Protocol of the Session on October 25, 2012

Auch dies ist eine Möglichkeit.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Aber das ist diskriminierend.)

Ja, das ist Ihre Auffassung.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Ja, das ist eben unsere unterschiedliche Sichtweise.)

Dieses Gericht hat aber eine andere Auffassung dazu gehabt und die müssen Sie nun mal gegebenenfalls auch respektieren, denn wir reden hier über die höchste Gerichtsbarkeit in Deutschland.

Hinsichtlich des Leistungsempfangs ist entscheidend, dass der Gesetzgeber seine Entscheidung an den konkreten Bedarfen der Hilfsbedürftigen ausrichtet.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Und wer legt das fest?)

Aufgrund der Vorgaben des Urteils ist davon auszugehen, dass die Leistungen bei einer gesetzlichen Neuregelung nicht unter den vergleichbaren Leistungen des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch abgesenkt werden können. Das heißt aber ausdrücklich nicht, dass sie auch einen Anspruch nach diesem Gesetz erhalten müssen. Das Bundesverfassungsgericht hat auch weiterhin die Gewährung von Sachleistungen zugelassen. Zumindest sollte diese Entscheidung dem Bundesgesetzgeber vorbehalten bleiben. Das Verfassungsgericht hat dazu konkret vorgegeben, dass der Bedarf an existenznotwendigen Leistungen für Menschen mit befristetem Aufenthaltsrecht abweichend vom Regelbedarf gesetzlich bestimmt werden kann.

Das ist dann der Fall, wenn nachvollziehbar festgestellt werden kann, dass infolge eines nur kurzfristigen Aufenthalts konkrete Minderbedarfe gegenüber Hilfsempfängern mit Daueraufenthaltsrecht bestehen. Unbestreitbar ist, dass die deutlich erhöhten Leistungssätze auch einen Anreiz darstellen, das Asylrecht für wirtschaftliche Vorteile zu nutzen. Das zeigt sich gerade bei den Zugangszahlen aus Serbien und Mazedonien, die nach Verkündigung des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes deutlich in der Bundesrepublik Deutschland angestiegen sind.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Überall in Europa.)

Das wird durch die verschwindend geringe Anerkennungsquote für Asylbewerber aus diesem Bereich auch belegt. Hier könnte es gegebenenfalls – ich betone ausdrücklich, gegebenenfalls – auch weiterhin möglich sein, durch die Gewährung von Sachleistungen den ausschließlich wirtschaftlich motivierten Zugängen den Anreiz zu nehmen. Zumindest muss diese Option dem Bundesgesetzgeber vorbehalten bleiben.

Ich spreche mich deshalb hier gegen die Unterstützung – und wenn ich „ich“ sage, dann sage ich das von meiner Seite und der Fraktion aus – der Bundesratsinitiative aus. Natürlich kann man dieses auch anders bewerten. Das ist vollkommen unstrittig. Insofern gibt es eine Bundesratsinitiative, wo man so und so eine Betrachtungsweise hat. Die Gründe, aus denen meine Fraktion und ich das nicht tun, habe ich Ihnen hier mitgeteilt. Die Festlegung der Position der Landesregierung in Gänze erfolgt wie eingangs erwähnt zu Beginn der nächsten Woche. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion der CDU)

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Tegtmeier von der SPD-Fraktion.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Na, Frau Tegtmeier.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben für diesen Tagesordnungspunkt einen sehr zeitaufwendigen Redeblock festgelegt. Für mich sind dabei 30 Minuten rausgesprungen.

(Stefan Köster, NPD: Bitte nein!)

Das liegt daran, dass wir es gleich wieder erleben werden, dass die Fraktion, die diesen Redeblock beantragt hat, sich hier lang und breit ausländerfeindlich und menschenverachtend äußern wird. Das werden wir erleben, aber das sind wir ja gewohnt.

Da ich so viel Zeit habe, möchte ich auch noch mal kurz darauf eingehen, warum wir hier über eine Verordnung reden, wie sie überhaupt zustande gekommen ist und warum sie zustande gekommen ist. Die Zahl der Asylsuchenden in Deutschland erreichte 1992 mit über 400.000 – über 440.000 sogar – ihren Höhepunkt. Gleichzeitig betrug die Anerkennungsquote aber nur noch 4,3 Prozent.

Seit den frühen 1980er-Jahren waren die Ausländer und besonders die Asylpolitik bestimmende negativ besetzte Themen im politischen Diskurs. CDU und CSU griffen das emotionsgeladene Thema auf und führten ab 1986 geradezu eine Kampagne gegen Asylbetrug durch Wirtschaftsflüchtlinge. Die rechtsradikalen Parteien der damaligen Zeit, die Republikaner und die DVU, profitierten ab 1989 von der Radikalisierung und Emotionalisierung des Themas, nachdem es bereits ab 1986 verstärkt zu Überfällen von Neonazis auf Ausländer gekommen war.

