Protocol of the Session on October 21, 2015

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 16: Aussprache zum Thema gemäß Paragraf 43 Ziffer 2 der Geschäftsordnung des Landtages – Agrarstruktur in MecklenburgVorpommern.

Aussprache zum Thema gemäß § 43 Ziffer 2 GO LT Agrarstruktur in Mecklenburg-Vorpommern

Im Ältestenrat wurde vereinbart, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 120 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Karlowski von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Unsere Fraktion bewegen die Fragen: Welche Agrarstruktur wollen wir? Wie wollen wir eine möglichst große Vielfalt an Betriebsstrukturen, Betriebsgrößen und Betriebsausrichtungen erhalten beziehungsweise fördern und welche landespolitischen Instrumente wollen wir für diese Ziele ansetzen? Und damit jede demokratische Fraktion einmal dazu ihre Position darstellen kann, haben wir dieses Thema in Form einer offenen Aussprache auf die Tagesordnung gesetzt.

(Egbert Liskow, CDU: Das ist ja toll!)

Es geht hier um die Effekte von Landgrabbing, von explo- dierenden Bodenpreisen bei gleichzeitigem Preisverfall für landwirtschaftliche Produkte, etwas, was wir gerade am Beispiel der Rohmilch erleben. Es geht um die Effekte, die durch Spekulanten, die Landwirtschaftsflächen als lukrative Anlagemöglichkeit entdeckt haben, ausgelöst werden. Ich bin gespannt auf die einzelnen Beiträge.

Im August konnte man eine Pressemitteilung aus dem Landwirtschaftsministerium lesen, in der Sie, Herr Minister Backhaus, mit dem Satz zitiert werden, ich zitiere: „Agrarstrukturpolitik funktioniert nur über den Bodenmarkt“, Zitatende. Ist das so, meine Damen und Herren? Nun ja, in Mecklenburg-Vorpommern trifft das ziemlich genau den Punkt. 1990 verfügte die Bundesregierung über die Treuhand beziehungsweise die BVVG über rund zwei Millio- nen Hektar landwirtschaftlicher Nutzflächen im Osten Deutschlands. Die Agrarstrukturpolitik, die mit diesen Flächen betrieben wurde, kann man heute in MecklenburgVorpommern so zusammenfassen: Es erfolgte eine systematische Begünstigung großer und sehr großer Betriebe. Herr Backhaus sieht das natürlich anders. Seiner Meinung nach habe Mecklenburg-Vorpommern eine natürliche Prägung zu großen Strukturen.

(Egbert Liskow, CDU: Da hat er recht.)

Tatsächlich existierten in Mecklenburg-Vorpommern

schon vor der Zwangskollektivierung deutlich mehr Betriebe mit mehr als 100 Hektar, als es im damaligen Deutschen Reich üblich war, und es gab bereits 13 Güter mit einer Fläche von über 1.000 Hektar. Aber auch diese damalige Vorherrschaft des Landadels hatte weitreichende und, wie ich finde, negative Folgen für die kulturelle und soziale Entwicklung unseres Landes. Handwerker und kleinere landwirtschaftliche Betriebe verschwanden aus den Dörfern, die bald hauptsächlich aus großen Gutshöfen und Landarbeiterhäusern bestanden. Viele Menschen verließen damals ihre angestammte Heimat, um in wirtschaftlich expandierenden Regionen ihr Auskommen zu finden, eine deutliche Parallele zur heutigen Situation.

Die Betriebsdimensionen in unserem Bundesland lassen sich an ein paar Eckdaten zeigen: 332 Betriebe sind über 1.000 Hektar groß, 11 Betriebe sind über 3.000 Hektar groß und ein Betrieb sogar über 7.000 Hektar. Mit 100 Hektar gilt man heute in Mecklenburg-Vorpommern als Kleinbetrieb. Auch die Anzahl der Betriebe schrumpft zusammen. Waren es 2007 noch 5.400 Betriebe, so sind es mit den neusten Zahlen aus 2013 4.700 Betriebe. Wenn das so weitergeht, sehe ich genau das, was im Grundstückverkehrsgesetz vermieden werden soll, nämlich eine tatsächlich ungesunde Verteilung von Grund und Boden, nämlich eine Verteilung auf immer weniger Betriebe in immer größeren Strukturen. Und das, meine Damen und Herren, ist weder für die Bruttowertschöpfung der Landwirtschaft noch für den Arbeitsmarkt, noch für den ländlichen Raum ein Gewinn.

