Protocol of the Session on November 17, 2011

So, nun kommen wir mal zurück zum Ursprung des Antrages.

(allgemeine Unruhe)

Wir haben und auch ich habe darauf verwiesen, dass das Problem auf einen speziellen Bereich fällt, nämlich auf den Bereich der älteren Arbeitnehmer. Das haben Sie in Ihrem Redebeitrag erwähnt und, soweit ich das richtig verfolgt habe, auch Frau Ministerin Schwesig. Das Problem der offiziell 28.000 Langzeitarbeitslosen und der älteren Arbeitnehmer in diesem Bereich ist, dass diese Instrumentenreform sie eben insbesondere hart treffen wird. Und wenn Sie hier ausführen, dass sich dank der CDU insbesondere die Arbeitsmarktsituation verändert hat, dass die Arbeitslosigkeit gesunken ist, dann möchte

ich einfach mal daran erinnern, dass das natürlich auch was damit zu tun hat, wie Arbeitsverhältnisse heute aussehen,

(Peter Ritter, DIE LINKE: Sehr richtig.)

denn viele Vollzeitarbeitsplätze sind schlicht und ergreifend in Teilzeitarbeitsplätze umgewandelt worden, nämlich zehn Millionen deutschlandweit, und nicht zu vergessen die vielen, die in geringfügiger Beschäftigung tätig sind. Und so begrüßenswert die Initiative der Länder Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt auch war, den Gesetzentwurf in einigen Punkten in die Vermittlung zu schicken, so vage sind die Erfolgsaussichten. Nicht nur Ihr schon zitierter Minister und Parteikollege aus Nordrhein-Westfalen hat im Bundesrat ja deutlich gemacht, dass mehr Widerstand notwendig gewesen wäre. Und folgerichtig bezeichnet der Minister aus Nordrhein-Westfalen die Mittelkürzung auch als unmöglichen Zustand, den man nicht akzeptieren könne.

(Torsten Renz, CDU: Sagen Sie mal was zur Blockadehaltung! Ist das korrekt?)

Im schlimmsten Fall kommt man dann wieder mit einem Pyrrhussieg nach Hause wie bei Hartz IV und dem in diesem Zusammenhang beschlossenen bürokratischen Monster namens Bildungs- und Teilhabepaket.

(Torsten Renz, CDU: Das Gesetz ist doch gar nicht zustimmungspflichtig.)

Ausbaden dürfen es dann wieder diejenigen, die auf unsere Hilfe am allermeisten angewiesen sind.

Meine Damen und Herren, ich kann nicht auf alle Probleme des Gesetzentwurfes eingehen, dafür gibt es in summa einfach zu viele, aber ich will einige geplante Regelungen, die unser Bundesland besonders hart treffen, hier noch einmal ansprechen.

(Torsten Renz, CDU: Das Problem ist doch, dass das Gesetz nicht zustimmungspflichtig ist. – Peter Ritter, DIE LINKE: Das Problem ist, dass das Gesetz schlecht ist.)

Die Zahl der älteren Arbeitslosen steigt bei uns seit Monaten. Im Oktober waren es 32.640 über 50-Jährige. Das sind 0,5 Prozent mehr als im September und mehr als 5 Prozent mehr als noch vor einem Jahr. Und bei den über 55-Jährigen sind es eben sogar 6,5 Prozent mehr als vor einem Jahr. Das heißt, in dem Monat mit der allgemein höchsten Beschäftigung steigt die Arbeitslosigkeit entgegen dem sonstigen Trend bei diesen Problemfällen überdurchschnittlich an.

Ich weiß nicht, ob Ihnen die Dramatik dieser Zahlen tatsächlich bewusst ist. Agenturchef Goecke appellierte an die Unternehmen, mehr ältere Frauen und Männer einzustellen. Und wie wir wissen, nutzen solche Appelle häufig leider viel zu wenig. Die Bundesregierung, das heißt Frau von der Leyen und auch Frau Merkel, wollte aber gerade mit ihrer Idee, den Eingliederungszuschuss für Ältere als zielgruppenspezifisches Instrument zur Integration abzuschaffen, das Falsche tun. Oder nehmen wir den schon angesprochenen Übergang Schule/Beruf. Das Instrument der Berufseinstiegsbegleitung sollte nur noch zu 50 Prozent durch den Bund finanziert werden. Wie schon bei anderen Programmen fordert der Bund

nun eine Kofinanzierung. Entweder Länder und Kommunen oder andere Dritte beteiligen sich oder dieses Instrument findet keine Anwendung mehr.

