... habe ich mir die Situation vorgestellt, wir hätten hier eine andere Rollenverteilung. Die CDU wäre in der Opposition,
(Heiterkeit bei Dr. Mignon Schwenke, DIE LINKE – Peter Ritter, DIE LINKE: Das wäre ein Spaß! – Zuruf von Barbara Borchardt, DIE LINKE)
DIE LINKE würde die Justizministerin stellen und die Law-and-Order-Partei CDU würde sagen: Ach, wir stellen uns vor die linke Justizministerin, weil man kann einfach nichts machen an der Situation.
(allgemeine Unruhe – Heiterkeit vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU – Torsten Renz, CDU: Herr Suhr, ich glaube, die Fantasie geht mit Ihnen durch!)
Die Fantasie ist in der Tat mit mir durchgegangen. Herr Renz, vielen Dank, für das Stichwort. Das kann ich mir in der Tat nicht vorstellen. Ich kann mir in der Tat nicht vorstellen, dass so was passieren würde.
Dass die Opposition jetzt in Form der LINKEN dieses Thema zum Gegenstand im Landtag macht, ist doch sehr selbstverständlich, genauso, wie es in Brandenburg selbstverständlich ist.
(Torsten Renz, CDU: Ja, ist denn das seriöse Politik? – Heiterkeit bei Dr. Mignon Schwenke, DIE LINKE: Wem sagen Sie das jetzt?! Wem sagen Sie das jetzt?!)
Also, meine Damen und Herren, bitte! Das, was wir im Justizausschuss lange und breit diskutiert haben – und man kann dem ja durchaus folgen, was Frau Kuder gesagt hat, ich gehe darauf gleich noch mal ein bisschen detaillierter ein –, ist nichts anderes als ein Offenbarungseid derjenigen, die daran beteiligt sind, weil es im Ergebnis heißt: Wir haben zutiefst strukturelle Probleme, das kann alles jederzeit wieder passieren, wir können einfach nichts daran machen, also geht es weiter so.
Jetzt kann man hergehen und sagen, der Vorschlag der LINKEN ist ungeeignet, Personal und so weiter, aber es ist zumindest ein Vorschlag und nicht die Aussage, na ja, lass es einfach weiter so passieren, wie es ist.
Ich fand etwas sehr bemerkenswert: Unmittelbar nach dem Justizausschuss hatten wir zwei Tage später eine Berichterstattung im „Nordkurier“, Überschrift: „Schon wieder Frist verpasst: Krimineller auf freiem Fuß“. Der Kollege Uwe Reißenweber hat das in seinem Text, finde ich, sehr gut beschrieben, was eigentlich das Kernproblem ist. Ich zitiere: „Wieder musste in MV ein mutmaßlicher Straftäter aus der Untersuchungshaft entlassen werden, weil sein Prozess nicht rechtzeitig beginnen konnte. Die Fälle häufen sich und das wirft nicht unbedingt ein gutes Licht auf die Justiz.“
Das ist das Kernproblem. Die Landesregierung und auch die Koalition haben hier bisher noch keinen Ansatz für eine Lösung in irgendeiner Form präsentiert. Das, was Sie hier gesagt haben, ist: Wir nehmen es hin. So ist die Situation.
(Manfred Dachner, SPD: Das ist doch Unsinn! Wenn einer einen Fehler macht, muss doch nicht der ganze Apparat umgestellt werden!)
Herr Dachner sagt, wenn einer einen Fehler macht, muss nicht der ganze Apparat umgestellt werden. Wenn irgendjemand in der Öffentlichkeit gesagt hätte, uns ist da ein Fehler passiert, wäre es doch gar kein Problem gewesen. Wenn das OLG aber öffentlich – in den Medien – sagt, es gibt hier ein zutiefst strukturelles Problem, dann ist es ein Fehler, mehr als ein Fehler. Dann ist es in der Tat in der Struktur begriffen. Und da stellt sich die Frage: Was kann man machen?
Die Justizministerin hat richtigerweise gesagt, es gibt die richterliche Selbstbestimmung. Natürlich müssen die Präsidien das lösen. Ich habe auch gut verstanden, in der entsprechenden Sitzung des Ausschusses zu sagen: Na ja, es gibt den ersten Schritt, es gibt eine Problematik, die kann entstehen bei sehr komplexen Fällen, Fallanhäufungen und so weiter. Dann gehe ich zum Oberlandesgericht und versuche, es auf der Ebene zu lösen. So habe ich das verstanden. Das Oberlandesgericht sieht aber keine Möglichkeit, das zu lösen. So, und dann passiert das. Das wird in Zukunft, solange dieses strukturelle Problem nicht gelöst ist, auch weiter passieren.
