Protocol of the Session on January 28, 2016

Alle diese Prozesse sind nicht vorhersehbar und es ist daher gar nicht möglich, die Strafgesetze so zu fassen, dass sie nicht verändert werden müssen und dennoch stets angemessen sind. Es ist gerade Aufgabe der Politik, auf solche Entwicklungen in der Gesellschaft zu reagieren. Nur so kann dauerhaft ein geordnetes Zusammenleben gewährleistet werden. Würden wir auf gesellschaftliche Entwicklungen auch im Strafrecht nicht angemessen reagieren oder reagieren können, wären die Folgen fatal und ein Vertrauensverlust der Bevölkerung zwangsläufig. Noch mehr Menschen würden sich entpolitisieren oder gar extremisieren. Die Opfer würden sich alleingelassen fühlen.

Im Übrigen haben Sie die gesellschaftliche Entwicklung doch gerade für eine Änderung der Verfassung herangezogen. Warum das nicht auch für das Strafrecht gelten soll, das bleibt Ihr Geheimnis. Und da ist auch die Anpassung des Strafrahmens in den Blick zu nehmen. Dieser muss so ausgestaltet sein, dass die Gerichte jederzeit und in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände angemessen reagieren, also eine tat- und schuldangemessene Strafe verhängen können. Es muss also möglich bleiben, in geeigneten, geboten erscheinenden Fällen – und nur davon rede ich – auch eine Strafverschärfung vorzusehen.

Die Landesregierung wird daher auch weiterhin, so, wie sie es bisher getan hat, Forderungen nach Strafverschärfungen in den Bundesrat einbringen und dort unterstützen, wo eine deutliche Reaktion der Politik notwendig ist, um ein unmissverständliches Signal zu setzen. Die Landesregierung hat dabei in der Vergangenheit jeweils wohlüberlegt und abgewogen gehandelt, keineswegs aktionistisch.

Ich gehe als Beispiel gern auf die von Ihnen erwähnte Initiative zur Verbesserung des Schutzes von Repräsentanten des staatlichen Gewaltmonopols zur Novellierung des Paragrafen 113 StGB ein. Es war die Vielzahl von Ereignissen mit deutlich zunehmender Gewalt gegen eine größer gewordene Gruppe von Personen in vielfältigen Situationen, die zu diesem Vorschlag geführt hat. Erst auf Grundlage dieser Entwicklung und nicht etwa nur wegen eines Einzelfalles habe ich mich zu der Initiative entschlossen. Und dass es eine solche signifikante Zunahme von Handlungen gegen staatliche Repräsentanten gegeben hat, wird durch diverse seriöse Statistiken und Untersuchungen belegt.

Sie haben es eben erwähnt, leider hat der Vorschlag auf der Justizministerkonferenz keine Mehrheit gefunden. Spätestens nach den Ereignissen in der Silvesternacht – nicht nur in Köln, sondern auch in anderen Städten – glaube ich, dass einige von denen, die den Vorschlag damals kritisiert haben, dies inzwischen anders sehen, denn in der Silvesternacht sind nicht nur Frauen sexuell bedrängt und angegriffen worden,

(Udo Pastörs, NPD: Ausgeraubt!)

auch das gegenüber den Einsatzkräften gezeigte Verhalten war absolut inakzeptabel.

(Tino Müller, NPD: Wie viele Täter wurden gefasst?)

Dass Mecklenburg-Vorpommern auch im Bereich des Strafrechts besonnen vorgeht, zeigen darüber hinaus die von hier aus eingebrachten und unterstützten erfolgreichen Gesetzgebungsinitiativen. Ich verweise nur auf die von mir seit 2007 erhobene Forderung nach einer ausdrücklichen Aufnahme von rassistischen, fremdenfeindlichen oder sonstigen menschenverachtenden Beweggründen und Zielen des Täters in den Paragrafen 46 des Strafgesetzbuches als strafschärfendes Zumessungskriterium. Es war ein langer Weg und bedurfte leider erst der Aufdeckung der Taten des NSU, bis 2015 eine entsprechende Gesetzesänderung endlich in Kraft getreten ist. Dass diese strafschärfenden Beweggründe so be- deutend sind, dass sie zu Recht ausdrückliche Aufnahme in das Strafgesetzbuch gefunden haben, wollen Sie doch nicht ernsthaft in Abrede stellen?!

