Der Begriff „minderjährige unbegleitete Flüchtlinge“ und noch mehr die Abkürzung UMA, also unbegleitete minderjährige Ausländer, klingt so abstrakt und bürokratisch, dass man sich immer wieder vergegenwärtigen sollte, welche Schicksale dahinter stehen: Krieg, Terror, Entführung, Vergewaltigung, zerschossene Häuser, getötete Angehörige. Um sie zu retten, schicken manche Familien ihre Kinder alleine los nach Europa, andere werden auf der gemeinsamen Flucht auseinandergerissen. Wir alle hier können wohl kaum ermessen, was man durchgemacht haben muss, um das Risiko einer solchen Flucht auf sich zu nehmen oder sein Kind auf diesen Weg zu schicken. Ich selber habe mir mehrere Einrichtungen der Jugendhilfe angeschaut, wo unbegleitete minderjährige Ausländer untergebracht waren. Ich fand das schon sehr erschütternd, wenn von den Schicksalen berichtet worden ist.
Im Strom derer auf der Suche nach Schutz sind die Minderjährigen eine Gruppe, die besonderen Schutzes bedarf. Der Umgang mit ihr ist aufgrund nationaler und internationaler Bestimmungen mit gesonderten Anforderungen verbunden. Hier in Deutschland werden zurzeit Verfahren und Zuständigkeiten innerhalb der gesetzlichen Regelungen im Kinder- und Jugendhilferecht verändert. Lassen Sie mich kurz die gegenwärtige Praxis darlegen:
Reisen unbegleitete Minderjährige in die Bundesrepublik ein, werden sie vom örtlichen Jugendamt in Obhut genommen. Obhut heißt, das Jugendamt kümmert sich um Unterbringung, Versorgung und Betreuung. Über das Clearingverfahren wird dann in Erfahrung gebracht, ob es in Deutschland oder einem anderen EU-Staat Angehörige gibt und ob ein Asylantrag gestellt werden sollte.
Hier in Mecklenburg-Vorpommern ist es seit einem Jahr gute Praxis für den Landkreis Ludwigslust-Parchim, der sich mit den minderjährigen Flüchtlingen maßgeblich befasste. Weil diese aber inzwischen nicht mehr nur in der Erstaufnahmeeinrichtung, sondern auch in den Außenstellen und Notunterkünften ankommen, mehren sich auch bei anderen Jugendämtern die Inobhutnahmen. Was in diesem Jahr passiert ist, lässt sich an wenigen Zahlen erst mal ablesen: Zum Stichtag am 31. Januar wurden in Mecklenburg-Vorpommern 44 unbegleitete minderjährige Ausländer gezählt, am 30. September waren es dann 405, davon allein im Landkreis Ludwigslust-Parchim 181.
Gemessen an anderen Bundesländern haben wir es mit verhältnismäßig kleinen Zahlen zu tun, dennoch ist es landesweit etwa eine Verzehnfachung. Allein diese Steigerung stellt die öffentlichen und freien Träger der Jugendhilfe vor große Herausforderungen. Mit der geplanten Änderung des SGB VIII will der Bund diesen Herausforderungen begegnen.
Wie wird also die künftige Praxis aussehen? Die örtlichen Jugendämter werden die unbegleiteten Kinder und Jugendlichen künftig vorläufig in Obhut nehmen. Das heißt, sie bleiben zwar weiter zuständig für die Erstversorgung, Unterbringung, Hilfeleistung und das Clearingverfahren, die minderjährigen Flüchtlinge werden dann aber eventuell einem anderen Bundesland zugewiesen, sofern dieses noch nicht seine Aufnahmequote erfüllt hat. Für die Zuweisung innerhalb unseres Landes wird das zuständige Landesjugendamt beim Kommunalen Sozialverband zuständig sein.
Meine Damen und Herren, was wir nicht machen werden, ist, eine zentrale Aufnahmestelle für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge einzurichten. Den Kindern und Jugendlichen ist mehr gedient, wenn wir sie dezentral unterbringen und sie in den jeweiligen Lebensräumen vor Ort sozialpädagogisch betreuen. So können die entsprechenden Fachkräfte besser auf die einzelnen jungen Flüchtlinge eingehen und auch ihre Integration kann so schneller gelingen. Mir ist sehr wichtig, dass wir als Land im engen Kontakt und Austausch mit den Kommunen stehen, denn auch hier muss klar sein, es ist eine gemeinsame Aufgabe.
Am Dienstag saß ich deshalb auch mit den Jugendamtsleiterinnen und Jugendamtsleitern zusammen, um mir die jeweiligen Situationen vor Ort schildern zu lassen und zu erfahren, wo es gegebenenfalls noch hakt. Es gilt, das Landesjugendamt möglichst schnell in die Lage zu versetzen, seiner künftigen Rolle gerecht zu werden, das heißt, einen reibungslosen Ablauf des Verteilungsverfahrens zu gewährleisten, und das immer – Frau Gajek hat es mehrfach betont – unter der Überschrift „Kindeswohl“.