Es gibt zwei Varianten für meine Begriffe. Diese beiden Varianten haben wir im Rechtsausschuss übrigens auch diskutiert. Die erste Variante: Ich muss – das ist die einzige Stellschraube, so habe ich es verstanden, des Justizministeriums – Personal hineinpacken, um das zu lösen. Das ist der Vorschlag der LINKEN.
Die zweite Variante: Ich muss zumindest das Gespräch suchen, um zu begreifen, ohne Einfluss zu nehmen, was ist denn das zutiefst strukturelle Problem, um zu gucken, wie kann ich da möglicherweise beraten.
Ich kann nicht hergehen und sagen, ich gucke weiter zu, weil wenn ich ein strukturelles Problem habe, dann wird sich aufgrund dieses strukturellen Problems eine solche Situation wiederholen – das ist logisch –, wenn ich es nicht abstelle.
Ich hätte hier heute erwartet, nachdem viel Zeit war zwischen der entsprechenden Ausschusssitzung und der
Landtagssitzung, dass möglicherweise eine Aussage gekommen wäre, wir haben die Rückmeldung aus Schwerin, wir haben uns mit den Punkten auseinandergesetzt, wir haben versucht, Lösungen zu erarbeiten in der richterlichen Selbstbestimmung. Das kann zumindest die Justizministerin hier verkünden, weil eine Verantwortung, darüber zu reden, finde ich, haben Sie an der Stelle.
Mich macht der Antrag insofern nicht ganz glücklich, Frau Borchardt, weil ich finde, wir reden hier nicht über eine funktionsfähige oder nicht funktionsfähige Justiz. Dieser letzte Punkt stört mich in der Tat. Es ist aber zumindest ein Ansatz, das hier zu thematisieren und einen Lösungsweg, so geeignet er sein mag, hier aufzuzeigen. Deshalb werden wir an der Stelle dem Antrag zustimmen. – Danke schön.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Man sollte es vielleicht nicht so verharmlosen, wenn ein mutmaßlicher Straftäter aus der Untersuchungshaft entlassen werden muss, wenn der Haftgrund noch besteht, denn in U-Haft kann ich nur jemanden geben, wenn ich a) einen dringenden Tatverdacht habe, also eine Verurteilung sehr wahrscheinlich ist, und wenn b) ein Haftgrund besteht.
Was sind denn das für Haftgründe? Haftgrund Nummer eins ist Fluchtgefahr. Nehmen wir an, ich nehme jemanden in U-Haft, weil ich als Gericht Fluchtgefahr feststelle, und dann muss ich den freilassen, obwohl die Fluchtgefahr meiner Überzeugung nach noch besteht. Dann sage ich dem also, du möchtest flüchten, wunderbar, die Gelegenheit geben wir dir jetzt, viel Spaß, hier ist das Billigticket, hier sind die guten Ratschläge für die Flucht ins Ausland. So sieht es doch aus.
Der zweite Haftgrund wäre Verdunkelungsgefahr, das heißt, man geht davon aus als Gericht, dass der Betreffende Beweise unterdrücken oder Zeugen einschüchtern möchte und irgendwie die Ermittlung behindern möchte. Deswegen nimmt man den in U-Haft. Wenn ich der Meinung bin, dass dieser Haftgrund immer noch besteht, und ihn trotzdem freilasse, dann sage ich, viel Erfolg beim Beweise-Verschwinden-Lassen, viel Erfolg beim Zeugeneinschüchtern und Unterdrücken, und dann vereitle ich auch das Hauptverfahren, das vielleicht noch irgendwann ansteht. Es wurde hier gesagt, ja, da kommt das Hauptverfahren noch. Wenn ich den aber erst schön verdunkeln lasse, kann ich das Hauptverfahren vergessen.
Der tollste Haftgrund ist natürlich die Wiederholungsgefahr, wenn ich also jemanden freilassen muss, den ich eingesperrt habe, obwohl er noch nicht verurteilt ist. Das ist auch eine schwerwiegende Sache, die man sich überlegen muss, wenn ich jemanden eingesperrt habe, weil ich der Überzeugung bin, dass er weitere Straftaten begehen wird. Wiederholungsgefahr! Ich lasse den trotzdem frei und sage, so, viel Spaß, mach mal weiter, vielleicht erwische ich dich irgendwann und kann dich wieder in U-Haft geben.