In den Vorbemerkungen der Antwort zu der Kleinen Anfrage auf der Drucksache 6/2681 heißt es dann auch, ich zitiere: „Die Politik der Landesregierungen musste an die historisch gewachsenen landwirtschaftlichen Strukturen im Land anknüpfen.“ Das Landwirtschaftsanpassungsgesetz ermöglichte den Mitgliedern der LPG „selbstbestimmt zu entscheiden, ob sie im Unternehmen neuer Rechtsform verblieben oder ausschieden, um gegebenenfalls eigene landwirtschaftliche Betriebe wiedereinzurichten“, Zitatende.

Und das ist ein frommer Wunsch, meine Damen und Herren, das wissen wir alle. Viele LPG-Mitglieder erhielten nur einen Bruchteil des ihnen eigentlich zustehenden Auszahlungsbetrages und konnten über ihre eigenen Flächen oft eben nicht verfügen, weil sie inmitten der riesigen Schläge der Großbetriebe lagen. Hinzu kam, dass die zur Pacht oder zum Verkauf angebotenen Flächen in viel zu großen Losen angeboten wurden, um für einen Neugründer erschwinglich zu sein.

Seit 2008 steigen die Boden- und Pachtpreise in Deutschland dramatisch an, durchschnittlich um 64 Prozent. In Mecklenburg-Vorpommern stiegen die Preise 2013 innerhalb eines Jahres sogar um 25 Prozent an. Das hat mit Landwirtschaft natürlich rein gar nichts zu tun. Diese Preise werden in der Regel von außerlandwirtschaftlichen Investoren gezahlt. Grund und Boden ist zum Teil ein Spielball von Spekulanten geworden und immer mehr Landwirtschaft wird von Holdings und börsennotierten Agrarunternehmen betrieben. Die sind dann in der Lage, Preise zu zahlen, die sich durch landwirtschaftliche Nutzung eben nicht erwirtschaften lassen. Und das führt dazu, dass Familienbetriebe und Genossenschaften kaum noch Land hinzukaufen oder pachten können.

Während also kleinere Betriebe in ihrer Entwicklung behindert oder sogar gefährdet sind, werden die großen immer größer und verdrängen so nach und nach die ortsansässige Landwirtschaft. Die, die hier in Land investieren, tun das nicht aus Liebe zur Landwirtschaft, sondern weil hier derzeit die höchsten Renditen zu erzielen sind. Das Thünen-Institut für Agrarforschung benennt in einer Studie von 2013, dass mittlerweile 20 bis 50 Prozent landwirtschaftlicher Nutzfläche nicht landwirtschaftlichen Investoren gehören, Tendenz steigend.

Das ist eine Entwicklung, meine Damen und Herren, die uns alle nicht kaltlassen kann. Schon jetzt sind Arbeitsplätze in der Landwirtschaft massiv verloren gegangen, und eine Landwirtschaft, die sich nach Aktionärsinteressen richtet, die jedes Jahr eine Dividende ausgeschüttet bekommen wollen, kann in meinen Augen nicht nachhaltig sein.

Was also sind die Folgen einer Agrarstruktur, die auf Großstrukturen setzt? In Mecklenburg-Vorpommern ist die Bruttowertschöpfung der agrarindustriell dominierten Landwirtschaft von ihrem 4,3-prozentigen Anteil an der Gesamtbruttowertschöpfung im Jahr 2000 auf nur noch 3,1 Prozent im Jahr 2014 gesunken. Dieses so oft zitierte angebliche wirtschaftliche Rückgrat, das die Landwirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern darstellen soll, bezieht sich also auf 3,1 Prozent der Bruttowertschöpfung.

(Thomas Krüger, SPD: Im Durchschnitt in Deutschland 1,5.)

