Protocol of the Session on December 12, 2013

Deswegen, also wir müssen da nicht über die Hintergründe sprechen. Ich möchte allerdings – und gestatten

Sie mir, wenn das schon heute Abend zu dieser späten Stunde auf der Tagesordnung steht –,

(Dr. Mignon Schwenke, DIE LINKE: So spät ist es doch jetzt noch gar nicht.)

lassen Sie mich vielleicht mal etwas Grundsätzliches zu diesem Freihandelsabkommen sagen. Das, was der Kollege Brie eben hier ausgeführt hat, ist eigentlich noch relativ sanft gewesen oder relativ human gewesen. Ich will das mal etwas deutlicher machen, was da eigentlich stattfindet.

Herr Kollege Brie hat eben ausgeführt, dass da nicht die nötige Transparenz besteht. Das ist eine sehr freundliche Umschreibung für einen Prozess, wo nicht nur das Europäische Parlament, sondern die Öffentlichkeit insgesamt völlig ausgeschlossen ist, wo das Europäische Parlament bei dem Konsultationsverfahren, das jetzt momentan stattfindet zwischen Vertretern der USA und der Europäischen Union, bestenfalls über den Stand der Gespräche, aber nicht über deren Inhalt informiert wird und wo auf der anderen Seite 600 akkreditierte Industrieunternehmen regelmäßig über den aktuellen Verhandlungsstand informiert werden und deren Änderungsvorstellungen in die weiteren Gespräche einbezogen werden.

Der Kollege Brie hat ausgeführt, wenn ich das jetzt richtig im Kopf habe, dass das Ganze letztendlich auch vorbeigeht an den rechtsstaatlichen Grundsätzen, nicht nur der Bundesrepublik Deutschland, sondern der Europäischen Union insgesamt. Und dazu erlauben Sie mir die Aussage: Was da momentan verhandelt wird, man kennt die Verhandlungstexte nicht – das ist ja das Problem an der Sache, wir reden alle nur über das, was man hört –, aber was wir wissen, ist das, was in der Vergangenheit zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten ausgehandelt worden ist und was es auch in anderen Regionen der Welt, allerdings auch in Europa, schon gibt an entsprechenden Abkommen. Diese Abkommen und auch die Verhandlungen, die es früher hier in Europa mit den USA gegeben hat, die gehen durchaus von der Zielsetzung her nicht nur von den Amerikanern aus, es sind die Europäer, die die gleichen Zielsetzungen haben, diese haben eines gemeinsam: Es sollen letztendlich die rechtsstaatlichen Grundsätze, die auch unseren Staat prägen, ausgehebelt werden – um das mal in aller Deutlichkeit zu sagen –, anstatt einer Überprüfbarkeit von Investitionsvorhaben. Das ist das Kernthema, um das es mir eigentlich geht.

Mir geht es weniger um die Frage „Bespitzelung durch die NSA“, sondern tatsächlich um die Frage, wie geht man mit Investitionen in Europa oder in den Vereinigten Staaten oder im Bereich der NAFTA – der ist es dann ja letztendlich – um, dann ist die Zielsetzung dieser Verhandlungen ein entsprechendes Investitions- oder Investorenschutzabkommen.

Diese Investorenschutzabkommen haben aus rechtsstaatlicher Sicht gravierende Fehler. Sie sind a) der parlamentarischen Kontrolle entzogen und b) haben sie natürlich dann noch zusätzlich das Problem, dass sie nicht von den entsprechenden Gerichten überprüft werden können, weil diese Abkommen – und diese Abkommen gibt es, wie gesagt, auch schon in dem Bereich der Europäischen Union, ich komme gleich noch ganz kurz dazu – einen Grund- oder einen Kardinalfehler haben. Wenn ein Investor möglicherweise einen Staat verklagen

