Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Leere Taschen bei den Azubis im Landkreis“ – so titelte am 16. Januar dieses Jahres die „Ostsee-Zeitung“ im Lokalteil für Ribnitz-Damgarten und richtete damit den Blickwinkel auf ein bekanntes, aber durch die verantwortlichen Entscheidungsträger verdrängtes Problem.
Im Rahmen einer Umfrage des Projektes „Regionales Übergangsmanagement Vorpommern-Rügen“ bei rund 1.000 Auszubildenden trat die Diskrepanz zwischen der Höhe der Ausbildungsvergütung und den laufenden Kosten für die Jugendlichen deutlich zutage. Im Rahmen der Studie gaben von 857 Befragten 97 Prozent an, dass sie bei der täglichen Anfahrt zur Berufsschule mit kostenpflichtigen Verkehrsmitteln anreisen würden. Bei fast 30 Prozent liegen diese Kosten dafür zwischen 100 und 199 Euro. 34,4 Prozent der 769 Befragten bekommen 300 bis 399 Euro. Weitere 23,5 Prozent verdienen noch weniger. Hingegen müsste die Hälfte der Auszubildenden noch Kosten für die Unterkunft während der Ausbildung aufbringen.
Der Missstand der Ausbildungsvergütung ist im Kern nicht anzuzweifeln oder auch nicht wegzudiskutieren – egal, ob Sie die Umfrage nun für repräsentativ halten oder nicht.
Die Situation im Landkreis Vorpommern-Rügen unterscheidet sich diesbezüglich nicht von der im Rest des Landes. Die Ausbildungsvergütung reicht bei vielen Jugendlichen hinten und vorne nicht. Eine Floristin in der Ausbildung bekommt beispielsweise im 1. Lehrjahr lediglich 237 Euro monatlich, ein Tischler-Azubi wird mit nur 350 Euro im 1. Lehrjahr abgespeist.
Die Aufzählung der Berufsgruppen, in denen die von uns geforderten Mindestsätze nicht erreicht werden, ließe sich noch weiter fortsetzen. Natürlich lassen sich auch Beispiele für höhere Ausbildungsvergütungen finden, aber die sind nicht Gegenstand dieses Antrags.
Der Einwand, die Höhe der Ausbildungsvergütung sei Sache der Tarifpartner und nicht Aufgabe des Landes, darf nicht gelten, um sich aus der Verantwortung zu stehlen. Das mag in erster Linie so sein, allerdings zeigt
schon die Tatsache, dass es die BAB, die Ausbildungsbeihilfe der Agentur für Arbeit, gibt, dass die Politik korrigierend und steuernd eingreifen kann. Der Gesetzgeber hat also bereits erkannt, dass die gezahlten Ausbildungsvergütungen der Lebenswirklichkeit und den Lebenskosten nicht standhalten.
Die BAB sieht vor, dass die Jugendlichen, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, durch zusätzliche Zahlungen der Agentur für Arbeit überhaupt erst in die Lage versetzt werden, eine bestimmte Ausbildungsstelle annehmen zu können. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn eine Ausbildung nicht ortsnah, sondern in räumlicher Entfernung zum Elternhaus stattfindet.
Die Berufsausbildungsbeihilfe geht derzeit von einem Grundbedarf für Lebensunterhalt von rund 350 Euro aus, ferner von einer Pauschale für die Miete von rund 150 Euro und einem möglichen Zuschlag von bis zu 75 Euro, sofern die nachweisbare Miete höher ausfällt. Darüber hinaus finden der Bedarf an Arbeitskleidung, Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstelle sowie eine monatliche Familienheimfahrt Berücksichtigung. Es wird also auf diese Weise ein Gesamtbedarf ermittelt, dessen Differenz zur Ausbildungsvergütung dann in Form eines Zuschusses durch die Agentur für Arbeit übernommen wird.
