkt, der Beachtung zu finden hat. 130.000 Bürger haben zwischen dem 14. Februar und dem 9. März an einer Umfrage der Roland Berger Strategieberater und der Bertelsmann Stiftung zum Thema Bildung teilgenommen. Geht es nach dem Großteil der Befragten, kann der Bildungsföderalismus als heilige Kuh in der Bundesrepublik Deutschland getrost zur Schlachtbank geführt werden. 83 Prozent erblicken in der Konkurrenz der Bildungssysteme keinen Vorteil. Ganze 8 Prozent wollen der Umfrage zufolge, dass es in den Bundesländern unterschiedliche Schulstoffe gibt. 92 Prozent stimmten für gemeinsame Abschlussprüfungen. Laut einer Umfrage des Allensbacher Institutes für Demoskopie vom April 2010 waren es immerhin 60 Prozent der Befragten, die sich für eine bundeseinheitliche Bildungspolitik aussprachen.

Bei der Frage, wer für die Bildungs- und die Schulpolitik zuständig sein sollte, um überall in Deutschland die gleiche Qualität der Schulen und ein einheitliches Bildungsniveau zu gewährleisten, sehen weit mehr als die Hälfte der Befragten die Verantwortung lieber oder zumindest in deutlich stärkerem Maße beim Bund. In Sachsen-Anhalt waren es sogar 84 Prozent, in den übrigen neuen Bundesländern und Berlin wurden Werte von 70 Prozent und darüber erreicht. In Bayern sprachen sich übrigens nur 12 Prozent für eine stärkere Vereinheitlichung aus, was keinem Wunder gleichkommt, denn Bayern schneidet regelmäßig besser ab als die anderen Bundesländer.

Im Mai überreichten 600 Bürger aus ganz Deutschland dem Bundespräsidenten im Rahmen des Bürgerforums 2011 ein Programm mit konkreten Vorschlägen für politische Reformen. Im Themenbereich der Bildung sprachen sich die Teilnehmer aller Regionen übereinstimmend

gegen die schul- und bildungspolitische Kleinstaaterei aus und zugleich für einen bundeseinheitlichen Standard in der Bildungspolitik. Vor allem aber bei den Schulformen und den Bildungsinhalten wurde auf breiter Front eine Vereinheitlichung gefordert.

Nach den nun vorgetragenen Argumenten können Sie unserem Antrag eigentlich nur zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion der NPD)

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Oldenburg von der Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Antrag der NPD-Fraktion ist ein Indiz dafür, dass nicht jeder, der über Bildung redet, auch die dazugehörigen Kenntnisse besitzt.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Antragsteller versuchen, unter dem Deckmantel der gegenwärtigen Diskussionen um den Bildungsföderalismus ihr nationalistisches Süppchen zu kochen.

(Michael Andrejewski, NPD: Klar, finstere Pläne.)

Bei der Diskussion zu diesem Thema, auch wenn sie kontrovers ist, darf man die Entstehungsgeschichte des Föderalismus in Deutschland nicht außer Acht lassen. Und, Herr Andrejewski, wir haben sehr wohl ein Langzeitgedächtnis,

(Michael Andrejewski, NPD: Ah, wirklich? – Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

der Föderalismus ist in der Bundesrepublik die zentrale staatliche Organisationsform, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges mit dem Grundgesetz eingeführt wurde.

(Heinz Müller, SPD: Richtig. – Michael Andrejewski, NPD: Erinnern Sie sich mal an die Stasi!)

Der zentralistische totalitäre Staat der Nationalsozialis- ten hatte die Welt in einen verheerenden Krieg mit über 60 Millionen Opfern gestürzt, die ehemals eigenständigen Länder wurden zu reinen Verwaltungseinheiten in einem zentralen Einheitsstaat degradiert.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Diese zentrale und dann totalitäre Staatsorganisation war eine der grundlegenden Bedingungen dafür, dass demokratische Prinzipien der Staatsführung beseitigt werden konnten und eine Diktatur entstand, die die grausamste Epoche der Geschichte darstellt.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Um derartige Entwicklungen nie wieder zuzulassen, wurde mit dem Grundgesetz die Bundesrepublik ein fö-

deraler Bundesstaat. Der Bund und die Länder erhielten jeweils verfassungsmäßig festgelegte Aufgaben und Zuständigkeiten.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Damit wurden die Staatsgewalt dezentralisiert, die politischen Machtverhältnisse beschränkt, mehrere Ebenen der demokratischen Mitwirkung, Teilhabe sowie Entscheidungen geschaffen und eine zentrale Bündelung von staatlichen Kompetenzen minimiert.

Wir dürfen also bei aller Kritik an den Problemen, die föderale Strukturen mit sich bringen, nicht vergessen, wo die Ursachen für die Entstehung lagen.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Motivation unseres politischen Handelns, unsere Motivation, eine bessere, gerechte Bildung für alle Kinder zu gewährleisten, bei der nicht ausschließlich die Länderfinanzinteressen dominieren, sondern die Interessen und Bedürfnisse unserer Mädchen und Jungen – das alles sind nicht die Motivationen der Antragsteller.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Norbert Nieszery, SPD: Richtig.)

Der im vorliegenden Antrag geforderte Zentralismus soll Indoktrination und Gleichschaltung erzeugen. Sie wollen ein zentralisiertes Unwesen.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Versuchen Sie nicht, auf einen Zug aufzuspringen, der von demokratischen Parteien auf den Weg gebracht wurde und für den Sie keine Fahrkarte bekommen werden!

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von Tino Müller, NPD)

Sie werden nie wieder entscheiden, wohin die Züge fahren.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)