Protocol of the Session on November 13, 2013

Meine Damen und Herren, der vorliegende Gesetzentwurf zur Änderung der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern begehrt die Umkehrung einer verfassungsrechtlichen Regelung. Die Ausschüsse unseres Landtages sollen nicht mehr hinter verschlossenen Türen tagen, sondern in Zukunft prinzipiell öffentlich sein. Damit wären wir das 10. von 16 Bundesländern und ich denke, wir wären in guter Gesellschaft.

(Beifall Jürgen Suhr, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hierzu ist eine nur kleine Änderung der Verfassung notwendig, alle weiteren Regelungsbedarfe, zum Beispiel hinsichtlich des Schutzes von personenbezogenen Daten und der Besonderheit des Petitionsausschusses, können dann in der Geschäftsordnung des Landtages hinreichend geregelt werden. In der Begründung unseres vorliegenden Gesetzentwurfes haben wir Ihnen sogar schon einen Entwurf für eine entsprechende Geschäftsordnungsänderung eingearbeitet, die die Besonderheiten des Petitionsausschusses und den Schutz personenbezogener Daten berücksichtigen würde. Die Beratung in den Ausschüssen sowohl über die Verfassungsänderung einerseits als auch die Änderungen der Geschäftsordnung andererseits könnten also gleichzeitig beginnen, so Sie unserem heutigen Antrag folgen, den vorliegenden Gesetzentwurf federführend in den Rechtsausschuss zu überweisen.

Meine Damen und Herren, die bisherige Regelung in Mecklenburg-Vorpommern, wonach Sitzungen eines Ausschusses auf Beschluss öffentlich durchgeführt werden können, hat sich in der Praxis als unbrauchbar erwiesen,

(Dr. Ursula Karlowski, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Ja, genau.)

weil – und damit überrasche ich Sie nicht – in der Vergangenheit kaum von dieser Regelung Gebrauch gemacht wurde. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat in mehreren Ausschüssen in der vergangenen Zeit Anträge zur Herstellung der Öffentlichkeit gestellt. Sie werden sich erinnern. Die allergrößte Mehrzahl dieser Anträge ist unbegründet abgelehnt worden und wir fragen uns natürlich hier, warum eigentlich. Politik, die öffentliche Sache, sollte doch Angelegenheit der Öffentlichkeit und nicht Spielball geschlossener Zirkel sein.

(Beifall vonseiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und auch die Befürchtungen, wonach dann nur noch Schaufensterreden im Ausschuss gehalten werden und nicht mehr sachlich zusammengearbeitet würde, halte ich für nicht stichhaltig.

(Zuruf aus dem Plenum: Warum?)

Erstens möchte ich Sie daran erinnern, dass bereits heute schon zum größten Teil Schaufensterreden in den Ausschüssen gehalten werden.

(Zuruf von Thomas Krüger, SPD)

Zweitens zeugt die kategorische Ablehnung von Anträgen aus der Opposition auch in den Ausschüssen davon, dass wir dort meilenweit von einer respektvollen Kultur des Zusammenarbeitens entfernt sind.

Es gibt aber in der Tat einige wenige positive Ausnahmen. Hier möchte ich insbesondere den Abgeordneten Thomas Krüger nennen, der die Anträge der Opposition genau liest und fast immer eine Begründung für seine Entscheidungen liefert. Sie stellen aber wirklich, Herr Krüger, eine der wenigen positiven Ausnahmen dar, in den restlichen Ausschüssen sieht es leider nicht so positiv aus.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Ich möchte aber nochmals zum Beispiel an die Beratung im Europa- und Rechtsausschuss zum Strafvollzugsgesetz und zum Sicherungsverwahrungsgesetz erinnern. Dort wurden 50 Änderungsanträge der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ohne eine Debatte, ohne eine Begründung, ohne eine sachliche Auseinandersetzung abgelehnt. Und ich finde, hier tritt man die parlamentarische Kultur ein bisschen auch mit Füßen. Die Werte aber, die Sie als Regierungskoalition durch eine Herstellung der Öffentlichkeit gefährdet sehen und durch die Nichtöffentlichkeit schützen wollen, existieren meines Erachtens doch gar nicht mehr in den Ausschüssen.

Die Frage der Öffentlichkeit von Ausschusssitzungen ist sowohl in den Länderparlamenten als auch im Deutschen Bundestag immer wieder diskutiert worden. Die Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft hat sich in vielen Sitzungen mit der Frage befasst, ob es wünschenswert, sinnvoll oder vom Parlamentsverständnis her sogar erforderlich sein könnte, die Ausschüsse öffentlich tagen zu lassen. Neun Bundesländer haben bereits aus dieser Debatte ihre Konsequenzen gezogen und die prinzipielle Öffentlichkeit herbeigeführt.