will – und das ist der Hintergrund dieses ganzen Prozederes, es geht nämlich nicht mehr um Zollabbau. Die Zollbegrenzung oder Zollschranken zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten sind dermaßen minimal, daran scheitert kein Handel mehr heutzutage. Da gibt es Meistbegünstigungsabkommen und Ähnliches, das spielt alles keine Rolle mehr. Nein, der Punkt an der Sache ist letztlich, dass Investitionen der jeweiligen Gegenseite in dem anderen Bereich geschützt werden sollen, und zwar geschützt vor nationalstaatlicher und rechtsstaatlicher Kontrolle. Sie sollen den Gerichten entzogen werden. Stattdessen werden Schiedsvereinbarungen geschlossen, an denen drei Schiedsrichter beteiligt sind – einer leitet das Verfahren, einer vertritt die jeweilige Partei, also den Investor und auf der anderen Seite den jeweiligen Staat –, und die verhandeln das dann auf der Grundlage dieser Investitionsabkommen völlig losgelöst von nationalstaatlichen Gesetzen.

Ich will das mal an einem Beispiel deutlich machen, damit Sie wissen, worum es letztendlich geht. Es gibt eine entsprechende Regelung zum Beispiel im Bereich der NAFTA, also North American Free Trade Agreement, und das ist dann vielleicht auch ganz interessant für Mecklenburg-Vorpommern. Es gibt innerhalb dieses NAFTAAbkommens auch entsprechende Schiedsgerichtsvereinbarungen, und da wird momentan – das ist nur eins, ich könnte Ihnen noch andere Beispiele nennen –, da wird momentan die Provinz Quebec von der amerikanischen Lone Pine Resources Incorporation verklagt auf 250 Millionen Euro, US-Dollar im konkreten Fall, aber umgerechnet 250 Millionen Euro. Das Interessante an der ganzen Angelegenheit ist, dass die Grundlage dieser Klage oder dieses Schiedsverfahrens, es ist ja eben keine gerichtliche Klage, die Grundlage dieses Schiedsverfahrens ist, dass die Provinz Quebec ein Gesetz erlassen hat und dieses Gesetz verbietet das Fracking in der Provinz Quebec. Die Lone Pine Resources Incorporation verklagt jetzt die Provinz auf Schadenersatz, weil sie nicht die Möglichkeit hat, dort in Quebec einen entsprechenden Gewinn durch Fracking zu erzielen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, überlegen Sie mal, wir wollen das hier in Mecklenburg-Vorpommern auch nicht haben, da können Sie sich ja selber die Konsequenzen bei der ganzen Angelegenheit durchdenken. Und, meine Damen und Herren, um das mal deutlich zu machen, das ist jetzt nicht aus der Luft gegriffen, weil es entsprechende Abkommen gibt, die auch heute schon für die Bundesrepublik Deutschland gelten, weil die EU sie abgeschlossen hat. Die sind übrigens auch – das hat das Bundesverfassungsgericht schon festgestellt – durch nationales Recht nicht einschränkbar, weil es halt entsprechende supranationale Abkommen sind.

Eines dieser Abkommen ist die entsprechende Energiecharta der Europäischen Union und auf der Grundlage dieser Energiecharta verklagt der Vattenfall-Konzern momentan die Bundesrepublik Deutschland – „verklagt“ jetzt nicht im rechtstechnischen Sinne, sondern das ist auch ein Schiedsverfahren –, verklagt der VattenfallKonzern die Bundesrepublik Deutschland auf 3,7 Milliarden Euro Schadenersatz, weil Vattenfall die Atomkraftwerke in Brunsbüttel und Krümmel schließen musste, zwei Atomkraftwerke, die nach Ansicht aller Experten sowieso letztendlich nicht hätten in Betrieb bleiben können aufgrund von bestehenden Sicherheitsmängeln. Das interessiert aber nicht, weil alleine der Umstand, dass das Investment, das der Konzern getätigt hat, nicht zu

einer entsprechenden Rendite aufgrund dieser Entscheidung führen kann, aus Sicht des Konzerns ausreichend genug ist, um Schadenersatzansprüche zu stellen.