Da die Berechnung zu einfach wäre, hat der Gesetzgeber noch einen großen Haken eingebaut: Die Einkommen der Eltern werden unter der Berücksichtigung von Freibeträgen bei der Berechnung der Berufsausbildungsbeihilfe eingerechnet. Das führt in der Praxis dazu, dass zahlreiche Auszubildende die hohen Kosten für die auswärtige Unterbringung aus eigener Tasche zahlen dürfen, weil das Elterneinkommen über den Freibeträgen liegt.
Dieser Umstand zeigt deutlich die asoziale Komponente der BRD auf, denn es geht bei den Elterneinkommen keinesfalls um Großverdiener. Söhne und Töchter von Otto-Normal-Verdienern werden hier bestraft, obwohl die Erwerbssituation des Auszubildenden im Fokus der Beihilfe stehen muss. Zusätzlich kann die Berufsausbildungsbeihilfe dann nicht gewährt werden, wenn aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung eine andere vergleichbare Leistung von einer anderen Behörde geleistet wird.
Die von uns in diesem Antrag geforderte Berufsausbildungszulage wird keine vergleichbare Leistung sein, sondern ist so zu gestalten, dass sie nicht auf mögliche BAB angerechnet werden kann. Anders als die Berufsausbildungsbeihilfe ist die geforderte Ausbildungszulage nämlich nicht auf die räumliche Trennung zwischen Elternhaus und Ausbildungsort abgestellt. Über den Sinn der Berufsausbildungsbeihilfe der Agentur für Arbeit unter Berücksichtigung der erwähnten Voraussetzungen und Freibeträge lässt sich nämlich trefflich streiten.
Die von uns geforderte Berufsausbildungszulage M-V jedenfalls zielt auf die monatlich zur Verfügung stehende Gesamtsumme ab. Sie differenziert eben nicht nach Ausbildungsort und schon gar nicht nach Art und Weise der Unterbringung. Sie ist aber auch nicht im Kern von Kriterien wie der Höhe von Fahrtkosten abhängig. Sie ist anders als die BAB auch nicht an Verwendungsnachweise gekoppelt, die unter Umständen bei der BAB sogar Regressansprüche gegenüber den Auszubilden
den erwachsen lassen. Die eingeforderte Berufsausbildungszulage M-V ist sozial gerechter und kommt daher unmittelbar den Auszubildenden zugute. – Danke.
Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die NPD fordert in ihrem Antrag, der Staat solle niedrige Ausbildungsentgelte durch einen Zuschuss subventionieren, um so die Attraktivität der Lehrberufe zu erhöhen. An dieser Stelle gibt es zwei Fragen, die sich ergeben:
Mecklenburg-Vorpommern hat zwar auch im Bundesvergleich noch immer eine sehr hohe Arbeitslosenquote, aber diese Quote sinkt, und das seit Jahren. Zugleich gibt es inzwischen in einigen Teilen des Landes in bestimmten Berufen einen Bewerbermangel. Und an dieser Stelle funktioniert der Arbeitsmarkt sehr wohl – wie jeder Markt. Wenn ein Gut knapp ist, steigt der Preis.
Das Ergebnis ist, dass zum Beispiel der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband und die Gewerkschaft NahrungGenuss-Gaststätten einen Tarifvertrag ausgehandelt haben, der eine Lohnsteigerung von 17 Prozent vorsieht.
Wenn sich also nicht genügend Auszubildende für einen Ausbildungsberuf finden, dann sind die Arbeitgeber in der Verantwortung, bessere Angebote zu machen. Und ich habe den Eindruck, dass die Arbeitgeber dies aus großem Eigeninteresse bereits tun.
Es gibt also keine Notwendigkeit, an dieser Stelle nach dem Staat zu rufen. Bei sozialen Härtefällen dagegen ist der Staat in der Verantwortung, und dieser Verantwortung kommt der Staat nach.
So gibt es seitens der Bundesagentur für Arbeit beispielsweise die Bundesausbildungsbeihilfe, die Anspruchsberechtigte bequem – für Sie dann zum Mitschreiben – unter www.bab-rechner.arbeitsagentur.de berechnen können.
