Protocol of the Session on May 30, 2013

Sie definieren, wie nach Ihrer Ansicht eine Straftat in diesem Land definiert wird und eben wie nicht. Und das unterscheidet uns, das unterscheidet uns, lieber Kollege Suhr, auch inhaltlich, weil es dafür zumindest Kriterien gibt.

Und, Kollege Ritter, was ich mir gewünscht hätte, ist ein Stück Ehrlichkeit zu der Debatte und Ehrlichkeit heißt dann auch, Sie, Peter Ritter, sind zu der Auffassung gekommen, nach den Ereignissen um den NSU, dass das Paket in Gänze neu betrachtet werden muss. Das wäre eine ehrliche Einschätzung, denn Sie haben als Mitglied der Regierungsfraktion im Jahr 2003, als alle Fälle schon mal umfangreich untersucht worden sind und man zu einer Definition gekommen ist, was eine rechtsextremistische Straftat ist und was nicht, dem zum damaligen Zeitpunkt nicht widersprochen.

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Ja, ja.)

Auch im Jahr 2009, als alle Fälle noch mal untersucht worden sind – und, lieber Kollege Suhr, das unterscheidet uns auch –, alle Fälle, über die wir reden, sind schon mehrfach untersucht worden und Sie erwecken hier den Eindruck, als wenn dieses nicht stattgefunden hat. Das finde ich einfach eine unsachliche Diskussion.

(Beifall vonseiten der Fraktion der CDU und Heinz Müller, SPD)

Ich glaube Ihnen auch,

(Manfred Dachner, SPD: Man zieht hier so eine Show ab.)

dass Sie – da gebe ich dem Kollegen Silkeit sehr recht –, dass Sie im Grundverständnis der Justiz, der Polizei, dem Verfassungsschutz, wie die Sicherheitsbehörden alle heißen, misstrauen. Das finde ich ausgesprochen bedenklich. Alle erfüllen ihre Aufgaben auf der Grundlage des Rechtes und Gesetzes der Verfassung. Es gibt überall Menschen, die Fehler machen. Da schließt sich der Minister genauso wenig aus wie der Rest, aber wir dürfen nicht grundsätzlich Misstrauen unterstellen.

Insofern glaube ich und insofern hat auch Herr Müller vollkommen recht gehabt, die Vorstellung von bestimmten Einstufungen, Betrachtungen, die ist in der Tat eine andere. Nur weil ein Extremist, egal welcher Couleur, einen Ladendiebstahl begeht, ist es doch noch lange keine linksextremistische oder rechtsextremistische Straftat. Es ist eine Straftat, aber sie nun deswegen politisch in die eine oder andere Kategorie einzusortieren, das möge der jeweilige Betrachter tun. Aber die Grundlagen, auf der wir solche Einstufungen machen,

(Udo Pastörs, NPD: Die sind alle kriminell.)

lassen das eben nicht zu und das bitte ich einfach zu akzeptieren.

Die Beurteilung des politischen Extremismus ist eine wichtige Aufgabe in der Betrachtung der Landesregierung. Um Extremismus wirksam bekämpfen zu können, bedarf es eben einer gründlichen Analyse des Phänomens und nicht einer Analyse des Phänomens aufgrund von Empfindungen,

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

sondern aufgrund von gleichermaßen in Bund und Ländern vereinbarten Kriterien. Eine wesentliche Grundlage für diese Betrachtung sind nun mal die jährlich vorgestellten Zahlen der politisch motivierten Kriminalität.

Ich habe bei der Vorstellung des Jahresberichtes in diesem Jahr zur PMK wiederholt darauf hingewiesen, dass sich die Bewertung der Polizei bei diesen Fällen nach dem bundeseinheitlichen Definitionssystem zwischen Bund und Ländern richtet. Aufstellungen, die von Organisationen, von Vereinen oder von Journalisten nach eigenen Kriterien erstellt werden, zum Beispiel zu rechtsextremistischen Taten, sind mit der Statistik zur politisch motivierten Kriminalität mitnichten vergleichbar. Deswegen glaube ich auch, dass wir im Ansatz nicht die Gemeinsamkeit haben, Herr Suhr, sondern Sie haben unterschiedliche Betrachtungsweisen.

Politisch motivierte Kriminalität ist vergleichbar. Die Definition „Politisch motivierte Kriminalität“ wurde gemäß eines Beschlusses der Ständigen Konferenz – das wurde schon mal erwähnt – im Jahr 2001 eingeführt, und zwar bundeseinheitliche Kriterien für alle Länder und für den Bund. Damit sind die Kriterien fest beschrieben worden, Bewertung und Erfassung von Staatsschutzdelikten festgelegt. Danach steht eben die tatauslösende politische Motivation im Mittelpunkt.