Zum Gründungszuschuss ist schon was gesagt worden. Es bleibt zu hoffen, dass die Umwandlung von einer Pflicht- in eine Ermessensleistung nicht stattfindet, denn selbst das Bundeswirtschaftsministerium brachte diese Geschichte auf die Palme. Es sprach von einer arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitisch fragwürdigen Abschaffung eines erfolgreichen Instrumentes. Und die Idee, dass die Jobcenter künftig die Prüfungen der Tragfähigkeit solcher Gründungskonzepte vornehmen sollten, geht vollkommen an der Realität vorbei. Schon heute können Selbstständige im Hartz-IV-Bezug ein Lied über ihre Betreuung singen.

Meine Damen und Herren, die Sozialwissenschaften und die Praxis der letzten Jahre belegen, dass man Menschen mit mehrfachen Vermittlungshemmnissen eben nicht so ohne Weiteres in den Arbeitsmarkt integrieren kann. Teilweise ist die Bundesagentur überfordert, teilweise sind nicht die geeigneten Maßnahmen durchgeführt worden, teilweise ist auch zu wenig Personal bereitgestellt worden, und das ist eben alles nicht zu leugnen. Und über das Dilemma der Bezahlung bei Weiterbildungs- oder Beschäftigungsträgern und über viele unnütze Ausgaben für unnütze Maßnahmen will ich hier gar nicht reden, denn das grundlegende Problem ist auch nicht die Reform der Instrumente, zumal einige der geplanten Änderungen sogar im Widerspruch zur durchgeführten Evaluierung stehen. Tatsächlich soll nämlich unter dem Spardiktat der Bundesregierung – übrigens auch nicht meine, sondern eine Formulierung der Diakonie Mitteldeutschlands – eine untaugliche Instrumentenreform für die weitere Integration langzeitarbeitsloser Frauen und Männer gemacht werden.

Und da darf ich Ihnen einfach mal zitieren aus einer Presseerklärung der Diakonie Mitteldeutschlands und des DGB Thüringen vom 12. Oktober dieses Jahres:

(Jörg Heydorn, SPD: Das machen Sie mal!)

„Es ist schon nicht mehr wichtig, was im Gesetz steht, … viel aufschlussreicher ist, was mit dem geplanten Gesetz nicht mehr vorgesehen ist.“ So sprach Oberkirchenrat Grüneberg, der Vorstandsvorsitzende der Diakonie Mitteldeutschland. „Öffentlich geförderte Beschäftigung wird fast gänzlich abgeschafft. … Das gesellschaftliche Problem der Arbeitslosigkeit wird … weiter individualisiert.“ Die „Unterstützungsbedarfe“ dagegen werden „standardisiert“. Die „Maßnahmen“ werden „stark verkürzt“ und die ausschließliche Orientierung „am Erfolg der Integration in reguläre Beschäftigung“ geht an den Realitäten vorbei. Folglich kommen die Verbände auch zu einer entsprechenden Einschätzung. Sie sagen nämlich: „Statt einer technokratischen Instrumentenreform, die vor allem mit einer massiven Mittelkürzung einhergeht, brauchen wir eine zielgruppenorientierte aktive Arbeitsmarktpolitik mit einer sozialpolitischen Flankierung. Nur so können sich diese Menschen wieder in unsere Gesellschaft integriert fühlen“. Sie brauchen „eigene Lebensentwürfe“, die sie umsetzen können, sie brauchen „Wertschätzung“ und sie brauchen auch „Anerkennung“. Zitatende.

Das, meine Damen und Herren, ist nur eine kleine Auswahl der Kritikpunkte, die nicht nur von meiner Fraktion

gesehen werden, sondern wie gesagt von vielen Experten auf dem Gebiet der Arbeitsmarktpolitik.

Und jetzt zurück zur Landesarbeitsmarktpolitik, soweit man überhaupt noch von einer solchen sprechen kann. Der Koalitionsvertrag ist in diesem Punkt, das hatte ich schon angerissen, keine große Hilfe. Frau Ministerin hat hier natürlich einige Ausführungen gemacht. Allerdings, wenn ich richtig mitgezählt habe, hat sie zu vier von sieben Punkten aus dem Bereich der Arbeitsmarktpolitik referiert. Insofern werden wir unseren Antrag natürlich nicht zurückziehen. – Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 6/81. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist der Antrag der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 6/81 mit den Stimmen der SPD, der CDU und der NPD abgelehnt bei Zustimmung der LINKEN und Enthaltung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 29: Beratung des Antrages der Fraktion DIE LINKE – Dezentrale Unterbringung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern, Drucksache 6/82.

Antrag der Fraktion DIE LINKE Dezentrale Unterbringung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern – Drucksache 6/82 –

Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Al-Sabty von der Fraktion DIE LINKE.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich darf Sie jetzt mit meinem letzten Antrag nerven.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Sie nerven uns nicht, wirklich nicht.)

