Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von 60 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Lieber Herr Holter, mit dem Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung der Landesverfassung schlagen Sie vor, ein formales Anhörungsrecht für Kommunen und kommunale Landesverbände in der Landesverfassung für solche Gesetzgebungsverfahren zu verankern, die unmittelbar Gemeinden und Landkreise berühren. Was
auf den ersten Blick durchaus sinnvoll erscheint, erweist sich bei näherem Hinsehen jedoch für nicht erforderlich, im Gegensatz sogar eher systemwidrig.
Noch nie war die Einbeziehung der Kommunen und ihrer Landesverbände im Gesetzgebungsverfahren sowohl rechtlich als auch tatsächlich so ausgeprägt wie heute.
Die Paragrafen 6 und 93 der Kommunalverfassung be inhalten die Pflicht der Landesregierung, bei der Vorbereitung von Rechtsvorschriften, die unmittelbar die Belange der Gemeinden und Landkreise berühren, mit den kommunalen Landesverbänden zusammenzuwirken.
Diese Vorschriften werden von der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Landesregierung konkretisiert. Danach werden die kommunalen Landesverbände bei kommunal relevanten Gesetzen bis zu dreimal am Verfahren beteiligt. Zum einen erfolgt ein frühzeitiges Hinzuziehen bei der Vorbereitung eines Entwurfes, was ja häufig dazu führt, dass sie mit Referentenentwürfen schon umherlaufen,
Und ein drittes Mal wird Ihnen im Rahmen der formellen Verbandsanhörung zu dem vom Kabinett gebilligten Gesetzentwurf Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Zusätzlich regelt der Paragraf 6 der GGO II, dass in der Begründung eines Gesetzentwurfes darzustellen ist, welche Erwägungen dazu geführt haben, im Beteiligungsverfahren angeregte Änderungsvorschläge nicht aufzugreifen. Dadurch wird dem Landtag eine wertvolle Entscheidungshilfe an die Hand gegeben. In erster Linie dient dieses Verfahren aber dazu, die kommunalen Landesverbände auf vorbildlich transparente Weise über den Abwägungsprozess zu informieren.
Was für die Landesregierung gilt, hat selbstverständlich auch für den Landtag als Gesetzgeber seine Gültigkeit. Im parlamentarischen Verfahren finden die Paragrafen 6 und 93 der Kommunalverfassung im Paragrafen 23 Absatz 4 der Geschäftordnung des Landtages von Mecklenburg-Vorpommern ihren Niederschlag. Dieser sieht vor, dass ein Ausschuss den kommunalen Landesverbänden vor der Beschlussfassung Gelegenheit zur Abgabe einer Stellungnahme geben soll, wenn er einen Gesetzentwurf behandelt, der unmittelbar die Belange von Gemeinden und von Landkreisen berührt. Ich erin
nere nur an das Gesetzgebungsverfahren zur Kreisgebietsreform oder noch aktueller zur Änderung der Kommunalverfassung. Beide Verfahren sind Beispiele dafür, dass der Landtag seine Verantwortung gegenüber den Kreisen, Gemeinden, aber auch gegenüber den Kommunen und den Landesverbänden ernst nimmt, sehr ernst sogar.
Auch Sie, meine Damen und Herren von der Fraktion DIE LINKE, haben es in der Hand, einzelne Kommunen, in der Regel jedoch den Landkreistag beziehungsweise den Städte- und Gemeindetag als Sachverständige für die Anhörung vorzuschlagen. Soweit ich weiß, ist es im Innenausschuss zu Recht bereits gängige Praxis, die kommunalen Landesverbände gar nicht mehr gesondert zu benennen, sondern sie bei allen kommunal relevanten Vorhaben um eine Stellungnahme zu bitten.
Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt nicht nur von Ihnen bekannte formalrechtliche Vorschriften der Kommunalverfassung, der Geschäftsordnungen von Landtag und Landesregierung zitieren, denn das wäre in der Tat zu kurz gegriffen. In der Sache geht es um den Schutz der kommunalen Selbstverwaltung, wie es sich aus Artikel 72 Absatz 1 der Landesverfassung beziehungsweise Paragrafen 2 und 88 der Kommunalverfassung ergibt. Diesen, wenn man so will, grundrechtsgleichen Schutz der Kreise und Gemeinden gilt es zu stärken. Ich glaube, an diesem Punkt sind wir uns alle einig. Nicht umsonst hat der Landtag genau zu diesem Zweck auch eine Enquetekommission eingerichtet.
