Lassen Sie mich mal einen Satz vorwegstellen von Carl Friedrich von Weizsäcker, der hat nämlich mal geschrieben: „Gute Politik“...
„Gute Politik ist auf Dauer nicht möglich ohne ein Maß an Wahrheit.“ Und ich füge hinzu, das gilt natürlich auch dann, wenn Wahrheiten manchmal etwas unangenehm sind.
Insofern ist der Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE ein Versuch, sich auch an unbequemen Wahrheiten vorbeizumogeln. Dabei mögen durchaus taktische Erwägungen eine Rolle spielen. Darauf will ich jetzt aber nicht weiter eingehen. Trotzdem ändert das nichts an der Tatsache. Es ist nämlich eine unbequeme Wahrheit, dass der Gesetzentwurf der LINKEN, so, wie er hier vorgelegt wird, den Unternehmen und Arbeitnehmern in Mecklenburg-Vorpommern das Leben eher schwerer macht als angenehmer.
Meine Damen und Herren, ich weiß wohl, nicht immer muss es den Beschäftigten besser gehen, wenn es einem Unternehmen gut geht. Das ist ja leider Gottes eine Tatsache, die wir auch in diesen Tagen konstatieren müssen. Aber ganz gewiss ist es so, dass es den Arbeitnehmern in jedem Fall schlecht geht, wenn es den Unternehmen schlecht geht.
Und es ist auch unbestritten, dass, wenn ein Arbeitslohn nicht von der Produktivität des Arbeitsplatzes gedeckt ist, dieser Arbeitsplatz wegfällt. Gerade eine starre Untergrenze von 8,00 Euro pro Stunde – Sie haben die hier gewählt, ich frage Sie, wo Sie die herhaben – nimmt auf eine solche Produktivität keine Rücksicht.
Nach Aussage des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle erlaubt die Produktivität in vielen arbeitsintensiven Branchen oft keinen Stundenlohn in dieser Höhe.
Ja, wenn Sie mal draufhören würden, das war doch jetzt gar nicht die Diskussion. Aber Sie hören ja nicht drauf.
Eine starre Lohnuntergrenze würde zumindest im Dienstleistungsbereich zu deutlichen Lohnmehrkosten führen, die die Unternehmen entweder zu weiterer Rationalisierung zwingen würden oder schlichtweg zur Aufgabe. So oder so würde die Regelung zusätzliche Arbeitslosigkeit verursachen. Zusätzliche Arbeitslosigkeit würde entstehen, es sei denn, die Unternehmen fänden einen anderen Weg, mit einer solchen zusätzlichen Belastung fertig zu werden.
Es gäbe auch einen Weg, ich will ihn zumindest einmal nennen. Die vorgesehene Regelung, das wurde vorhin auch gesagt, erfasst nur öffentliche Aufträge, demzufolge also nicht die privaten. Zum Beispiel im Baubereich sind das ungefähr 20 Prozent der Aufträge. Es ist aus der Erfahrung anderer Länder, übrigens auch Bayerns, die eine solche gesetzliche Regelung haben, bekannt, dass Unternehmen die höheren Kosten, die ihnen bei der Ausführung öffentlicher Aufträge entstehen, bei privaten Aufträgen dann oft zulasten der Beschäftigten kompensieren, wie man so schön sagt.
Soweit der Entwurf eine Mindestentlohnung verlangt, die über der Produktivitätsgrenze liegt, schadet er beziehungsweise nützt er demzufolge nichts.
Soweit die Produktivitätsgrenze eingehalten ist, ist er zwar unschädlich, aber dann eben auch unnütz.
Im Baubereich etwa gilt das Arbeitnehmerentsendegesetz, das einen Mindestlohn im Baugewerbe vorschreibt. Die diesbezüglichen Gesamttarifstundenlöhne liegen in Ostdeutschland zurzeit zwischen 9,00 Euro und 9,80 Euro, also oberhalb dessen, was der Entwurf hier heute vorsieht.
Natürlich müsste auch die Einhaltung tarifvertraglicher Regelungen, das wollen Sie ja wohl, überwacht werden. Dadurch würde zusätzlicher Verwaltungsaufwand entstehen, und zwar schätzungsweise in Höhe von 1 Prozent des jeweiligen Auftragswertes. Die Verwaltungskostenquote ist mit circa 15 Prozent pro Bauauftrag anzusetzen. Es müssten auch die Kalkulationen der Unternehmen vor der Auftragsvergabe überprüft werden, was umfassende Kenntnis einer Vielzahl von Tarifverträgen erfordern würde. Man muss ja auch davon ausgehen, dass es Nachauftragnehmer gibt. Nehmen wir mal den Fall mit 20 Nachauftragnehmern, dann müssten alle Tarife vom öffentlichen Auftraggeber vorgegeben werden und ihre Anwendung bei Kalkulation und Auftragsberechnung kontrolliert werden. Insgesamt wäre also mit Kostensteigerungen zu rechnen. Das hätte natürlich auch nachteilige Folgen für das Volumen öffentlicher Aufträge insgesamt und für die damit verbundenen Beschäftigungseffekte.