Für die Öffentlichkeit der Ausschusssitzungen spricht, dass jeder demokratischen Ordnung ein Zwang zur Publizität innewohnt. Schließlich besteht die Notwendigkeit von Kritik und Kontrolle. Die Öffentlichkeit der Verhandlungsführung ist ein sicherer Maßstab für den Umfang der politischen Freiheit des Staatsbürgers. Der Bereich der Diskretion muss auf das notwendige Minimum beschränkt werden. So hält es die Interparlamentarische Arbeitsgruppe in ihrem Bericht fest.

Öffentlich tagende Ausschüsse könnten demnach auch dazu beitragen, dass weniger Fehler und Fehlentwicklungen bei der Erarbeitung von Gesetzen entstehen. Ich erinnere Sie, wie schwierig es in Mecklenburg-Vor- pommern ist, einzelne Sachverständige und Betroffene zu einer gemeinsamen Beratung in einen Ausschuss dazuzuladen, ohne gleich auf das Mittel der Anhörung zurückzugreifen. Sie wissen alle, sobald man in einem Anhörungsverfahren ist, sind eigentlich nur Fragen zulässig. Die tatsächliche gemeinsame Beratung stellt tatsächlich eine Herausforderung dar.

Weiter meint die Interparlamentarische Arbeitsgruppe, dass die Zulassung, vor allem von Pressevertretern, zu einer besseren Qualität und größerer Ausführlichkeit der Parlamentsberichterstattung führe. Ein Gesetzgebungswerk kann nur dann richtig beurteilt werden, wenn seine Entstehungsgeschichte und die hierbei wirkenden Tendenzen mitverfolgt werden können. Außerdem liegt

es im Interesse des Parlaments, seine Arbeit selbst publik zu machen, um das Informationsgleichgewicht zur Regierung herstellen zu können. Auch das habe ich dem Bericht der Interparlamentarischen Arbeitsgruppe entnommen.

Durch die Öffentlichkeit der Ausschusssitzungen könnten allgemeine Vorbehalte und Vorurteile gegenüber dem Parlament abgebaut werden. Die Vorstellungen von der sogenannten Schwatzbude oder die Kritik an den leeren Bänken im Plenum könnten durch die unmittelbare Wahrnehmung der vollen Präsenz, der ernsthaften Arbeit und Diskussion der Abgeordneten in den Ausschüssen revidiert werden. Das könnte wiederum zu einer wichtigen Ansehensmehrung bei der Wählerschaft führen.

(Heinz Müller, SPD: Ist denn das in den Ländern passiert, wo das eingeführt worden ist?)

Na, zumindest, Herr Müller, sie sind nicht untergegangen.

(Heinz Müller, SPD: Na ja, aber meine Frage haben Sie jetzt nicht beantwortet.)

Ich denke, dass es dort durchaus

(Heinz Müller, SPD: Beantworten Sie doch mal meine Frage!)

zu einer Verbesserung der politischen Kultur geführt hat.

(Zuruf von Jürgen Suhr, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber ich frage mich eigentlich, wovor Sie Angst haben, Herr Müller.

(Heinz Müller, SPD: Ich hab keine Angst.)

Und letztendlich möchte ich Sie noch darauf hinweisen, die Interparlamentarische Arbeitsgruppe hält fest, dass die Entwicklung von der nicht öffentlichen zur öffentlichen Ausschusssitzung quasi ein natürlicher Vorgang sei. Dereinst würden die Menschen aus einem ungezwungeneren Umweltverhältnis heraus das Problem der Öffentlichkeit in ganz anderem Lichte sehen. Bei dem einen geht es schneller, beim anderen langsamer.

Dieser Argumentation können wir GRÜNE uns voll und ganz anschließen. Dem Grunde nach öffentliche Informationen gehören auch in die Öffentlichkeit.

(Beifall Dr. Ursula Karlowski, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So konnten wir es überhaupt nicht verstehen, warum unserem Antrag zur Herstellung der Öffentlichkeit während der Haushaltsberatungen im Finanzausschuss oder der abschließenden Beratung der Gerichtsstrukturreform im Rechtsausschuss nicht stattgegeben wurde. Warum? Vielleicht können Sie das noch mal begründen. Was hat dagegen gesprochen? Es ging um öffentliche Angelegenheiten, um öffentliche Sachen und es gab kein Schutzinteresse Dritter. Es wurden keine personenbezogenen Daten konkret veröffentlicht. Was sprach gegen eine öffentliche Beratung?

(Beate Schlupp, CDU: Klamauk.)