Wenn das tatsächlich das Rückgrat dieses Landes sein soll, dann ist diese Wirbelsäule aber ein äußerst dünnes Säulchen, meine Damen und Herren.

Knapp 70 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche in unserem Land wird von Betrieben bewirtschaftet, die größer als 500 Hektar sind. Hat man 500 Hektar, bekommt man schon mal rund 140.000 Euro EU-Subventionen. Baut man dann wenig arbeitsintensive Kulturen an, wie zum Beispiel Raps oder Getreide, hat man auch geringe Lohnkosten und macht trotzdem einen guten Gewinn. Wir würden das gerne mal in einem neuen Landesagrarbericht nachlesen, der seit Jahren aussteht. Das ist leider auch zu bemängeln.

(Marc Reinhardt, CDU: Fragen Sie mal Herrn Jaeger, wie er mit seinen Windenergieanlagen da verdient!)

Eine Folge der Großstrukturen ist also die zunehmende Spezialisierung und damit verbunden ein stetiger Arbeitsplatzabbau.

(Heiterkeit und Zuruf von Marc Reinhardt, CDU)

Bezieht man die landwirtschaftliche Bruttowertschöpfung auf die landwirtschaftliche Nutzfläche, dann kommen wir zur Flächenproduktivität. Diese ist in Mecklenburg-Vor- pommern nur halb so hoch wie beispielsweise in Nordrhein-Westfalen. Dies ist eine direkte Folge davon, dass man in Mecklenburg-Vorpommern eher auf Raps und Weizen setzt, statt auf vielfältige Fruchtfolgen und arbeitsintensive Produkte wie Obst, Gemüse oder auch Kartoffeln.

Und nein, kommen Sie mir jetzt bitte nicht wieder mit dem Argument, wir bräuchten doch einfach mehr Tierhaltung,

um die Flächenproduktivität anzuheben, und die GRÜNEN sind wie immer nur gegen Tierhaltung.

(Thomas Krüger, SPD: Ja, stimmt doch.)

Das ist eigentlich totaler Unsinn.

(Egbert Liskow, CDU: Warum?)

Wie Sie alle genau wissen, möchten wir GRÜNEN mehr Ökolandbau haben.

(Bernd Schubert, CDU: Bienenzüchter.)

Und was gehört zum Ökolandbau dazu?

(Zuruf von Marc Reinhardt, CDU)

Die Kreislaufwirtschaft und damit selbstverständlich auch die Tierhaltung.

(Marc Reinhardt, CDU: Wie groß darf denn ein Betrieb noch sein? 50 Hektar, oder was? 5?)

Was wir nicht wollen, ist die Konzentration von Tierhaltung auf wenige Standorte unter solchen Bedingungen, die unseren Vorstellungen von tiergerechter Haltung nicht entsprechen. Aber das sei hier nur mal am Rande erwähnt.

Diese oben erwähnten spezialisierten Großbetriebe, die ihre Massenprodukte für den Weltmarkt produzieren, tragen eben auch mit dazu bei, dass die Wertschöpfung in Mecklenburg-Vorpommern erschreckend gering ist. Die Landwirtschaft wird wirtschaftlich niemals das schon zitierte Rückgrat sein. Dass aber in einem stark agrarisch geprägten Land lediglich drei Prozent der Bruttowertschöpfung auf den Agrarsektor entfällt, das ist bestürzend.

(Thomas Krüger, SPD: Im Durchschnitt 1,5 in Deutschland, doppelt so viel.)

Ich sehe deutliches Potenzial, hier mehr herauszuholen.

(Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

Das kann zum einen über die Zunahme arbeitsintensiver Produktionen wie Obst- und Gemüsebau, aber auch durch die Weiterverarbeitung im Lande erfolgen. Hier sehe ich ein riesiges Feld. Wir können uns in Mecklenburg-Vorpommern ja nicht einmal mit Obst selbst versorgen, ebenso wenig mit Kartoffeln oder Gemüse. Das ist eigentlich völlig absurd. Und gleichzeitig liegen die Ballungszentren Hamburg, Stettin und Berlin vor der Haustür. Das sind gute Absatzregionen für Qualitätsprodukte aus Mecklenburg-Vorpommern.