Auch das Normenkontrollverfahren vor dem Landesverfassungsgericht gegen das Verwaltungsmodernisierungsgesetz ist ein sehr gutes Beispiel dafür, dass Gesetze unter Berufung auf die kommunale Selbstverwaltung zu Fall gebracht werden können. Mit seinem Urteil vom 26. Juni 2007 hat das Landesverfassungsgericht festgestellt, es sei Aufgabe der Landesregierung, durch Vorarbeiten oder im Gesetzentwurf die notwendigen Grundlagen für die erforderliche Abwägung zu liefern. Geschehe das nicht hinreichend, sei der Landtag selbst gehalten, sich die Entscheidungsgrundlagen zu verschaffen.
Dieser Leitsatz der Gerichte ist nach meinem Dafürhalten verallgemeinerungswürdig und macht deutlich, dass eine gegebenenfalls versäumte Anhörung der Kommunen oder ihrer Landesverbände schon auf der Grundlage des geltenden Verfassungsrechtes zu einer Verletzung der kommunalen Selbstverwaltung führen kann. Allerdings erfolgt die Anhörung nicht als Selbstzweck, sondern um alle für die Abwägung relevanten Belange zu ergründen. Anders ausgedrückt: Würden Landtag oder Landesregierung die daraus grundsätzlich folgenden Anhörungsverpflichtungen vernachlässigen, bestünde das Risiko eines Abwägungsdefizites, also einer fehlerhaften gesetzgeberischen Entscheidung. Diese wiederum kann dann letztendlich zur Nichtigkeit des jeweiligen Gesetzes führen.
Meine Damen und Herren, ich habe die kommunale Selbstverwaltung soeben als grundrechtsgleiches Recht bezeichnet. Die Rechtsträger, also die Kreise und Gemeinden, sollen in gleichem Umfang geschützt sein wie jeder von uns, der sich auf die Grundrechte beruft. Wie jeder Bürger können wir uns an die Gerichte wenden, wenn wir meinen, ein Verwaltungsakt oder ein Gesetz verletze uns in unseren Rechten. Soweit wir behaupten, vor der Entscheidung nicht angehört worden zu sein, ist die Berufung auf einfache Gesetze wie zum
Beispiel das Landesverwaltungsverfahrensgesetz notwendig. Ein verfassungsrechtlich normiertes Anhörungsrecht gibt es nicht.
Insofern wäre es nach unserer Ansicht auch systemwidrig, wenn man Ihren Vorschlag zu Ende dächte und nur Gemeinden und Kreisen, nicht aber natürlichen Personen ein formales verfassungsrechtliches Anhörungsrecht gewähren wollte. Daran ändern auch Ihre Vergleiche, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, mit der Rechtslage in anderen Bundesländern nichts, denn diese Vergleiche treffen keine Aussage darüber, wie dort das Anhörungsrecht natürlicher Personen ausgestaltet ist.
Nach all den Ausführungen meiner Argumente komme ich zu dem Schluss, dass die von der Fraktion vorgeschlagene Änderung der Landesverfassung abgelehnt werden sollte, denn Ihr Vorschlag ist überflüssig. Es gibt keinen Bedarf für die von Ihnen vorgeschlagenen Regelungen. Sie wollen offene Türen einrennen und das ist legitim, im Rahmen von Wahlzeiten sich bei den kommunalen Landesverbänden beliebt zu machen.
(Peter Ritter, DIE LINKE: Wir sind das schon, Herr Minister. Wir sind doch sehr beliebt. – Torsten Renz, CDU: Ich wusste, dass Sie das sagen.)
Die Kontinuität der Landesverfassung ist ein hohes Gut. Dieser Grundsatz gebietet es, die Kontinuität verfassungsrechtlicher Bestimmungen grundsätzlich zu wahren und Änderungen nur dann vorzunehmen, wenn wichtige Belange des öffentlichen Wohls eine Veränderung erfordern. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir uns diesen Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE anschauen – und ich gebe zu, ich habe zunächst auf den Text der vorgeschlagenen Verfassungsänderung geschaut und erst dann auf die einleitende Problemdarstellung und die hinten angefügte Begründung –, dann fallen einem gleich zwei Dinge auf. Und bei Ihrer Rede, Herr Holter, ist mir das sehr im Gedächtnis angeklungen.
Das Erste, was mir auffällt, Sie reden davon, dass die kommunale Ebene bei Gesetzen und anderen Rechtssetzungen, die Gemeinden und Kreise unmittelbar berühren, beteiligt wird. Da stellt sich mir die Frage, warum wir denn diese Beschränkung auf die unmittelbare Betroffenheit vornehmen. Es gibt eine Reihe von Dingen, in denen die Städte, Gemeinden und Kreise mittelbar betroffen sind, vielleicht was das Ausmaß der Betroffenheit angeht noch mehr als bei manchen Dingen, die sie unmittelbar betreffen, und ich frage mich, warum solche Dinge ausschließen.
Und das Zweite ist, das ist vielleicht noch viel wichtiger, der Text, den Sie vorschlagen, sagt, die kommunale Ebene – ich verkürze jetzt – ist zu hören.