Um dieses Kindeswohl hier in Mecklenburg-Vorpommern nicht nur abzusichern, sondern es zu fördern, unterstützt mein Haus öffentliche und freie Träger mit fachlichen Empfehlungen bei Modellprojekten oder der Fortbildung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Diese Qualifizierung steht für uns derzeit im besonderen Fokus. Gerade erst gab es ein entsprechendes Symposium in Rostock und heute tagt ein Fachkongress in Güstrow. Jetzt im Herbst starten auch die Fortbildungsmodule, die wir gemeinsam mit dem Zentrum Schabernack konzipiert haben. Ferner habe ich ein Papier erarbeiten lassen, welches die Rechtsgrundlagen, Zuständigkeiten und Verfahrensabläufe sowie fachliche Positionen für die Arbeit der
Unbegleiteten Minderjährigen oder auch Kindern aus Flüchtlingsfamilien die Hand zu reichen, ist für mich ein Gebot der Menschlichkeit. Möglichst viele kompetente Hände zu reichen, ist ein Gebot der Zukunft, denn die hängt doch daran, wie gut uns die Integration gelingt. Deshalb hat der Bildungsminister zunächst 100 neue Lehrerstellen geschaffen, er hat die Zahl der DeutschIntensivkurse sowie der entsprechenden Standortschulen deutlich erhöht
und das modifizierte Berufsvorbereitungsjahr mit intensivem Deutschunterricht an den Berufsschulen ins Leben gerufen.
Sie sehen, es ist der Landesregierung ein ressortübergreifendes Anliegen, auch und gerade minderjährigen Flüchtlingen das Ankommen und das Bleiben zu erleichtern.
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, gerade die Betreuung der unbegleiteten Kinder und Jugendlichen kostet Geld. Deshalb war es ein wichtiges Signal des Flüchtlingsgipfels in Berlin Ende September, dass der Bund die Länder und die Kommunen zusätzlich unterstützen wird. Für morgen hat unser Ministerpräsident eine erneute Runde mit der kommunalen Ebene angesetzt, wo vertieft die Fragen der gemeinsamen Aufgabenerfüllung und Finanzierung diskutiert und erörtert werden. Insofern gehe ich davon aus, dass wir eine einvernehmliche Lösung bei der Finanzierung vieler wichtiger Fragen finden werden.
Abschließend gestatten Sie mir ein kurzes Zitat. Ich habe vor einiger Zeit einen Bericht im Fernsehen gesehen, wo ein Journalist einen kleinen Jungen befragt hat. Er fragte diesen kleinen Jungen: Sag mal, wie viele Flüchtlingskinder sind denn in deiner Kita-Gruppe? Der kleine Junge antwortete: Keine, bei uns sind nur Kinder.
Ich glaube, das ist ein Satz, den wir uns zu Herzen nehmen sollten. Wir sprechen hier von Kindern und Jugendlichen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Die Ministerin hat in ihrer Rede ausführlich die Situation
der unbegleiteten minderjährigen Ausländer dargestellt. Geht man die Thematik sachlich an, so muss man sich fragen: Was gibt es heute tatsächlich zu diskutieren? Dass Bundestag und Bundesrat in der vorigen Woche die gesetzlichen Regelungen zur Verteilung der unbegleiteten minderjährigen Ausländer auf den Weg gebracht haben, die ab dem 01.11. dieses Jahres in Kraft treten und über die wir übrigens im Gespräch mit dem Sozialministerium bereits vorher informiert wurden? Wollen wir die Tatsache diskutieren, dass überhaupt minderjährige unbegleitete Ausländer zu uns kommen? Ich wage zu bezweifeln, dass die unterschiedlichen Sichtweisen der demokratischen Fraktionen allein hieran irgendetwas ändern. Im Gegenteil, uns Demokraten eint doch vielmehr, dass uns die Wahrung des Kindeswohls unabhängig von den Eltern und dem Geburtsort eines Kindes oder Jugendlichen sehr wichtig ist.
Das heutige Thema ist, wie gesagt, ein sehr sensibles Thema. Kinder und Jugendliche, die ohne Eltern oder Erziehungsberechtigte in einem fremden Land ankommen, die ihre Familien verlassen, weil es oftmals die einzige Hoffnung auf eine bessere Zukunft ist, benötigen in besonderem Maße Schutz und Unterstützung. Die Ministerin hat ausgeführt, dass alle beteiligten Ebenen im Land diese Aufgabe ernst nehmen. Aber warum diskutieren wir es dann heute?
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die heutige Aussprache ist meiner Ansicht nach nicht geeignet, neue Erkenntnisse zu gewinnen, die man nicht auch über die ganz normalen Kanäle des parlamentarischen Betriebs erhalten würde. Wir erleben heute lediglich, dass die GRÜNEN wieder einmal ganz viel an den Regierungsfraktionen und unserem Handeln in der aktuellen Situation zu kritisieren haben. Mich erstaunt schon, dass hier Jugendämtern indirekt die Qualifikation abgesprochen wird, das Kindeswohl von minderjährigen unbegleiteten Ausländern zu gewährleisten. Wie sonst ist Ihre Forderung nach Schwerpunktjugendämtern zu erklären?