Und wir blicken auch nicht nur auf Strafverschärfungen, wir haben auch die gesellschaftliche Entwicklung im Blick, wenn sich strafwürdiges, aber bislang strafloses Verhalten zeigt, denn die Fragen nach der grundsätzlichen Strafwürdigkeit eines bestimmten Verhaltens und der angemessenen Bestrafung gehen Hand in Hand. Ich nenne da allem voran unsere erfolgreiche Initiative zur Strafbarkeit von Korruption im Gesundheitswesen. Die Einführung der Paragrafen 299a und b StGB schließt diese deutlich gewordene Strafbarkeitslücke. Das Gesetzgebungsvorhaben ist auf dem Weg. Der Bundestag befasst sich aktuell mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, der in weiten Teilen unserem gemeinsam mit Hamburg schon 2013 in den Bundesrat eingebrachten und seitdem verfolgten Gesetzentwurf entspricht.

Und schließlich verweise ich auf die aktuelle Debatte über eine Verschärfung des Sexualstrafrechts. Ich fordere bereits seit dem Sommer 2014, also weit vor Köln, entsprechend der Istanbul-Konvention sämtliche sexuelle Handlungen unter Strafe zu stellen, die ohne das Einverständnis der anderen Person vorgenommen werden. Das Gleiche fordern übrigens auch – und hier rechne ich nun mit Unterstützung aus den Reihen der GRÜNEN – mein Kollege Justizsenator Dr. Steffen aus Hamburg und die GRÜNEN-Bundestagsfraktion. Entsprechend ist ja auch der Änderungsantrag der GRÜNEN.

Der aktuelle Gesetzentwurf der Bundesregierung bleibt hier leider nach wie vor deutlich hinter diesen Forderungen zurück. Ich werde aber auch dieses Ziel weiterhin konsequent verfolgen. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung verdient und erfordert diesen umfassenden Schutz.

Insgesamt, und damit komme ich zum Schluss, ist die Justizpolitik in Mecklenburg-Vorpommern, auch was die Bekämpfung der Kriminalität angeht, in all ihren Facetten gut aufgestellt und erfolgreich.

Meine Damen und Herren, eine rationale Kriminalpolitik erfordert, sich jede Problemlage genau anzusehen und dann über geeignete Maßnahmen zu entscheiden. Ihr Antrag ist aus meiner Sicht abzulehnen. – Herzlichen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion der CDU)

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Tegtmeier von der Fraktion der SPD.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Landtagsabgeordnete!

Frau Borchardt, in Teilen Ihrer Einbringungsrede hatte ich direkt nicht den Verdacht, sondern die Auffassung, dass Sie eher dazu neigen, Strafen abschaffen oder auch lieber schmälern zu wollen, weil sie sowieso vor dem Begehen von Straftaten nicht abschrecken. Und ich glaube ja, Strafen schrecken nicht immer vor Straftaten ab, aber Strafen sind für Opfer ganz wichtig.

(Vizepräsidentin Silke Gajek übernimmt den Vorsitz.)

Für Opfer sind Strafen für Straftäter sehr wichtig. Und deswegen möchte ich hier auch aus Sicht von Opfern meinen Redebeitrag halten und möchte noch einmal einen Satz sagen, den wir gestern schon oft gehört haben: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

Frau Ministerin sprach von gesellschaftlichen Veränderungen, denen wir auch unsere Straftatbestände und die Strafhöhen anpassen müssen. Ich sage aber, wir sind auch in der Bundesrepublik Deutschland, was die Rechte Einzelner angeht, noch nicht am Ende einer langen Entwicklung. Und da spreche ich dieselben Rechte für Mann und Frau an. Das wissen Sie alle, die Realität in Deutschland war: Bis 1958 konnten Männer eigentlich mit ihren Frauen machen, was sie wollten, und denen vorschreiben, was sie wollten. Da wurden Frauen gar nicht als geschäftsfähig angesehen, und erst 1997 wurde die Vergewaltigung in der Ehe überhaupt als Straftatbestand ins Strafgesetzbuch eingeführt.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Und Herr Seehofer stimmte dagegen.)

Und wenn man sich diesen Straftatbestand anschaut, die Strafhöhe anschaut und was der Bundesgerichtshof daraus folgert, wie er das auslegt, da kann man doch schon stark ins Grübeln kommen.

2006 hat der Bundesgerichtshof eine Verurteilung wegen Vergewaltigung aufgehoben. Darauf hat 2012 der Bundesgerichtshof noch mal Bezug genommen und dies wie folgt begründet: Dass „der Angeklagte der Nebenklägerin“ – also das Opfer in dem Fall – „die Kleidung vom Körper gerissen und gegen deren ausdrücklich erklärten Willen den Geschlechtsverkehr durchgeführt hat, bele- gen … nicht die Nötigung des Opfers durch Gewalt. Das Herunterreißen von Kleidung allein reicht zur Tatbestandserfüllung nicht aus …“

Der Paragraf 177 bestraft erhebliche Fälle sexueller Übergriffe. Minderschwere Fälle – beispielsweise wenn das Opfer sich missverständlich verhalten hat und eine Vergewaltigung damit womöglich provoziert hat aus Sicht der anderen – werden wenig bis gar nicht bestraft.

