Protocol of the Session on November 19, 2009

Gibt es Stimmenthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 5/2929 bei Zustimmung der Fraktion der FDP, der Fraktion DIE LINKE, Gegenstimmen der Fraktionen der SPD, der CDU und der NPD abgelehnt.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 35: Beratung des Antrages der Fraktion DIE LINKE – Kinder in Mecklenburg-Vorpommern warten auf EU-Schulobstprogramm, auf Drucksache 5/2921.

Antrag der Fraktion DIE LINKE: Kinder in Mecklenburg-Vorpommern warten auf EU-Schulobstprogramm – Drucksache 5/2921 –

Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete und Vizepräsident Herr Bluhm.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der „Bauernzeitung“ vom Oktober 2009 konnte man unter der Überschrift „Jeder macht seins“ lesen, ich zitiere: „Bei der Umsetzung des EU-Schulobstprogramms zeigt sich Deutschland als Flickenteppich. Niedersachsen zum Beispiel wird wegen bürokratischer Hürden komplett auf die EU-Mittel verzichten.“

(Vincent Kokert, CDU: Ja.)

„In anderen Bundesländern, so in Sachsen und Rheinland-Pfalz,“

(Harry Glawe, CDU: Oder Bremen.)

„ist die Umsetzung noch ungewiss. In Baden-Württemberg will man die Kommunen, Sponsoren und Eltern an der Teilnahme für die Initiativen ermuntern, aber keine Landesmittel einsetzen. Dagegen haben NordrheinWestfalen und Bayern angekündigt, Landesgelder zur Umsetzung des Programms zu nutzen.“ Ende des Zitats.

Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen haben nun mittlerweile auch verzichtet, und Bremen will die Gelder für ein eigenes Programm ausgeben.

(Angelika Peters, SPD: Richtig.)

Wir haben also wieder einmal eine bunte föderale Obstkiste, in diesem Fall bunt gemischt mit süßen und mit sauren Früchten – typisch deutsch, möchte man sagen.

(Zuruf von Raimund Frank Borrmann, NPD)

Ich will an dieser Stelle ausdrücklich anerkennen, dass Mecklenburg-Vorpommern das erste Bundesland war, das Komplementärmittel für das EU-Programm in den Landeshaushalt eingestellt hat.

(Vincent Kokert, CDU: Das war ein Lob.)

Umso mehr wundert mich aber jetzt die Abkehr von der Verwendung dieser entsprechenden Mittel.

(Angelika Peters, SPD: Wir schmeißen das Geld nicht weg. Das, was wir eingestellt haben, nutzen wir.)

Herr Minister Backhaus erklärt die Ablehnung mit dem Zitat: „Grund sei der von der Kommission geforderte überdimensionierte bürokratische Kontroll- und Abrechnungsmodus.“ Ende des Zitats.

Das mag so sein. Aber ich frage Sie: Seit wann ist denn die EU das Musterbeispiel für Deregulierung und Entbü

rokratisierung? Seit wann hält uns die Bürokratie der EU davon ab, Fördermittel in Anspruch zu nehmen? Und haben Sie auch daran gedacht, welche Folgen das Signal einer Ablehnung in Brüssel haben kann?

Der Sprecher der Generaldirektion für Landwirtschaft hat verlauten lassen, dass die EU-Kommission den Bürokratievorwurf nicht akzeptiert. Er wird in der Tageszeitung vom 18.11. wie folgt zitiert: „Die Verwaltungskosten hängen ganz davon ab, wie die Bundesländer das umsetzen. … Andere Staaten hätten sich nicht beklagt; 24 von 27 Staaten machten mit.“ Ende des Zitats. 24 europäische Nationalstaaten beteiligen sich an diesem Programm, 3 nicht. Ich bin sehr gespannt, wie die EU zukünftig auf Forderungen nach mehr oder zusätzlichen Fördermitteln aus Deutschland reagieren wird.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Ablehnungsgrund der Bürokratie ist auch deshalb höchst erstaunlich, weil er ja eben bisher nicht galt. Noch nie haben wir in den vergangenen Jahren deshalb auf Fördermittel verzichtet. Dabei gibt es auch heute Beispiele überbordender Bürokratie beim Einsatz von EU-Mitteln im eigenen Land. Ein Beispiel sind die zur Verfügung gestellten ESF-Mittel für Entlastungsstunden bei der Einführung der Selbstständigen Schule. Der Aufwand für die Nachweisführung über ihre Verwendung wird von den Schulen massiv kritisiert. Die detaillierten Abrechnungskriterien erfordern einen immensen Arbeitsaufwand, denn es sind riesige Formulare auszufüllen.