Sie trauen es den Jugendämtern in unserem Bundesland nicht zu, das Kindeswohl der minderjährigen unbegleiteten Ausländer zu gewährleisten.
Es ist ja schön, dass Sie auf Anfragen Ihrer Fraktion, die Sie zu diesem Thema gelesen haben, auch die Bemühungen der SPD in Rheinland-Pfalz würdigen. Was Sie hier aber unter den Tisch fallen lassen, ist ganz einfach die Tatsache, dass Rheinland-Pfalz seine Strukturen aufgebaut hat, als die Fallzahlen deutschlandweit noch im unteren vierstelligen Bereich waren. Wir haben jetzt die Situation, dass wir innerhalb kürzester Zeit mit stark gestiegenen Zugangszahlen umgehen müssen, dass wir im Interesse des Kindeswohls kurzfristige, schnelle Lösungen benötigen.
Sie kennen die Zahlen im Land: binnen neun Monaten eine Verzehnfachung der Fallzahlen. Ich bin überzeugt, dass die Jugendämter in den Landkreisen und den kreisfreien Städten sowie auch das Landesjugendamt beim KSV in dieser Hinsicht alles, was möglich ist, ermöglichen werden.
Ihre Diskussion zu Schwerpunktjugendämtern, die Sie auch im Sozialausschuss am Montag schon aufgegriffen haben, kommt zum völlig falschen Zeitpunkt. Bei circa 800 zu erwartenden unbegleiteten minderjährigen Ausländern in diesem Jahr und noch einmal einigen Hundert im kommenden Jahr
ist es geradezu hanebüchen, die ganze zusätzliche Arbeit nur auf ein oder zwei Jugendämter zu konzentrieren. Zumal sind Sie damit die Frage der benötigten Betreuung und Unterbringung der Kinder und Jugendlichen überhaupt nicht zu klären in der Lage. Sie müssen sich also durchaus vorwerfen lassen, dass Ihre Vorstellungen manchmal fern der Praxis sind und noch deutlich ferner von der praktischen Umsetzung.
Und noch etwas: Tun Sie doch bitte nicht immer so, als ob man für planvolles Handeln immer erst ein gesamtes Landeskonzept benötigt! Das Sozialministerium und die Akteure auf kommunaler Ebene sind in stetem Austausch über ein koordiniertes Vorgehen, so wie schon erwähnt in dieser Woche bereits am Dienstag.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, sprechen wir über die Situation unbegleiteter minderjähriger Ausländer, ist es selbstverständlich, dass wir nicht nur über Unterbringung und Betreuung sprechen. In den meisten Fällen handelt es sich gleichfalls um schulpflichtige Mädchen und Jungen. Hier können wir berichten, dass im Bereich der allgemeinbildenden und der beruflichen Schulen mit Stand vom 5. Oktober die jungen Leute an 98 Standortschulen lernen können. Insgesamt sind 119 Intensivkurse eingerichtet, 76 Lehrkräfte für Deutsch als Zweitsprache sind im Land im Einsatz, 80 weitere sind in der Ausbildung.
Anmerken möchte ich einmal, dass wir gerade bei Deutsch als Zweitsprache schon seit 2013 intensiv unterwegs sind. In der gegenwärtigen aktuellen Situation hat der Prozess an Dynamik gewonnen, aber auch darauf reagieren wir. In der Inklusionsrunde ist verabredet, dass die Zahl der Schülerinnen und Schüler monatlich erhoben wird. Es erfolgt aktuell eine Bedarfsermittlung und gegebenenfalls eine Nachsteuerung.
Natürlich lief auch bei uns im Land nicht alles glatt, als im September der Zustrom an Menschen, die unsere Hilfe und Unterstützung suchen, quasi über Nacht sehr stark anstieg. Diese Situation war weder planbar noch vorhersehbar,
und natürlich gab es auch Menschen, denn von solchen reden wir auf beiden Seiten, die falsche Entscheidungen getroffen haben. Bringt es uns etwas, über diese Fälle hier im Landtag zu lamentieren? Nein. Bringt es uns etwas, dass die zuständigen Stellen daran arbeiten, dass solche Fehler nicht wieder auftreten? Ja, natürlich, und die zuständigen Stellen tun das auch.
Müssen wir das hier weiter erörtern? Ich denke, nicht. Fast alle hier im Saal wissen ganz genau, dass auf
kommunaler Ebene im ganzen Land Mitglieder aller demokratischen Parteien in Verantwortung sind und diese Verantwortung auch wahrnehmen.
Das Thema Flüchtlinge ist kein Thema für Schuldzuweisungen. Wir werden es nur gemeinsam schaffen, die vor uns stehende Herausforderung zu bewältigen, davon bin ich überzeugt.
Wir müssen stringent unsere Aufgaben abarbeiten und wir müssen vor allem sofort die Kapazitäten für die Inobhutnahme der minderjährigen unbegleiteten Ausländer ausbauen. Das ist manchmal leichter gesagt als getan, das ist uns allen klar.