Aber ich hoffe, dass Sie ein Ohr für mich haben.

Wohnen beziehungsweise eine Wohnung zu haben, gehört zu den Grundbedürfnissen eines jeden Menschen. Das Recht auf Wohnen hat seine Grundlage im Artikel 11 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19. Dezember 1966 und im Artikel 16 der Europäischen Sozialcharta vom 18. Oktober 1961. Eine Wohnung bietet Schutz vor äußeren Einflüssen und ist Bedingung für Regeneration. Das Wohnumfeld spielt ebenfalls eine große Rolle. Die Wohnung muss an Infrastruktur angebunden, bezahlbar, zugänglich und von der Ausstattung und Lage her angemessen sein.

Aber nicht alle Menschen in Mecklenburg-Vorpommern, meine Damen und Herren, haben das Recht, über Wohnraum selbst zu entscheiden und sich selbstständig eine Wohnung zu nehmen. Die Asylbewerberinnen und Asylbewerber im Verfahren wie die geduldeten Flüchtlinge müssen in Gemeinschaftsunterkünften leben, bis sie ein auf Dauer angelegtes Bleiberecht erhalten. Dieser Zu

stand dauert nicht etwa ein halbes Jahr, dieser Zustand dauert mitunter 13 Jahre und länger. Das ist ein Zustand wie in einem Wartesaalzustand.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Das richtet gesundheitlichen Schaden an – an Körper und an Seele.

Die Asylbewerberinnen und Asylbewerber, die nach Mecklenburg-Vorpommern zugewiesen werden, werden auf der Grundlage des Flüchtlingsaufnahmegesetzes zunächst in der Erstaufnahmeeinrichtung Nostorf/Horst untergebracht. Dieser Aufenthalt darf aber drei Monate nicht überschreiten. Danach werden die Asylbewerberinnen und Asylbewerber auf die Kommunen des Landes verteilt und in der Regel in einer der zehn kommunalen Gemeinschaftsunterkünfte untergebracht. Diese liegen in Rostock, Bad Doberan, Ludwigslust, Parchim und Jürgenstorf, Neubrandenburg, Wismar, Anklam, Greifswald und Stralsund.

Die Unterbringungssituation in den Unterkünften ist vielfach geprägt von sozialer Isolation, räumlicher Enge und unhaltbaren Zuständen, zum Beispiel bei der Bewältigung des Alltags. Das beginnt bei der Unterversorgung mit Herden, Backöfen und endet bei improvisierten Duscharmaturen aus Plasteflaschen.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Die Heimbewohnerinnen und Heimbewohner leiden stark unter eingeschränkten bis nahezu nicht vorhandenen Möglichkeiten der Lebensgestaltung sowie Kontaktarmut zu der einheimischen Bevölkerung.

(Vizepräsidentin Silke Gajek übernimmt den Vorsitz.)

Wir waren in Jürgenstorf. Uns hatte Ende September ein offener Brief der Heimbewohnerinnen und Heimbewohner erreicht. Wir haben uns die Gemeinschaftsunterkunft dort angesehen und intensive Gespräche mit den Bewohnerinnen und Bewohnern geführt. Der Brief war ein Hilferuf. Es ist höchste Zeit zu handeln, meine Damen und Herren. Die Lebensumstände der Heimbewoh- nerinnen und Heimbewohner führen mittel- und langfristig ernsthaft zu sozialen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Davon konnten wir uns bei mehreren Besuchen auch in anderen Gemeinschaftsunterkünften über-

Der Zeitraum bis zur Entscheidung über das Bleiberecht ist unabsehbar und kann mehrere Jahre dauern. Die Unterbringung in den Gemeinschaftsunterkünften muss daher von vorherein zeitlich begrenzt sein. Das gilt auch für ehemalige Asylbewerberinnen und Asylbewerber in Duldung.

In der Gemeinschaftsunterkunft stehen sechs Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung. Die Zimmer sind mehrfach belegt, das heißt, es gibt keine Privatsphäre. Die soziale Isolation ist groß und es gibt kaum Kontakt zu den Einheimischen. Keinem Menschen darf dies länger als zwölf Monate zugemutet werden. Danach muss die Unterbringung dezentral in Wohnungen erfolgen.

Ich kann aus eigener Erfahrung berichten: Ich war selber Asylbewerber und war in einer Gemeinschaftsunterkunft

untergebracht. Ich war mit fünf Männern aus fünf verschiedenen Ländern in einem 30 Quadratmeter großen Raum

(Zuruf von Stefan Köster, NPD)

und das war in dem schönen Dorf Monschau an der Eifel.

(Jörg Heydorn, SPD: Sie sind ein Flegel! – Stefan Köster, NPD: Jawohl, Herr Heydorn! – Glocke der Vizepräsidentin)