Ich ahne den Einwand, der dann heißt: Na ja, aber andere Bundesländer haben auch diese Tariftreuegesetze.
Da muss man erst mal ganz klar sagen, dass die alten Bundesländer diese Tariftreuegesetze deswegen eingeführt haben,
Und wenn man sich die Erfahrungen der anderen Länder anschaut, dann hat es zumindest in zwei Ländern ein Umdenken gegeben, nämlich Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt haben ihre Gesetze wieder aufgehoben. In Nordrhein-Westfalen hat sich herausgestellt, dass die Einhaltung tarifvertraglicher Bindungen mangels Kapazität von 70 Prozent der Kreise und 96 Prozent der Gemeinden nicht überprüft wurde. 80 Prozent der Vergabestellen hatten erhebliche Schwierigkeiten bei der Abgrenzung der jeweils gültigen Tarifverträge. 70 Prozent der Bauunternehmen beanstandeten, dass die öffentlichen Auftraggeber Kontrolltätigkeiten auf Generalunternehmer abwälzten. Ähnlich war es in Sachsen-Anhalt.
In Bayern haben Kammern, Verbände und Unternehmen schon vor Jahren beklagt, dass die Einhaltung von Tariftreueerklärungen nicht ausreichend kontrolliert werde. Nach Auskunft des Bayerischen Wirtschaftsministeriums war eine lückenlose Kontrolle aus personellen Gründen aber weder bei der Staatsbauverwaltung noch bei den Kommunen möglich. Auf niedersächsischen Baustellen wurden 2004 die Kontrollen eingestellt, weil das Kosten-Nutzen-Verhältnis, so die Aussage dort, zu ungünstig war.
Ich fi nde, es hilft nicht, sich diesen Erkenntnissen zu verschließen. Ein Gesetz, dessen Einhaltung so nicht gewährleistet werden kann, ist nämlich wertlos. Es macht auch keinen Sinn, die bestehenden Unterschiede zwischen den Ländern einfach zu negieren. Es gibt sie schlichtweg. Es ist eben so, dass in den westdeutschen Ländern nach wie vor die Unternehmen kapitalkräftiger sind als die mecklenburg-vorpommerschen Unternehmen. Die Konkurrenz mit solchen Unternehmen würde mit einer solchen Tariftreueregelung zusätzlich verschärft, weil diese Unternehmen höhere Kosten leichter verkraften könnten. Und so würde dem Kostendruck, dem unsere heimischen Unternehmen in Nachbarländern mit bestehenden Tariftreueregelungen ausgesetzt sind, ein zusätzlicher im eigenen Lande hinzugefügt.
Vorteilhaft könnte eine Tariftreueregelung in MecklenburgVorpommern allenfalls im Verhältnis zu Unternehmen aus den neuen EU-Ländern sein. Aber hier bestehen ja nach wie vor Regelungen und Beschränkungen der Freizügigkeit, sodass eine solche Regelung derzeit zumindest gar nicht notwendig wäre.
Weil also eine Tariftreueregelung, wie sie von Ihnen vorgeschlagen wurde – ich meine jetzt die Fraktion DIE LINKE –, wenn sie angewandt würde, die Arbeitslosigkeit tendenziell eher erhöhen würde,
ist es im Übrigen auch illusorisch zu glauben, man könnte damit die Belastung der sozialen Sicherungssysteme vermindern. Im Gegenteil, andersherum wäre die Situation hier zu bewerten.
Meine Damen und Herren, ich will noch eins deutlich machen: Die Situation ist schon ein bisschen vertrackt, wenn ich mir den Gesetzentwurf anschaue. Sie waren Regierungspartner in der vergangenen Legislaturperiode beziehungsweise Ihre Koalitionsvereinbarung damals – ich habe sie mir noch mal herausgeholt – sagte in Punkt 56: „Die Landesregierung erarbeitet ein Landestarif treuegesetz, das verfassungskonform ist und keinen Verlust von Arbeitsplätzen zur Folge hat.“ Es ist seinerzeit 2003 ein Gutachten angefertigt worden vom IWH, also vom Institut für Wirtschaftsforschung in Halle. Dieses sah eine Gefährdung von Arbeitsplätzen. Ich muss davon ausgehen, dass Sie damals die Argumentation mitgetragen haben,