Gemäß dem bundeseinheitlichen Definitionssystem werden der politisch motivierten Kriminalität Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat beziehungsweise der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen, sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung wenden oder gegen Personen gerichtet sind wegen ihrer politischen Einstellung, Rasse, Hautfarbe, Religion oder entsprechender Merkmale. Politisch motivierter Kriminalität rechts werden Straftaten zugeordnet, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie einer rechtsextremen Orientierung zuzurechnen sind. Das ist insbesondere der Fall, wenn Bezüge zu völkischem Nationalismus, Rassismus oder Nationalsozialismus ursächlich waren.

Die Einordnung – auch dies noch mal zum Verfahren – die Einordnung erfolgt zunächst durch die Fachkommissariate der Kriminalpolizeiinspektionen. Diese melden mit Aufnahme der polizeilichen Ermittlungen dem LKA alle entsprechenden Straftaten. Das LKA führt die Erstklassifizierung durch. Sofern beim Verfassungsschutz einschlägige Erkenntnisse vorliegen, fließen diese selbstverständlich in die Beurteilung ein. Anschließend leitet das LKA die Fälle an das BKA, sprich Bundeskriminalamt, weiter. Ergeben sich im Verlauf der Ermittlungen oder nach Abschluss des Verfahrens Erkenntnisse, die eine andere Einordnung der Straftat erforderlich machen, ist dieses dem BKA mitzuteilen.

Die abschließende Würdigung der Tat, das möchte ich an dieser Stelle auch noch einmal betonen, obliegt im Ergebnis der durchgeführten Hauptverhandlung im Strafprozess dem unabhängig entscheidenden Gericht. Und wir sollten hier nicht den Eindruck erwecken, als wenn die Gerichtsbarkeit in Mecklenburg-Vorpommern immer falsche Entscheidungen getroffen hat. Sie sind diejenigen, die hier die jeweiligen Urteile festgelegt haben. Hierbei werden die Beweggründe und die Ziele sowie die

Gesinnung des Täters bewertet. Die hier in Rede stehenden Fälle, und das habe ich schon eingangs erwähnt, sind mehrfach hinsichtlich der Frage, ob es sich um politisch motivierte Straftaten handelt, geprüft worden.

Im Übrigen gestatte ich mir noch mal den Hinweis: Ich stehe zu dieser Klassifizierung und zu dieser Einstufung. Alle Fälle sind lange vor der Übernahme der Aufgabe durch mich klassifiziert worden und trotzdem sind keine Fehler in der Frage begangen worden. Auch ich akzeptiere die Klassifizierung, auch wie sie 2009 noch mal vorgenommen wurde.

Eine erste Überprüfung, das habe ich bereits erwähnt, erfolgte im Jahr 2003, nachdem das BKA den Ländern im Juli 2003 eine Liste mit insgesamt 116 Todesopfern übermittelt hatte, die in Veröffentlichungen des „Tagesspiegels“ und der „Frankfurter Rundschau“ der politisch motivierten Kriminalität rechts zugeordnet wurden. Für Mecklenburg-Vorpommern waren zum damaligen Zeitpunkt elf Todesopfer aufgeführt.

Für die weiteren Prüfungen wurden dem BKA die jeweiligen Urteile zur Auswertung übersandt. Im Rahmen der ge- meinsamen Bewertung, der gemeinsamen Bewertung, die auf der Grundlage des 2001 eingeführten Definitionssystems über politisch motivierte Kriminalität erfolgte, wurden insgesamt drei Tötungsdelikte als politisch motivierte Kriminalität rechts bewertet und aufgenommen. Nach dem Bekanntwerden der Taten des NSU im Jahr 2011 war darüber hinaus der Mord an Mehmet Turgut am 25.02.2004 in Rostock als vierter Fall hinzuzuzählen, wie in allen anderen Fällen in der Bundesrepublik Deutschland auch.

Eine weitere Überprüfung wurde im Zusammenhang mit der Großen Anfrage der Bundestagsfraktion DIE LINKE an die Bundesregierung vom 18. Februar 2009 durchgeführt. Dabei erfolgte unter Beteiligung des Justizministeriums eine Sichtung und Auswertung der Unterlagen der Justiz der für Mecklenburg-Vorpommern in der Großen Anfrage aufgeführten Fälle, zu denen auch die fünf in der Kleinen Anfrage des Abgeordneten Suhr vom 17. April 2013 aufgeführten Fälle zählen, über die wir heute sprechen. Auch im Rahmen dieser gemeinsamen Prüfung konnte eine politische Motivation für die Tatbegehung auf Grundlage der Definition politisch motivierter Kriminalität nicht festgestellt werden. Grundlage für die Bewertung war aufseiten der Polizei wiederum das angesprochene Definitionssystem. Im Rahmen der Sonderkommission Trio MV, also nach dem Bekanntwerden der Taten des NSU, wurden die Fälle nochmals überprüft.

