Insgesamt ist zu sagen, dass es in den vergangenen Jahren gelungen ist, die im Zweiten Landesaktionsplan beschriebenen Maßnahmen umzusetzen und den Opferschutz in Mecklenburg-Vorpommern wirklich zu verbessern. Dazu beigetragen haben sicherlich auch die Vernetzung und Verbesserung der Kooperationen. Da gibt es die regionale Kooperationsstruktur, die landesweite, aber auch die bundesweite.
Die zukünftigen Herausforderungen sind teilweise schon angeklungen. Natürlich müssen wir weiter die Flüchtlinge, Asylbewerberinnen und Asylbewerber in den Blick nehmen, ebenso die Menschen mit Behinderungen, da gibt es noch Nachholbedarfe. Es geht hier nicht nur um die Barrierefreiheit von Frauenhäusern, sondern – das sagte ich eben schon – überhaupt um das Herankommen an diese Personengruppe. Die Betroffenen von Menschenhandel und Zwangsverheiratung sind ebenfalls im Fokus, ebenso wie die Betroffenen von Stalking. Hinzu kommt die Gruppe derjenigen, die durch digitale Gewalt betroffen ist. Auch das wird immer mehr ein Thema. Außerdem will man die täterbezogenen Interventionen, also die Verantwortungsübernahme von Vätern bei häuslicher Gewalt, mehr in den Fokus nehmen. Die digitalen Angriffe sind das Aktionsfeld, was vollkommen neu aufgenommen wird.
Insgesamt bleibt aber zu bemerken, dass der Landesaktionsplan zwar zunächst ein Mittel der Landesregierung ist, einen besseren Schutz vor Gewalt im Land zu gewährleisten, aber wir sprechen von einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe. Und wenn ich noch mal an die Dunkelfeldstudie des Innenministers erinnern darf, wie
hoch da die Rate derjenigen ist, die sich trotz Betroffenheit keine Hilfe holt und diese Taten nicht anzeigt,
dann, denke ich mal, haben wir eine ganze Menge zu tun. Das betrifft nicht nur die Landesebene, das betrifft genauso gut die Bundesebene bis rauf in die EU-Ebene.
Wir selber haben die Aufgabe, denke ich mal, immer darauf aufmerksam zu machen, welche Möglichkeiten hier in Mecklenburg-Vorpommern zur Verfügung stehen, und den Menschen Mut zu machen, die Hilfsangebote anzunehmen. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Ja, aber ich muss dem Landesfrauenrat recht geben, denn eine Meisterleistung ist die Fortschreibung des Landesaktionsplans nicht.
Ich will ganz gern noch mal eine Feststellung der Debatte von heute Mittag aufgreifen: Gleichstellung ist Einstellungssache. Wenn man sieht, mit welcher Intensität an der Fortschreibung des Landesaktionsplans gearbeitet worden ist und was letztendlich als Ergebnis vorgelegt worden ist, dann muss ich sagen, auch hier ist eine mangelnde Einstellung der Landesregierung deutlich zu sehen.
(Vincent Kokert, CDU: Aber, Herr Ritter, der Gesetzgeber macht jetzt richtig Druck, das haben Sie ja gerade gehört. – Dr. Mignon Schwenke, DIE LINKE: Das ist ja bald nicht mehr auszuhalten.)
Aber eins war mir klar: Nach der Aufzählung der Erfolge, die Frau Tegtmeier hier vorgenommen hat, war abzusehen, dass Sie natürlich die Gelegenheit nutzen, um sich auf die Schulter zu klopfen und die Fortschreibung zu lobpreisen. Aber es gibt dafür überhaupt keinen Grund, und das war auch Anlass für den Landesfrauenrat, sich kritisch zu äußern.
Die Realität ist, dass die Beratungs- und Hilfeeinrichtungen in Mecklenburg-Vorpommern weiterhin mit den bisherigen finanziellen Mitteln auskommen müssen. Lediglich die Beratungsstelle für Opfer von Zwangsprostitution und Menschenhandel ZORA hat bei den letzten Haushaltsberatungen – Sie werden sich erinnern – eine geringe Aufstockung erhalten, die nur die Sachkosten finanzieren hilft. Dabei wäre eine Aufstockung der Mittel für die Finanzierung einer zusätzlichen Stelle
angesichts der Zunahme der zu beratenden Zielgruppe dringend erforderlich gewesen. Auch das ist ein Kritikpunkt des Landesfrauenrates.
Die Anträge der LINKEN zur Erhöhung der Landesförderung für das Beratungs- und Hilfenetz wurden im Rahmen der Haushaltsberatungen abgelehnt. So viel zur Ernsthaftigkeit bei der Fortschreibung des Landesaktionsplans und den Erfolgen, die Frau Tegtmeier versucht hat, hier darzustellen.