Da gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder ich nehme das alles hin und lasse die flüchten, verdunkeln und Straftaten
wiederholen oder ich drücke das Ganze der Polizei aufs Auge und sage, hier, schickt mal ein Überwachungsteam los und hindert die an ihrem Tun. Dann habe ich allerdings den Personalmangel von der Justiz verlagert auf die Polizei.
Die Frage ist nun: Woran liegt das? Die erste Möglichkeit, die angesprochen war, Einzelfall, Einzelversagen, kann passieren in jedem Apparat. Da muss ich aber dann benennen, wer hat versagt und wie.
Zweitens: Strukturelles Problem – was könnte das sein? Die Art und Weise, wie die Justiz im Augenblick die Strafjustiz organisiert in Mecklenburg-Vorpommern, erinnert vom Grundsatz her so ein bisschen an das Just-in-TimePrinzip in manchen Zweigen der Industrie. „Just in Time“ heißt, ich gehe von einem Idealzustand aus, wo alles punktgenau geliefert wird. Deswegen brauche ich auch keinen Plan B, keine Reserven, keine Vorräte, aber wenn das Geringste schiefgeht, dann funktioniert der ganze Laden nicht mehr und alle Räder stehen still.
Mir scheint es offenbar so zu sein, dass die Personalausstattung der Justiz zugespitzt und ausgerichtet ist auf einen Idealzustand, in dem eine bestimmte Anzahl von Strafverfahren nicht überschritten wird, sei es allgemein in ihrer Gesamtheit oder sei es, was die Belastung einer einzelnen Kammer betrifft oder dass eine bestimmte Anzahl von Krankheitsfällen nicht überschritten wird. Davon gehe ich einfach aus, so ein Rosarotprinzip. Und wenn es trotzdem passiert und der Idealzustand mal nicht mehr besteht, dann sage ich mit der Leichtfertigkeit, die besonders bei einer selbsternannten Law-and-Order-Partei wie der CDU hier doch wirklich sehr verblüfft: Hey, das passiert doch mal, das passiert in Brandenburg, das passiert in Hamburg und sonst wo! Lassen wir doch mal die Sexualverbrecher laufen, dagegen können wir nichts machen!
Auch da sehe ich wieder zwei Möglichkeiten: Entweder man geht das furchtbare Risiko ein, dass ein paar Richter vielleicht eine Woche lang nichts oder wenig zu tun haben, indem ich ein paar Richter über den Durst einstelle, sodass ich eine Feuerwehr habe, eine Art Taskforce, eine weitere Kammer, die dann, wenn es zu wenige Krankheitsfälle gibt und zu wenige Strafverfahren – in Anführungsstrichen –, eine Woche Weiterbildung machen müssen oder Ähnliches, oder ich riskiere, wenn ich mit heißer Nadel stricken will, dass, wenn der Personalbestand so knapp ist, immer wieder mal solche Fälle passieren und ich die schlimmsten mutmaßlichen Verbrecher laufen lassen muss, weil ich keine Lust habe, weitere Leute einzustellen. Und da sind wir in der Tat bei der Haushaltsproblematik. Der heiligen Kuh des ausgeglichenen Haushalts wird hier alles geopfert, auch die Sicherheit der Bürger, neben der Ausstattung der Kommunen. Ob das der große Wahlschlager wird, den Sie sich erhoffen, das wage ich zu bezweifeln.
Zunächst, Frau Drese, ich finde es schon sehr interessant: Rot-Rot in Brandenburg bringt ein Integrationsgesetz auf den Weg, Sie verweigern sich hier. Da wird
nichts davon gesagt, dass wir es gemeinsam gemacht haben. Rot-Rot in Brandenburg und Ihr rechtspolitischer Sprecher haben sich ebenso gegen den Antrag der CDU ausgesprochen. Auch darüber wird nichts gesagt.
Sei es, wie es sei. Ich denke, und davon bin ich fest überzeugt, gerade weil es in der Bundesrepublik Deutschland diesbezüglich mehr Fälle gibt als das, was hier in Mecklenburg-Vorpommern passiert, müssen wir uns ernsthaft die Frage stellen: Woran liegt denn das?