Protocol of the Session on January 28, 2016

Antrag der Fraktion DIE LINKE Kriminalität effektiv bekämpfen – Strafverschärfungen als Mittel der Kriminalprävention ablehnen – Drucksache 6/5072 –

Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 6/5131 –

Das Wort zur Begründung hat die Abgeordnete Frau Borchardt von der Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Egal wann was und wo etwas passiert, das die Menschen beunruhigt, sie emotional berührt, das in der Bevölkerung Ängste auslöst, versuchen Politikerinnen und Politiker, Antworten und Lösungsansätze zu geben. Das ist in Ordnung, denn dafür werden sie gewählt. Dennoch ist immer wieder auch verstärkt festzustellen, dass die Antworten in bestimmten Bereichen stets nur in eine Richtung gehen: Strafverschärfung. Ja, Strafverschärfung wird zunehmend als Allheilmittel präsentiert.

Um es gleich vorwegzunehmen: Jede Körperverletzung ist eine Straftat zu viel und muss gesellschaftlich geäch

tet werden. Dabei ist es gleich, ob das Opfer ein Polizeibeamter, eine Feuerwehrfrau, ein Rettungssanitäter, eine Lehrerin, ein Friseur oder ein Fliesenleger ist.

(Marc Reinhardt, CDU: Oder ein Feuerwehrmann. – Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Es ist aus unserer Sicht auch völlig irrelevant, wer diese Straftat begeht, ob ein deutscher Staatsbürger, ein Staatsbürger mit Migrationshintergrund, ein Flüchtling, ein Asylbewerber. Der Staat muss gegen alle Straftäter konsequent vorgehen.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Das, meine Damen und Herren, ist aber nicht zu verwechseln mit dem Ruf nach härteren Strafen. Das ist auch nicht zu verwechseln mit der Schließung von Lücken im Strafgesetzbuch, zum Beispiel durch neue Strafdelikte wie Computerkriminalität. Aber auch dazu werde ich in meiner zweiten Rede etwas sagen.

Es ist eine Tatsache, dass die Politik in der Regel – und häufig vor dem Hintergrund von in den Medien diskutier- ten Einzelfällen – Änderungen von Strafgesetzen und härtere Sanktionen ankündigt beziehungsweise durchsetzt. In Deutschland führten Änderungen von Strafgesetzen in den meisten Fällen zu einer Verschärfung der Strafen. Verantwortliche Politikerinnen und Politiker wollen damit signalisieren: Wir unternehmen etwas, um die Sicherheit vor Straftaten zu erhöhen. In Wahrheit ist das blanker Aktionismus. Und das wissen auch diejenigen, die diesen Aktionismus betreiben, denn auch sie kennen die Ergebnisse der empirischen Untersuchungen über die Rolle von Kriminalsanktionen zur Reduzierung von Straftaten. Es sind Ergebnisse, die wir hinterfragen sollten. Wir müssen Fragen stellen wie: Welche Rolle spielen Alternativen zu Freiheitsstrafen? Wie müssten Kriminalsanktionen ausgestaltet werden, damit sie möglichst Wirkungen erzielen? Worin liegen die Grenzen etwa von Haftstrafen? Welche Rolle sollten die Opfer dabei einnehmen?

Aber nein, diese Fragen werden nicht gestellt und schon gar nicht beantwortet, vielleicht aus Unkenntnis oder bewusster Missachtung, ganz bewusst aber vor dem Hintergrund eines herrschenden öffentlichen Druckes. Es sind meist einzelne schwere Straftaten, in deren Folge den Menschen suggeriert wird, mit Gesetzesverschärfungen könne das Problem gelöst, können die Ängste und Sorgen vertrieben werden. Das ist Populismus in Reinkultur. Beispiele gibt es zur Genüge.