Die Landeskoordinierungsstelle zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen in Mecklenburg-Vorpommern, kurz CORA, hat dem Sozialausschuss des Landtages Zahlen zur Verfügung gestellt. Danach sind die Zuwendungen des Landes für die Personalkosten im Hilfenetz bei häuslicher und sexualisierter Gewalt in den letzten elf Jahren lediglich um 5,3 Prozent gestiegen. Der Wille der Landesregierung, den Opferschutz voranzubringen, ist also nur halbherzig, denn er spiegelt sich überhaupt nicht im Landeshaushalt wider. Das gehört leider zu den Tatsachen, Frau Tegtmeier. Die angeblichen Ansprüche an ein gutes Schutz-, Beratungs- und Hilfenetz in MecklenburgVorpommern bleiben auch mit Fortschreibung dieses Aktionsplans eine leere Worthülse. Die Landesregierung muss sich nicht nur für eine auskömmliche Finanzierung einsetzen, sondern auch Maßnahmen einleiten, um tatsächlich weitaus mehr Betroffene zu ermutigen, sich an das Hilfesystem zu wenden.
In einer Pressemeldung von Innenminister Lorenz Caffier vom Dezember 2015 zur Kriminalitätslage in Mecklenburg-Vorpommern heißt es, dass, ich zitiere, „die Häusliche Gewalt … künftig noch stärker in den Fokus gerückt werden und bei der Ausrichtung und Schwerpunktsetzung von präventiven und repressiven Maßnahmen der Landespolizei Berücksichtigung finden“ muss. Zitatende.
So weit, so gut, so richtig. In den Deliktsberichten zu häuslicher und sexualisierter Gewalt liegt das ermittelte Dunkelfeld bei über 90 Prozent, das heißt, wir erreichen derzeit nur knapp zehn Prozent der von Gewalt Betroffenen. Dann kann sich doch die Ministerin nicht zufriedengeben mit der Fortschreibung des Dritten Aktionsplans. Da muss man die Kritik des Landesfrauenrates schon mal ernst nehmen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Auch und gerade weil die Zahl der Betroffenen, die sich tatsächlich ans Licht wagen, zwar von 2005 bis 2014 insgesamt um ein Drittel angestiegen ist – diese ist seit wenigen Jahren jedoch konstant –, muss doch gerade hier angesetzt werden. Es müssen mehr Menschen ermutigt werden, sich an die Hilfeeinrichtungen zu wenden. So ist die Kritik des Landesfrauenrates eben auch ein
Hilfesuchen. Das können wir nicht einfach vom Tisch wischen und sagen, oh, die Kritik vom Landesfrauenrat hat mich jetzt aber getroffen, die Situation ist doch eine ganz andere.
Nein, der Landesfrauenrat hat recht, denn das Hilfesystem muss natürlich gezielt auf die verschiedenen Problemgruppen ausgerichtet werden. Niemand soll im Stillen weiterleiden müssen, egal ob Frau oder Mann, junger Erwachsener oder Senior, Inländer oder Ausländer, gehandicapt oder nicht. Die Landesregierung muss den dringend erforderlichen Ausbau des Hilfesystems auch in Richtung der Belange spezieller Problemgruppen endlich angehen. Davon ist in der Fortschreibung nichts zu lesen. Stattdessen wird in Stillstand verharrt, sich mit Bestehendem zufriedengegeben und dann wird auch noch versucht, das Ganze schönzureden.
Die anhaltend geringe Zahl der Betroffenen, die tatsächlich den Weg zu den Hilfe- und Beratungseinrichtungen findet, macht deutlich, dass der Zugang mit zu hohen Hürden versehen ist. Wir brauchen einen niedrigschwelligen Zugang. Die Schutz- und Hilfeeinrichtungen müssen tatsächlich für alle Betroffenen zugänglich sein. Der Zugang zu Frauenhäusern muss uneingeschränkt für alle Frauen, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus, von einer Behinderung, einer psychischen Erkrankung oder auch von Suchtproblemen möglich sein. Die Thematik der häuslichen Gewalt in der Pflege muss stärker in den Fokus rücken – also genug Aufgaben. Personell muss aufgestockt werden, dringend auch bei den Interventionsstellen bei der Polizei gegen häusliche Gewalt und Stalking. Die Polizeieinsätze bei häuslicher Gewalt haben sich in den vergangenen zehn Jahren nahezu verdoppelt. Noch sind die meisten Einrichtungen im Land nicht barrierefrei, und es gibt keine speziellen Hilfeeinrichtungen für Männer, die Opfer von häuslicher oder sexualisierter Gewalt sind.
