Protocol of the Session on February 1, 2007

Das Urteil hat lediglich die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Berliner Regelung und derartige Regelungen insgesamt ausgeräumt. Das ist richtig.

(Irene Müller, Die Linkspartei.PDS: Trotzdem darf man in Mecklenburg-Vorpommern nachdenken.)

Ja, wissen Sie, Frau Müller, es tut mir leid, da habe ich eine etwas andere Sichtweise. Also in Berlin mag man sich ja das, was sexy ist, abgucken können.

(Heiterkeit bei Michael Roolf, FDP, und Udo Pastörs, NPD)

Aber was die Arbeitsplatzbeschaffung betrifft, da wäre ich ein bisschen vorsichtig. Da habe ich andere Vorbilder.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und Udo Pastörs, NPD – Irene Müller, Die Linkspartei.PDS: Das ist ’ne tolle Argumentation. – Zuruf von Dr. Wolfgang Methling, Die Linkspartei.PDS)

Die Frage – das will ich jetzt ganz ernsthaft sagen – lautet, ob ein Tariftreuegesetz mit der Dienstleistungsfreiheit des Artikels 49 des EG-Vertrages und mit den gemeinschaftsrechtlichen Vergaberichtlinien vereinbar ist. Das ist gerade durch das Urteil nicht geklärt worden. Darauf hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich aufmerksam gemacht. Ich weise darauf hin, dass das Oberlandesgericht Celle das niedersächsische Landesvergabegesetz dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt hat. Der Grund dafür ist, es hält die Tariftreuepfl icht mit der Dienstleistungsfreiheit des EG-Vertrages für nicht vereinbar. Daraus folgt also zunächst erst einmal, dass die

rechtliche Zulässigkeit eines Tariftreuegesetzes nach wie vor offen ist.

Meine Damen und Herren, die europarechtlich noch unsicheren Voraussetzungen für ein Tariftreuegesetz sind sicherlich das eine, aber ich will mich darum auch gar nicht drücken. Für mich als Wirtschaftsminister sind zwei Aspekte viel wichtiger:

Erstens. Nach meiner Erkenntnis sind die Nachteile eines solchen Gesetzes einfach höher anzusetzen als die gewünschten Vorteile.

Und zweitens, so sage ich für mich, brauchen wir ein solches Gesetz nicht.

Im Übrigen muss man einfach zur Kenntnis nehmen, dass wir 27 Prozent der Unternehmen im Lande als tarifgebunden registrieren. Im Umkehrschluss heißt das natürlich, 73 Prozent sind es nicht.

(Regine Lück, Die Linkspartei.PDS: Viel zu wenig. – Zuruf von Helmut Holter, Die Linkspartei.PDS)

Wenn man jetzt streng genommen mit einem Tariftreuegesetz arbeiten würde, dann würden wir,

(Dr. Wolfgang Methling, Die Linkspartei.PDS: Das ist doch nur ein Instrument.)

das kann man ja beklagen, 73 Prozent der Unternehmen von öffentlicher Auftragsvergabe ausschließen. Das wollen wir nicht.

(Dr. Wolfgang Methling, Die Linkspartei.PDS: Das ist doch nur ein Instrument.)

Das Institut für Wirtschaftsforschung Halle hat im Übrigen im Jahr 2003 – also es ist noch nicht so lange her – im Auftrag des Wirtschaftsministeriums dieses Landes ein Gutachten zum Thema Tariftreuegesetz erstellt. Fazit: Die Einführung von Tariftreuegesetzen auf Landes- oder auf Bundesebene ist nicht zu empfehlen. Die Hauptgründe für diese Einschätzung des Instituts waren folgendermaßen:

Erstens. Die Beschäftigungssituation würde sich bestenfalls nicht, aber im schlechteren Fall negativ verändern.

Zweitens. Die Kontrolle eines solchen Gesetzes ist nur schwer möglich. Kontrollkosten würden den Nutzen weit übersteigen.

Drittens. Die geltenden Rechtsvorschriften ermöglichen bereits eine Angleichung der Wettbewerbsbedingungen.

Man muss sich zunächst auch einmal die Auftragsvergabe von Bauleistungen durch die öffentliche Verwaltung anschauen. Die Frage ist: Was hätten wir gewonnen mit einer Erklärung des Bauunternehmers, er zahle zum Beispiel den tarifl ichen Mindestlohn? Die Antwort ist eigentlich: Nichts hätten wir davon, weil das Arbeitnehmerentsendegesetz ihn ohnehin dazu verpfl ichtet, eine solche Regelung einzuhalten. Also, das sage ich zumindest, es ist unsinnig, ein Gesetz zu erlassen, in dem eigentlich stehen müsste, es ist verboten, ein anderes Gesetz nicht zu beachten.

Meine Damen und Herren, zudem gebietet das Vergaberecht, das ist ein alter Streit, den Zuschlag nur an den Anbieter zu erteilen, dessen Preis der niedrigste ist.

(Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS: Das ist falsch!)

Das ist eine lange Diskussion, die wir im Lande immer wieder kennen.

(Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS: Nein, das wirtschaftlichste Angebot.)

Darauf wollte ich gerade hin. Wenn Sie mir noch einen Augenblick zuhören würden, wäre ich genau an diesem Punkt gelandet.

(Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS: Entschuldigung!)

Wie Sie richtig sagten, ist dies falsch und es ist der wirtschaftlichste Anbieter zu wählen. Allerdings gebe ich zu, ich kenne das aus eigenem Erleben, dies muss man in den jeweiligen Körperschaften immer wieder deutlich betonen

(Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS: Erst mal in den Verwaltungen und dann in den Körperschaften.)

und da muss man sich auch die Entlohnung ein bisschen mit anschauen. Das macht Arbeit, das gebe ich zu, weil es auch um die Auskömmlichkeit am Ende von solchen Aufträgen gehen muss.