Auch über die Strafmaße der überhaupt nur ahndungsfähigen Straftaten kann man trefflich streiten. Zum Beispiel kann ein Exhibitionist, wenn er meint, sein Geschlechtsteil in der Gegend herumzeigen zu müssen, mit bis zu einem Jahr Freiheitsentzug bestraft werden.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Wenn aber jemand einer Frau an die Brust fasst, wie es ja auch in Köln und anderswo geschehen ist, ist das über

haupt gar nicht strafbewährt. Es ist gar nicht strafbewährt und darüber müsste man vielleicht auch mal reden. Und da hat Frau Ministerin Kuder leider auch recht, weder die Gesetzesvorlage zur Novellierung des Sexualstrafrechts noch der Antrag, der im Änderungsantrag der GRÜNEN benannt ist, ändern daran wirklich was, also nehmen weitere Straftatbestände in dieser Richtung auf. Der Täter kommt bei seiner Ersttat oft sogar mit einer Bewährungsstrafe davon. Opfer einer sexuellen Straftat haben nicht selten lebenslänglich, sie haben nämlich lebenslänglich mit den psychischen Folgen zu kämpfen.

Seit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs 2006 hat es viele Fälle gegeben, in denen die Staatsanwaltschaften und Gerichte den Vergewaltigungsparagrafen 177 entsprechend eng ausgelegt haben. Seit vielen Jahren setzen sich daher Verbände, in erster Linie jene, die eh für Frauenrechte kämpfen, für eine Reform des Paragrafen 177 ein. Ich bin froh, dass das so ist, und ich würde in diesem Fall auch die dort geforderte Strafverschärfung vollends unterstützen.

Der Antrag der LINKEN sagt ja auch aus, dass die Strafverfolgung oder der Vollzug defizitär sind. Das kann ich nur unterstreichen. Wenn man in der Opferhilfe und Opferarbeit tätig ist, erfährt man das leider sehr oft, dass Straftaten an Opfern manchmal dem Vernehmen nach tatsächlich nicht ernsthaft verfolgt werden. So habe ich es einmal erlebt, dass eine Frau von ihrem Ex vor ihrer Wohnungstür so lange gewürgt worden ist, bis Nachbarn den Täter von ihr wegrissen. Sie selber hatte Todesangst und würde Stein und Bein schwören, dass er sie töten wollte, aber letztendlich ist davon im Lauf der Verfahren eine nicht besonders schwerwiegende Körperverletzung geblieben.

Andere Opfer, die sexuell missbraucht, misshandelt, vergewaltigt wurden, sind ganz einfach nicht in der Lage, in mündlichen Aussagen das immer wieder zu wiederholen, das durchzustehen, sich das immer wieder vor Augen zu führen, und sagen deshalb irgendwann nicht mehr aus, weil sie das einfach gar nicht aushalten.

Es gibt eine interessante Veröffentlichung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. Das ist allerdings schon aus dem Jahr 2013, wenn ich mich nicht irre. „Eine bundesweite Analyse zur Strafverfolgung der Vergewaltigung zeigt einen klaren Trend: Vor 20 Jahren erlebten 21,6 Prozent der eine Anzeige erstattenden Frauen“ – und in diesem Zusammenhang weise ich nur auf die Dunkelstudie unseres Innenministeriums hin, sexuelle Straftaten werden nur zu 1,1 Prozent überhaupt angezeigt –, also vor 20 Jahren, vor der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, erlebten 21,6 Prozent der eine Anzeige erstattenden Frauen „die Verurteilung des Täters. 2012 waren es noch ganze 8,4 Prozent.“ Und in den einzelnen Bundesländern liegt der Unterschied dabei zwischen 4,1 und 24,4 Prozent. Also von diesen wenigen angezeigten Straftaten werden teilweise nicht mal 10 Prozent überhaupt geahndet.

Fälle der angezeigten Vergewaltigung haben sich auch stark in den sozialen Nahraum der betroffenen Frauen verlagert, aber das ist auch eine gesellschaftliche Entwicklung. Dadurch, dass der Straftatbestand der Vergewaltigung in der Ehe eingeführt wurde, sind natürlich immer mehr dieser Straftaten zur Anzeige gekommen.