(Jörg Vierkant, CDU: Das ist richtig.)

Offensichtlich gerade deswegen erhält der Schulleiter oder die Schulleiterin dafür eine Anrechnungsstunde aus dem Leitungspool. Doch bei mehreren Millionen Euro ist bürokratischer Aufwand kein Ablehnungsgrund. Warum ist er es dann bei der relativ kleinen Summe von 483.000 Euro beim Schulobstprogramm?

Ein zweites Beispiel: Die Einführung des Essengeldzuschusses für sozial schwache Eltern in den Kitas wurde wegen des hohen bürokratischen Aufwandes heftig kritisiert.

(Zuruf von Birgit Schwebs, DIE LINKE)

Die „Ostsee-Zeitung“ überschrieb ihren Artikel im August 2008 mit den Worten „Essenanbieter wursteln sich durch die Formulare“. Es gab damals – ich will daran erinnern – auch Probleme mit dem Datenschutz. Die Träger kritisierten, dass der bürokratische Aufwand auf sie abgeladen wird und die Verwaltungskosten die Zuschüsse praktisch auffräßen. Das Merkblatt des Sozialministeriums für Antragsteller zu den Zuschüssen umfasst immerhin über vier eng beschriebene Seiten, auch nicht gerade wenig.

(Harry Glawe, CDU: Aber es funktioniert. – Zuruf von Irene Müller, DIE LINKE)

Das Land wehrte sich damals heftig gegen diese Vorwürfe der kommunalen Träger.

(Harry Glawe, CDU: Das sind alles Behauptungen der LINKEN. – Zuruf von Irene Müller, DIE LINKE)

Das tut die EU jetzt auch. Offensichtlich ist es aber im Zweifelsfall doch wohl so, dass es, wenn zwei das Gleiche tun, noch lange nicht dasselbe ist. Bürokratie erzeugt eben Bürokratie, egal ob bei der EU oder bei uns im Land.

Nun mag es ja in diesem Fall wirklich so sein, dass die kleinteilige und ausufernde Bürokratie der Europäischen Union praktisch die Zuwendung für das Schulobst im wahrsten Sinne des Wortes auffrisst. Aber warum führt das jetzt dazu, dass wir das Geld nicht nehmen wollen? In den Antworten auf die Kleine Anfrage meines Kollegen Ritter vom 29. Juli dieses Jahres liest sich das alles noch ganz, ganz anders. Neben der Beschreibung des üblichen Hickhacks im Bundesrat, wer denn kofinanziert, antwortete die Landesregierung zu ihrer Position, und ich zitiere aus der Beantwortung der Kleinen Anfrage durch die Landesregierung: „Sollte eine Beteiligung des Bundes nicht erreicht werden, so besteht seitens der Landesregierung die Absicht, die notwendige Kofinanzierung sicherzustellen.“ Ende des Zitats.

(Zuruf von Birgit Schwebs, DIE LINKE)

Nach Angaben der Landesregierung in dieser Drucksache ergeben sich Kosten von rund 483.000 Euro durch die EU, durch das Land 161.000 Euro.

Und in der Antwort auf die schon genannte Kleine Anfrage wird zum Stand der Vorbereitung, und das ist das Spannende, von der Landesregierung ausgeführt, ich zitiere nochmals: „Die Landesregierung arbeitet bereits intensiv an der landesspezifischen Umsetzung des Schulobstprogramms. Hierzu laufen derzeit entsprechende Abstimmungen zwischen dem Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz und dem Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur hinsichtlich möglicher Handlungsoptionen zur Implementierung des Programms. … Sobald die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen sind, ist jedoch vorgesehen, zur Kofinanzierung der bereitgestellten EU-Mittel für das Schulobstprogramm bis zu einer Höhe von maximal 161,2 TEUR in 2010 und in 2011 entsprechende Verstärkungsmittel im Einzelplan 11 zur Verfügung zu stellen.“ Ende des Zitats.