Und, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie dann mal 3,7 Milliarden Euro für die Bundesrepublik Deutschland nehmen, wenn es dazu kommen sollte, dass das gezahlt werden muss, dann können Sie, Sie müssen das nicht in das Verhältnis setzen zum Haushalt des Landes Mecklenburg-Vorpommern, also ganz so drastisch muss man an der Stelle nicht sein, aber setzen Sie das zum Beispiel einfach mal in die Relation – wir reden darüber, dass wir im Verkehrsbereich 6 Milliarden Euro jedes Jahr brauchen –, nehmen Sie die 3,7 und setzen sie ins Verhältnis zu den 6, dann wissen Sie, wie viel das für die Bundesrepublik Deutschland ausmacht.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, damit möchte ich dann auch aufhören,

(Egbert Liskow, CDU: Was?)

weil ich glaube, mehr muss man dazu nicht sagen. Ja, ich kann noch mehr dazu erzählen, also das ist nicht das Problem.

(Egbert Liskow, CDU: Ja, mach mal!)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben uns gestern in der Aktuellen Stunde lange über das Thema „Erneuerbare Energien“ unterhalten. Jetzt will ich mal ganz zum Abschluss noch ein Beispiel bringen, wie sinnhaft manche Diskussionen vielleicht vor dem Hintergrund solcher Verhandlungen in Zukunft hier in MecklenburgVorpommern, in anderen Landesparlamenten oder auch im Bundestag sein können. Wenn man sich zum Beispiel überlegt – das mag jetzt für den einen oder anderen ein völlig abstruses Beispiel sein –, wir haben den Energiestandort Lubmin. Er ist ausgewiesen als Industrie- und Energiestandort. Was nicht vorgesehen ist, ist, dass da Atomkraftwerke gebaut werden.

(Egbert Liskow, CDU: Nicht mehr.)

Nicht mehr. Manche bedauern das. Ich glaube nicht, Egbert, ich wollte dir jetzt nicht zu nahe treten.

(Egbert Liskow, CDU: Doch, ja. – Zuruf von Rudolf Borchert, SPD)

Aber, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir sind da ja nicht alleine auf der Welt. Es gibt genug Staaten auf der Welt, es gibt genug Konzerne auf der Welt, die durchaus eine andere Position auch zur Atomkraft haben.

(allgemeine Unruhe)

Und jetzt hören Sie mir vielleicht noch zwei Minuten zu!

Jetzt überlegen Sie sich doch einfach mal, ich glaube, Westinghouse aus den USA ist einer der Konzerne, die tatsächlich noch Atomkraftwerke bauen, die würden sich dann vor dem Hintergrund überlegen, das ist ein Energiestandort, wir wollen jetzt nach Mecklenburg-Vor- pommern gehen und wir wollen das tatsächlich dort bauen. Sie dürften das nicht bauen, sie würden keine Genehmigung bekommen, aber der Umstand, dass sie das aufgrund der hiesigen Gesetze nicht machen dürften,

würde möglicherweise – ich will das mal in den Konjunktiv setzen – dazu führen, dass entsprechende Schadenersatzzahlungen an den Konzern gezahlt werden müssen. Ob das wirklich im Interesse der Menschen nicht nur in diesem Land sein sollte, das wage ich doch zu bezweifeln.

Herr Kollege Brie, das, was ich ganz zum Schluss sage, ist meine ganz persönliche Meinung, da spreche ich nicht für die Fraktion. Ich bedaure es, dass ich dem Antrag heute nicht zustimmen werde. Sie haben in der Sache recht. – Danke schön.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Heiterkeit bei Helmut Holter, DIE LINKE)

Vielen Dank, Herr Schulte.

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Frau Gerkan für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Bezüglich der Transparenz und der Einbeziehung der Öffentlichkeit kann ich den Worten von Herrn Brie wirklich nicht viel hinzufügen. Das können wir nur voll und ganz unterstützen. Es ist geradezu ein Skandal, was hier abläuft, dass die Parlamente außen vor bleiben und dass die Öffentlichkeit außen vor bleibt, weil hinter verschlossenen Türen verhandelt wird. Das ist untragbar.

Der NSA-Skandal trägt auch nicht gerade dazu bei, dass hier das Vertrauen gestärkt wird zu den anstehenden oder sich bereits im Laufen befindenden Verhandlungen.

Das überspringe ich mal hier.