Bei den angezeigten Sexualstraftaten ergibt sich ein enormes Beweisproblem. Die Beschuldigten, in der Re

gel Männer, geben heute meist den Geschlechtsverkehr zu und berufen sich darauf, es sei einvernehmlich erfolgt. Ich weise noch mal auf das Urteil des Bundesgerichtshofs hin. Wenn eine Frau keine Abwehrverletzungen zeigt oder nachweist, dass sie um Hilfe gerufen hat oder versucht hat zu fliehen,

(Dr. Ursula Karlowski, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Und sich nicht zu doll wehrt.)

sondern starr wird vor Schreck und Angst, ist es nicht nachweisbar, dass tatsächlich eine Vergewaltigung stattgefunden hat.

Und das finde ich für einen Rechtsstaat sehr problematisch. Es kann doch nicht sein, dass man von einer Frau, die eigentlich in der gesamten Sozialisierung darauf getrimmt wird, friedlich zu sein, Konflikte mit dem Wort, mit der Diskussion zu lösen, nun verlangt, darauf ausgerichtet zu sein, ordentlich Selbstverteidigung leisten zu können. Frau Borchardt kann das sicherlich, sie war mal Kampfsportlerin.

(allgemeine Unruhe – Heiterkeit bei Udo Pastörs, NPD)

Sie könnte sich sicherlich gut wehren. Viele Frauen haben eine Waffe dabei, von der sie nichts wissen, sie behindert sie beim Laufen, aber wenn man diese ganz hochhackigen Schuhe ausziehen würde, könnte man die vielleicht als Waffe einsetzen.

(allgemeine Unruhe)

Aber was kann schlimmstenfalls passieren? Mich greift, grabbelt irgend so ein schmieriger Typ an, oder auch nicht schmierig, ist ja ganz egal, und im reinen Reflex knalle ich dem eine, sein Nasenbein ist gebrochen, Körperverletzung. Ich kann bestraft werden, er für seine An- grabbelei nicht.

(Zuruf von Tino Müller, NPD)

Also sexuelle Belästigung in diesen Fällen hat zwar im Arbeitsrecht Konsequenzen, kann mit einer fristlosen Kündigung versehen werden, aber ein Straftatbestand ist das nicht.

Frau Ministerin hat schon angesprochen, durch die Istanbul-Konvention – die auch von Deutschland ratifiziert worden ist, allerdings mit ein paar Vorbehaltspunkten, die ich hier jetzt nicht näher auswalzen möchte, die aber sehr wichtig sind – ist die Bundesrepublik sowieso gehalten, das Sexualstrafrecht hier anzupassen, und kommt gar nicht darum herum, wenn es von dieser Ratifizierung nicht wieder runter will, was natürlich vollkommener Quatsch wäre.

Noch mal … Ach so, das hatte ich!

(Heiterkeit bei Udo Pastörs, NPD: Machen Sie Schluss!)

Es wundert mich nicht einmal, wenn angegriffene Frauen, die von sich selber eigentlich überzeugt sind, dass sie sich wehren können, wie Frau Borchardt das wahrscheinlich ist, wenn sie trotzdem in so einer konkreten Situation dazu nicht in der Lage wären, weil was einem vorher über Jahrzehnte abtrainiert war, das kann man

dann auch nicht wieder abrufen. Und ich finde es direkt perfide, dass sich Frauen dafür rechtfertigen müssen, dass sie in der Situation nicht in der Lage waren, sich zu verteidigen.

Dann möchte ich noch einmal auf diese plötzlich nach den Neujahrsbegebenheiten diskutierten „Schutzmöglichkeiten für Frauen“ eingehen. Also das halte ich nun wirklich für blinden Aktionismus und das, finde ich, geht gleich überhaupt gar nicht. Wenn man etwas von den arabischen Staaten lernen kann, dann ja das: Dort, wo die Frauen immer mehr aus dem öffentlichen Bild verschwunden sind, weil man sie immer mehr verschleiert hat, immer mehr ihre Freiheiten eingegrenzt hat, fanden umso mehr Übergriffe statt. Das zeigen einige Belege ganz klar. Das kann für uns überhaupt kein Weg sein, jetzt hier und da eine Schutzzone für Frauen einzurichten. Verdammt noch mal, in einem Rechtsstaat bin ich als Frau überall dabei und muss mich nicht in der Öffentlichkeit fürchten, auch nicht in größeren Menschenansammlungen. Das fordere ich meinem Rechtsstaat einfach ab. Und wenn dazu auch der eine oder andere Straftatbestand neu eingeführt werden muss oder aber auch eine Strafe verschärft werden muss, dann soll es eben so sein.