Sie werden vielleicht jetzt an die Nahrungsmittelbetriebe denken, die es im Lande gibt. Aber schauen Sie mal genauer hin, wo die ihre Rohstoffe herbekommen! Seit wann wachsen Kaffeebohnen für Nestlé-Kaffeekapseln in Mecklenburg-Vorpommern? Und auch biosanica muss seine Bioäpfel importieren, weil hier vor Ort zu wenige Bioäpfel wachsen.

(Thomas Krüger, SPD: Nein, des Preises wegen. – Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

Welche Rolle spielt nun das Land in Bezug auf die Agrarstruktur? Der Einsatz von Minister Backhaus zur Über

nahme der BVVG-Flächen in Landeseigentum kommt aus meiner Sicht viel zu spät und vor allem nicht voran. Natürlich wünschen wir GRÜNEN uns auch, dass das Land diese Flächen übernehmen kann. Aber während man darauf wartet, dass sich hier etwas tut, geben weitere Betriebe auf, geht der Ausbau des Ökolandbaus nicht voran und sinkt die Bruttowertschöpfung im Agrarsektor weiter ab.

Um die Entwicklung der Agrarstruktur und der ländlichen Räume positiv zu beeinflussen, braucht Mecklenburg-Vorpommern ein klares agrarstrukturelles Leitbild, auf dem alle Entscheidungen aufbauen. Das Land muss ein Leitbild formulieren, in dem man sich zu nachhaltig wirtschaftenden landwirtschaftlichen Betrieben bekennt, die von qualifizierten, mit den Betriebsstandorten sozial verbundenen Landwirten geführt werden, die ihrer ökologischen Verantwortung auch gerecht werden. Das bedeutet, dass möglichst viele zukunftsfähige landwirtschaftliche Unternehmen entstehen sollen. Eine breite Eigentumsstreuung stärkt die Verbundenheit mit der Region und dem Dorf und wirkt der im Grundstückverkehrsgesetz formulierten „ungesunden Verteilung“ von Grund und Boden entgegen. Auch würde das zu einem deutlich steigenden Arbeitskräftebedarf führen.

Sachsen-Anhalt und auch Sachsen machen in Ostdeutschland den Anfang und arbeiten an einem landeseigenen Agrarstrukturgesetz. Dieses fordern wir auch für Mecklenburg-Vorpommern, denn andernfalls sehen wir einen Strukturwandel in der Landwirtschaft, der nur einigen wenigen Investoren zugutekommt: Großinvestoren, die weder in der Region zu Hause sind noch sich für die Region verantwortlich fühlen, denen die ökonomische und ökologische Entwicklung einer Region herzlich egal ist, solange die Gewinne stimmen. Es bleiben nicht nur Natur und Umwelt auf der Strecke, die Menschen wandern ab, und selbst der Tourismus ist in einem Gebiet, in dem nur noch Großbetriebe das Landschaftsbild bestimmen, nicht mehr möglich.

Wenn wir ein solches Gesetz und ein solches Leitbild nicht auf den Weg bringen, setzt sich die derzeitige Art von Strukturwandel fort. Dem dürfen wir nicht tatenlos zusehen. Ich rufe dazu auf, dass wir uns wirklich mit einer Novelle des Agrarstrukturgesetzes für Mecklenburg-Vorpommern beschäftigen, im Ausschuss. Der An- trag der Fraktion DIE LINKE aus dem Jahr 2012 ist ja leider nicht einmal in den Ausschuss überwiesen worden, sodass sich der Ausschuss mit dem Thema noch nie richtig befasst hat. Und so können wir das heute hier im Landtag noch einmal neu anstoßen und das aufgreifen, was in Sachsen-Anhalt und in Sachsen auf den Weg gebracht wurde, auch die Ergebnisse der Bund-Länder-Arbeitsgruppe noch mal genauestens be- leuchten. Ich hoffe, dass die Stillstandsbewahrerkoalition sich heute mal dazu durchringt, einen weiteren Schritt nach vorne zu machen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat jetzt der Minister für Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz Dr. Backhaus. Bitte.