Der Landesaktionsplan, der nun endlich seit über zehn Jahren fortgeschrieben wurde, liefert ein differenziertes Bild von der gegenwärtigen Situation, ja, den Problemgruppen und den neuen Herausforderungen, die es zu meistern gilt. Mit all diesen Erkenntnissen muss aber die Landesregierung nun praktisch umgehen, sie muss Rahmenbedingungen schaffen und für eine verlässliche Finanzierung sorgen.
Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man sich das alles vor Augen führt und auch die Kritik des Landesfrauenrates hernimmt, dann kann man sich ob des Umgangs des Landtages mit der Petition zum Opferschutz nur schämen. In der aktuellsten Meldung der Petenten heißt es zum Umgang mit dieser Petition – leider ist der Ausschussvorsitzende nicht mehr hier –, ich zitiere: „Faktisch wurde damit das Anliegen, den bedarfsgerechten Zugang zu Hilfe und Beratung für alle Betroffenen sichern, von der Regierung ignoriert. Auch im aktuellen Landeshaushalt … sowie im 3. Landesaktionsplan … wurden die Mehrbedarfe mit keinem Cent berücksichtigt.“ Zitatende. Das ist die aktuelle Situation. Ich meine, die Kritik an der Fortschreibung des Landesaktionsplans ist damit mehr als gerechtfertigt. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Bevor ich mit meiner Rede beginne, gestatten Sie mir eine Vorbemerkung.
Herr Ritter, ich finde, es ist schon ein starkes Stück, wenn Sie meinen Mitarbeiterinnen aus dem zuständigen Bereich unterstellen, sie hätten in dieser Frage nicht die entsprechende Einstellung. Eine Mitarbeiterin von mir ist heute hier und verfolgt die Debatte. Ich möchte gerne ein Wort an meine Mitarbeiterinnen richten. Ich finde, sie machen eine sehr gute Arbeit und treten insbesondere für die Belange von Frauen und Gleichstellung sehr intensiv ein. Und ich kann Ihnen versichern, die Einstellungsfrage kann ich bei diesen Mitarbeiterinnen überhaupt nicht stellen. Das möchte ich gern hier klarstellen.
(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU und Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Peter Ritter, DIE LINKE: Na, die Mitarbeiterinnen sicherlich nicht, Frau Ministerin.)
Häusliche und sexualisierte Gewalt entziehen sich meist den Blicken Dritter und erst recht denen der Öffentlichkeit. Um das nicht Offensichtliche zu sehen, bedarf es deshalb besonderer Aufmerksamkeit und Wachsamkeit, denn die Betroffenen brauchen Schutz, Beistand und Intervention. Wir reden hier über einen Landesaktionsplan, der richtig und wichtig ist, der in der Tat fortgeschrieben worden ist und wichtige Informationen enthält. Aber wir dürfen nicht verkennen, dass wir hier auch über Menschen reden, denen Schlimmes widerfahren ist. Denn gerade, wenn in der Häuslichkeit Gewalt ausgeübt wird, dann ist das etwas, was wir nicht tolerieren dürfen und wo wir entschieden entgegentreten müssen. Ich denke, das muss doch eigentlich der Kernpunkt unserer Debatte sein.
Was tun wir nun also in unserem Dritten Landesaktionsplan zur Bekämpfung von häuslicher und sexualisierter Gewalt? Wir definieren und analysieren: Wer sind die Betroffenen? Was tun wir für sie? Damit befassen wir uns sehr intensiv. Und es handelt sich in der Tat um eine Fortschreibung, das heißt, dieses Dokument ist nicht im luftleeren Raum entstanden, sondern fußt auf der Basis zweier Vorläufer und den Erfahrungen, die wir damit gemacht haben. Dazu gehört, dass sich seit dem 2. LAP einiges für einen besseren Betroffenenschutz getan hat. Und ich finde, das müssen wir mal zur Kenntnis nehmen.
Ich bin Frau Tegtmeier sehr dankbar, dass sie das auch sehr ausführlich getan hat. Denn in den Interventionsstellen gegen häusliche Gewalt und Stalking arbeiten zusätzlich Kinder- und Jugendberaterinnen, das heißt also, wir nehmen deutlicher die Kinder und Jugendlichen in den Fokus. Und jeder, der sich mit der Thematik „häusliche Gewalt“ auseinandergesetzt hat, weiß, dass neben den entsprechenden Frauen und gegebenenfalls auch Männern am meisten die Kinder leiden. Insofern müssen wir darauf einen deutlicheren Fokus richten.
Es gibt auch jährliche interdisziplinäre Erfahrungsaustausche zwischen den zuständigen Sonderdezernaten, der Staatsanwaltschaft, den Polizeiinspektionen und den fünf Interventionsstellen im Land. Ich finde, das ist ganz wichtig und richtig. Als ich noch bei der Polizei tätig war, haben wir damit begonnen,