Woher kommt denn jetzt, knapp drei Monate später, dieser Sinneswandel? Haben sich die bürokratischen Aufwände seitdem verändert oder haben Sie sie damals nicht gekannt oder unterschätzt? Oder haben Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, jetzt eine andere Verwendung für das Geld? Ein Schelm, der Böses dabei denkt! Ach ja, es waren ja auch noch ein paar Tage vor der Wahl damals. Wie dem auch sei, die Kinder und Jugendlichen unseres Landes sind die Verlierer, denn sie kommen nicht in den Genuss der entsprechenden EU-Mittel. Sie erhalten nun nicht einmal Schulobst.

Ich darf daran erinnern, dass Sie auch die Volksinitiative für ein kostenfreies Mittagessen an den staatlichen Grundschulen mit ziemlich fadenscheinigen Begründungen abgelehnt haben. Das EU-Schulobstprogramm wäre doch aber eine Möglichkeit gewesen, sich etwas anders zu besinnen, die EU-Gelder darin zu integrieren und damit die Kosten für ein solches Programm zu senken.

(Marc Reinhardt, CDU: Jawohl.)

Beispielsweise gibt es in Bremen das Vorhaben, 19 Grundschulen mit jeweils 100.000 Euro pro Jahr für eine entsprechende Versorgung zu unterstützen. Wo sind in unserem Land entsprechende Ansätze? Minister Backhaus hat angekündigt, dass die Gelder im Landeshaushalt für alternative Projekte mit gleicher Zielsetzung eingesetzt werden. Er wird ja hier gleich reden.

(Vizepräsidentin Renate Holznagel übernimmt den Vorsitz.)

Ich bin schon ganz gespannt, wie das denn umgesetzt wird. Als Grund führte er an, dass natürlich die gesunde Ernährung der Kinder weiter ein wichtiges Thema sei und Übergewichtigkeit gepaart mit Vitaminmangel und Bewegungsarmut leider allgegenwärtige Probleme seien, denen man sich stellen müsse. Was heißt hier eigentlich „man“?

(Marc Reinhardt, CDU: Auch Frau!)

Die Landesregierung ist offensichtlich nicht Manns genug. Sich ständig wiederholende Bekenntnisse zur Bedeutung gesunder Ernährung und des sinkenden Gesundheitszustandes und des Gesundheitsbewusstseins von Kindern, Jugendlichen und auch vieler Elternhäuser ändern gar nichts, sie machen weder satt noch sind sie gesundheitsfördernd. Und Lippenbekenntnisse sind auch keine wirkliche Sportart zur Körperertüchtigung.

(Zuruf von Irene Müller, DIE LINKE)

Welche alternativen Projekte der Minister meint, sagte er bisher nicht. Er weiß aber genau, dass es ohne die Unterstützung der Lehrer und Eltern nicht geht. Denn nur mit dem Engagement vor Ort können wir erfolgreiche Lösungen finden, so der Minister. Die beste Lösung aus Sicht meiner Fraktion wäre ein gesundes kostenfreies Mittagessen für alle Kinder und Jugendlichen in den Kindertagesstätten und Schulen.

(Harry Glawe, CDU: Da reicht das Geld aber nicht.)

Eine Teillösung als einen ersten Schritt sozusagen hin zu einem solchen Programm und Ziel wäre das Schulobstprogramm. Wenn Sie diese Teillösung wollen, können Sie ja tatsächlich unserem Antrag zustimmen. Er setzt diese Versprechen nach alternativen Projekten in die Praxis um und ist ein Schritt zu dem von Ihnen deklarierten Ziel einer gesunden Ernährung.

Lassen Sie mich abschließend noch einen Beleg dafür anführen, dass es auch völlig unbürokratisch geht. Die Bahngesellschaft OLA hat angekündigt, die Fahrgäste im November mit erntefrischen Gratisäpfeln zu überraschen.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Macht sie schon lange.)

Ich würde mich freuen, wenn es uns gelänge, unsere Kinder mit frischem Schulobst zu überraschen.