Protocol of the Session on June 5, 2008

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Ein zweiter rechtlicher Aspekt, der wird dann schon etwas mehr ein Schmeckerchen.

(Angelika Gramkow, DIE LINKE: Sehr richtig, Herr Bluhm, sehr richtig!)

Der zweite rechtliche Aspekt betrifft die Regelungen des geltenden Schulgesetzes des Landes Mecklenburg-Vorpommern und den Inhalt der in ihm enthaltenen Verordnungsermächtigung. In Paragraf 62 des Schulgesetzes des Landes Mecklenburg-Vorpommern heißt es unter der Paragrafenüberschrift „Bewertung der Leistungen und Beurteilung des Arbeits- und Sozialverhaltens“ in Absatz 1, ich darf zitieren: „Die Leistungen der Schüler werden durch Noten oder Punkte bewertet. Die Beurteilung des Arbeits- und Sozialverhaltens erfolgt durch schriftliche, differenzierte Aussagen.“ Zitatende.

(Peter Ritter, DIE LINKE: So, so!)

In Paragraf 69 Absatz 3 des Schulgesetzes wird dann mit einer entsprechenden Verordnungsermächtigung der Handlungsrahmen des Bildungsministeriums festgelegt. Ich zitiere noch einmal: „Die oberste Schulaufsichtsbehörde wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung … zu regeln, a) in welcher Weise eine differenzierte schriftliche Beurteilung des Arbeits- und Sozialverhaltens erfolgt und dabei einheitliche Beurteilungsmaßstäbe sicherzustellen“. Zitatende.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Im Gesetz wird diese Ermächtigung explizit nur für eine „differenzierte schriftliche Beurteilung“ erteilt. Das in Paragraf 2 Absatz 1 der in Rede stehenden Verordnung geregelte Verfahren einer graduierten Bewertung des Arbeits- und Sozialverhaltens ist nach unserer Auffassung durch das geltende Schulgesetz nicht gedeckt.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Deshalb sind die in der Verordnung ausgewiesenen notenähnlichen Bewertungsgrade aus meiner Sicht weder vom Paragrafen 62 Absatz 2 Satz 1 des Schulgesetzes noch von der Verordnungsermächtigung in Paragraf 69 Ziffer 3a) gedeckt. Es ist aus meiner Sicht höchst fraglich, ob die Verordnung, so, wie sie veröffentlicht ist, rechtskonform ist. Und ich kann den Betroffenen, wenn es bei dem veröffentlichten Text bleibt und er so in Kraft treten sollte am 01.08. dieses Jahres, nur empfehlen, sich damit nicht abzufinden.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, um es noch einmal klarzustellen: Meine Fraktion ist nicht gegen eine differenzierte Bewertung des Arbeits- und Sozialverhaltens. Im Gegenteil, wir halten eine ausführliche Einschätzung nach einheitlichen Kriterien für pädagogisch sinnvoll. Deshalb hatten wir uns gemeinsam mit dem Koalitionspartner bei der Novellierung des Schulgesetzes in der vergangenen Legislatur auf genau diese Regelung vereinbart. Wogegen wir jedoch damals wie heute entschieden sind, ist eine Bewertung, die letztlich in Noten oder notenähnliche Bewertungsgrade mündet. Paragraf 62 regelt keine Bewertungsgrade neben den sechs Noten beziehungsweise die Bewertung von Leistungen durch Punkte. Genau dieses allerdings soll jetzt mit der veröffentlichten Verordnung geschehen.

Wir hatten beantragt, die Verordnung nicht in der veröffentlichten Form in Kraft zu setzen. Wir hatten bisher nicht beantragt, sie zurückzunehmen. Dieses werden

wir – Ihnen wird nachher dazu ein mündlicher Änderungsantrag, vielleicht auch schriftlich, noch vorgelegt werden – heute allerdings beantragen. Es gibt in der Verordnung Formulierungen, die wir sogar teilen. Dazu gehören insbesondere die im Paragrafen 1 formulierten Ziele und Aufgaben sowie die im Paragrafen 3 ausgewiesenen Bewertungsbereiche und Bewertungskriterien.