Vielleicht können Sie es noch mal darstellen. Den Klamauk, Frau Schlupp, haben wir leider in den Ausschusssitzungen auch mit Verbannung der Öffentlichkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Also, meine Damen und Herren bei SPD und CDU, entscheiden Sie sich vielleicht: Entweder verbessert sich die politische Kultur in den Ausschüssen und Sie nehmen das Mittel der gelegentlichen Herstellung der Öffentlichkeit häufiger wahr als bisher,

(Zuruf von Beate Schlupp, CDU)

oder Sie müssen folgerichtig unserem Gesetzentwurf zur Herstellung der prinzipiellen Öffentlichkeit zustimmen und diesen in die Ausschüsse überweisen. Wenn Sie beides nicht machen – ich komme zum Ende –, bleibt der fade Beigeschmack, dass Sie die Öffentlichkeit vor allem als Störfaktor wahrnehmen. Ich freue mich jedenfalls jetzt erst einmal auf die Aussprache und danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer bis zu 90 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat die Justizministerin Frau Kuder.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nicht alles, was rechtlich möglich ist, ist auch politisch sinnvoll. Und das gilt ganz besonders, wenn es wie bei dem vorliegenden Gesetzentwurf um die Änderung der Verfassung geht. Die Verfassung ist das zentrale Rechtsdokument unseres Landes. Sie ist die rechtliche und politische Grundlage unseres demokratischen Gemeinwesens und sie ist notwendig auf Langfristigkeit ausgelegt. Und deshalb bedürfen Änderungen immer einer besonderen Rechtfertigung. Sie sind auf das wirklich Notwendige zu beschränken. Die Verfassung taugt deshalb nicht als Spielball für Modeerscheinungen oder aktuelle Trends. Mit guten Gründen hat sich seinerzeit der Verfassungsgeber, was die Landtagsausschüsse betrifft, für ein Regel-Ausnahme-Verhältnis von Nichtöffentlichkeit und Öffentlichkeit entschieden. Es ist schlicht nicht notwendig, dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis jetzt ins Gegenteil zu verkehren.

Schauen wir uns mal die Argumente an, die Sie, meine Damen und Herren von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, im Gesetzentwurf nennen. Hier heißt es beispielsweise, jeder demokratischen Ordnung wohne ein Zwang zur Publizität inne. Die Wählerinnen und Wähler hätten das Recht, die Abgeordneten zu kontrollieren und festzustellen, wer im Parlament zu konstruktiven Beiträgen imstande ist.

(Beate Schlupp, CDU: Da wäre ich dafür.)

Weiterhin zwinge die Öffentlichkeit der Sitzung zu einer besseren Vorbereitung und damit zu einer effektiveren Parlamentsarbeit.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, was das Verhältnis von Demokratie und Publizität angeht, schließe ich mich der Aussage gern an. Allerdings lässt sich hieraus weder ein Zwang noch eine hinreichende Begründung für die Änderung unserer Landesverfassung ableiten. Der Zwang zur Publizität besteht nämlich nicht generell und schon gar nicht uneingeschränkt. Vielmehr wird ihm hinreichend mit der Öffentlichkeit der Parlamentssitzungen Rechnung getragen. Diese Sitzungen lassen auch wohl sogar noch besser als Ausschusssitzungen erkennen, wer im Parlament zu konstruktiven Beiträgen imstande ist und wer gerade nicht. Und was die Effektivität der Parlamentsarbeit angeht, habe ich zumindest Zweifel.

Ich halte es daher mit der Mahnung des tschechischen Schriftstellers und Aphoristikers Pavel Kosorin. Zitat: „Das Glashaus beschleunigt das Wachstum, verzögert aber gleichzeitig das Reifen.“ Im Falle öffentlicher Ausschusssitzungen befürchte ich nämlich eher, dass Effektivität verlorengeht. Und nicht nur das, ich befürchte sogar einen Verlust an demokratischer Legitimation.

In den Parlamentsausschüssen werden politische Positionen oftmals gerade erst entwickelt. Da, denke ich, ist es unverzichtbar, zunächst einmal ins Unreine reden zu können, zum Beispiel Meinungen zu äußern, die noch nicht in und mit der Fraktion abgestimmt sind, andere Argumente auf sich wirken zu lassen und vielleicht im Laufe der Diskussion seine Meinung auch wieder zu revidieren, ohne dafür gleich öffentlich an den Pranger gestellt zu werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist einfach notwendig, bestimmte Fragen erst einmal im geschützten Raum vorzuberaten und auszuloten. Nicht jede noch so kleine Idee kann und muss gleich zu Markte getragen werden. Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach hat es sehr schön formuliert, ich zitiere: „Wer in die Öffentlichkeit tritt, hat keine Nachsicht zu erwarten und keine zu fordern.“