Auch wir in Mecklenburg-Vorpommern haben dieses Thema bereits auf dem Schirm. So wurden in den aktuellen Haushalt auf Initiative der CDU-Fraktion Mittel eingestellt,
die Kosten abfedern sollen, die aufgrund der Einrichtung von Bundes- und Landesfachklassen sowie überregio- nalen Fachklassen entstehen. Aufwendungen für Fahrt- und Übernachtungskosten von Berufsschülerinnen und Berufsschülern, die sich in sozialen Härtefällen befinden, werden seitens des Landes somit übernommen.
Das sollten Sie wissen. Da müssen Sie sich also an den Haushaltsdiskussionen beteiligen und nicht entweder durch Abwesenheit oder durch Zeitunglesen – so wie Ihr Fraktionsvorsitzender – glänzen.
Zur Frage der Rechtskonformität verweise ich auf die in Deutschland herrschende Tarifautonomie. Tarifautonomie sichert das Recht von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, in Vereinbarungen mit normativer Wirkung und frei von staatlichen Eingriffen Tarifverträge über das Arbeitsentgelt abzuschließen. Tarifautonomie ist die gelebte Anwendung des Subsidiaritätsprinzips. Der Staat als übergeordnete politische Ordnungseinheit sieht es nicht als seine Aufgabe an, konkrete Lohn- und Arbeitsbedingungen festzusetzen. Dies bleibt mit der Materie vertrauten Tarifvertragsparteien vorbehalten. Ihnen wird damit eine Wirtschafts- und sozialpolitische Ordnungskompetenz eigener Art eingeräumt.
Dieses System funktioniert in Deutschland seit Jahren sehr gut. Staatliche Lohnsubventionen für bestimmte Branchen sind nicht notwendig und systematisch un- sinnig. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab. – Danke schön.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Trotz der Erkenntnis, dass die finanzielle Belastung insbesondere auch aufgrund der Fahrtkosten für viele Auszubildende zu hoch ist, gibt es die These oder besser die Relativierung, dass kaum jemand seine Ausbildung abbrechen würde wegen finanzieller Schwierigkeiten. Bedingt mag das sogar stimmen, es kommt immer wieder auf den Blickwinkel an. Bekanntlich macht Not ja erfinderisch.
In der Praxis heißt das neben Einschränkungen, die noch unter denen von Hartz-IV-Empfängern liegen, Schwarz
arbeit und immer wieder Schwarzarbeit. Das ist die Realität, auch wenn Sie die nicht wahrhaben wollen.
Jeder dritte Azubi bricht seine Ausbildung ab und nach einer aktuellen Auswertung des Bundesinstituts für Berufsbildung lösen Jugendliche eher einen Vertrag auf, wenn sie über eine Alternative verfügen. Auch hier wird klar deutlich, die Jugendlichen schmeißen nicht hin, weil sie sich in der Berufswahl geirrt haben oder weil die Chemie im Unternehmen nicht stimmt. Der Hauptgrund ist mangelnde finanzielle Ausgestaltung. Deshalb findet man die Abbrecher auch eher in den Berufsgruppen der Kellner und Köche und sehr viel weniger bei Flugzeugmechanikern oder Bankern. Erstere haben wir hier ja gar nicht.
Und noch ein weiterer Umstand wird ausgeblendet: Es ist völlig unbekannt, wie viele Ausbildungsverhältnisse gar nicht erst zustande kommen, weil der Ausbildungslohn zu niedrig ist. Darüber sollten Sie sich mal Gedanken machen! Sei es, dass die Unterbringungskosten zu hoch wären oder der zeitliche Aufwand für das Pendeln nicht gerechtfertigt ist oder weil eben die Eltern oder die alleinerziehenden Elternteile ihre Kinder unmöglich finanziell zusätzlich unterstützen können. Berufseinsteiger werden mit Hungerlöhnen abgefertigt, während die Politik sich dazu wortlos gibt, und an anderer Seite inszenieren Sie sich mit Mindestlohndebatten.