Erinnern wir uns: Nach dem Anschlag am 11. Septem- ber 2001 wurde in Deutschland und in der Europäischen Union ein Antiterrorpaket geschnürt mit dem Ziel, den Terror in der Welt zu bekämpfen. Dieses sogenannte Antiterrorpaket war mit Strafverschärfungen und der Einschränkung persönlicher Freiheitsrechte verbunden. Deutschland hat damit europaweit die härtesten Gesetze. Wurde damit der Terror wirksam bekämpft? Die Antwort kennen wir. Oder erinnern wir uns an das Agieren des ehemaligen Ministerpräsidenten Roland Koch, der mit Versprechen von Strafverschärfungen seinen Landtagswahlkampf in Hessen bestritten hat.

Aber auch in unserem Land nehmen die Forderungen nach Strafverschärfung zu. So unternahm Frau Justizministerin Kuder im vergangenen Jahr in der Justizminister

konferenz den Vorstoß, ich zitiere, den „,Widerstandʻ gegen“ Mitarbeiterinnen und „Mitarbeiter von Arbeitsagenturen, Sozial- oder Ordnungsämtern genauso hart zu ahnden wie Attacken gegen Polizeibeamte“, Zitatende.

Mal abgesehen davon, dass sie mit diesem Vorstoß scheiterte,

(Egbert Liskow, CDU: Schade!)

stellt sich doch die Frage, warum und vor allen Dingen auf welcher Grundlage solche Forderungen erhoben werden. In diesem Fall gab es offenbar keinerlei solide Grundlage. Das konnten wir aus der Antwort der Landesregierung auf meine Kleine Anfrage deutlich erkennen. Zum einen sind die Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte nicht drastisch gestiegen und zum anderen liegen der Landesregierung auch keine Erkenntnisse darüber vor, bei wie vielen dieser Verfahren es sich um besonders schwere Fälle im Sinne von Paragraf 113 Absatz 2 StGB handelt beziehungsweise in wie vielen Fällen es zu einer Verurteilung gekommen ist.

(Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

Dazu kommt nach Einschätzung der SPD-Bundestags- fraktion, dass nach Einführung der Strafverschärfung im Jahr 2011 die Delikte gestiegen sind. Der gewünschte Erfolg blieb also aus.

Auch die Ereignisse in Köln in der Silvesternacht verstärkten in erster Linie den Ruf nach Strafverschärfung, wie ein pawlowscher Reflex. Aber darauf komme ich an anderer Stelle zurück. Wie einfach ist doch Justizpolitik und wie einfach kann sie sein! Da wird mal ganz schnell versprochen, nun endlich härter gegen Straftäter vorzugehen.

(Tino Müller, NPD: Dann müsste man sie erst mal haben.)

Die Bevölkerung wird beruhigt, man bekommt Zustimmung. Wissenschaftler sprechen in diesem Zusammenhang von einer Entwicklung hin zu einem Sicherheitsstrafrecht. Ihrer Meinung nach bewegt sich das Strafrecht, wie andere Bereiche unseres Lebens auch,

(Egbert Liskow, CDU: Im Moment haben wir eine Kuscheljustiz.)

im Spannungsverhältnis von Sicherheit und Freiheit seit geraumer Zeit hin zum Pol der Sicherheit. Aber es ist ein Trugschluss, dass mit Verschärfungen des Strafrechts zugleich Verbesserungen verbunden sind. Politiker sagen: Wir bedienen nur die Interessen der Bürgerinnen und Bürger, das ist doch demokratisch. Die Medien sagen: Wir berichten nur über das, was passiert, und drücken nur das aus, was die Bürgerinnen und Bürger wollen. Und die Bürger erwarten von den Politikern, dass sie einhalten, was sie versprechen, nämlich Sicherheit.