In der Anhörung im Bildungsausschuss wurde eine ähnlich differenzierte Sicht der Angehörten deutlich. Sie reichte von völliger Ablehnung bis hin zur Zustimmung. Deutlich wurde aber auch, dass unisono alle Sachverständigen selbst bei grundsätzlicher Zustimmung zum Teil erhebliche Bedenken hegen, und zwar insbesondere zur Aussagekraft der einzelnen Bewertungsgrade, der Vergleichbarkeit zwischen den einzelnen Schulen oder der Verbindlichkeit, also ob sie auf Zeugnissen fakultativ oder pflichtiger Bestandteil sein sollen und bei welchen Zeugnissen.

Es wird bei diesem Thema sicherlich keinen Königsweg geben, der allen Ansprüchen gerecht wird. Ich möchte jedoch darauf hinweisen, dass die Bedenken der Lehrerverbände, des Landeselternrates, des Landesschülerrates und der Kirchen, die im Übrigen regierungsseitig nicht einmal angehört wurden, eine andere Qualität haben als die Position der Wirtschaft. Eltern sind wegen der Folgen für ihr Kind direkt betroffen. Lehrkräfte sind in ihrer Funktion als Beurteiler und Umsetzer ebenfalls direkt betroffen, denn sie haben die Verantwortung für die Wahl der Bewertungsgrade. Die Wirtschaft ist praktisch der Abnehmer dieses Produktes. Folglich sollten die Bedenken der Eltern und Lehrkräfte, der Wissenschaft und der pädagogischen Forschung mehr Gewicht haben als die einfache Forderung der Wirtschaft nach Kopfnoten.

Nun, ich kann das Interesse der Wirtschaft durchaus verstehen, ein Bild vom Arbeits- und Sozialverhalten eines Bewerbers zu bekommen.

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Herr Rothe ist übrigens gegen jede Note.)

Arbeitszeugnisse sind deshalb in der Wirtschaft ein üblicher Bestandteil jeder Bewerbung. Aber wenn die Bewertung mit Ziffern, Noten oder notenähnlichen Bewertungsgraden eine so hohe Aussagekraft hat wie von der Wirtschaft behauptet, warum hat sie die Wirtschaft nicht längst als Ersatz für ein Arbeitszeugnis eingeführt, meine Damen und Herren? Unserem auch im Gesetz verankerten Ansatz, das Arbeits- und Sozialverhalten in Form einer ausführlichen schriftlichen Beurteilung zu bewerten, würde diesem Anliegen deshalb viel, viel eher entsprechen.

Der entscheidende Mangel von schriftlichen Bewertungen heutiger Tage liegt nach meinem Eindruck ganz woanders. Wenn Beurteilungen und Noten rechtlich gesehen Verwaltungsakte sind, dann müssen sie gerichtsfest sein. Das führt in der Praxis zu Verklausulierungen, die man oft nur noch mit einem entsprechenden Wörterbuch entziffern kann. Damit sind dann auch so manche Eltern überfordert und finden allein deswegen der Einfachheit halber Noten besser, auch weil sie selbst und ich ja auch daran gewöhnt wurden.

Es bleibt die grundsätzliche Frage, ob Noten wirklich den Zweck erfüllen, der ihnen zugedacht wird. Es gibt viele Länder, die darauf verzichten und bessere Ergebnisse haben als wir. Und deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, kann ich Sie nur auffordern, unserem

Antrag zuzustimmen und diese Verordnung, so, wie sie gegenwärtig vorliegt, nicht in Kraft treten zu lassen.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Vielen Dank, Herr Bluhm.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 60 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat zunächst der Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur Herr Tesch.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Der vorliegende Antrag der Fraktion DIE LINKE fordert von der Landesregierung, die im April veröffentlichte Verordnung zur Beurteilung und Bewertung des Arbeits- und des Sozial verhaltens an allgemeinbildenden Schulen in Mecklenburg-Vorpommern außer Kraft zu setzen. Ich kann den Titel noch mal vorlesen, da steht nicht „Kopfnoten“. Begründet wird der Antrag unter anderem mit fehlender Unterstützung der Verbände mangels Konsens und fehlender Sorgfalt bei der Erarbeitung. In keinem Kritikpunkt kann ich den Abgeordneten der LINKEN zustimmen.