Meine Damen und Herren, wenn ich mir den Antrag freundlich anschaue, dann muss ich sagen: Gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht. Wir haben in Deutschland Probleme im Niedriglohnbereich. Darüber wird auch auf der Berliner Bühne diskutiert. Und ich denke, wir sollten jetzt die Dinge, die sich irgendwie richten werden, dort abwarten. Ich meine jedenfalls, dass eine Verknüpfung mit einem Tariftreuegesetz zu einem untauglichen bürokratischen Gebilde führen würde. Und im Übrigen sage ich Ihnen, das war auch meine Aussage im Wirtschaftsausschuss, ich bin nicht angetreten als Wirtschaftsminister, um möglichst viele Gesetze und Neuregelungen zu erlassen, sondern eher auf Gesetze und Neuregelungen, soweit es irgendwie geht, zu verzichten.

(Barbara Borchardt, Die Linkspartei.PDS: Aber Rauchverbot gesetzlich anerkannt. – Dr. Wolfgang Methling, Die Linkspartei.PDS: Aber Appelle reichen nicht.)

Meine Damen und Herren, die Erfahrungen mit solchen Gesetzen zeigen, dass es in der Praxis große Schwierigkeiten bei Kalkulationsüberprüfungen und Kontrollen gibt. Die öffentlichen Auftraggeber haben vom Tarifvertragsrecht in aller Regel auch nur begrenzte Kenntnisse. Sie können oftmals nicht wissen, welche Nachauftragsnehmer dann eingesetzt werden. Man müsste im Regelfall bei den Nachauftragsnehmern ebenfalls solche Prüfungen unternehmen.

(Barbara Borchardt, Die Linkspartei.PDS: Sie meinen, Bayern hat das nicht gut geregelt.)

Und das ist in der Praxis außerordentlich schwierig.

Es ging auch um die Prüfung einer Vielzahl von Kriterien, eben nicht nur um die Lohn- und Gehaltstarife, sondern natürlich auch um Zuschläge, Zulagen, Prämien, Urlaubs- und Weihnachtsgeld und so weiter und so fort. Also ich gehe davon aus, dass ein Tariftreuegesetz Arbeitnehmer nicht vor Niedriglohn schützen kann. Tariftreue würde ohnehin dann nur – so haben Sie es ja formuliert – bei öffentlichen Aufträgen geprüft.

(Regine Lück, Die Linkspartei.PDS: Da fängt man an.)

Unsere Überprüfungen sind die, dass der Umfang der öffentlichen Aufträge nach Angaben des Bauindustrieverbandes zum Beispiel 20 Prozent aller Bauaufträge ausmacht, und das beschreibt an und für sich ganz gut die Situation.

(Irene Müller, Die Linkspartei.PDS: Das ist aber keine Entschuldigung, nicht arbeiten zu wollen.)

Also aus wirtschaftlichen Gründen wäre ein Tariftreuegesetz abzulehnen. Im Übrigen, das ist natürlich die andere Seite, müsste man auch mit Verteuerungen der öffentlichen Aufträge rechnen. Aber gut, das kann man wollen, das muss man sich dann nur vergegenwärtigen.

(Regine Lück, Die Linkspartei.PDS: Genau.)

Meine Damen und Herren, in Nordrhein-Westfalen wurde im vergangenen Jahr das dortige Tariftreuegesetz ersatzlos aufgehoben. Die Begründung lautete kurz gefasst: erhebliche Mängel bei der Durchführung und erwiesene Wirkungslosigkeit.

(Vizepräsidentin Renate Holznagel übernimmt den Vorsitz.)

Nach übereinstimmender Auffassung von Fachleuten wurden die Schutzziele, die auch damals in diesem Gesetz formuliert waren, eben nicht erreicht. Dafür entstanden aber hohe Bürokratiekosten und eine erhebliche Belastung der Kommunen und der betroffenen Unternehmen. Unter anderem wurde auch festgestellt, dass die tatsächliche Einhaltung der Tariftreue von 70 Prozent der Kreise und 96 Prozent der Gemeinden in NordrheinWestfalen nicht überprüft wurde,

(Dr. Wolfgang Methling, Die Linkspartei.PDS: Ich denke, das geschieht sowieso.)

dass 80 Prozent der Vergabestellen erhebliche Schwierigkeiten hatten bei der Abgrenzung der jeweils gültigen Tarifverträge und, und, und. Ich will das alles nicht im Einzelnen hier aufzählen. In Sachsen-Anhalt wurde übrigens das Tariftreuegesetz schon im Jahr 2002 aufgehoben.

Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: Der vorliegende Antrag für die Vergabe öffentlicher Aufträge zielt auf ein Tariftreuegesetz. Ein solches Gesetz wäre erstens nicht rechtlich zwingend,

(Andreas Bluhm, Die Linkspartei.PDS: Aber möglich.)

wie das für meine Begriffe fälschlicherweise im Antrag angedeutet wird, zumal ist die europarechtliche Zulässigkeit nicht geklärt.

Zweitens ist es ein Instrument, was sich in der Praxis – zumindest so – nicht als förderlich erwiesen hat. Es ist ein bürokratisches Instrument und man muss befürchten, dass es auch wirtschaftlich negative Effekte gibt. Man könnte im Übrigen auch darauf kommen, weitere sogenannte vergabefremde Kriterien aufzunehmen.