Deutlich wird: Die Menschen sind zunehmend verunsichert, suchen Halt und Orientierung. Strafrechtliche Verbote, harte und härtere Strafen erscheinen dann als Wegweiser. Durch die Darstellung der Medien, insbesondere auch der sogenannten sozialen Netzwerke, wächst uns das Verbrechen scheinbar über den Kopf. Eine Kriminalitätsangst wird verbreitet. Immer mehr Menschen fühlen sich als Opfer, obwohl die Kriminalstatistik

bundesweit kontinuierlich Rückgänge verzeichnet. Parallel dazu wächst der Glaube an die Effizienz des Strafrechts. Verbrecher müssen nur eingesperrt werden, möglichst für immer, alle potenziellen Täter müssen abgeschreckt werden. Dieser Entwicklung müssen wir etwas entgegensetzen.

Strafe, meine Damen und Herren, ist in erster Linie die Konsequenz auf die Verfehlung, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Sie dient nicht, wie teilweise angenommen, der Prävention. Richtig ist, mit dem Strafrecht werden Rechtsgüter benannt, die staatlicherseits geschützt werden sollen. Mit Sanktionen soll das ethische Minimum gesichert werden, aber keine moralischen Werte. Letztere müssen in den Familien, in der Gesellschaft herausgebildet werden. Für die Verbreitung von Moral ist das Strafrecht nicht zuständig, genauso wenig wie für die zunehmende Verarmung und die soziale Verunsicherung.

Hier sind andere Bereiche gefragt, wie zum Beispiel die Stärkung der Familien, gesellschaftliche Vorbilder, glaubwürdige Politik, sozialpolitische Maßnahmen, mehr Teilnahmemöglichkeiten an demokratischen Prozessen. Und, meine Damen und Herren, das Abwälzen der Verschiebung von Moral auf das Strafrecht wäre doch ein gesellschaftspolitisches Armutszeugnis, denn Strafrecht ist die autoritäre Antwort auf Konflikte und wird von oben entschieden. Ich denke, das ist einer Demokratie nicht gerade zuträglich.

Schauen wir uns die Strafgesetzgebung in Deutschland an: Die Höhe und das Ausmaß der Strafen sind ausreichend. Davon bin ich überzeugt. Wir verfügen über eine ausreichende Zahl an Strafmaßnahmen. Das Problem ist, sie werden nur zum Teil ausgeschöpft. Über Prävention wird zwar im politischen Raum geredet und sie wird auch großgeschrieben, aber sie wird nicht gelebt. Wie ist es mit der Gefahrenabwehr, der Präsenz der Polizei in der Fläche, der Verstärkung der Aufklärung von Delikten, der schnellen Strafverfolgung? Da kann man doch nur ganz kurz antworten: abgebaut, abgebaut, abgebaut und nicht verfestigt.

Und, meine Damen und Herren, begründet wird dieses alles mit dem besseren Schutz der Opfer, aber auch hier gilt, der beste Opferschutz ist Kriminalprävention, der beste Opferschutz ist und bleibt eine Resozialisierung. Fest steht doch auch: Je größer die Arbeitsbelastung zuständiger Polizeibeamter und anderer Behörden, desto größer ist vom Prinzip her auch das Begehren von Tätern,

(Egbert Liskow, CDU: Rotlicht.)

straffällig zu werden. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat die Justizministerin Frau Kuder. Bitte schön.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Feststellung in dem vorliegenden Antrag der Fraktion DIE LINKE, dass „Gewalt in jeglicher Form abzulehnen ist und konse

quent verfolgt werden muss“, das ist eine Selbstverständlichkeit.

(Egbert Liskow, CDU: Jawohl!)

Und darüber brauchen wir sicher nicht zu streiten. Welches bestehende Vollzugsdefizit insoweit allerdings beseitigt werden soll, das bleibt im Dunkeln.

Aber darum geht es Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Fraktion DIE LINKE, im Kern ja auch gar nicht. Sie wollen, dass die Landesregierung zukünftig keinerlei Initiativen ergreift oder unterstützt, die Strafverschärfungen zum Ziel haben.