Bei all diesen Überprüfungen anhand des beschriebenen Definitionssystems wurden die infrage stehenden Fälle nicht als politisch motiviert eingestuft,

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

auch nicht von der unabhängigen Justiz. Dabei handelt es sich wie beschrieben um klar definierte Voraussetzungen. Wenn diese nach den Ermittlungsergebnissen und nach dem auf der Hauptverhandlung im Strafprozess begründeten Urteil nicht erfüllt sind, wird eine Straftat nicht in die Statistik aufgenommen und darf rechtlich nicht in die Statistik aufgenommen werden. Wenn die Politik zur Auffassung kommt, dass sie ein grundsätzlich neues Definitionssystem macht, dann muss sie das auch so entscheiden und muss die Handhabe für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei mir in der Polizei dafür geben.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Sie ist aber derzeit anders definiert, im Übrigen bundeseinheitlich, und das ist auch richtig so und deswegen sind die Entscheidungen und die Kriterien auch richtig.

Und, lieber Kollege Suhr, ich glaube, wenn Sie den einen oder anderen Wortbeitrag in den Ausführungen jetzt gehört haben, frage ich mich, ob Sie sich vielleicht überlegen, ob der Antrag besonders gut gewesen ist oder ob Sie sich nicht erst mal im Innenausschuss hätten melden können und sagen, ich möchte mal zu dieser oder jener Sache Ausführungen hören. Wir haben diese Überprüfung schon regelmäßig durchgeführt und nichts anderes ist an und für sich der Grund, weswegen ich die Ausführungen aus dem Innenausschuss hier schon mal vorgezogen habe und im Innenausschuss noch mal adäquat durchführen kann. Das hat nichts mit Heimlichtuerei zu tun, das hat einfach was mit der Rechtslage zu tun und die Rechtslage bitte ich, einfach zur Kenntnis zu nehmen. – Schönen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU – Marc Reinhardt, CDU: Jawoll.)

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Ritter von der Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Sehr geehrter Minister, natürlich ist es Ihr gutes Recht, auch durch die Geschäftsordnung abgesichert, dass Sie jederzeit in die Debatte eingreifen können. Wenn Ihnen aber das Thema wichtig gewesen wäre,

(Egbert Liskow, CDU: Ist es.)

ohne dass es einer Aufforderung durch die Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE bedurft hätte, dann hätten Sie sich schon bei der Vorlage der Tagesordnung in die Rednerliste einsortieren lassen, weil bei allen anderen wichtigen Themen können es die Mitglieder der Landesregierung gar nicht abwarten, ihre Redezeit auf diesem gelben Zettel anzumelden und, wenn es denn geht, 15 oder 20 Minuten zu aus ihrer Sicht wichtigen Themen das Hohe Haus zu unterrichten.

(Zurufe von Dr. Margret Seemann, SPD, und Wolf-Dieter Ringguth, CDU)

Bei der ersten Vorlage der Tagesordnung, Stand 23.05., 15.35 Uhr, steht: Regierung – Strich.

(Dr. Margret Seemann, SPD: Da steht drin, Innenministerium zehn Minuten. Das bezieht sich jetzt auf den Zeitplan.)

23.05., 15.35 Uhr, liebe Kollegen, und nicht 29.05., also erst im Nachgang die Redezeit angemeldet.

(Zuruf von Marc Reinhardt, CDU)

Zweitens. Sie behaupten, ich hätte schon 2003 nicht widersprochen. Ich sage mal, das ist wieder so eine Unterstellung wie auf der letzten Landtagssitzung, als Sie hier behaupteten, ich würde aus der PKK plaudern.

Drittens wundere ich mich, dass Sie mich und Herrn Suhr hier anzählen und dabei völlig ausblenden, dass es Ihr Koalitionspartner, der Herr Müller war, der eine Berichterstattung des Innenministers im Innenausschuss angefordert hat.

(Heinz Müller, SPD: Ja. Das ist doch normal. – Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Da gehört es ja auch hin, und nicht hierher.)

Es waren nicht etwa die Fraktionen von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und DIE LINKE, nein, es war der Koalitionspartner Herr Müller – in Klammer SPD –, der offensichtlich Informationsbedarf hat,

(Heinz Müller, SPD: Ja.)

ob das, was der Innenminister bisher kundgetan hat, auch alles der Realität entspricht.

(Heinz Müller, SPD: Informationsbedarf gegen- über dem Innenministerium habe ich häufiger.)

Und viertens, liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt es schon ein Gleichnis zur Aufklärung der NSU-Verbrechen. Während sich in anderen Ländern, wie zum Beispiel in Thüringen und Sachsen, Parlamentarische Untersuchungsausschüsse diesem Thema zugewandt haben, ist bei uns immer noch die Mauertaktik auf der Tagesordnung.

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Ihr könnt es doch machen. Das ist ein Minderheitsrecht.)

Da wird immer noch behauptet, es gäbe keine NSUBezüge nach Mecklenburg-Vorpommern, obwohl wir alle Tatsachen wissen, dass das nicht so ist.