Die Koalitionsparteien vereinbarten 2006, eine Bewertung des Arbeits- und des Sozialverhaltens der Schülerinnen und Schüler an den allgemeinbildenden Schulen einzuführen.

(Andreas Bluhm, DIE LINKE: Dann müssen Sie vorher das Gesetz ändern, Herr Minister. – Peter Ritter, DIE LINKE: Ach, das macht er so.)

Ziel ist es, die Erziehungsfunktion von Schule dadurch zu stärken.

(Angelika Gramkow, DIE LINKE: Das hat er beim Kita genauso gemacht, erst weggestrichen. – Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

2007 habe ich das Konzept „Auf dem Weg zur Selbstständigen Schule in Mecklenburg-Vorpommern“ vorgestellt. Darin finden Sie die Eckpunkte der nunmehr im April dieses Jahres veröffentlichten Verordnung zur Bewertung des Arbeits- und Sozialverhaltens klar dargelegt.

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Genau.)

Diese Punkte sind bereits im vergangenen Jahr diskutiert worden. Werte und Regeln einer demokratischen Gesellschaft werden in der Schule nicht nur theoretisch vermittelt. Schulklima und Schulkultur werden durch die Ausgestaltung des Erziehungsauftrages nachhaltig bestimmt. Lehrerinnen und Lehrer vermitteln Werte, die von den Schülerinnen und Schülern reflektiert werden. Die Akzeptanz einer von allen Beteiligten erarbeiteten Schulordnung ist Voraussetzung für ein Schulklima, das von gegenseitigem Respekt geprägt sein soll.

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Richtig.)

Dieser gegenseitige Respekt ist für die Arbeit und Atmosphäre im Unterricht sowie für das Schulleben insgesamt maßgeblich. Im Rahmen der Einführung der Selbstständigen Schule ist es nur logisch, dass die schulischen Gremien ihre Verantwortung hierfür wahrnehmen. Die beiden Bereiche, das Arbeitsverhalten und das Sozialverhalten,

werden ab dem Schuljahr 2008/09 in den Jahrgangsstufen 2 bis 10 mithilfe von vier Bewertungsgraden und einer Gesamteinschätzung jeweils am Schuljahresende beurteilt.

Worin liegt nun der Vorteil der Bewertung? Diese Verordnung leistet neben dem Beitrag zur Stärkung der Erziehungsfunktion von Schule einen enormen Beitrag zur Reduzierung des bürokratischen Berichtswesens in der Schule. Bisher waren jährlich zwei Lernentwicklungsberichte sowie in den Jahrgangsstufen 4 und 6 ein dritter erweiterter Bericht pro Schüler durch die Lehrkräfte zu erstellen. Darauf verzichten wir in Zukunft. Wertvolle Zeit für Gespräche mit den Eltern und Schülern ging durch dieses überdimensionierte Berichtswesen verloren.

Aber, meine Damen und Herren, Erziehung findet nicht auf dem Papier statt. Erziehung findet im Gespräch mit den Menschen statt. Mit der neu eingeführten Bewertung verringert sich der Schreibaufwand um mehr als 50 Prozent. Mit Beginn des neuen Schuljahres ersetzt die jährliche Gesamteinschätzung die vielen Einzelberichte. Lassen Sie mich das beispielhaft deutlich machen: Ein Lehrer wandte durchschnittlich pro Schüler pro Schuljahr zwei Zeitstunden für dessen schriftliche Einschätzung auf. Geht man von einer Klassenstärke mit 24 Schülern aus, so waren dies insgesamt 48 Stunden oder sechs Arbeitstage, die nur am Schreibtisch dafür verwandt wurden, statt im individuellen Gespräch mit dem Schüler und seinen Eltern verbracht zu werden. Ich bin mir sicher, dass die Lehrerinnen und Lehrer unseres Landes die gewonnene Zeit gut für die Entwicklung der Sozial- und Selbstkompetenzen ihrer Schülerinnen und Schüler nutzen werden.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und CDU – Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Helfen soll ihnen dabei das neue Instrument der halbjährlichen Bewertung des Arbeits- und des Sozialverhaltens. Dabei handelt es sich nicht um eine Wiedereinführung der sogenannten Kopfnoten, denn eine Zensierung findet, wie bereits gesagt, nicht statt.