(Zuruf von Marc Reinhardt, CDU)

Meine Damen und Herren von den LINKEN, dem kann ich nicht zustimmen, und das wird Sie auch nicht wundern, denn so einfach, wie Sie das darstellen, ist es nun mal nicht. Die Erklärung, dass Kriminalprävention eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, hilft da auch nicht weiter, denn die Frage bleibt, was Strafrecht und Justiz beizutragen haben. Und die Binsenweisheit aus der Vorlesung Kriminologie für Anfänger, wonach es in manchen Bereichen der Kriminalität eher auf das Entdeckungsrisiko ankommt als auf die Höhe der zu erwartenden Strafe, enthält ja nun wirklich auch keinen umfassen Ansatz.

Noch mal: So einfach ist das nicht! Natürlich hilft es nicht, immer nur schärfere Strafen zu fordern, aber das tue ich nicht und das tut auch der Innenminister nicht. Kriminalitätsbekämpfung und Kriminalprävention haben viele Facetten. Deshalb muss man sich dem Thema in seiner gesamten Breite auch stellen.

So habe ich erst jüngst einen Vorschlag zur verbesserten Aufklärung von Straftaten gemacht, und zwar im Bereich der Strafprozessordnung. Dort regelt Paragraf 98 die Möglichkeiten der Beschlagnahme von Beweismitteln. Wie die Vorkommnisse der Silvesternacht nicht nur in Köln, sondern auch in anderen Städten offenbart haben, sind diese Möglichkeiten zu eng gefasst. Nach Para- graf 98 der Strafprozessordnung sollten daher bei oftmals unübersichtlichen Ansammlungen von Tatverdächtigen potenzielle Beweismittel, wie zum Beispiel Smartphones, auch ohne vorherige richterliche Anordnung beschlagnahmt werden können. Dadurch könnten Straftaten – insbesondere wegen ihrer häufig auf Smartphones erfolgten Planung und Dokumentation – erleichtert aufgeklärt werden. Den Tätern würde so die Möglichkeit genommen, diese Beweisstücke zu unterdrücken. Insgesamt würde eine solche Regelung zu einer erleichterten und schnelleren Aufklärung von Straftaten führen.

Nun aber zum Kern Ihres Antrages, den generellen Verzicht auf Strafverschärfung. Dieser Teil ist nicht konstruktiv, sondern eher destruktiv.

(Egbert Liskow, CDU: Kontraproduktiv.)

Damit, meine Damen und Herren, würde der Landesregierung die Möglichkeit genommen werden, auf gesellschaftliche Entwicklungen umfassend und angemessen zu reagieren. Welcher Strafrahmen einer bestimmten Straftat grundsätzlich angemessen ist, hängt maßgeblich von ihrer Schwere und Bedeutung sowie den durch sie hervorgerufenen Folgen nicht nur bei den unmittelbaren Opfern ab. Diese Faktoren unterliegen aber einer stetigen gesellschaftlichen Entwicklung.

(Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

Wert- und Moralvorstellungen verschieben und verändern sich. Ebenso verändert sich die Art und Weise der Begehung von Straftaten. Dadurch wiederum entstehen auch andere Folgen.

Alle diese Prozesse sind nicht vorhersehbar und es ist daher gar nicht möglich, die Strafgesetze so zu fassen, dass sie nicht verändert werden müssen und dennoch stets angemessen sind. Es ist gerade Aufgabe der Politik, auf solche Entwicklungen in der Gesellschaft zu reagieren. Nur so kann dauerhaft ein geordnetes Zusammenleben gewährleistet werden. Würden wir auf gesellschaftliche Entwicklungen auch im Strafrecht nicht angemessen reagieren oder reagieren können, wären die Folgen fatal und ein Vertrauensverlust der Bevölkerung zwangsläufig. Noch mehr Menschen würden sich entpolitisieren oder gar extremisieren. Die Opfer würden sich alleingelassen fühlen.