Es steht eine ganze Menge auf dem Spiel und wir müssen auch sehen, wie sich diese bilateralen Verhandlungen zwischen Europa und den USA einpassen in globale Verhandlungen – WTO und dergleichen. Das ist ja auch nicht geklärt. Das ist hier an der Stelle sehr kritisch zu sehen. Wir müssen aufpassen, dass das nicht in die Richtung „the West against the Rest“ geht.

Das Freihandelsabkommen sehen wir auch insbesondere bezüglich der Umwelt, des Naturschutzes, der Verbraucherschutzregeln und des Agrarbereiches kritisch. Das Freihandelsabkommen setzt mühsam errungene europäische Standards in der Landwirtschaft aufs Spiel. Hier möchte ich meinen Schwerpunkt setzen.

In den USA müssen gentechnisch veränderte Pflanzen nicht auf Risiken für Mensch und Umwelt geprüft werden und im Verkauf nicht gekennzeichnet werden.

(Burkhard Lenz, CDU: Bei uns aber.)

In der EU gelten zu Recht sehr hohe Ansprüche im Bereich Umwelt- und Verbraucherschutz für die Zulassung und den Anbau sowie eine umfassende Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel. Das Haltbarmachen von Hühnerfleisch – Sie erwähnten es bereits – mithilfe von Chlor ist in der EU verboten, in den USA jedoch erlaubt. Auch für hormonbelastete Fleisch- und Milchprodukte sind die europäischen Grenzen geschlossen, was uns vor dem noch hemmungslose

ren Einsatz von Antibiotika schützt. Es geht aber auch um ethische Anschauungen und den Tierschutz – wie beim Bann von Klonfleisch.

US-Firmen und -Farmen sind im Schnitt um das 13-fache größer als europäische Landwirtschaftsbetriebe. Es ist deshalb zu erwarten, dass die Preise fallen werden, es ist zu erwarten, dass Arbeitsplätze verloren gehen werden.

(Burkhard Lenz, CDU: Das glaube ich nicht.)

Eine hoch industrialisierte Landwirtschaft auf Kosten von Umwelt- und Tierschutz sorgt für Massenoutput und für Dumpingpreise. Wir Bündnisgrüne setzen uns bereits seit Längerem gemeinsam mit Bürgerinitiativen landes-, bundes- und europaweit für Landwirtschaft statt Agrarfabriken ein.

(Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

Wir wollen weiterhin hohe Umwelt- und Verbraucherschutzstandards, meine Damen und Herren. Mit uns sind keine faulen Kompromisse, insbesondere in der Landwirtschaft, im Bereich Verbraucherschutzpolitik und im Bereich Umweltschutzpolitik zu machen. Wir plädieren deshalb dafür, den kompletten Agrarbereich aus den Verhandlungen herauszunehmen. Sollte die REACHVerordnung, eine der strengsten Chemiekalienverordnungen der Welt, gelockert werden, drohen unter anderem viele krebserregende Chemikalien – es stehen 30.000 krebsverdächtige Substanzen an – auf den Markt zu kommen.

(Zuruf von Tilo Gundlack, SPD)

Ebenso könnte auf Drängen von US-Gaslobbyisten das Verbot von Fracking in einigen EU-Ländern fallen. Das Frackingverfahren gilt als hoch umstritten. Es sitzen also hier mehr die großen Lobbyisten mit am Tisch, als dass hier etwa Parlamentarier eingebunden wären oder die Öffentlichkeit.

Wir Bündnisgrüne wollen die USA zum Partner für die Energiewende gewinnen, deshalb möchten wir die Forderung aufgreifen, Subventionen für fossile Energieträger abzubauen. Nur so ist ein fairer Handel möglich, und die Energiewende hat eine reale Chance.

Es gibt derzeit mehr Fragen als Antworten. Es müssen Folgeabschätzungen erarbeitet werden, das geht nur unter Beteiligung einer großen Öffentlichkeit und unter besonderer Beachtung der genannten Parameter.

Ich bitte um Zustimmung zu dem Antrag und auch zu unserem Änderungsantrag. – Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE und Dr. Ursula Karlowski, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)