In den Ausführungen, die Sie hier gemacht haben, reden Sie sehr viel von Mitwirkung. Ich glaube, Sie gehen durch die Lande und versprechen der kommunalen Ebene eine
Mitwirkung im Gesetzgebungsverfahren, die Sie selbst – und da attestiere ich Ihnen solides Arbeiten –, die Sie ihnen selbst gar nicht geben können und gar nicht geben wollen, und im Verfassungstext, den Sie uns vorschlagen, wird diese angebliche Mitwirkung darauf reduziert, dass sie ihre Meinung im Prozess sagen dürfen. Mitwirkung bei einem Entscheidungsprozess habe ich mir eigentlich immer anders vorgestellt, denn wenn ich meine Meinung sagen kann und die Entscheider sagen dann, danke schön, dass du uns das gesagt hast, aber wir handeln trotzdem anders, dann ist mein Mitwirkungsrecht doch ein sehr bescheidenes.
Und dieses bescheidene Mitwirkungsrecht wollen Sie jetzt in die Verfassung hineinschreiben. Da habe ich mich dann in der Tat gefragt: Brauchen wir das? Denn dieses Recht, im Prozess ihre Meinung sagen zu können, darauf verweisen Sie bei der Problemdarstellung selbst, ist einfach gesetzlich geregelt. Es ist auch geregelt im Paragrafen 23 Absatz 4 der Geschäftsordnung des Landtages, wonach wir als Landtagsausschüsse bei Dingen, die die kommunale Ebene angehen, diese hören müssen. Es ist einfach an mehreren Stellen gesetzlich geregelt. Und der Minister hat auf die Bedeutung einer solchen einfachen gesetzlichen Regelung verwiesen. Sie allerdings suggerieren bei der Problemdarstellung – na, vorsichtig, aber doch erkennbar –, dass dieses hier so nicht eingehalten wird und dass dieses verletzt werden könnte.
Ich glaube, ich habe im Innenausschuss, und dafür kann ich vielleicht in besonderer Weise reden, weil ich diesem Gremium schon ziemlich lange und kontinuierlich angehöre, im Innenausschuss haben immer alle demokratischen Fraktionen mit Argusaugen darauf geachtet, dass bei Dingen, die die kommunale Ebene betreffen, die kommunale Ebene auch einbezogen und gehört wird. Und ich bin ganz sicher, dass alle Politiker, alle Demokraten im Innenausschuss auch weiterhin eine solche Linie verfolgen werden. Das gehört zu unserem Selbstverständnis und das gehört zu unserem Alltag.
Ich glaube nicht, dass eine Suggestion, hier wolle möglicherweise davon abgewichen werden, die Kommunen, wenn sie denn betroffen sind, zu hören, dass eine solche Suggestion irgendeine reale Basis hat. Und wenn ich mir dann anschaue bei der Problemdarstellung auf der ersten Seite der letzte Absatz, da wird gesagt: Na ja, das wird ja jetzt alles ganz schwierig und alles ganz heikel und jetzt kommen die konfliktbeladenen Gesetzgebungsverfahren und da könnte das ja sein.
Liebe Kollegen von den LINKEN, viele von Ihnen und viele in den anderen Fraktionen – ich eingeschlossen – haben hier zwei Kreisgebietsreformen diskutiert, wir haben etliche FAG-Novellen diskutiert, wir haben eine KAG-Novelle diskutiert und wir haben viele, viele andere Dinge diskutiert, die ungeheuer konfliktgeladen waren, und wir haben immer die kommunale Ebene gehört. Und da wollen Sie uns sagen, jetzt kommen die großen konfliktbeladenen Dinge?!
Ich glaube, wir haben immer wieder mit sehr stark konfliktbeladenen Dingen zu tun. Wir haben das in der Ver
gangenheit gehabt. Wir werden es auch in der Zukunft haben und das heißt nicht, dass wir in der Zukunft anders mit der kommunalen Ebene umgehen. Wir werden mit ihr so umgehen wie in der Vergangenheit, nämlich in der Weise, dass wir sie hören und dass wir ihre Meinung ernst nehmen und in unseren Meinungsbildungsprozess mit einbeziehen. Also, meine Damen und Herren, frage ich mich: Was soll dieser Gesetzentwurf?
Und nun, Herr Holter, haben Sie noch in der heutigen Rede ein Argument angeführt, dass ein solches Beteiligungsrecht ja von den kommunalen Verbänden – auch der SPD – für die Bundesebene verlangt wird. Das ist richtig. Aber die Situation auf der Bundesebene ist mit der auf der Landesebene so nicht vergleichbar.
Der Bund ist, das wissen wir, eigentlich ja nicht die Ebene, die für die Kommunalpolitik die Regelungen trifft.