Sehr geehrte Damen und Herren der Fraktion DIE LINKE, in Ihrem Antrag bemängeln Sie den fehlenden breiten Konsens zu den Kriterien. Wir haben einheitliche Kriterien für beide Bereiche benannt. Für das Arbeitsverhalten sind es Anstrengungsbereitschaft, Mitarbeit und Fleiß, Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und Sorgfalt, Selbstständigkeit sowie Belastbarkeit und Ausdauer. Und bei der Bewertung des Sozialverhaltens sind bei jedem Schüler nachstehende Kriterien zu berücksichtigen: Umgangsformen und Einhaltung von Regeln, Teamfähigkeit und Verantwortungsbereitschaft, Konfliktverhalten und Kritikfähigkeit, Hilfsbereitschaft.

(Udo Pastörs, NPD: Gruppenfähigkeit, Teamfähigkeit.)

Dieser Katalog ist sicherlich nicht vollständig, beinhaltet aber die wichtigsten Kriterien. Sie sind für die Beurteilung und Bewertung jedes Schülers verbindlich. Auch die Bewertungsgrade sind definiert. Sie sollen erzieherisch wirken und eine klare Rückmeldung an den Schüler und seine Eltern darstellen. Zum einen wird der zu einem bestimmten Zeitpunkt erreichte Stand dokumentiert, zum anderen werden Impulse für die weitere Entwicklung des Schülers gegeben. Statt bloßer Berichte zielt dieses neue Verfahren auf regelmäßige Kommunikation und partnerschaftliche Zusammenarbeit von Schule und

Eltern ab. Schon diese Zielsetzung macht deutlich, dass es nicht um eine Stigmatisierung junger Menschen oder, wie aus dem Antrag der LINKEN herauslesbar, um eine Beeinträchtigung der Persönlichkeitsrechte der Schüler geht.

Die ausbildende Wirtschaft fordert schon länger, dass das Arbeits- und Sozialverhalten der Schüler bewertet wird. Sie erhalten dadurch aussagekräftigere und genauere Informationen über die Ausbildungsplatzbewerber. In den Jahrgangsstufen 9 und 10 wird es die Bewertung des Arbeits- und Sozialverhaltens auf einer Anlage zum Zeugnis geben. Der Schüler kann dann selbst entscheiden, ob er die Bewertung bei einer Bewerbung vorlegt.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Und wenn nicht, dann kriegt er aber keine Chance. Na, das ist ja!)

Ich frage mich, warum er dies nicht tun sollte, kann er doch in der Regel auf Erreichtes stolz sein. Ich hoffe, dass unsere Schüler dies auch als Ansporn in ihrer persönlichen Entwicklung sehen.

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Genau. – Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

Meine Damen und Herren der Fraktion DIE LINKE, ich weiß nicht, woher Sie Ihre Erkenntnis haben, dass es seitens der überwiegenden Zahl der Lehrerverbände Kritik und erhebliche Zweifel bezüglich der pädagogischen Wirkungen und des organisatorischen Aufwandes bei der Umsetzung der Verordnung geben soll. Die von meinem Hause durchgeführte Verbandsanhörung und die vor 14 Tagen stattgefundene Anhörung durch den Bildungsausschuss des Landtages zeigten, dass die Mehrheit für die Einführung der Bewertung des Arbeits- und des Sozial verhaltens ist und die Verordnung billigt. Die Mehrheit aller Angehörten steht dem Vorhaben positiv gegenüber.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und CDU)