Sie zogen mit fremdenfeindlichen Parolen in mehrere Landesparlamente ein. SPD, FDP und GRÜNE der damaligen Zeit wehrten sich jedoch gegen die Einschränkung des Grundrechts auf politisches Asyl. Der bayerische Innenminister – damals Edmund Stoiber – drohte wiederum das Ende der Einheit der Union für den Fall an, dass die CDU in der Asylrechtsfrage auf den Kurs von FDP und SPD einschwenke.

Nach der Wiedervereinigung verschärfte die Union die Asylkampagne und die Debatte entwickelte sich mitgetragen von führenden Zeitungen, ich möchte da nur mal die „Bild-Zeitung“ erwähnen,

(Peter Ritter, DIE LINKE: Bei Lichtenhagen vor allen Dingen.)

die da immer eine sehr gute Rolle gespielt hat, zu einer der schärfsten polemischsten und folgenreichsten Auseinandersetzungen der deutschen Nachkriegsgeschichte.

Und was passierte in Wendezeiten? Wir haben uns hier neulich gerade über 20 Jahre Lichtenhagen ausgetauscht, was praktisch der Gipfel der ganzen Entwicklung war. Nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs und insbesondere wegen des Bürgerkrieges seinerzeit in Jugoslawien stiegen die Flüchtlingszahlen stark an und gleichzeitig zeigten sich erste deutliche wirtschaftliche und soziale Probleme der Wiedervereinigung, was natürlich zu Frustrationen führte, also ein Nährboden zum Feuerlegen, sage ich da nur.

Hat es 1989/90 ein allgemeines Verständnis für die Flüchtlinge aus Osteuropa gegeben, so schlug die Stimmung 1990/91 plötzlich, aber erwartet um. Und so zeigte es sich in Umfragen, dass zunächst eher die Aussiedler aus dem Osten, die zahlenmäßig überwogen, als Belastung empfunden wurden. Durch die öffentliche Debatte wurde dieser Missklang auf die Asylbewerber fokussiert.

Die Medien verbreiteten eine panikartige Stimmung. Zwischen 1991 und 1993 wurden die Themen „Asyl“ und „Ausländer“ weit vor der deutschen Vereinigung und der Arbeitslosigkeit in Umfragen als die dringendsten Probleme angegeben. Also seit der Wende, besonders aber seit dem Sommer 1991 erreicht hier in Deutschland fremdenfeindlich motivierte Gewalt eine neue Dimension.

Eine Schlüsselstellung kommt dabei sicherlich den Ausschreitungen im sächsischen Hoyerswerda zwischen dem 17. und 23. September 1991 zu. Da wurde der Auftakt zu einer Serie von Nachahmungstaten markiert. Überwiegend in Ostdeutschland überfielen Gruppen von bis zu 200 Skinheads und rechtsgerichteten Jugendlichen in der Folge vor allem Asylbewerberheime und benutzten bei den teilweise mehrtägigen Auseinandersetzungen auch Schusswaffen und Brandsätze. In Westdeutschland kam es ebenfalls zu zahlreichen Überfällen, die allerdings meist von kleineren Tätergruppen verübt wurden. Eine Ausnahme bildeten die tagelangen Übergriffe von einigen Hundert Anwohnern in MannheimSchönau im Mai 1992 auf ein Flüchtlingsheim.

In Mecklenburg-Vorpommern wurden im Verlauf des Jahres 1992 insgesamt 207 rechtsextremistisch moti- vierte Gewalttaten registriert. Unter anderem wurde bei einem Angriff in Saal am 15. März 1992 ein 18-jähriger Rumäne erschlagen. Auch in Rostock waren gewaltsame Angriffe auf Ausländer leider an der Tagesordnung. Gegipfelt hat das Ganze, wie ich vorhin schon erwähnt habe, 1992 in Lichtenhagen.

(David Petereit, NPD: Kommen Sie mal zum Thema zurück!)

Und ich kann in der Auswertung nur sagen, dass dort kein Mensch ums Leben gekommen ist, ist ein reines Glück. Insgesamt gezählt seit 1990 bis Mai 2011 sind allein die registrierten Todesopfer von rechten Gewalttaten mit 182 beziffert –

(Stefan Köster, NPD: Auch so eine Lüge.)

mit 182, und da wundert man sich über das, was man über den NSU zurzeit erfährt.

(Stefan Köster, NPD: Wie viele Deutsche sind denn von Ausländern ermordet worden?)

Die Gewaltexzesse wurden von allen politischen Parteien scharf verurteilt. Es gab aber deutliche Unterschiede in der Bewertung des Ausmaßes und der Ursachen für die Ausschreitungen sowie hinsichtlich der daraus zu ziehenden Schlüsse. Die Diskussion um die Ursachen wurde noch während der Ausschreitungen mit der Asylrechtsdebatte verknüpft.

Bundesinnenminister Rudolf Seiters forderte damals auf einer Pressekonferenz in Rostock am 24. August 1992, der Staat müsse nun handeln. Dabei richtete er allerdings sein Augenmerk nicht auf die Gewalttäter, sondern auf die Asylsuchenden.

(Zurufe von Peter Ritter, DIE LINKE, und David Petereit, NPD)

Wir müssen handeln gegen den Missbrauch des Asylrechts, der dazu geführt hat, dass wir einen unkontrollierten Zustrom in unserem Land bekommen. Ich hoffe, dass

die letzten Beschlüsse der SPD, sich an einer Grundgesetzänderung zu beteiligen, endlich den Weg frei machen. Und unser damaliger Ministerpräsident Berndt Seite verlas wenige Tage später eine Stellungnahme, die sehr den Aussagen des Bundesinnenministers glich. Er sagte, die Vorfälle der vergangenen Tage machen deutlich, dass eine Ergänzung des Asylrechts dringend erforderlich ist, weil die Bevölkerung durch den ungebremsten Zustrom von Asylanten überfordert wird. Zwei Wochen nach den Ausschreitungen – und nun kommts – erklärte Justizminister Herbert Helmrich gar, wir brauchen eine neue Mauer, denn das, was uns überschwemmen wird, geht bis in die Türkei.

Also aus heutiger Sicht kann ich nur sagen, peinlicher geht es kaum noch. Und die aktuelle...

(Peter Ritter, DIE LINKE: Herr Friedrich erzählt das Gleiche heute genauso. Wo sind denn da die Unterschiede zu heute? – Stefan Köster, NPD: Am besten, Sie nehmen die ganzen Ausländer bei sich zu Hause auf und versorgen sie.)

Das führte unter anderem dazu, dass wir 1993 das Asylbewerberleistungsgesetz erhielten, auf das ich gleich noch näher eingehen werde. Aber die derzeitige Debatte sprach der Innenminister schon an und ich muss sagen, das, was er sagte, hat mich persönlich sehr betroffen gemacht. Das erinnert mich ganz genau an diese Zeit, weil die aktuelle Debatte um die Asylsuchenden aus Serbien und Mazedonien auch wieder mit einer aus meiner Sicht pauschalen Vorverurteilung einhergeht,

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE – Peter Ritter, DIE LINKE: Jawohl.)

die nämlich das Thema „Asylmissbrauch“ in den Vordergrund stellt.

(Stefan Köster, NPD: Das ist Realität, Frau Tegtmeier. – Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nein.)

Aber wenn man mal genau hinguckt, die Situation der Roma in Serbien und Mazedonien ist äußerst prekär.

(Zuruf von Stefan Köster, NPD)

Und auch die EU-Kommission hat schon festgestellt, dass Roma in allen Balkanstaaten einer umfassenden Diskriminierung ausgesetzt sind, die sie an der Ausübung grundlegender Rechte, wie beispielsweise dem Zugang zu Bildung und Ausbildung, Gesundheitsversorgung und Arbeitsmarkt, hindert. Eine solche umfassende Diskriminierung und soziale Ausgrenzung kann durchaus zur Schutzgewährung führen.

Soweit dazu und nun zum Antrag der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Auch wenn sich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in erster Linie zur Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Grundleistungssätze geäußert hat, lassen die Hinweise des Bundesverfassungsgerichts nur den Schluss zu, dass die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes überfällig ist und die Einbeziehung der betroffenen Personengruppen in die bestehenden Leistungssysteme nach den Sozialgesetzbüchern II. und XII. Buch geeignet sind, die Bedarfe auch für die betroffenen Personenkreise zukünftig

sicherzustellen, so aus der Begründung der Entschließung des Bundesrates.

Und weiterhin kann man darin lesen, dass die gewollte Abschreckung von Asylbewerbern durch das Asylbewerberleistungsgesetz sich nicht mit Zahlen belegen lässt. Ganz im Gegenteil, dass seit Bestehen dieses Leistungsgesetzes die Zahlen im Laufe der Zeit durchaus wieder angestiegen sind, ist messbar, und das auch vor dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zu den Sätzen für Asylbewerber.